Читать книгу Liebe unter Kannibalen - Sabine Werz - Страница 12

9.

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Ich seh sie«, sagt der Mann, der neben Kaschubek auf dem Ponton liegt. Er erhebt sich mit ärgerlicher Gelassenheit, hebt einen braunen Umschlag auf, den er neben sich hat fallen lassen.

Typisch, der denkt nur an sich und will sich wohl nicht schmutzig machen. Diese jungen Männer sind alles feige Arschlöcher. Die kümmert nix.

»Wo?«, schreit Kaschubek, als sei der Kerl an seiner Seite noch immer am anderen Ende des Kais unterwegs.

Cantucci wendet ihm kurz das Gesicht zu. Lächelt doch glatt, sagt nur »da« und deutet nach links. Kaschubek macht sich zum Sprung bereit, der andere packt ihn beim Arm.

»Nicht nötig, sie klettert gerade die Steintreppe hoch. Die Strecke ist sie schon mit sieben einwandfrei geschwommen.«

Kaschubek kneift die Augen zusammen. Tatsächlich. Eine triefnasse Charlie stapft im durchgeweichten T-Shirt ein paar Basaltstufen hoch, die dreißig Meter weiter in den Kai gemauert sind. Klatschen und Pfiffe aus den Bürofenstern, die Belästigten sehen jetzt belustigt aus.

»Was ist denn das hier für eine Versammlung?«, fragt Frau Delius dazwischen. Sie steht oben am Anlegesteg. Die beiden Männer vor ihr antworten nicht, starren nach links. Frau Delius tut es ihnen nach.

»Meine Güte, die sieht ja aus wie nackt. CHARLIE!«

Charlie schaut kurz zu den Bürofenstern hoch, zuckt mit den Achseln. Kaschubek und Cantucci gehen den Steg hinauf. Cantucci schiebt Charlies Rad, unter seinem Arm klemmt der braune Umschlag. Kaschubek trägt Charlies Hose und die Turnschuhe. Ehrfurchtsvoll hält er beides ein wenig von sich weg. Gleichzeitig schüttelt er verärgert den Kopf: »Geht die glatt schwimmen. Bei dieser Mordsströmung. So was von leichtsinnig.«

»Und leicht bekleidet«, scherzt Cantucci.

»Schielen Sie gefälligst nicht so dahin«, befiehlt Frau Delius ihm, nachdem sie sich vergewissert hat, was es bei Charlie so Beifallträchtiges zu sehen gibt. Viel zu viel. »Die Frau Dornfelder ist nämlich in Trauer.«

Cantucci unterdrückt mit Mühe ein Grinsen. »Lassen Sie mal, ich hab sie schon öfters nackt gesehen.«

»Sie kennen Charlie, ich meine, die Frau Dornfelder?«, fragt ein verdutzter Kaschubek.

Cantucci nickt versonnen. »Sie übrigens auch. Sie sind Kaschubek, der Sohn vom irren Glasauge, oder?«

Die Miene des Hausmeisters verfinstert sich kurz, hellt wieder auf. »Sie müssen Cantucci sein. Mensch, Kerl, ich meine, Junge, also, naja, Sie wissen schon.« Er streckt entschlossen eine Pranke vor. Cantucci schlägt ein.

»Schon in Ordnung, Sie können mich ruhig duzen. Wir haben Ihnen früher schließlich genug Scherereien gemacht.«

»Eher meinem Vater. Sie, ich meine, du weißt ja, wie das früher so war. Betreten verboten, Eltern haften für ihre . Kinder und so. Der Fabrikhof war sein Heiligtum. Der war da ein bisschen kauzig.«

Frau Delius schnaubt nur und hält Ausschau nach Charlie.

Die schlendert auf sie zu, kreuzt die Arme vor der Brust. Kaschubeks Blick geht zur Seite. »Ich hol dann mal besser ein Handtuch«, murmelt er, bleibt aber stehen.

