Читать книгу ... und dann geschah es - Sanne Prag - Страница 20

NACHMITTAG SPÄTER

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Ezra hatte jetzt eine klare Aufgaben im Visier - neben dem Job Tina zu entfernen. Er musste klären, was da im Ministerium und mit Vorberg lief, und ob das Hille fast das Leben gekostet hätte. Und er musste das Zimmer für Tina erstklassig, passend, in jeder Hinsicht genau herrichten.

Dazu musste einiges organisiert werden. Deshalb brauchte er zuerst Esther. Er fand sie in der Werkstatt, wo sie den bemalten Kasten abwischte. „Kann man, glaubst du, so ein altes Stück einfach waschen?“

„Ich denke, die Bemalung ist Lack, oder irgendetwas wie Lack.“

„Hilf mir, ihn ans Licht bringen, damit ich besser sehe.“ Sie schoben und zogen das schwere Stück in Richtung der großen Schiebetüre.

Am Rand und um den Kasten war eine Blumenbordüre. Sehr aufwendig und in vielen Farben. Und in den Türen gab es jeweils ein Bild, das aber nicht richtig zu erkennen war, denn der Kasten war von braunen, krustigen Flecken überzogen. Ezra und Esther schauten ganz genau, dann kratzten sie vorsichtig an der Oberfläche. Schließlich holte Esther einen Kübel und Lauge und eine weiche Bürste. „Wo ist denn ein bisschen ein härterer Schwamm?“ Beide schrubbten einträchtig, jeder ein Bild. Wortlos hatte man sich geeinigt, dass man wissen wollte, was der verzauberte Kasten barg. Wie war er geboren worden, wie zum Leben erwacht, wofür hatte man ihn gemacht? Wenige Linien waren zu erkennen. Ein grünes Blatt tauchte aus der braunen Kruste, ein menschlicher Kopf, ein Bein. Irgendetwas wie eine Waffe. Manche Flecken lösten sich, andere hafteten unerbittlich.

Im ersten Stock war es in der Zeit ziemlich laut.

Wolfgang hatte sich erboten, das Zimmer neben Tante Tina auszuräumen, ein sehr großer Raum mit drei großen Fenstern. Dieses Zimmer schien wirklich lange unbenützt zu sein. Ida stand in der Türe, staunend, interessiert. Wolfgang schob gerade ein Bett mit Baldachin durch den Raum. Der Baldachin staubte. Die Farbe des Stoffes war kaum zu erkennen, irgendetwas, wie Gold und rötlich. Es flogen kleine Stücke des altehrwürdigen Belages ins Licht. Schnaufend setzte er ab und rieb seine Handflächen.

„Sag mal Ida, Ezra sagt, sie haben in der Wohnung die Mumie eines Hundes in einem Glaskasten gefunden? Was war denn das?“.

Ida hatte immer Zeit für Antworten. Es dauerte. „Ich denke, das war Schneewittchen.“ meinte sie nach einer Weile. Wolfgang konnte das nicht wirklich als Erklärung annehmen. Seine Bewegung machte Pause. Er hörte wahrscheinlich sogar kurz zu schwitzen auf. „Schneewittchen?“, wiederholte er langsam.

„Eigentlich hieß sie Bienchen, wahrscheinlich, weil sie ständig am Bellen war. Stell dir einen Hund vor, der aus einer Handtasche schaut und dauernd bellt. Sie hat natürlich auch gebissen. Mutter hat immer gesagt, sie ist emsig wie ein Bienchen.“ Noch immer keine Erklärung für den Glaskasten. Wolfgang wartete.

„Irgendwer hat sie vergiftet. Der Glassarg stand lange im Wohnzimmer. Es war einige Jahre so ein Mausoleum.“ Ida blieb in der Erinnerung stehen. Sie schnupperte. Auch in diesem Zimmer roch es nach Mausoleum, genau wie damals, verlassen, gemieden, vergessen wie müde Blumen. „Sollten wir hier auch einen Glassarg mit einem toten Hund reinstellen?“ fragte sie. „Oder vielleicht kann man die Fenster aufmachen?“

Wolfgang machte die Fenster auf. Von rechts nach links. Zwei gingen auf, eines nicht. „Das ist das mit Robert“, meinte Ida zu dem Fenster, das sich weigerte. „Robert will nicht aufgemacht werden.“

Da kam Ezra.

