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4.

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Der Kaschubek hat eine Schraube locker, heißt es. Aber die das behaupten, können es nicht wissen, weil sie mit dem Kaschubek gar nicht erst reden. Eindeutige Vermutungen haben sie trotzdem. Es muss in der Familie liegen. Sein Vater – Glasauge Kaschubek – war schon mit fünfzig völlig plemplem und hat lauter wirres Zeug erzählt. Das tut sein Sohn zwar nicht, dafür schlendert er jeden Morgen zum Kai vor der Zuckerfabrik, geht hinaus auf den schwimmenden Schiffsanleger und spricht mit dem Fluss.

Über seine Pläne. Was die Leute, die nicht mit ihm reden, nur noch verrückter fänden. Kaschubek plant nämlich die Zukunft der Zuckerfabrik. Dabei hat die längst keine mehr. Jedenfalls keine, die Kaschubek zu interessieren hat. Seine Tage als Werkmeister sind längst Vergangenheit, wie alles hier.

Hinter ihm schneidet ein verödeter Schienenstrang in den Kai – ummantelt von einem Pelz aus Rost. Darüber sind vor zwanzig Jahren die letzten Wagonschlangen zum Hauptbahnhof gerollt. Beladen mit Dornfelder Zucker: Rohzucker, Haushaltszucker, Hagelzucker, Streuzucker, Einmachzucker, Puderzucker, Farinzucker, Kandiszucker, Würfelzucker und die berühmten Zuckerhüte, eingeschlagen in kobaltfarbenes Papier und ganz früher noch mit Indanthren geblaut, damit sie besonders weiß leuchteten.

Der alte Dornfelder hatte da sein Spezialrezept. Eines von vielen. Fing mit einem Patent für Zuckerersatz an, in den späten Dreißigern. Damals brauchte man für alles Ersatz. Kriegswirtschaft. Hat dem Dornfelder viel Geld gebracht. So viel, dass er die Fabrik übernehmen und umbenennen konnte: Dornfelder Zucker. Das war sein ganzer Stolz. Hat er alles für gegeben und ’ner Menge Leuten Jobs verschafft. War ein begnadeter Chemiker, der letzte Zuckerbaron. Und alles in allem ein feiner Kerl. Hat sich um jeden gekümmert, der für ihn gearbeitet hat. Jeden.

Vorbei.

Zu sagen hat hier demnächst nur noch einer, heißt es. Der Architekt Anton Kellmanns. Der hat alles im Griff. So führt er sich jedenfalls auf, seit er für den Umbau des rechten Trakts einen Preis bekommen hat. Jetzt will er an den linken Flügel ran. Kellmanns glaubt, dass er den Auftrag dafür so gut wie in der Tasche hat, weil die Charlie sich nie um was gekümmert hat und immer unterwegs war.

Kaschubek sieht das anders, vor allem, weil Charlie immer so ein freundliches Lächeln für ihn hat. Wie eben. Ganz der Großvater. »Die wird dem Kellmanns schon zeigen, wo’s langgeht. Ist keine Memme wie ihr Vater oder verführbar wie die Mutter. Die Charlie hat Unternehmensgeist, genau wie der Alte«, erklärt er dem moosfarbenen Fluss, der glucksend den Anlegerponton umspült.

Manchmal überspringen die guten Gene eine Generation, so ist das eben. Charlies Vater, der Sohn vom Zuckerbaron, hatte eindeutig zu viel von seiner Mutter mitgekriegt. Ein dummes Fabrikmädel aus dem Osten, das sich für ganz schlau hielt. Dachte, wenn sie einmal die Beine breit macht beim alten Dornfelder, hat sie fürs Leben ausgesorgt.

Geschnitten, der hat sich keine Familie aufhalsen lassen wegen so’m bisschen Gefummel. Das konnte er schließlich überall haben. Mit Liebe hat das nichts zu tun gehabt. Mehr als seinen Namen hat er dem unerwünschten Sohn nie vermacht. War auch besser so. Jetzt ist jedenfalls Charlie dran.