Frau Delius guckt grimmig. »Noch besser wäre, Sie würden ihr eigenes Hemd anziehen. In Ihrem Alter läuft man doch nicht halb nackt durch die Gegend. Also wirklich.« Scheint der Kaschubek öfters zu machen, seine Altherrenbrust ist ganz braun, die Haare darauf schimmern silbern, so ein Gewirr, möchte man glatt mit dem Kamm durch.

»Wie ich rumlaufe, geht Sie gar nichts an«, brummt der Hausmeister, während er in sein Hemd schlüpft.

Cantucci legt kurz den Umschlag ab, zieht sein Jackett aus und streckt es Charlie entgegen wie die Capa eines Stierkämpfers. Frau Delius wühlt in ihrer schwarzen Tasche und reißt ein Geschirrtuch heraus. »Hier, Charlie, das ist sauber, damit können Sie sich abtrocknen. Also, Kindchen, ehrlich. Sachen machen Sie!«

»Was soll der Aufstand?«, fragt Charlie missmutig und lehnt Cantuccis Jacke mit einer Handbewegung ab. »Ich war nur mal schwimmen.«

Cantucci zuckt die Schultern. »Das musst du schon Kaschubek fragen, der hat plötzlich losgebrüllt, als drohe dir Tod durch Ertrinken.«

Charlie schüttelt den Kopf. »Quatsch.«

»Ich dachte, wegen der Strömung«, sagt ein betretener Kaschubek, »hier passiert öfter mal was.«

»Mir nicht«, sagt Charlie, »ich bin schon in ganz anderen Flüssen geschwommen.«

»Die hoffentlich nicht so schmutzig waren. Da klebt ja Teer an Ihrem Ärmel.« Frau Delius beginnt zu reiben, jeder Strich ein Tadel. Charlie schüttelt sie ab.

»Ich geh dann hoch.«

»Findest du nicht, dass wir uns erst mal richtig begrüßen sollten?«, fragt Cantucci und schaut ihr ins Gesicht, tastet es mit seinen blauen Augen ab, als habe er etwas darin verloren. »Gibt doch eine Menge zu erzählen, oder?«

Charlie erwidert trotzig Cantuccis forschenden Blick. Sie glaubt zu wissen, was er in ihrem Gesicht sucht. Eine Ähnlichkeit, einen vertrauten Zug. Aber es gab und gibt da keine Ähnlichkeit. Sie ist nur Charlie, nicht Alexandra. Cantucci lächelt. Vor allem mit den Augen. Auf was wartet der, verflucht noch mal?

»Ich würde gern wissen, was du so treibst. Ich meine, außer schwimmen gehen. Ans Telefon kriegt man dich ja nicht. Hab’s der Teufel wie oft versucht. Du musst die letzten Jahre ständig unterwegs gewesen sein.« Er macht eine Pause, und Charlie zieht ein wütendes Gesicht. Mörderisch wütend. Hat er was Falsches gesagt?

Und ob. Schließlich gab es eine Zeit, in der sie auf seine Anrufe gewartet hat. Damals war sie achtzehn und ziemlich verzweifelt. Cantucci weiß davon nichts und lächelt.

»Ich war wirklich viel unterwegs«, sagt Charlie unsicher.

»Ich dachte schon, ich hätte dir was Unverzeihliches angetan. Ich erinner mich an nichts. Außer an die eine oder andere große Kitzelstrafe, als du höchstens so groß warst.« Cantucci zeigt die Größe mit der flachen Hand, er legt die Handkante an seine Hüfte und grinst unwiderstehlich. »Damals warst du eine ziemliche Klette.«

Er weiß wirklich von nichts. Wie auch? Für ihn war das Ganze eine Affäre mehr. Mit einem halben Kind, unerfahren und übertrieben enthusiastisch, alles in allem lächerlich. Er war sicher Aufregenderes gewohnt und sie zu anhänglich. Wasser tropft auf Charlies Füße, während drei gespannte Gesichter auf sie gerichtet sind.

»Piff paff Klammeraff«, höhnt in ihrem Kopf die tote Alexandra. Charlie wird sich daran gewöhnen müssen, jetzt wo Cantucci wieder da ist. Ach was. Plötzlich kommt sie sich albern vor. Sie greift sich ihre Hose, schlüpft hinein.