„Braucht ihr Hilfe?“

„Robert lässt sein Fenster nicht aufmachen“, meinte Wolfgang.

„Sag, wolltest du das Zimmer herrichten wegen Robert?“, fragte Ida.

„Ja, natürlich sind wir doch froh, dass wir Robert haben.“

Bei Wolfgang lief ein Film von Möglichkeiten, technischer Natur.

„Robert ist einer von uns, wir müssen nett zu ihm sein“, meinte Ida.

„Woher willst du wissen, dass er nicht auf Seiten von Tante Tina ist“, fragte Ezra.

„Ich hab das Gefühl, dass Robert auf gar keiner Seite ist. Wenn man eine Weile tot ist, wird man egoistisch, denke ich. Man kümmert sich nur mehr um sich selbst.“

„Hast du ihn heute schon gesehen?“, fragte Ezra.

„Ich war noch nicht draußen schauen.“

„Komisch“, meinte Wolfgang plötzlich, „Hier an der Wand entlang ist eine Spur im Staub, die wir nicht gemacht haben.

„Wieso meinst du?“

„Naja, hast du solche Schuhe an? Ich nicht.“ Im Staub zeichnete sich ein Schuhabdruck nach dem anderen, erstaunlich deutlich und klar. Ziemlich groß, große Füße. Sie trugen Stöckelschuhe mit breiten Absätzen. Die Abdrücke waren farbig getönt, wirkten bläulich-lila, ein wenig. Ezra fuhr mit dem Finger darüber, aber der Abdruck blieb. Wolfgang kam mit einem feuchten Fetzen. Der Abdruck ließ sich nur schlecht entfernen. Das Tuch war nachher bläulich staubig.

Ida hatte sich eine Weile auf den Geist konzentriert, hatte über ihn nachgedacht und schlug vor: „Wir müssen ihn fragen, ob er vielleicht hinaus möchte, denn wenn er immer in dem Zimmer auf und ab geht ist das ja nicht erfüllend für so ein langes Leben nach dem Tod. Vielleicht schläft er hier und kann nie hinaus. Auch wenn man nicht essen muss, will man aus seinem Zimmer.“

„Sollen wir ihm die Türe offen lassen?“, fragte Ezra. „Ich bin mir nie sicher, wie das mit Geistern und Türen ist.“ Ezra legte Wert darauf, möglichst normal zu sprechen, aber das mit der Fußspur war schon seltsam. Nicht Schrecken, nicht Gänsehaut, schon gar nicht Panik, aber seltsam war die Fußspur schon.

„Geister schweben doch im Allgemeinen durch Wände.“ Wolfgang schob gerade eine Kommode an die andere Wand.

„Nicht immer“, meinte Ida, „Ich weiß, dass sie gelegentlich knarrend Türen öffnen.“

„Eingemauerte weiße Frauen findet man aber vorwiegend in Gängen und Treppenhäusern. Also irgendwie können sie aus der Mauer.“ Geisterkunde von Ezra.

Wolfgang steckte mit dem Kopf im unteren Fach der Kommode, und es klang hohl als er sagte: „Ich denke, sie machen vor allem seltsame Geräusche.“

„Naja irgendwie müssen sie ja `guten Tag´ sagen“, meinte Ida, „Vielleicht wollen sie wahrgenommen werden, auch wenn sie nicht mehr richtig leben. Wir fühlen uns ja alle nur bedeutend, weil uns jemand wahrnimmt.“

Wolfgang war inzwischen mit praktischen Überlegungen beschäftigt. Er hatte nicht so viel Gefühl für Geister „Wie machen wir denn das mit der weiteren Einrichtung?“, wollte Wolfgang wissen. Ida drehte sich um und ging. Ezra nahm an, sie wollte schauen, ob Robert da war, aber vor allem wollte sie keine praktischen Probleme lösen.

„Fragen wir Esther.“ So ging er Esther suchen. Ezra hatte einen Moment das Bedürfnis, die Türe offen zu lassen, damit der Geist freie Bahn hatte, entschied sich aber schließlich dagegen. Wahrscheinlich konnte er durch die Wand und die Besorgnis war überflüssig.