Ein wirklich wunderbarer Tag. Die Sonne spiegelt sich im Wasser, das nach Motorenöl, Blei und Bracke riecht. So muss ein Fluss riechen, nach Industrie und Arbeit, findet Kaschubek und beginnt zu hüpfen. Auf und nieder, auf und nieder. Der Steg des Anlegers federt starr unter seinen Füßen.

An diesem Anleger haben während der Rübenernte früher täglich die Schleppkähne festgemacht. Von September bis in den November hinein. Randvoll mit schmutzigen Pyramiden aus Zuckerrüben, Erdreich und Feldgestein. War das ein Betrieb! Auf dem Kai schloss sich ein Entladesystem aus Wasserkanonen, Umlauftrommeln und Schwemmrinnen an, über die ein steter Strom aus Schmutzrüben und Wasser dem Steinfänger und Schnitzelwerk zufloss.

Alles abmontiert und weggeflext, sogar die Betonfundamente der Zuckersilos haben sie gesprengt.

Aber den schwimmenden Anleger hat Kaschubek verteidigt bis zuletzt. Der gehört nämlich ganz klar zum linken Fabrikflügel und ist tadellos in Schuss. Kaschubek hat ihn gewissenhaft gewartet. Das merkt man daran, wie alles federt. Auf und nieder, auf und nieder. Und meine Knochen sind auch noch gut geölt, denkt Kaschubek und hüpft spaßeshalber auf einem Bein weiter, dann auf dem anderen, dann immer abwechselnd.

Wirklich verrückt, denkt Frau Delius, die eben mit einer schwarzen Tasche den Kai langgeht. Bei dieser Hitze. Sie ist ja vom Gehen schon schweißgebadet. Viel zu heiß dieser Mai. Immer falsch das Wetter. Der Fluss stinkt ganz vergammelt.

Frau Delius ist auf dem Weg zur Arbeit. Heute hat sie ihren Putztag bei Charlie. Das macht sie seit einem Monat, jede Woche einen ganzen Tag. Charlies neue Wohnung ist riesig, geht übers halbe Fabrikdach. Frau Delius hat also keine Zeit, auf verrottenden Stahlstegen rumzuhopsen, aber Zeit für eine Frage hat sie. Ordnung ist ihr halbes Leben, die andere Hälfte widmet sie gewissenhaft den Angelegenheiten anderer Leute.

»Was machen Sie denn da?«

Kaschubek dreht sich langsam um und wackelt ein wenig, weil der Steg nachfedert. Er mustert die Delius scharf, so als wolle er feststellen, ob sie eine Antwort verdient hat. Hat sie. Ausnahmsweise. Die Klatschbase soll Charlie mal ruhig weitererzählen, dass er neue Pläne für die Zuckerfabrik hat.

»Ich teste den Anleger. Sehen Sie, alles im Lack. Hier können demnächst wieder Schiffe festmachen.«

»Schiffe?«

Kaschubek beginnt zum Beweis wieder zu hüpfen. Rechtes Bein, linkes Bein, immer abwechselnd. Die Delius soll sehen, wie elastisch er ist. Im Kopf und mit den Beinen.

»Genau, Frau Delius. Schiffe. Vier oder fünf am Tag.«

Schon schlimm, wenn man einen an der Mütze hat, denkt die Delius. Hat doch die Rente durch – mit gerade mal zweiundsechzig, der ist nur zehn Jahre älter als sie. Der könnte sich’s nett machen in seiner Werkswohnung, die ist frisch renoviert, und eine Abfindung hat er damals, als die Zuckerfabrik dicht gemacht wurde, auch noch gekriegt. Eine zum Neidischwerden. Stattdessen hopst er in der Gegend rum und spielt ehrenamtlich den Hausmeister im »Zuckerhut«.