»Wir können uns die Tage ja mal treffen«, lenkt sie mit belegter Stimme ein und setzt ein Lächeln auf. Sitzt ein bisschen schief.

»Wir treffen uns morgen«, sagt Cantucci, »soviel ich weiß, um zehn.«

»Genau«, sagt Kaschubek und nickt, »da haben wir Sitzung.«

»Zehn?«, geht Frau Delius energisch dazwischen. »Nee, das wüsst ich aber. Eben hat der Kellmanns noch mal angerufen, Frau Dornfelder. Wegen dem Termin, den Sie mit ihm für morgen gemacht haben. Um Punkt zehn. Klang sehr wichtig. Sonst hätte der Kellmanns nicht extra noch mal angerufen.« Und sie hat ihm schon mal alles wegen der Schiffe erzählt, die beim »Zuckerhut« festmachen sollen. Hat der Kellmanns nur drüber lachen können – logisch.

Kaschubek rollt mit den Augen. »Mal wieder typisch, der Kerl kriegt alles spitz und funkt dazwischen.«

Frau Delius stemmt die Arme in die Seite. »Wo zwischen? Sie meinen doch nicht Ihre alberne Sitzung vom Club der Bekloppten, oder? So ein Fliegenschiss interessiert doch einen Kellmanns nicht. Der denkt in ganz anderen Größenordnungen.«

Kaschubek baut sich auf und beginnt einen Vortrag über den Unterschied von Fliegenschiss und »Zuckerhut«. Charlie packt ihr Rad am Lenker, schwingt sich auf den Sattel. Cantucci fasst sie beim Arm. »Kommst du morgen? Wird sicher interessant.«

»Mal sehen, weiß nicht«, sagt Charlie. »Habe im Moment viel um die Ohren.«

»Du meinst hiermit?«, fragt Cantucci und zieht den zusammengerollten Umschlag unter seinem Arm hervor.

Charlie wird rot und entreißt ihm den Umschlag. »Wo hast du den her?«

»Aus dem Café. Hast du liegen lassen.«

Charlie sieht, dass die Umschlaglasche nur lose eingesteckt ist.

»Hast du etwa geschnüffelt?«

Cantucci schüttelt den Kopf. »Nein, habe ich nicht.«

»Das ist ein neuer Auftrag.«

»Auftrag?«, wiederholt Cantucci ungläubig.

»Ja«, sagt Charlie ungerührt. »Für ›female‹. Ich habe wirklich eine Menge zu tun. Bis dann.«

»Vor wem bist du eben eigentlich weggelaufen? Vor mir oder vor Kellmanns?«

»Weggelaufen? Du hast ‘ne Macke. Ich hab doch keine Angst vor euch. Höchstens davor, dass ihr mich mit eurem Geraffel um die dämliche Zuckerfabrik zu Tode langweilt. Ich hab’s nicht so mit Ruinen.«

»Immerhin geht es um dein Erbe, Charlie.«

»Wenn du wüsstest, wie egal mir das ist.«

Sie klemmt den Umschlag in den Gepäckträger, tritt an und ist im Nu bei der Eisentür. Ihre nassen Haare schmiegen sich wie schwarze Schlangen an ihren Rücken.

Kleine Schwindlerin, denkt Cantucci. Von wegen Auftrag, von wegen egal. Aber so war Charlie schon immer, Mogeleien gehören bei ihr dazu. Lässt sich nicht gern in die Karten gucken. Hat sie von den Eltern. Da war alles Fassade. Nur dass deren Lügen am Ende tödlich waren. Tödlich für Alexandra. Charlie war viel zu klein, um alles zu begreifen. Ob er Charlie von dem Brief erzählen soll?

Hinter ihm wird Kaschubek laut. »Sie haben der Charlie, ich meine, der Frau Dornfelder, gar nichts zu sagen. Die kann sehr gut auf sich selber aufpassen.«

»Wir werden ja sehen, mit wem Charlie morgen einen Termin hat.«

»Mit Ihnen jedenfalls nicht.«

»Wiedersehn.«

Liebe unter Kannibalen

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