Читать книгу Die Hormonkur - Sara Gottfried - Страница 17

Ein Wort zum Nachweis

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Vor nicht allzu langer Zeit brachte die New York Times einen Artikel über Frauen, die sich selbst das Schwangerschaftshormon hCG spritzen, um abzunehmen. Als Gynäkologin und als Frau weiß ich sehr wohl von Menschen, die versuchen, sich schlank zu spritzen. Aber ich war fassungslos, dass der Wahn einen Siedepunkt erreicht hatte – dass Frauen bereit waren, Tausende von Dollar für eine „Behandlung“ von Symptomen mit einem „Schuss“ Schwangerschaftshormon hinzublättern, bei denen es sich in Wahrheit um Hormonschwankungen, emotional aufgeladenes Essverhalten und Ernährungslücken handelt. Meiner bescheidenen medizinischen Meinung nach ist das völlig aberwitzig.

Ich habe mich intensiv mit der Literatur über das humane Choriongonadotropin (hCG) beschäftigt. In zwölf randomisierten Forschungsstudien seit 1954 zeigt hCG nachweislich keinen Abnehmeffekt. Schlimm genug, dass sich die Vorteile, mithilfe von hCG-Spritzen abzunehmen, als haltlos erwiesen, ist es überdies wirklich erschreckend, dass es keine Studien gibt, die garantieren, dass das Injizieren des Hormons zu diesem Zweck risikolos ist. Und dennoch gibt es eine erhebliche Anzahl von Frauen, die es damit versuchen.

Der Nachweis zählt. An der Uni hat man mir beigebracht, Frauen über 40, die über Nachtschweiß, Schlaflosigkeit, Angstzustände und/oder Depressionen klagen, ein einschlägiges Kombinationspräparat aus Östrogenen und Gestagen zu verschreiben. Diese Östrogene haben nichts mit denen zu tun, die ihr Körper selbst bildet, sie stammen aus dem Urin trächtiger Stuten, und Progestin, eine künstliche Abart von Progesteron, kann Depressionen verursachen. (In Deutschland und Europa werden ebenfalls solche Präparate, wenn auch inzwischen in der geringst möglichen Dosierung und für die kürzest mögliche Zeit in der konventionellen Hormonersatztherapie verwendet; Anm. d. Übers.). Die Schulmedizin behauptete, dies sei das „Wunder-Gespann“ der Hormonersatz-Therapie, denn es hatte in Beobachtungsstudien wie der als Nurses‘ Health Study (zu Deutsch etwa: „Studie zur Gesundheit von Krankenschwestern“) bekannt gewordenen Untersuchung nachweislich die Rate der Herzerkrankungen verringert.

Beobachtungsstudien halte ich aber nicht gerade für die beste Art des Nachweises, denn die Informationen stammen von Menschen, die bereits ein Medikament einnehmen, und nicht von Probanden, die dafür zufällig ausgewählt werden und es in einem kontrollierten Umfeld einnehmen, zusammen mit einer weiteren, ebenfalls zufällig ausgewählten Gruppe, einer sogenannten Kontrollgruppe, deren Teilnehmer stattdessen ein Placebo bekommen. Der beste Nachweis besteht meiner Ansicht nach in der randomisierten placebokontrollierten Studie, die gut konzipiert und deren Fallzahl groß genug ist, um die Wirkung zu zeigen – wenn es eine gibt –, und der Nutzen sich idealerweise in mehr als einer Studie reproduzieren lässt. (Wenn drei randomisierte Studien mit denselben Ergebnissen aufwarten, führe ich einen Jubeltanz auf).

Als schließlich 1999 randomisierte placebokontrollierte Studien zu dem weiter oben erwähnten Medikament stattfanden, zeigten die Ergebnisse, dass es zu mehr Herzerkrankungen führte. Im Jahr 2002 wurde dies durch eine weitere langandauernde randomisierte Studie, die Women’s Health Initiative (zu Deutsch etwa: „Initiative für die Gesundheit der Frau“), bestätigt. Da kam es plötzlich zum großen Erwachen: 57 Jahre lang hatte die schulmedizinische Ärzteschaft Frauen künstliche Hormone verschrieben, bevor sie überhaupt eine Ahnung davon hatte, wie diese sich wirklich auf deren Gesundheit auswirken. Wie Tausende anderer Geburtshelfer, Gynäkologen, Internisten und Hausärzte hatte auch ich die falschen Ratschläge unter die Frauen gebracht. Für mich war das ein dramatischer Wendepunkt der Ereignisse: Ich musste meinen Glauben an den „besten Nachweis“ mit der Tatsache in Einklang bringen, dass die Methode des besten Nachweises weder gelehrt, noch von den meisten Ärztinnen und Ärzten in den USA praktiziert wurde. Die Wahrheit ist, dass die meisten Verschreibungen bei Hormonproblemen nicht von exakter Wissenschaft gestützt und dass die Kriterien für den besten Nachweis nicht einheitlich angewandt werden. Diese Erfahrung lehrte mich, der Hormontherapie mit wesentlich größerer Skepsis zu begegnen und den besten Nachweis zu verlangen, bevor ich überhaupt ein Hormon verschreibe. Ohnehin gilt es, zuerst einmal Veränderungen im Lebensstil herbeizuführen. In meiner Praxis empfehle ich manchmal als allerletzte Option eine Hormontherapie in der kleinsten und dennoch wirksamsten Dosierung für den kürzestmöglichen Zeitraum wie Sie in den Kapiteln 4 bis 9 sehen werden.

Seit 2002 haben 80 Prozent der Frauen ihre Hormontherapie abgebrochen. Doch der Schaden war schon angerichtet – die Frauen bekamen Angst und wurden gegenüber dieser Therapie und den Ärzten, die sie dazu drängten, misstrauisch. Das war aus mehreren Gründen von großem Nachteil: Erstens gab es für die Frauen sehr viel weniger Möglichkeiten, um mit dem hormonellen Chaos in den Wechseljahren fertig zu werden; zweitens vereinfachten und verzerrten die Medien die Ergebnisse zu sehr – für die Erörterung von Nuancierungen in den Daten und inwieweit sie auf eine Untergruppe von älteren Frauen (ab 66 Jahre) zutrafen, gab es wenig Raum; drittens, ein paar faule Eier (künstliche Hormone) ruinierten den Ruf aller Hormone, der künstlichen wie der natürlichen oder bioidentischen; und viertens, kein Gesprächsstoff polarisierte mehr als der über Hormone. Die Einschränkung von Wahlmöglichkeiten ist niemals gut, vor allem nicht für eine Frau im mittleren Alter, die sich durch Schlaf- und Progesteronmangel fühlt, als wäre sie leicht bis mittelgradig verrückt.

Die Kurzversion: Randomisierte placebokontrollierte Studien liefern bessere Daten. Das kann ich stichhaltig nachweisen, und zwar aufgrund wissenschaftlicher Erhebungen von bester Qualität, einschließlich validierter Fragebögen und randomisierter placebokontrollierter Studien – und ich kann es kaum erwarten, sie Ihnen zu präsentieren. Selbst heute werden nur 15 Prozent der in der Schulmedizin verschriebenen Arzneimittel durch solche Studien gestützt. In meiner Praxis basieren darauf 85 Prozent der Empfehlungen – und die restlichen 15 Prozent bergen ein hinreichend geringes Risiko (wie Vitamine oder eine Veränderung der Denkweise), sodass Probleme durch sie wahrscheinlich nicht zu erwarten sind.

Die Hormonkur

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