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6.

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Hast dich ganz schön verändert, Kerl. Siehst fast seriös aus.«

Cantucci schaut hoch. Vorm Tisch steht Kellmanns, zieht einen Stuhl vor, legt ein Handy auf den Tisch, spricht Steno. »Ist lange her, dass wir uns gesehen haben. Wie lange?«

»Achtzehn Jahre«, sagt Cantucci und weiß nicht, was ihn mehr ärgert, Kellmanns Verspätung, sein aufdringliches Stakkato oder sein betont zurückhaltendes Sakko. Alles zusammen verströmt den hektischen Charme eines Anlageberaters. Nicht alle alten Bekannten lohnen ein Wiedersehen, so viel ist sofort klar.

»Achtzehn Jahre, Junge Junge. Da ist sicher ‘ne Menge passiert in deinem Leben. Beruflich weiß ich Bescheid, hast oft in der Zeitung gestanden. Achtzehn Jahre.«

Kellmanns sieht nicht aus, als ob er sich damit lange aufhalten will. Er will sich überhaupt nicht lange aufhalten, darum winkt er wild nach der Kellnerin.

»Tja, hat sich alles mächtig verändert seither. Voll im Fluss, Junge. Mit dem Fabrikumbau geht’s endlich voran, aber das hab ich dir ja schon am Telefon erzählt. Jetzt bist du dran. Was für ein Job ist das, der dich in den ›Zuckerhut‹ verschlägt? Das ist doch ‘ne ziemlich kleine Nummer für einen, der auf internationaler Schiene fährt.«

Kellmanns setzt ein stummes Fragezeichen, Cantucci antwortet nicht.

»Ich will dich nur warnen, bevor du dich auf irgendeinen Unsinn einlässt. Im ›Zuckerhut‹ haben nur noch konzeptionslose Sozialromantiker und Möchtegernkünstler das Sagen. Die ziehen den Ärger regelrecht an. Vor allem dieser Rottgarten mit seinem reaktionären Esoterikfimmel. Hat nix im Griff. Mal gibt’s ‘ne Drogenrazzia, dann kommt das Jugendamt wegen obszöner Nacktpartys so genannter Künstler, fehlt eigentlich nur noch die rechte Szene ...«

Die Kellnerin baut sich vorm Tisch auf. Cantucci lächelt erleichtert, die Kellnerin schöpft falsche Hoffnungen, ihre Zahnreihen blitzen wieder. Während Kellmanns einen Kaffee der komplizierten Art in Auftrag gibt, schaut Cantucci aus dem Fenster. Er braucht eine passende Erklärung für einen schnellen Abgang.

Draußen steigt eine Frau vom Rad. Sie trägt eine zerschlissene Combat-Hose und ein viel zu weites T-Shirt. Passt nicht hierhin – interessant. Sie wirft einen Schwall dunkler Haare zurück und zerrt einen dicken Umschlag vom Gepäckträger. Der Umschlag ist ihr sichtlich lästig, sie klemmt ihn lieblos unter den rechten Arm und stößt die Schwingtür zum »Sugar Cane« auf. Ohne sich umzublicken, geht sie federnd zu einem Tisch am Fenster, wirft den Umschlag angewidert darauf, setzt sich.

Sieht aus wie jemand, den man gründlich beleidigt hat. Wie jemand, der es versäumt hat, sich rechtzeitig zur Wehr zu setzen, und jetzt auf der Flucht ist.

»Also, was genau machst du hier?«, fragt Kellmanns, bemerkt Cantuccis abwesenden Blick, folgt ihm zum Fenstertisch.

»Nein so was«, setzt Kellmanns ein, »die Dornfelder. Arbeite beim Umbau eng mit ihr zusammen.« Er senkt die Stimme. »Sehr kooperativ, genau wie die Mutter, macht alles mit. Na ja, vielleicht nicht ganz so enthusiastisch, aber das wird schon. Kennst du sie? Hat sie was mit deinem Job im ›Zuckerhut‹ zu tun?«

Cantucci sagt wieder nichts.