Ezra war auf dem Weg hinunter in die Küche. Aus dem Unterstock drang eine weinerliche Stimme hoch. Röschen stand in der Küchentüre und erklärte Esther gerade, dass das, was hier gekocht wurde, für sie nicht essbar war. „Ich habe immer schon einen empfindlichen Magen, diese fette Kost hier bekommt mir nicht. Tinchen hat gesagt, ich soll das in der Küche besprechen.“ Ein tiefer kummervoller Seufzer folgte dem gerade vergangenen. „Nur weißes Fleisch, Kalb oder Huhn, Spargel vertrage ich gut, sonst bin ich aber sehr heikel.“

Ezra fragte sich, wie Esther das bewältigen würde. Er sah über das Treppengeländer auf die kleine weinerliche Gestalt mit dem gekrümmten Rücken. Eine lebenslang dienende, die sich ihren Platz erjammert hat, immer Raum für Mitleid schaffte, das nie stattfand. Sie hatte nichts zu geben außer Forderung. Keine gute Ausgangsbasis für Mitleid. Eher ein Storchenteich für die Kinder des schlechten Gewissens - auf der Flucht. Ezra wusste, dass Esther aus den Ohren rauchte vor Zorn, auch wenn man keine Flammen sah. Schließlich hatte sie die ganze Arbeit, und dann diese weinerliche Beschwerde. Esther hatte ihre Stimme aber im Griff und sagte ganz freundlich, sie werde sich um den kranken Magen kümmern und etwas ganz Diätes bereiten.

Da steckte Ida den Kopf zur Eingangstüre herein. „Robert ist heute komisch.“, meinte sie nur und bedeutete Ezra, zu kommen. Ida ging hinaus an die Stelle, wo die Begegnungen mit Robert stattfanden. Dort war der nächste Platz, um gut das ganze Fenster zu sehen, in dem er immer auftauchte.

„Da, schau“, meinte sie, „seine Füße baumeln heute im unteren Fenster.“

Ezra war zuerst sehr verwirrt. Im ersten Stock war der Kavalier mit Hut oder die Zirkusreiterin oder was immer es war, deutlich zu sehen und im Fenster darunter zeigte die Spiegelung etwas wie zwei hängende Streifen in Blaulila. Die gleiche Farbe wie der Hut, und ganz unten fast beim Blumenkasten hatten diese Streifen rote Spitzen, wie die Schuhe auf einer Kinderzeichnung. Das ganze bewegte sich leicht.

„Schaut aus, als ob er gehen würde.“ Ida war fasziniert. Ja, es sah tatsächlich aus, als ob er Schritte machte. Das Fenster neben Robert war offen. Es war der Raum, wo sie gerade Möbel verschoben hatten.

Ezra fragte sich, wo Wolfgang war. Der musste doch in diesem Zimmer auf und ab laufen. Durch die beiden offenen Fenster hätte er Wolfgang sehen müssen, wenn der arbeitete. Er sah und hörte aber keinen Wolfgang.

„Warum, glaubst du, ist Robert da?“, fragte Ida leise im Gedanken.

„Normaler Weise geistern Geister, weil sie irgendwas psychisch nicht bewältigt haben und deshalb nicht zur inneren Ruhe finden.“

„Das heißt sie brauchen Therapie?“

„In unseren Breiten brauchen sie Beichte, Anerkennung von Schuld, Weihrauch, Priester. Die letzten paar Jahrhunderte sprach die Kirche nie von Therapie und sieht das vielleicht auch jetzt als Konkurrenzunternehmen. Aber du hast wohl recht, Geister brauchen Therapie. “

„Das heißt Robert muss beten oder braucht Therapie“, überlegte Ida.

„Ja, beten soll helfen, und ein Kreuz lässt ihn verschwinden oder lähmt ihn. Meistens muss er nicht nur beten, auch beichten, gestehen, was halt die Kirche an Therapiemöglichkeiten bietet. Den Mord an der Geliebten aus Eifersucht, oder am Vater aus Wut oder Geldgier.“

„Ja du meinst einen Mord, der nicht wirklich legitim ist“, meinte Ida nachdenklich.