»Am Wochenende kommen stündlich welche«, bastelt Kaschubek weiter an seinem Schifffahrtplan.

»Hierhin? Dass ich nicht lach«, schnaubt Frau Delius.

»Hierhin. Zum ›Zuckerhut‹«, sagt Kaschubek, legt sich bäuchlings auf den Steg und kontrolliert den Unterboden.

»Im Leben nicht.«

Früher stand im Bürgerzentrum unter dem Gestänge eines hochgewölbten Hallendachs Kaschubeks geliebte Siede- und Kesselstraße. Jetzt ist der ganze Bau nur noch eine zusammengeschusterte Angelegenheit aus der leeren Halle, endlosen Gängen, Pack- und Speicherräumen, Kellern, Kontoren und Büros, die von Grund auf renoviert gehören. Das braucht mehr als paar Eimer Farbe, handwerkliches Geschick und Kaschubeks heilige Werkzeugsammlung. Das braucht einen Kellmanns. So viel ist der Delius sonnenklar. Sie fächelt sich mit einem Spültuch aus ihrer Tasche Luft zu.

Im »Zuckerhut« treiben sich hauptsächlich Nichtstuer rum. So genannte Kleinkünstler, Sozialarbeiter, lauter Alternative und Weltverbesserer. Deren bezahltes Hobby sind Arbeitslose, Alkoholiker, Ausreißer, Sozialfälle und ein paar geschlagene Frauen. Gut, darum muss man sich kümmern, aber Frau Delius hat ihre Zweifel, ob ausgerechnet die Sozialarbeiter vom »Zuckerhut« dafür die Richtigen sind.

Bei deren Chefin handelt es sich nämlich um Sophie Kellmanns, die Exfrau vom Anton Kellmanns. Und die redet den Leuten am liebsten ein, dass sie Opfer und hilflos sind. Vor allem den Frauen. Hat sie bei ihr auch schon mal versucht. Sophie Kellmanns leitet das Frauenberatungsbüro im »Zuckerhut«. Pah.

Die dolle Kellmanns ist ja nur sauer, weil ihr Anton sie sitzen gelassen hat und jetzt mit dem Fabrikumbau Karriere macht. Der will die ganze Gegend sanieren. Ohne sie. Hat die Delius kein Mitleid mit. Früher konnte die Sophie Kellmanns sich schließlich gar nicht einkriegen über ihren tollen Mann. »Anton sagt ...« Nervtötend. Männer bewundern ist eine gefährliche Sache. Die gewöhnen sich an so was und glauben am Ende, dass sie Gottes größtes Geschenk an die Frauen sind. Und dann sind sie weg.

Jetzt lässt Sophies Mann sich jedenfalls von jüngeren Frauen zitieren, die blonder als Sophie Kellmanns sind und glatte Knie haben. Das ist der Schlag, den die Kellmanns nicht verkraftet hat. Und plötzlich isse Emanze. Selbst schuld. Was weiß die über Liebe oder Kerle, die einem das Auge blau hauen. So einen hat die Delius gehabt und ist ohne Sozialarbeiterin damit fertig geworden.

Zurück zu den Schiffen.

»Was sollen denn hier für Schiffe anlegen?«, fragt sie spitz und stellt ihre Tasche auf der verwitterten Kaimauer ab. Wird Zeit, dass der Anton Kellmanns da was dran macht. Der kann sich durchsetzen, hat ein Gesicht wie ein Beil.

»Ausflugsdampfer«, erklärt Kaschubek mit einer großartigen Armbewegung.

»Ausflugsdampfer? So ein Quatsch, was soll’s denn hier zu bewundern geben? Etwa Ihr Pack vom ›Zuckerhut‹?«

»Leben und leben lassen, Frau Delius. Jeder Mensch hat ein Schicksal. Das sind Leute wie Sie und ich. Merken Sie sich das«, sagt Kaschubek hoheitsvoll.

