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Nachtkerzen
Оглавлениеvon Gregor Samsa
T. schlief in jener Zeit unruhig. Es war schon spät, als er endlich erwachte. Befremdet schaute er sich in dem kleinen Raum um. Das Zimmer war in ein merkwürdiges Dämmerlicht getaucht. Seltsam, dachte er, es muss doch schon bald Mittag sein. Vergeblich bemühte er sich, einen klaren Gedanken zu fassen.
Schlaftrunken erhob er sich und ging ans Fenster, um wie jeden Tag nach den Blumen zu sehen. Es waren Nachtkerzen, die vor seiner Baracke wuchsen. Da der Raum zu ebener Erde lag, reichten die Blüten bis an sein Fensterbrett hinauf.
T. war wie benommen. Er schlug den Vorhang zurück und blickte hinaus. Wie verwundert war er, als er bemerkte, dass die Blumen über Nacht weit über sein Fenster hinaus gewachsen waren. Er schaute hinauf, aber er konnte keinen Himmel sehen – nur ein Gewirr von Blättern und Blüten.
Es war ungewöhnlich still. Hier unten herrschte ein unwirkliches Zwielicht. T. schüttelte verständnislos den Kopf. Ihm war jetzt klar, wieso er so lange und unruhig geschlafen hatte. Die Blüten verströmten einen betäubenden Duft.
Er dachte nicht weiter darüber nach. Er ging in seine behelfsmäßige Küche und kochte sich Malzkaffee. Ihm ging durch den Kopf, was er an diesem Vormittag alles hatte erledigen wollen. Er musste es wohl oder übel auf den Nachmittag verschieben.
Sein Kaffee war fertig. Er suchte sich einige Brotreste und begann gleich im Stehen zu frühstücken. Nachdenklich schaute er hinaus. Der Sommer schien sich endgültig durchgesetzt zu haben. Es herrschte eine unwahrscheinliche Wärme. Ein Schwirren erfüllte die Luft. Er entdeckte kleine, kolibriartige Vögel, die von Blüte zu Blüte flogen. Er beobachtete eine Weile ihr emsiges und verspieltes Treiben. Er hatte diese Art von Vögeln hier noch nie gesehen. Aber vielleicht lag es nur daran, dass er sich bisher nie besonders für die Natur interessiert hatte.
Das gleichmäßige Surren wirkte einschläfernd. Er schloss das Fenster und legte sich auf die Pritsche. Eine unüberwindliche Müdigkeit erfasste ihn. Seine Augenlider senkten sich wie unter einem magischen Zwang. Im letzten Moment war es ihm, als beginne die Hütte hin und her zu schwanken. „Mein Gott, was ist bloß geschehen?“, dachte er noch, doch schon fiel er in einen schweren traumlosen Schlaf.
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