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Kapitel 4

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Said überredete seinen Vater, ihm für drei Akçe das Schachbrett zu kaufen. Zu seinem Bedauern aber fand er im ganzen Viertel keine Menschenseele, die ihm das Spiel beibringen konnte, auch wenn jeder schon davon gehört hatte. Als er seinem Großvater, der auf dem Diwan in ein altes Buch vertieft war, sein Leid klagte, fiel diesem ein, dass er dem jüdischen Schmuckhändler David vor einigen Jahren einmal in dessen Juweliergeschäft auf dem Basar beim Schachspielen mit einem Kunden zugeschaut hatte.

„Besuch doch Onkel David bei Gelegenheit und lass es dir von ihm erklären. Er versteht etwas davon“, ermunterte Halil Agha Said.

„Natürlich, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?“, fragte sich Said und wäre am liebsten sofort losgezogen. Doch Afife trug ihm auf, einen Moment zu warten.

„Davids Frau Rachel liebt meinen Grießkuchen, und wie es der Zufall will, habe ich heute Morgen gerade einen gebacken. Ich pack dir einige Stücke für sie ein.“

Und dann versetzte Halil Agha seiner Vorfreude einen noch schwereren Schlag. „Aber Afife“, protestierte er, „heute ist doch Samstag. Und am Sabbat sollte man die Juden nicht stören. Da sind sie zwar zu Hause, empfangen aber nicht gern Gäste.“

„Ach ja, das hatte ich ganz vergessen“, entgegnete Afife und vertröstete ihren Sohn auf ein andermal.

Saids Enttäuschung hielt nicht lange vor. Er setzte sich neben seinen Großvater und warf einen Blick auf das Buch, das er in Händen hielt. Pharmakognosie, von einem gewissen Al-Biruni. Darin ging es um Heilpflanzen und Nahrungsmittel, wie ihn sein Großvater aufklärte. Doch Said wandte sich schnell wieder ab, weil er nichts verstand. Stattdessen wanderten seine Augen zum Fenster hinüber. Während er selbst nach der Schule Eleftheria besucht hatte, waren Mersed und Betim Brot kaufen gegangen und noch immer nicht zurückgekehrt. Dabei lag die Bäckerei von Emrullah doch gleich um die Ecke am Fuß des Galata-Turms. So lange konnten die beiden doch unmöglich gebraucht haben. Bestimmt waren sie mit Dingen beschäftigt, in die sie ihn nicht einweihen wollten.

„Afife, ist Mersed bei euch?“, rief Nadire nach ihrer Schwägerin, offensichtlich auf der Suche nach ihrem Sohn.

„Nein“, versicherte ihr Afife, während sie eine silberne Karaffe auf dem Kupfertablett abstellte, das auf einem Dreifuß stand. Sie und ihre Tochter Destegül hatten gerade alle Hände voll zu tun, das Abendessen vorzubereiten. Ibrahim würde jeden Augenblick eintreffen, und dann fehlte nur noch Betim.

Tatsächlich ließ Müderris Ibrahim nicht lange auf sich warten, und wenig später klopfte es noch einmal an der Tür. Mit einigen Fodlas - dünnen, viereckigen Broten aus Gerstenmehl - unter dem Arm stürmten Betim und Mersed in den Hof.

„Wo bleibt ihr denn, Kinder? Wir haben uns fast schon Sorgen um euch gemacht!“

„Nun lass sie doch, Afife“, beschwichtigte Ibrahim, der solche Dinge eher gelassen sah. „Mersed, deine Mutter wartet hier oben auf dich.“

Doch Nadire eilte ihrem Sohn bereits entgegen und verabschiedete sich mit einem kurzen Gruß.

„Na dann, guten Appetit“, sagte Halil Agha, als sich die Familie und ihr Ziehsohn endlich um den Tisch versammelt hatten, und begann ungeduldig, seine Suppe zu löffeln.

Als Ibrahim Betim nach dem Essen am Kamin fragte, was er den Tag über so getrieben hatte, war sich dieser zunächst kurz unschlüssig. Sollte er die Wahrheit sagen oder besser eine Lüge auftischen? Aber was, wenn Mersed etwas anderes erzählen würde? Dann wäre er schnell überführt. Also blieb er lieber bei den Tatsachen.

