Читать книгу Trümmerprinzessin - Ruth Broucq - Страница 10
Unbezwingbar
ОглавлениеNatürlich bedeutete der Umzug auch einen Schulwechsel für mich.
Der erste Stolperstein ergab sich in der neuen Schule weil meine Eltern einen anderen Familien-Namen führten. Sie hießen Theissen und ich Schütz. Dadurch bemerkte ich, dass mich das von den meisten Mitschülern unterschied. Weil Jeder gleich wusste, dass ich nur einen Stiefvater hatte hänselten die Anderen mich damit. Deshalb wollte ich auch gerne den Namen meines Stiefvaters annehmen, aber eine Namensänderung lehnten meine Eltern ohne Begründung ab.
Allerdings fand ich schnell heraus wie ich mich interessanter machen konnte. Ich prahlte damit dass mein richtiger Vater Franzose und ich Mütterlicherseits von adliger Abstammung sei. Den französischen Vater nahm man mir kommentarlos ab, aber an die adlige Ahnin glaubten manche Mitschüler nicht.
Die Zweifler schleppte ich mit zu meiner Oma, die ja nahe der Schule wohnte, bat sie um Bestätigung meiner Angaben. Obwohl es meine Oma amüsierte, bestätigte sie die Tatsache, dass ihre Großmutter eine Gräfin gewesen war. Oma war klug genug zu verschweigen dass die Gräfin verarmt ihr Leben hatte fristen müssen. Oma ahnte, dass besonders Kinder die Blaublütigen für reich hielten und glaubten dass sie in Burgen und Schlössern wohnten. Mir jedoch brachte Omas Unterstützung die Bewunderung meiner Kameradinnen ein und das war mir Erfolg genug.
Am Anfang des fünften Schuljahres in der neuen Klasse der Gemeinschaftsschule musste ich mich also erst einmal behaupten. Es gab ein paar männliche Klassenkameraden die glaubten mich mit schubsen und kneifen einschüchtern zu können. So hatte ich in den ersten Wochen in den Pausen keine Ruhe, weil ich nur damit beschäftigt war mich zur Wehr zu setzen. Als ich die ständigen Attacken leid war überlegte ich wie ich dem ein Ende machen könne.
Per Zufall ergab sich die Gelegenheit.
Durch einen Stoß von hinten rempelte ich Udo, den größten und kräftigsten Jungen, unabsichtlich vor der Tür unseres Klassenzimmers an. Bevor ich mich entschuldigen und den Irrtum aufklären konnte, schlug Udo nach mir und traf mich unglücklich im Brustbereich. Der stechende Schmerz an den gerade entstehenden kleinen Knospen war so fürchterlich, dass ich wie eine Furie auf den um zwei Köpfe größeren stabilen Knaben losging.
Ich trat, schlug, boxte, kratzte und biss ihn wie von Sinnen, bis er das Gleichgewicht verlor und der Länge nach auf den Rücken fiel. Sofort warf ich mich auf ihn und attackierte ihn mit einer rasend schnellen Box- und Schlagserie, dass er nicht zur Gegenwehr kam.
Erst als mich Jemand von hinten packte und hoch zerrte, endete der Kampf zu meinen Gunsten.
Es war unser Lehrer, der mich hoch zog und mir mit einer Mischung aus Abneigung, Belustigung und Bewunderung befahl mich zu beruhigen.
Der Respekt meiner gesamten Mitschüler war mir ab dem Moment gewiss. Niemand griff mich mehr an, sondern wie zuvor in der alten Schule wurde ich die Gefürchtete, deren Wort meist schon zur Klärung und Beendung eines Streites ausreichte. Wenn es allerdings jemand darauf anlegte sich mit mir zu messen oder sich wagte mir in die Quere zu kommen, war ich mit kampflustiger Aktion schnell zur Hand. Diese landete ohne Vorwarnung sofort in rasantem Tempo im Gesicht meines Gegners.