»Aha. Und welches schlimme Schicksal haben diese merkwürdigen Gestalten, die am Wochenende hier rumtanzen, geschminkt wie die Leichen und mit Blut in Plastikbeuteln.«

»Das ist bloß Ketchup, Frau Delius. Ganz harmlos. Das sind junge Leute, die ein bisschen Spaß haben wollen, nennen sich Grufties. Is nur ’ne Verkleidung zum feiern, tanzen, Filme gucken. Sind ganz normale Jugendliche wie Ihr Sohn.«

»So was macht der nicht, das wüsste ich. Der sitzt nur vorm Fernseher und macht Computerspiele.«

Und nennt sich seit kurzem Forkas die Killermaschine. Immer noch besser, als wenn er sich mit jungem Gesocks rumtreibt. Bringt nichts als Ärger. Sein Strafregister hat er nur seiner Gutmütigkeit zu verdanken. Hält gern den Kopf hin, um Held zu sein und dazuzugehören. Wenigstens hat er die hässlichen Hakenkreuzwimpel inzwischen von seiner Kinderzimmerwand abgenommen. Dann schon lieber Computerspiele. Aber das geht Kaschubek alles nix an.

»Mein Markus ist am liebsten für sich.«

»Dafür treibt er sich in letzter Zeit aber häufig hier rum«, sagt der. Frau Delius’ Junge hat nämlich einen Blick auf die Kleine von der Sophie Kellmanns geworfen. Kaschubek hat’s genau mitgekriegt. Ein Blick auf diese – wie heißt sie noch, irgendwas mit Sonnenschein – egal, jedenfalls läuft der Sohn von der Putzfrau seither rum wie angeschossen und lungert vorm »Zuckerhut« rum, in der Hoffnung, dass sein Mäuschen anraschelt. Und seine Mutter weiß von nix, schäle Glucke.

»Der holt mich nur ab«, behauptet sie. Blindes Huhn eben.

»Dreimal die Woche? Wegen der kleinen Kellmanns kommt er. Niedliche Motte.«

Frau Delius schaut verwirrt. Mit Verrückten diskutiert sie nicht über ihren Sohn. Ihr Markus und diese Sunnyi? Im Leben nicht. Zurück zum Thema Bekloppte: »Und was ist mit diesen Halbnackten von vorigem Samstag? Die mit den Ledertangas und den Hundehalsbändern?« Also wirklich.

Jetzt gerät Kaschubek einen Moment aus dem Konzept, schaut Rat suchend in den Fluss. Knurrend erklärt er: »Das waren die SM-Arties. Künstler. Also, Körperkünstler. Stand doch in der Zeitung. Das Ganze war eine Kulturveranstaltung.« Vorsichtshalber fügt er an: »Sagt Rottgarten.«

Der spielt den Guru mit wallender Gottvaterfrisur und sorgt gern für Aufsehen. War früher in der Werbung und ist heute Kellmanns’ ganz spezieller Feind.

Kann man verstehen, findet die Delius. Kellmanns’ Mieter sollen schließlich horrende Preise für die Büroetagen im rechten Trakt zahlen. Da muss der ganze Kuchen stimmen. Wer hat schon Lust, neben bunt bemalten Leichen und halb nackten Körperkünstlern zu arbeiten?

»Wenn das Kultur ist, bin ich Picasso«, sagt sie.

»Picasso ist ein alter Hut, Frau Delius, man muss mit der Zeit gehen. Den Leuten was Neues bieten.« Sagt ausgerechnet Kaschubek!

»Sie müssen es ja wissen. Passen Sie bloß auf, dass Sie nicht wieder die Polizei da haben. Blaulicht ist nicht die beste Reklame.«

»Das war wegen der Drogen. So was läuft nicht mehr.« Und die Technopartys leider auch nicht. Polizeilich untersagt. »Sugar-Rave« hieß das Ganze. Laut, aber lustig. Hat richtig Geld gebracht, und alle waren gut drauf. Zu ärgerlich.