„Wir haben Brot gekauft, und dann habe ich Mersed eine Wette angeboten. Bestimmt würde er sich nicht trauen, mit mir zusammen auf den Galata-Turm hinaufzusteigen. Aber Mersed wollte die Wette nicht verlieren, und so schauten wir uns um, ob einer von den Feuerwehrleuten zu sehen war, deren Hauptquartier der Turm ja ist. Die Luft war rein, und so gingen wir die Wendeltreppe hinauf. Eigentlich ein Kinderspiel, wenn Mersed nicht auf halber Strecke schwindlig geworden wäre. Aber ich packte ihn am Arm, und so gelangten wir nach oben.“

„Was? Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen“, schimpfte Afife mit ihm. Doch Ibrahim hob seine rechte Hand und gebot ihr Einhalt.

„Oben angekommen, schnappten wir erst einmal nach Luft, dann genossen wir die wunderbare Aussicht. Der Bosporus sah gigantisch aus, und die Stadt breitete sich in alle vier Himmelsrichtungen aus. Aber die Häuser und Moscheen wirkten viel kleiner als von unten und die Menschen auf den Straßen fast wie Ameisen.“

„Ihr hattet also euren Spaß, was?“, fragte Halil Agha gleichmütig, während sich Afife fast auf die Zunge beißen musste, um ihren Zorn im Zaum zu halten.

„Ja, es war großartig“, bekräftigte Betim.

„Das freut mich. Aber vergiss nicht, dass wir die Verantwortung für euch tragen. Wenn man euch ertappt hätte, wären wir dafür zur Rechenschaft gezogen worden.“

„Ich verstehe.“

„Also denk beim nächsten Mal daran.“

„Es wird nicht wieder vorkommen.“

Nach einer Weile sagte Afife zu ihrem Mann:

„Betim sollte lieber auch endlich zur Schule gehen, dann werden ihm die Flausen schon vergehen. Mit seinen acht Jahren ist er doch schon zwei Jahre älter als Said.“

„Ich bemühe mich ja darum, Afife. Und genau aus dem Grunde habe ich mich mit Garbis, dem Armenier, verabredet. Er wollte für mich in der Schule von Hagop, seinem Sohn, nachfragen, ob sie Betim nicht aufnehmen kann. Hagops Schule ist die Gemeindeschule der armenischen Kirche. Andererseits wäre die Schule der St. Benoit Kirche wahrscheinlich noch geeigneter, schließlich ist das eine Eliteschule.“

„Wann triffst du dich denn mit Garbis?“, fragte ihn Halil Agha.

„Jetzt gleich, ich muss nur noch meinen Kaffee austrinken. Betim nehme ich mit, damit er mit anhören kann, was wir zu besprechen haben.“

Doch auch Said wollte sich die Chance auf einen spätabendlichen Ausflug nicht entgehen lassen, und niemand hatte ernsthaft etwas dagegen einzuwenden.

Der Armenier Garbis, seine Frau Tamar und ihr Sohn Hagop empfingen Ibrahim und die beiden Jungen in dem großen Wohnsaal ihres Hauses. Vor allem Hagop war sehr gespannt darauf, Betim kennenzulernen. Said hatte schon viel von ihm erzählt.

„Wird Vater Krikor Betim in eure Schule aufnehmen?“, tastete Ibrahim sich vor. Vater Krikor war der Diakon der Surp-Sarkis Kirche der orthodoxen Armenier von Karaköy. Zusammen mit einem Subdiakon, dem Pater Varujan, leitete er die Gemeinde.

„Er wollte den Jungen erst einmal sehen. Aber mein Eindruck war positiv. Ich denke, dem sollte nichts entgegenstehen“, berichtete Garbis. „Die Klasse, in die er käme, wird von Pater Varujan unterrichtet.“

„Mein Favorit wäre eigentlich die Schule der katholischen St. Benoit Kirche. Betim soll irgendwann in den Sultanspalast zurückkehren. Also braucht er eine entsprechende Bildung ...“

„... aber leider nehmen die Jesuiten, die die Kirche leiten, nur Katholiken auf, nicht wahr?“

„Ja leider. Aber abgesehen davon bin ich überzeugt, dass er auch bei euch in der Gemeinde gut aufgehoben sein wird.“

„Morgen ist Sonntag. Da werde ich die Angelegenheit nach dem Gottesdienst noch einmal ansprechen. Am besten, Betim begleitet mich dorthin.“

Auch Ibrahim selbst wäre gern mitgekommen. Doch er würde sich unmöglich freinehmen können; in der Medrese standen einige wichtige Prüfungen an, auf die er die Studenten vorbereiten musste.

