Читать книгу Trümmerprinzessin - Ruth Broucq - Страница 9
Unzerbrechlich
ОглавлениеMit acht Jahren musste ich mich auf eine neue unbekannte Situation einstellen, weil meine Mutter heiratete, unser Haushalt dadurch um eine Person vergrößert wurde.
Die Männerfreie Weiberwirtschaft war somit vorbei und das war nicht einfach für uns, besonders für meine Oma. Im Gegensatz zu mir mochten meine Oma und ebenso meine Schwester Heide den neuen Mitbewohner nicht. Sie sahen ihn als Eindringling, mit dem sie ihr bescheidenes Zuhause teilen mussten. Meine Oma mochte vor allem seine Einmischung in unsere Erziehung nicht und auch meine Schwester rebellierte dagegen mit offener Abwehr.
Ich erkannte den Mann sofort an, denn ich freute mich endlich auch einen Vater zu haben. Während ich ihn sofort stolz >Vati< nannte, konnte meine Schwester sich gerade noch zu der Anrede >Onkel< durchringen. Sie war abweisend, frech und rebellisch, zu Hause sowie in der Schule. Oft brachte Heide Briefe von der Schulleitung mit nach Hause, die von Heidemaries Frechheit und Streitsüchtigkeit berichteten, mit der Aufforderung meine Schwester zur Rechenschaft zu ziehen.
Eine Zeitlang versuchte unsere Mutter meine Schwester zu besänftigen, sie zur Vernunft zu bringen, was nur noch mehr Aggressivität hervorrief. Erst als die Polizei bei uns erschien und Heide des Diebstahls bezichtigte fiel auf, dass sie seit Tagen sehr spät nach Hause kam und dann teure Kleidung und andere Dinge bei sich trug. Zwar stellte sich heraus, dass sie einen Briefumschlag mit viel Geld gefunden hatte, nur anstatt den ins Fundbüro zu bringen, war sie mit ihrer Freundin einem wahren Kaufrausch erlegen Zum Glück war noch der Großteil des Geldes vorhanden, was Heide dann abgeben musste. Die fehlende Summe wurde als Finderlohn gesehen. Jedoch zeigte meine Schwester keinerlei Reue oder Scham.
Als Heide einem Schulkameraden mit einem Stein den Kopf blutig schlug, war Mutter klar, dass sie Heide nicht mehr in den Griff bekommen konnte. Deshalb musste meine Schwester für einige Zeit in ein Heim für schwer erziehbare Kinder. Ich vermisste sie nicht.
Wegen der beengten Wohnverhältnisse und den damit verbundenen Spannungen suchten meine Eltern dringend eine andere Wohnung, was in dieser Zeit der Wohnungs-Knappheit nicht einfach war. Also dauerte es noch eine lange Zeit. Dass meine geliebte Oma eine eigene Wohnung suchte, mir bald keine Stütze mehr sein würde, erklärte man mir nicht, so bemerkte ich es erst viel später.
Außer mit meinen Freunden spielte ich bei Schlechtwetter gerne zu Hause mit unseren Katzen, die bei uns dringend nötig waren, wegen der vielen Ratten in dieser Zeit. Wir hatten einen Kater und seine Mutter. Als das Muttertier einmal Junge warf, musste ich mit ansehen, dass mein neuer Vati die Katzenbabys tötete und in das Plumpsklo warf. Das erschütterte mich sehr und dadurch bekam meine Euphorie wegen des neuen Vaters einen ersten Knacks. Diese grausige Tat nahm dem positiven Verlauf unserer Vater-Tochter Beziehung etwas von seinem Glanz.
Aber mich tröstete meine besondere Liebe zu Kater Fritzchen, denn der ließ sich von mir sogar in meinen kleinen Puppenwagen packen und in der Wohnung spazieren fahren. Seine Mutter Lissy dagegen war keine Schmusekatze sondern die perfekte Ratten-Jägerin, sie hielt unser Haus samt Umgebung sauber. So war meine Trauer auch nur von kurzer Dauer, als Lissy eines Tages an einer vergifteten Ratte starb.
