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Der merkwürdige Tod des Herrn Dearden
Оглавление(ein atypisches Mordgeständnis)
von John Pirog
aus dem Englischen übersetzt von Ruth Boose
Jede Beziehung kommt einmal an einen ganz bestimmten Punkt, an dem es Zeit wird zu sagen: „Genug ist genug!“
Ich bin ziemlich sicher, dass der Leser bereits einmal diese oder jene Geschichten über häuslichen Missbrauch gehört haben wird, manche schlimm, andere noch schlimmer.
Aber bitte haben Sie ein wenig Geduld und Verständnis mit mir, bleiben Sie aufgeschlossen, während ich Ihnen, werter Leser, erläutere, wie unaussprechlich fürchterlich mein Leben mit Herrn Dearden war!
Wohlgemerkt, ich war nicht sein einziges Opfer. Es gab andere wie mich, die er heimlich in seine Wohnung brachte. Tagelang wurden wir in einem beengten dunklen Wandschrank – es mag auch ein Geheimzimmerchen gewesen sein – eingesperrt, zusammengepfercht, ohne dass auch nur ein Gedanke an die Unbequemlichkeit dieser Unterbringung verschwendet wurde oder uns jemand Trost spendete.
Wir wurden einer nach dem anderen aus unserer Zwangsunterbringung gezerrt, und ich kann nur mutmaßen, dass die anderen Opfer die gleiche Entwürdigung und Erniedrigung erlitten, wie sie mir zuteilwurde.
Meine Geschichte ist geprägt von Erlebnissen, die auch für viele andere missbrauchende Beziehungen typisch sind:
Gegen meinen Willen in ein Bett gezogen zu werden, nur um später aus demselben herausgerissen und über den Fußboden geschleift zu werden, ganz nach Willkür und Belieben der Bestie; die Nacht mit ihm verbringen zu müssen, gleich, ob er geduscht war oder nicht.
Dann später, wie eine bittere Ironie, vernachlässigt und für längere Zeiträume in einem abgeschlossenen Raum alleingelassen zu werden. Manchmal brachte dieses Monster sogar irgendeine Hure aus einer Bar oder Straßenecke mit, und ich wurde dazu gezwungen, ihrem schändlichen und beschämenden fleischlichen Treiben beizuwohnen …!
Üblicherweise führte Herr Dearden seine Mätressen nach derartigen Exzessen aus, vermutlich zu Abendessen und feinen Getränken. Man möchte meinen, dass er mir zumindest eine ähnliche Behandlung hätte zugestehen können, da ich schließlich regelmäßig bei ihm sein musste, doch dies war niemals der Fall.
Ich wurde stets zurückgelassen, war abgesehen von meinem Nutzen als Objekt der Annehmlichkeit gänzlich unerwünscht für dieses herzlose Biest. Ich entsinne mich vieler Male, die er mit mir im Bett lag und den Fernseher bis in die frühen Morgenstunden laufen ließ. Manchmal nahm er dabei köstlich duftende Speisen zu sich, während er so ohne einen einzigen Gedanken an meine eigenen Bedürfnisse mit mir dalag …
Aber es gab oftmals noch weit schlimmere Situationen als die Szenen, welche ich bislang beschrieben habe. Oh ja, lieber Leser, viel, VIEL unmenschlichere, als wovon ich bereits berichtet habe!
Sehen Sie, Mr. Dearden genoss es, mich einer absonderlichen Art der Wassermarter zu unterziehen, wovon er dutzendfach Gebrauch machte.
Andere Male wieder wurde ich für eine gefühlte Ewigkeit in eine extrem stickige und heiße Folterkiste gesteckt.
Herr Dearden war zudem ein starker Trinker, der wohl eine Art Nervenkitzel empfand, wenn er von Zeit zu Zeit auf mich urinierte. Ich nehme an, dass er durch diese Entwürdigung auf irgendeine Art sein Überlegenheitsgefühl mir gegenüber demonstrierte.
Bitte verstehen Sie, ich bin von Hause aus weder gewalttätig noch aggressiv; tatsächlich bin ich von meiner Natur her passiv und gutmütig.
Aber nachdem Sie nun gelesen haben, was ich von meiner Behandlung in den Händen dieser Bestie, Herrn Dearden, zu berichten habe, wie könnten Sie mich da für das verurteilen, was ich tat?
Herr Frenz, unser Hauseigentümer, wird sicherlich in ein oder zwei Tagen kommen, um die fällige Miete für diesen Monat abzuholen. Wenn der Leichnam entdeckt wird, wird die Polizei mich bestimmt von hier fortbringen.
Davon abgesehen, ganz gleich, wohin man mich stecken könnte, ist jeder Ort auf der Welt einem Zusammenleben mit Herrn Dearden vorzuziehen.
Epilog:
Nachdem Herr Dearden von seinem Vermieter tot im Bett aufgefunden worden war, wurde die Polizei zu seiner Wohnung gerufen. Die amtliche Leichenschau ergab, dass er zum Zeitpunkt der Auffindung seiner Leiche bereits seit 65 – 72 Stunden tot gewesen sein musste. Als Todesursache wurde Strangulation mit einem Bettlaken ermittelt.
Der städtische Polizeipräsident geriet stark unter Druck, da er den Schuldigen trotz intensiver Bemühungen nicht ausfindig machen konnte. Die Beamten der Mordkommission waren ratlos, denn es gab keinerlei Fingerabdrücke oder Zeugen, keine Zeichen eines gewaltsamen Einbruchs oder überhaupt eines Eindringlings.
Die Auswertung der im Flur befindlichen Überwachungskamera ergab, dass in der fraglichen Nacht niemand Herrn Deardens Wohnung betreten oder verlassen hatte.
Die Ermittler waren derart verwirrt, dass einer von ihnen bemerkte:
„Es ist beinahe so, als hätte das Laken selbst Herrn Dearden erdrosselt!“