Nach seiner bereits zweiten Tasse Kaffee an diesem Abend bedankte er sich bei seinen Gastgebern, und sie traten den Heimweg an.

Am nächsten Morgen machte sich Betim mit Garbis, Lisias und ihren Familien zeitig auf den Weg zur armenischen Kirche. Für einen Fußmarsch lag sie recht weit entfernt. Doch Garbis war schon in der Kirche getauft worden, daher kam der Besuch einer anderen für ihn nicht in Frage. Sein Freund Lisias bekannte sich als Grieche eigentlich zum griechisch-orthodoxen Glauben. Doch weil die nächstgelegene griechische Kirche noch schwieriger zu erreichen war, begleitete er seinen Nachbarn Garbis Sonntag für Sonntag in die armenische Kirche.

Said und seine Schwester Destegül hatten es an diesem Morgen nicht so weit. Zu ihrer Schule waren es lediglich ungefähr hundert Schritte. Trotzdem ließen sie es nicht nehmen, unterwegs noch Mersed und Hayrunnisa abzuholen.

Schon an der Tür begegneten sie Salih Hodscha, der halbwegs erholt wirkte und seine aus insgesamt zwölf Jungen bestehende Klasse ab jetzt wieder selbst unterrichten würde. Die Klasse der Mädchen war ungefähr genauso groß, sie wurden von einer weiblichen Lehrkraft unterwiesen. Auf Saids und Merseds Stundenplan standen heute die vier Grundrechenarten. Die Mädchen lernten den islamischen Katechismus.

Als Imam war Salih Hodscha zum einen der Vorbeter und Korangelehrter ihrer Gemeinde. Gleichzeitig war er als Lehrer tätig - mit dem Spezialgebiet Naturwissenschaften - und bekleidete zudem das Amt des Ortsvorstehers. Er repräsentierte sein Viertel gegenüber dem Sultan und trug die Verantwortung dafür, dass dessen Erlassen vor Ort Geltung verschafft wurde.

Auch die im Viertel lebenden nichtmuslimischen Untertanen des Sultans zollten dem Imam großen Respekt. Der Armenier Garbis, der Grieche Lisias und der Jude David - sie alle und zahlreiche weitere Bewohner des Viertels zählten zur Gruppe der Schutzbefohlenen, der sogenannten Dhimmis. Im Millet-System des Osmanischen Reichs, in dem alle Untertanen ethnischen Gruppen und Religionsgemeinschaften zugeordnet waren, hatten sie besondere Rechte und Pflichten. Bei internen Streitigkeiten zum Beispiel durften sie ihre eigenen Richter konsultieren.

Am nächsten Tag stand der islamische Katechismus auf dem Programm, und Salih Hodscha erklärte seinen Schülern die rituelle Gebetswaschung.

„Und wenn es kein Wasser zum Waschen gibt?“, hakte Said nach.

„Eben darauf wollte ich jetzt zu sprechen kommen. Womit, wenn nicht mit Wasser, würde man denn ein Feuer löschen?“

Als ihm niemand antwortete, beantwortete er sich die Frage selbst.

„Mit Erde. Erde besitzt Macht über das Feuer. Unserem islamischen Glauben zufolge hat Gott Satan einst aus Feuer erschaffen und anschließend Adam aus Erde. Dann befahl Er Satan, Adam zu gehorchen, doch Satan weigerte sich mit der Begründung, dass Feuer doch ein viel edleres Element sei als Erde. Folglich gebühre ihm, dem Satan, auch ein höherer Rang in der Schöpfung.

In Wirklichkeit jedoch zeigt sich in der Natur aber sehr deutlich, dass das Feuer der Erde unterlegen ist, weil es von ihr ausgelöscht werden kann. Daraus folgt, dass wir aus Erde erschaffenen Menschen den Worten des aus Feuer erschaffenen Satans nicht Folge leisten dürfen. Wir sind ihm überlegen, nicht er uns.