„Welcher Mord kann schon legitim sein?“

Ida schaute gebannt auf Roberts Füße. „Ich denke, ein Mord, der anderen das Leben ermöglicht. Ich denke, jeder hat das Recht, zu leben, und wenn einer das anderen unmöglich macht, und wenn es auch keine Lösung gibt, so ist vielleicht richtig, den aus dem Weg zu schaffen. Eben damit andere leben können.“

Ezra überlegte und versuchte, guten und schlechten Mord einzuordnen, aber seine Beunruhigung wegen Wolfgang war inzwischen angestiegen. Er hätte etwas hören müssen. Er hätte ihn sehen müssen an den beiden offenen Fenstern. Vielleicht war er nur einmal hinausgegangen. Konnte man Wolfgang wirklich so einfach mit Robert allein lassen? Einem psychisch belasteten Geist?

Ezra rannte ins Haus und hektisch in den ersten Stock mit der Vision, ein hysterischer Idiot zu sein und Wolfgang zu finden, wie er sehr sorgsam an einer Steckdose herum schraubte. Er riss die Türe auf. Hatte schon den letzten Teil der Treppe angespannt gehorcht, ob er Wolfgang hören würde, aber es war nichts zu hören. Hinter der Tür fand er ihn am Boden liegend in einer riesen Blutlacke.

Ezra warf sich neben ihn auf den Boden und sah in den schwarzen Haaren eine große Platzwunde fast bei der Stirne. Ezras Brust krampfte sich zusammen, er suchte nach Zeichen von Leben. Auf der Stelle wurde ihm übel. Wieso Wolfgang?

Aber Wolfgang lebte, denn er grunzte und bewegte sich vorsichtig. Ezra berührte ihn. „Was ist mit dir?“, fragte er, um irgendetwas zu sagen. Kontakt aufzunehmen, festzustellen wie schlimm es war. Die Hautfarbe war nicht allzu blass, schon gar nicht bläulich. Wolfgang verschmierte das etwas geronnene Blut über den Boden mit einer Hand, die ins Leere griff.

Warum hatte Robert ihn niedergeschlagen? Was hatte er Robert getan – sein Zimmer aufgeräumt, entweiht? Die Frage kam Ezra gleichzeitig ziemlich unvernünftig vor. Sie war aber so naheliegend. Da sagte Wolfgang noch ziemlich undeutlich: „Das Ding ist plötzlich auf mich drauf gefallen.“

Robert ist von der Decke auf Wolfgang gesprungen? In Ezras Kopf lief ein oft gesehenes Bild aus Vampirfilmen. Der Untote lässt sich von einer Mauer oder einem Vorsprung, einem gotischen Ungeheuer, das aus der Mauer schaut, auf sein Opfer fallen und umschließt es wehrlos mit tödlichem Biss. Gab das Platzwunden an der Stirne?

„Blödes Ding, blödes“, murmelte Wolfgang und hielt sich die Stirne. Dann versuchte er, sich vorsichtig aufzusetzen und legte sich wieder hin. Ezra hatte noch immer einen dicken Knoten im Hals. „Was ist auf dich draufgefallen?“

„Na der blöde Kasten.“ Wolfgang wollte kein zweites Mal riskieren, den Kopf zu heben. Ezra löste endlich den Blick von seinem Freund und sah den Kasten liegen. Er lag ganz, schwer und mächtig mitten im Zimmer, ein Stück von seinem Opfer entfernt. „Hab ihn halten wollen. Plötzlich das Ganze“, murmelte der abgerissen und hielt sich wieder die Stirne. „Das Ding ist unglaublich schwer.“ Nachdem Wolfgang einigermaßen lebensfähig zu sein schien, ging Ezra den Angreifer-Kasten untersuchen.

„Es hat gekracht und der kriegte eine Schlagseite und ich konnte ihn nicht halten.“

Wieso hatte der Kasten plötzlich gekracht? „Was hast du denn mit ihm gemacht?“

„Gar nichts. Ich habe nur die Türe aufgemacht, weil ich schauen wollte, ob er an der Rückwand angeschraubt ist.“

Wieder ein angegriffener Kollege. Wolfgang und Hille. Es gab doch eine Bedrohung. Was sollten die Angriffe für einen Sinn haben? Waren doch beide Angriffe von Robert gestartet? Was hatte Robert in seinem durchsichtigen Kopf? Oder gab es eine viel realere Bedrohung? Gab es Menschen, die vielleicht viel Geld in Sicherheit bringen wollten und dabei über Leichen gingen?



... und dann geschah es

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