Aber auch für meine Lehrer war ich nicht leicht zu handhaben. Ich konnte aufsässig und eigensinnig sein, wenn ich mich im Recht fühlte, dann ließ ich mir auch von den Lehren nicht den Mund verbieten. Energisch verteidigte ich dann meine Position.
Ebenso meine große Schwester, aus ihr hatte selbst der Heimaufenthalt kein liebes Mädchen gemacht, denn auch Heide setzte sich immer noch sofort voller Aggressivität gegen jeden Angreifer mit schlagkräftigen Argumenten durch.
Aber nicht nur unsere kämpferische Unerschrockenheit hatten wir gemeinsam, auch die Vorliebe für den bunten Kirmes-Rummel teilten wir miteinander. Zwar gingen wir nicht gemeinsam, sondern jede mit ihren Freunden dort hin, aber wir trafen uns mit Sicherheit auf jedem Rummelplatz wieder.
Oft ahnte ich schon, wenn ich von weitem eine wilde Rauferei sah, dass meine Schwester mal wieder daran beteiligt war. Und so manches Mal kamen wir uns gegenseitig zu Hilfe. So erwarben wir uns den Ruf der rabiaten Schwestern.
Anders war die Situation bei uns zu Hause, dort verstanden wir uns kaum, was sicher nicht nur an dem Altersunterschied lag. Deshalb gefiel es mir gar nicht, dass wir ein Zimmer teilen mussten, denn insgesamt waren wir zu verschieden.
Heides rücksichtslose Art sich über meine Empfindlichkeiten hinwegzusetzen hatten schon in der alten Wohnung angefangen. Allein dass wir ein Bett teilen mussten, hatte oft zu Streitigkeiten geführt hatte.
Weil das Klo draußen war, hatte für nachts zum Pipi machen ein Metall-Eimer mit Deckel im Schlafzimmer gestanden. Wegen meiner schwachen Blase hatte ich oft nachts das Ersatzklo benutzen müssen. Mangels Licht hatte ich dann im Dunkeln zu dem Eimer tapsen müssen. Meine Schwester hatte sich gerne einen Spaß daraus gemacht, gerade in dem Moment wenn sie es plätschern hörte zu rufen: >Vorsicht- eine Ratte!< So dass ich erschrocken hochgeschnellt und in panischer Angst so schnell ich konnte in Richtung Bett gehüpft war, wobei ich mich meist benässte.
Meiner Oma schimpfen und die Ermahnungen meiner Mutter hatten Heide nicht daran gehindert ihren Spaß fortzuführen. Ich hasste sie dafür.
Auch hatte ich sie im Verdacht dass sie mich ungerührt hätte ertrinken lassen, wenn ich mir nicht selbst geholfen hätte. Dieses schlimme Erlebnis hatte sich Jahre zuvor in der Badeanstalt abgespielt, als ich über Heidemaries Kopf hinweg ins tiefe Schwimmerbecken gestoßen wurde. Obwohl ich mit ihr im Gespräch war als ich über sie hinweg flog, hatte sie das angeblich nicht gesehen und sich abgewendet. In meiner Hilflosigkeit hatte ich mich an der nächstbesten Person festgeklammert bevor ich bewusstlos wurde. Dieses Horror-Erlebnis hatte sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt und aus mir eine ängstliche lebenslange Nichtschwimmerin gemacht, sowie die Abneigung gegen meine lieblose Schwester vertieft.
Auch in unserem neuen gemeinsamen Zimmer hatte meine Schwester sich eine widerliche Gewohnheit angeeignet. Beim Ausziehen warf sie ihre schmutzige Unterwäsche über meinen Kopf hinweg in den Wäschekorb, der hinter dem Kopfende meines Bettes stand. Weil ich befürchtete, dass die Sachen mal in meinem Gesicht landen könnten, bat ich sie oft das zu unterlassen. Aber Heidemarie lachte mich nur aus. Ich fand das eklig, deshalb nannte ich sie gemeines Biest und sann auf Rache.
Würde ich diese hinterhältige Hexe denn nie loswerden?
Meine Abneigung förderte meine Rachsucht und stärkte noch mehr meine Abwehrkraft.