Kater Fritzchen hingegen vermisste ich schmerzhaft sehr lange Zeit, weil wir ihn wegen unseres Umzugs zurück lassen mussten. Denn in der neuen Wohnung waren Haustiere nicht erlaubt. Als ahne er dass wir uns nie wiedersehen werden miaute er kläglich als wir unsere Behausung mit den letzten Möbeln verließen. Es brach mir fast das kleine Herz zu sehen wie er am Zaun unseres Vorgartens entlang hinter uns herlief bis der Zaun seinen Weg beendete.
Auch dass meine Oma nun nicht mehr mit uns zusammen, sondern in einer anderen Gegend wohnte, machte mich anfangs sehr traurig. Dafür nahm ich als notwendiges Übel dass Heide wieder aus dem Heim nach Hause kam. Ich nahm es jedoch als nebensächlich hin, denn große geschwisterliche Zuneigung empfand ich für sie nicht.
Aber der Trennungsschmerz von der gewohnten Umgebung, meinen Freunden und meinem Kater legte sich bald in der Umgewöhnungs- Phase an die völlig neuen Verhältnisse.
Wir zogen in eine gepflegte Genossenschafts-Siedlung, in einem anderen Ortsteil. In dem weitläufigen reinen Wohn-Viertel, standen auf mehrere Straßen verteilt viele 4 und 6 Familienhäuser mit großen Wiesen und Gärten dazwischen, so dass es nicht nur viel Platz zum Spielen gab, die Mieter sogar selbst Obst und Gemüse anpflanzen konnten, was in dieser kargen Zeit eine große Hilfe war.
Wir bezogen eine 3 Zimmer-Erdgeschoß-Wohnung in einem 4 –Familienhaus. Eine 60 Quadratmeter-Wohnung, bestehend aus Wohnküche- Mädchenzimmer- Wohnzimmer mit Bettcouch für meine Eltern, sowie einer kleinen Diele und Bad. Nun hatten wir elektrisches Licht, fließendes Wasser und sogar ein Badezimmer mit kleiner Sitzbadewanne und Toilette mit Wasserspülung.
In dem großen Keller hatte jede Partei einen Abstellraum und es gab dort eine große Waschküche mit einem riesigen eingemauerten Kessel zum kochen der Weißwäsche und einem Holzbottich für die Buntwäsche und Spülvorgänge. Dort konnten wir 1x monatlich unsere Wäsche waschen und auf dem Speicher im Dachgeschoß zum Trocknen aufhängen, im Sommer sogar auf den Leinen auf der großen Wiese hinter dem Haus. Selbst für die Säuberungsarbeiten der Gemeinschaftsflächen, Treppenhaus, Speicher und Kellerflure gab es einen genauen Plan. Alles war praktisch und perfekt geregelt.
Nun wohnten wir auch in einem so schönen Steinhaus mit Garten wie meine Freundin Elke.
Wir waren in der besseren Welt angekommen.
Dass es auch in diesem schönen Haus Nachteile gab musste ich allerdings schnell feststellen. Ausgerechnet unsere Nachbarin auf der gleichen Etage entpuppte sich als Hausdrachen. Die kinderlose Frau mochte absolut keine Kinder, mich also auch nicht. Sie bestimmte rigoros das gesamte Geschehen im Haus, obwohl sie keine Hausmeister- Funktion hatte.
Aber weil sie das Wassergeld im Auftrag der Genossenschaft von den anderen Bewohnern des Hauses Nummer 7 kassierte bestand sie darauf, dass nur einmal wöchentlich gebadet werden durfte und dass zwei Personen das gleiche Wasser benutzen mussten. Sie begründete diese Einschränkung mit den hohen Kosten und der herrschenden Wasserknappheit. Weil wir in der alten Wohnung das Wasser von dem Bus-Depot mühsam per Eimer ins Haus hatten schleppen müssen, hatte ich nur selten gebadet, deshalb sah ich die Regelung nicht als unnormal an. Um der Bequemlichkeit willen, nun fließendes Wasser in der Wohnung zu haben, akzeptierten wir dass das Wasser bezahlt und eingeteilt werden musste. Also fügten sich auch meine Eltern widerspruchslos den strengen Vorschriften.
Was machte so eine Kleinigkeit schon? Auch ein Paradies konnte schließlich Macken haben.
Meine Anpassungsfähigkeit war entstanden.