Und noch etwas. Wenn ihr richtig wütend werdet und vor Zorn entbrennt, könnt ihr euch sicher sein, dass Satan da ebenfalls seine Finger im Spiel hat. Dann tut Abkühlung Not, und dabei leistet Wasser gute Dienste. Aber falls euch in dem Moment gerade kein Wasser zur Verfügung steht, solltet ihr wenigstens den Kontakt zur Erde suchen. Nicht umsonst laufen die Menschen seit Jahrhunderten barfuß herum. Sie leiten die negative Energie, die ihr Zorn entfesselt hat, in die Erde ab. Das hilft. Um es kurz zu machen: Bei Bedarf lässt sich die rituelle Waschung auch durchführen, indem man sich mit trockener Erde abreibt.“

Begeistert von dieser einleuchtenden Erklärung drehte sich Said zu Mersed um, der aber nur teilnahmslos dasaß. Wie kann man nur immer so gleichgültig sein, fragte sich Said. Das Einzige, wofür er sich zu begeistern scheint, sind Straßenspiele mit Eleftheria oder Mutproben mit Betim. Und richtig, als Mersed den Lehrer von Feuer und Wasser reden hörte, waren seine Gedanken unverzüglich wieder zu ihrem Aufstieg auf den Feuerwehrturm von Galata zurückgewandert.

Nach der Schule griff sich Said sein Schachspiel und bekniete seinen Großvater erfolgreich, ihn zum Basar in Davids Laden zu begleiten. Als sie gerade aufbrechen wollten, kamen ihnen Betim und Hagop entgegen.

„Hallo, ihr beiden. Na, Betim, wie war dein erster Tag in der Gemeinde?“

„Schön. Der Priester ist ein sehr netter Mann.“

„Das freut mich zu hören“, sagte Halil Agha. Doch Said zerrte an ihm und zog ihn ungeduldig in Richtung Basar.

Seit dreihundert Jahren war der Basar das Zentrum der Handelsaktivitäten in der ganzen Region. Seine Einnahmen wurden der Haghia-Sophia-Stiftung gutgeschrieben, die damit die Unterhaltungskosten für die Haghia-Sophia-Moschee finanzierte. Der Basar war von einer Steinmauer umgeben, und das Gewicht seiner zwölf großen Kuppeln verteilte sich im Innern der Anlage auf mehrere dicke Säulen.

Da der Basar in unmittelbarer Nähe des Schiffsanlegeplatzes von Karaköy lag, hatte er den Vorteil, dass die einzelnen Ladenlokale ohne große Wartezeiten oder Umwege direkt mit Ware beliefert werden konnten. Insgesamt beherbergte er an die hundert Läden. Juweliere, Stoffhändler, Schmiede, Gewürzhändler und viele andere Händler stellten ihre Produkte zur Schau, die zum Teil aus aller Herren Länder und zum Teil aus der eigenen Werkstatt kamen.

Durch das rastlose Gewimmel von Käufern und Gepäckträgern hindurch bahnten sich Said und Halil Agha einen Weg zu Davids Laden, der, genau wie die anderen Schmuckgeschäfte, in der Mitte des Basars lag. Nach außen hin folgten dann die Teppichläden, die Schmieden und entlang der Außenmauer die Gewürzläden.

Hocherfreut über den unerwarteten Besuch, erhob sich David von seinem Stuhl, umarmte Halil Agha und streichelte Said über die Haare.

„Seid mir gegrüßt, meine Nachbarn. Was für eine Ehre, Halil Agha. Wie trinkst du deinen Kaffee? Ich bestelle ihn gleich beim Konditor nebenan.“

„Nicht ganz so süß“, instruierte ihn Halil Agha.

„Und du, Said? Was hättest du gerne?“

„Ein Erdbeersorbet, Onkel David.“

„Gut.“

Dann schickte er seinen Gesellen los, und noch ehe er sich Halil Agha wieder zuwenden konnte, überfiel ihn Said mit dem Grund für ihren Besuch.

„Na, dann hol dein Spiel doch mal heraus, und lass uns gleich anfangen.“

Während Halil Agha in aller Ruhe seinen Kaffee schlürfte, ließ sich Said von David die Regeln und die Startaufstellung erklären. Dann legten sie los. Mit zunehmender Spieldauer gewann Said an Sicherheit, doch das Problem war, dass sie das Spiel jedes Mal, wenn Kundschaft in den Laden kam, unterbrechen mussten. Das blieb auch Halil Agha nicht verborgen.