»Die musst du doch kennen. Von früher. Ganz anziehend auf ihre Art, fast exotisch diese Katzenaugen. Dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Erkennst du sie nicht?«

Cantucci schüttelt den Kopf. Nein, diese Frau kennt er nicht. Gleichzeitig geht ihm Alexandras P.P.P.S. durch den Kopf: »Pass auf Charlie auf. Dich mag sie.«

Cantucci senkt den Blick. Kellmanns ruft quer durchs Lokal. Charlie wendet ihm kurz das Gesicht zu. Auch das noch. Sie winkt kurz, markiert ihr Lächeln. Das Lächeln zerfällt. Sie steht auf.

»Na siehste, jetzt kommt sie«, sagt Kellmanns mit dem zufriedenen Gesicht eines Dackelbesitzers, der ein gelungenes Dressurstück vorgeführt hat. »Gleich stell ich sie dir vor. Ich leg dir ‘nen Draht, wenn du willst.«

Was schlecht möglich ist, denn Charlie ist auf dem Weg zur Tür.

Kellmanns wundert sich. »Seltsam, hat sonst immer Zeit für mich. Muss was sehr Dringendes vergessen haben.« Man sieht Kellmanns an, dass er sich nichts wirklich Dringendes vorstellen kann, jedenfalls nichts Dringenderes als ihn.

»Hat sie«, sagt Cantucci knapp und deutet auf den Tisch. »Den Umschlag.« Er will sich erheben. Kellmanns ist schneller. Er holt den großen braunen Umschlag, wirft einen ungenierten Blick hinein, grabbelt darin herum. Mit dem Grinsen des Verschwörers kommt er zum Tisch zurück.

»Schau mal einer an. Sehr interessant. Weißt du, was da drin ist?«

Cantucci schaut abweisend.

»Chiffrebriefe. Hier auf dem Umschlag steht sogar die Rubrik mit drauf. ›Sie sucht ihn.‹ So was. Die Dornfelder muss eine Annonce aufgegeben haben. Sucht einen Kerl. Will wohl doch noch sesshaft werden. Tja, Geld genug hat sie ja nun.« Er zieht die Brauen zusammen. »Muss nur aufpassen, dass sie kein Windei erwischt. So ein Erbe weckt Begehrlichkeiten.«

Cantucci streckt die Hand nach dem Umschlag aus. Kellmanns legt ihn unter sein Handy.

»Lass mal. Ich nehm das gleich mit. Seh sie spätestens morgen um zehn.«

Um zehn? Cantucci wundert sich. Um zehn hat Charlie einen ganz anderen Termin. Im »Zuckerhut«. Ihr Name steht auf der Einladung vom Trägerverein, die er bekommen hat. Ein Grund mehr dafür, dass er den Job machen will.

»Sie guckt sich morgen meine neuen Skizzen für den Umbau vom linken Trakt an. Wird begeistert sein«, sagt Kellmanns.

Schwätzer bleibt Schwätzer. Der hörte sich schon als Fabrikbesetzer am liebsten selber reden.

»So, und nun erzähl mal, was du vorhast.«

»Ein anderes Mal«, sagt Cantucci. Er zieht wortlos den Umschlag zu sich heran. Kellmanns Handy geht zu Boden, der bückt sich fluchend. Als er wieder auftaucht, ist Cantucci weg. Der Umschlag auch.

»Arschloch«, zischt Kellmanns, »noch immer nichts als die Weiber im Kopf.« Unruhe steigt in ihm hoch. Ob Cantucci deshalb wieder aufgetaucht ist? Die spröde Dornfelder ist sicher nicht sein Typ, aber bei dem Erbe. Man kann nie wissen.

Der »Zuckerhut« hat den bestimmt nicht hergelockt. Da ist der längst drüber hinaus. Den Cantucci interessieren keine Bürgerzentren, haben den nie interessiert.

Kellmanns erinnert sich noch genau daran, wie Cantucci früher durch die Betten getobt ist. Hat den jugendlichen Fabrikbesetzer gespielt, um an die Frauen ranzukommen, die dabei waren. Sogar Sophie ist damals schwach geworden.

Von wegen politische Arbeit, hat der nie was mit im Sinn gehabt. Jetzt schlägt der doch auch nur Kapital aus der deutschen Vergangenheit. Idealismus ist ein Fremdwort für einen wie Cantucci, und bei Systemveränderung denkt der wahrscheinlich an ein Update für seinen Computer.

»Zahlen Sie für ihn mit?«, fragt die Kellnerin.

Elender Schnorrer. Er wird Cantucci im Auge behalten müssen.

Liebe unter Kannibalen

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