»Drogen, aha. Und was nehmen die Frauen ein, die sich jeden Dienstag hechelnd vor Rottgarten auf dem Fußboden rumwälzen?« Hat sie selbst gesehen, als sie mal bei der Sophie Kellmanns im Büro war.

Rottgarten hat eine Art riesiges Turnzimmer in der zweiten Fabriketage, alles mit weißen Matten ausgelegt. Auf denen wälzen sich Frauen in ungebügelten Flattergewändern. Dazu läuft merkwürdige Musik, und es riecht schwül nach Schweiß und Duftkerzen oder weiß der Himmel was. Da müsste man dringend mal lüften und die Matten durchklopfen.

Kaschubek dreht unwirsch den Kopf weg. »Das sind Atemkurse. Heißt Rebirding oder so, hat mit Geburt zu tun.«

Weiberkram eben, was weiß denn er, was die Frauen an einem wie dem Rottgarten finden. Charlies Mutter war am Ende auch ganz jeck auf den und sein Geschwätz von Jenseits und Wiedergeburt. Die Kurse sind immerhin gut besucht, was man von anderen Veranstaltungen im »Zuckerhut« nicht behaupten kann, die meisten gibt’s nur auf dem Papier.

Frau Delius wirft triumphierend den Kopf in den Nacken: »Geburt? Diese dummen Hühner sind längst über die Wechseljahre. Ihr Herr Rottgarten ist ein aufgeblasener Heiopei. Wie der schon rumläuft mit seiner grauen Zubbelmähne und den albernen Seidentüchern um die Stirn. Ein richtiger Scharletan.«

»Das heißt Scharlatan.« Ein Punkt für Kaschubek, in Fremdwörtern ist der ihr leider über.

»Mir doch egal. Jedenfalls ist er damit im ›Zuckerhut‹ in bester Gesellschaft. Fragt sich nur, wie lange noch.« Sie steht auf und klopft sich ihr Sommerkleid ab. Sie weiß jetzt genug. Alles Bekloppte. Mit denen wird Kellmanns leicht fertig.

Und wenn die Zuckerfabrik erst mal komplett zum Büro- und Geschäftskomplex umgebaut ist, wird die Charlie kräftig daran verdienen. Die Charlie liegt Frau Delius am Herzen, weil die sich immer ihre Geschichten anhört und so verständnisvoll lächelt. Außerdem ist ihre Wohnung zwar riesig, aber es steht beim Putzen nicht viel im Weg. Leichter Job, da kann man sich schön zwischendrin unterhalten.

Die Charlie hat ein gutes Herz. Denkt immer an andere, redet nie von sich selbst, auch nicht über die Mutter, dabei ist die erst sechs Wochen tot. Armes Ding. So ganz allein. Muss man bisschen drauf aufpassen in einer Welt voller Geier und Schnorrer.

»Sie haben keine Ahnung«, sagt Kaschubek, obwohl er Frau Delius, was Rottgartens Atemkurse und seine Haartracht betrifft, am liebsten Recht gegeben hätte. Stattdessen schreitet Kaschubek den Steg majestätisch ab wie ein Kapitän die Brücke. »Jedenfalls hat der Rottgarten jetzt einen fantastischen Plan. Das hat die Welt noch nicht gesehen.«

»Da hat die Welt aber mächtig Glück gehabt.«

Dämliches Waschweib. Der Plan ist gut, der stammt nämlich von Kaschubek und hat wirklich was mit Kultur zu tun und mit der Zukunft der Zuckerfabrik. Die Sache muss nur schnell in trockene Tücher, bevor der Architekt Kellmanns was spitzkriegt und zwischenfunkt. Kaum hat der »Zuckerhut« mal Erfolgsaussichten, passiert was. Das mit der Drogenfahndung geht todsicher auf Kellmanns Kappe. So ein linker Vogel.