„So, Said, Zeit zu gehen. Onkel David muss seinen Geschäften nachgehen. Wir wollen ihn nicht zu lange aufhalten.“

„Ist gut, Großvater. Aber lass uns doch bitte dieses eine Spiel zu Ende bringen.“

„Komm doch einfach einmal am Abend zu uns nach Hause“, lud David Said ein, „dann passt es mir besser. Es wird mir eine Ehre sein.“

Mersed flehte seine Tante an, noch zum Abendessen bleiben zu dürfen, als er Said die Treppe hochsteigen sah.

„Na, du Fahnenflüchtiger, wo bist du die ganze Zeit gewesen? Lässt uns einfach hängen und bummelst in der Gegend herum…“

Said erzählte es ihm, obwohl er sich insgeheim noch immer über Mersed und Betim ärgerte. Hatten sie ihn nicht ebenfalls hängenlassen, als sie ohne ihn auf den Feuerwehrturm gestiegen waren?

Als Destegül die Suppenschüssel brachte und abstellte, fragte Mersed sie: „Bringst du mir etwas zu trinken, Schwesterherz?“

Sie war seine Cousine, aber wenn er ehrlich sein sollte, mochte er sie viel mehr als seine Schwestern. Außerdem wusste er, dass es ihr schmeichelte, wenn er sie Schwesterherz nannte. Dann erfüllte sie ihm gern jeden Wunsch.

Beim Essen fragte Ibrahim seinen Sohn neugierig nach seiner ersten Partie Schach mit David.

„Es hat viel Spaß gemacht. Onkel David ist der Ansicht, dass Schach ein sehr geistreiches Spiel ist. Leider hatte er nicht viel Zeit und wir mussten mittendrin abbrechen, sonst hätte ich ihn bestimmt geschlagen“, strahlte er vor Glück.

„Ein Brett und ein paar Holzfiguren - was soll daran denn geistreich sein?“,flüsterte Mersed Betim zu.

„Vielleicht erklären ihm die Geister ja, wie er spielen soll“, gab Betim leise zurück, woraufhin sie in höhnisches Gelächter ausbrachen und erst verstummten, als Halil Agha ihnen einen mahnenden Blick zuwarf.

An diesem Abend erzählte niemand eine Geschichte. Stattdessen schnitt Ibrahim ein Thema an, das ihm schon seit längerem Sorgen bereitete.

„Die Stiftungen im Osmanischen Reich sind bekanntlich so etwas wie die Lungen unserer Gesellschaft, ohne die uns kaum Luft zum Atmen bliebe. Auch wir haben in unserem Viertel so eine Stiftung. Sie betreibt eure Schule und die Bibliothek nebenan, die Armenküche, das Krankenhaus und das Hamam. Das kann sie aber nur leisten, weil so viele Geschäftsleute unseres Viertels sie mit Zuwendungen unterstützen. Alle Gelder dieser Stiftung fließen gemeinnützigen Zwecken zu, nicht einmal der Sultan persönlich dürfte sie beschlagnahmen. Aber in letzter Zeit ist leider weniger Geld als früher gespendet worden, sodass die Einrichtungen gezwungen sind, an allen Ecken und Enden zu sparen. Einige Schüler bekommen schon seit zwei Monaten kein Stipendium mehr, und die Armenküche ist inzwischen fast ärmer als ihre Schützlinge.“

„Und was schlägst du vor, dagegen zu unternehmen?“,unterbrach ihn sein Vater.

„Wie ihr ja wisst, bin ich der Vorstand unserer Stiftung, und daher fühle ich michverpflichtet, die Familien unseres Viertels dazu aufzurufen, in Zukunft wieder mehr zu spenden und sich zudem auch wieder tatkräftiger zu engagieren. Unsere Frauen zum Beispiel könnten dabei helfen, Essen zu verteilen, das von anderen Freiwilligen gekocht wird. Das hat früher auch funktioniert. Und Freiwillige brauchen wir auch für die Betreuung unserer Kranken im Hospital und den dazugehörigen Genesungs- und Erholungsräumen. Es wäre schön, wenn da alle mit anpacken könnten.“

„Ich bin dabei“, beteuerte Halil Agha.

„Nadire und ich werden uns gleich morgen in der Armenküche melden. Tamar und Daphne helfen bestimmt auch gern“, schlug Afife vor.

Und auch Said war sofort Feuer und Flamme. Allerdings riet ihm sein Vater, sich lieber zuerst um seine Schularbeiten zu kümmern.

Machtkampf am Bosporus

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