»Wäre schön, wenn Charlie morgen zur wöchentlichen Sitzung vom Trägerverein käme. Da wird alles besprochen. Riesensache. Ich bring gleich die Einladung hoch.«

»Wäre schade ums Briefpapier. Die Charlie kommt nicht.«

»Die kommt. Schließlich ist sie jetzt Ehrenvorsitzende vom Zuckerhut e.V.«

»Ehre würd ich das nicht gerade nennen. Wenn Charlie dem Kellmanns endlich grünes Licht für einen ordentlichen Umbau gibt, können Sie sich Ihren ›Zuckerhut‹ sonst wohin streuen.«

Kaschubek bleibt stur. »Das mit Kellmanns macht die Charlie nicht. Wenn die erst mal weiß, was wir im Zuckerhut vorhaben, kommt sie zur Sitzung.«

»Ja, mit einem von Ihren Ausflugsdampfern.«

Frau Delius macht sich taschenschwingend auf den Weg zum Treppenhaus.

Kaschubek zieht die Brauen zusammen. Was sagt man dazu? Nix. Halt. Plötzlich hat er eine Eingebung. Er formt mit den Händen einen Trichter um seinen Mund.

»Cantucci kommt. Sagen Sie Charlie, Cantucci ist wieder in der Stadt und bei der Sitzung. Hören Sie? Das ist ein alter Freund von Charlie.« Mit dem hat sie als kleines Mädchen doch immer gespielt. Drüben auf der Insel. Oder war es die Schwester? Egal, hingen irgendwie alle immer zusammen. Nette Bande.

Kaschubek starrt Frau Delius nach, die lässt die Hüften tanzen. Rotzfreches Maul, aber hübsches Gestell für ihr Alter, denkt er unwillkürlich, kein knochiger Hintern und vornerum auch sehr lecker gebaut. Hat er das etwa gerade laut gesagt? So was passiert ihm manchmal.

Die Delius schaut sich um und zuckt kokett mit den Schultern. Wortlos verschwindet sie hinter einer Eisentür.

Besser, er geht nachher selber hoch.

Wenn Charlie dem Kellmanns und seinen ganz speziellen Freunden, den Bauheinis, den linken Flügel übergibt, macht der daraus, was er will, schließt das Bürgerzentrum und haut sie am Ende nur übers Ohr.

Der hat bis jetzt alle übers Ohr gehauen. Seine so genannten Kumpel, mit denen er die Fabrik zweiundachtzig besetzt hat, die Gründer vom Bürgerzentrum, die alte Frau Dornfelder, seine eigene Frau und jetzt Charlie. Das wäre dem alten Zuckerbaron bestimmt nicht recht, auch wenn er die Zuckerfabrik der Charlie nicht direkt vermacht hat, sondern der Schwester. Wie hieß die noch gleich? Hat ein schlimmes Ende genommen. Egal, war sowieso nicht seine richtige Enkelin. Hätte er Charlie gekannt, hätte er es anders gemacht. Sofort.

Charlie kommt doch nur äußerlich auf ihren Vater, der tatsächlich ‘ne Flitzpiepe und als Sohn eine Affenschande war. Hat dem alten Dornfelder übel mitgespielt. Sehr übel. Rachsüchtiges Kind. Kaschubek weiß das von seinem Vater.

So was gibt’s leider. So einem Sohn vererbt man natürlich nichts. Aber die Charlie, die hat’s verdient, die ist ein prima Kerl. Die wird wieder Leben in die Bude bringen. Ganz so wie es früher mal war. Die ist eine echte Dornfelder. Das sieht man schon an ihrem Lachen, denn das Lachen, das hat sie vom Großvater.

Liebe unter Kannibalen

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