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2.1 Jean Genet im Fokus der medialen Öffentlichkeit: Zwischen revolutionärer Emblematisierung und Anonymitätsgebot

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Die gesellschaftlichen Veränderungen, welche sich in den Protestbewegungen der 1960er und 1970er widerspiegeln und durch diese vorangetrieben werden, zwingen die Intellektuellen zu einer Redefinition ihrer eigenen Funktion. Ein Widerspruch der sich auflehnenden Generation ist die offensive Ablehnung jedweder Autoritäten und Idole einerseits und der Prozess der Emblematisierung einzelner Persönlichkeiten zu Ikonen und Leitbildern der Protestbewegungen andererseits. Es wird ein grundsätzlicher Verzicht auf Idole und theoretische Ideengeber postuliert, die als Produkte der Konsumgesellschaft wahrgenommen werden. Dieses eigentümliche Paradox des Oszillierens zwischen der Ablehnung des Personenkultes und der Ikonisierung politischer und lebensweltlicher Vorbilder wird auch in Genets frühen politischen Reflexionen thematisiert und kennzeichnet somit seinen Eintritt in die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit im Mai 1968. Die Unterstützung verschiedener revolutionärer Bewegungen mittels seines als Autor erworbenen Prestiges, wie sie unter anderem bei Benoît Denis als typisches Merkmal der intellektuellen Intervention beschrieben wird,1 bedingt die Furcht vor einer Instrumentalisierung seiner Person zu politisch-ideologischen Zwecken sowie vor der Defiguration seines Namens. Diese Problematik ist Gegenstand eines frühen journalistischen Kommentars über Genets Haltung zur Studentenrevolte von Mai 1968, der ein Interview mit Jean Genet im Rahmen seiner Einladung durch das comité d’agitation culturelle der Sorbonne beinhaltet.2 Das Aktionskomitee wurde am 13. Mai 1968 mit dem Ziel der Schaffung einer neuen Kultur gegründet und fordert von allen Kunstschaffenden die „auto-élimination“.3 Der Autor des in der Zeitung Combat erschienenen Artikels, Jean Lebouleux, betont in einem lobenden Kommentar, dass Genet sich des Versuchs der Instrumentalisierung seiner Person zu einem Idol der Studentenbewegung mit den Worten „[j]e ne veux pas être une idole, je suis un homme comme tout le monde“4 erwehrt. Genets Zurückhaltung während der Studentenunruhen wird sehr positiv aufgenommen, wie auch folgender Vergleich eines anwesenden Studenten mit Sartre belegt, der sich am 20. Mai im Auditorium der Sorbonne den Studierenden zum Dialog zur Verfügung gestellt hatte:5 „Sartre était un opportuniste, Genet est un poète.“6 Lebouleux kritisiert das Phänomen der Emblematisierung als einen der Konsumgesellschaft inhärenten Prozess:

L’idole est un des produits de la société de consommation remise en question par les événements actuels. Il était donc normal que la révolution, si révolution il y a, supprime ce mythe. Or la conduite du comité d’agitation culturelle de la Sorbonne ou du moins de l’un de ses membres apparemment influent, hier, envers Jean Genet, est une véritable tentative de récupération. On veut montrer l’idole aux peuples, une idole de la liberté sans doute, mais un personnage mythique que chacun voulait approcher.7

Der Versuch einer Instrumentalisierung Genets zum enragé geht jedoch auch von der Zeitschrift Combat selbst aus, die ihm während der Demonstrationen im Mai mehrere Artikel widmet, so dass Lebouleux’ Artikel als Kulminationspunkt dieser Problematik betrachtet werden kann. Die Zeitung beansprucht für sich eine singuläre und wegbereitende Positionierung innerhalb der 68er Bewegung, wie aus folgendem Leseraufruf ersichtlich wird:

Seul de tous les journaux parisiens, Combat a compris, a expliqué, a soutenu le grand mouvement contre lequel le pouvoir a jeté ses matraques. […] Nous sommes contre tous les Springer, contre ceux de l’Argent et du Dogme, nous sommes devenus nous aussi une ‚poignée d’enragés‘.8

Das Attribut des enragé, welches sich die Zeitung als autoreferentielles Merkmal selbst zuschreibt und in der Berichterstattung des Monats Mai auch vor allem die Opfer polizeilicher Übergriffe bezeichnet,9 wird in einem Artikel mit dem Titel „Saint-Genet, l’enragé“ auch Genet zuteil. Darin ergeht ein expliziter Appell an den Autor, zu einer symbolischen Figur der Barrikadenkämpfe zu avancieren: „Je demande à Genet d’être notre Courbet.“10 Der Artikel präsentiert Bruchstücke verschiedener Äußerungen Genets, die seine Teilnahme an den studentischen Demonstrationen belegen. Dabei lässt der Verfasser des Artikels Genets Zitate mit deskriptiven Einschüben über den Gesang eines „jeune terroriste [qui] chante, tel Néron, les flammes qui réjouissent la Ville“11 alternieren. Neben der metaphorischen Verankerung Genets in der Revolutionsgeschichte durch den Vergleich mit der historischen Persönlichkeit Courbets erfolgt seine Instrumentalisierung somit über die Selektion und Verknüpfung ausgewählter Aussagen, welche als Aufruf zur Demolierung der Stadt Paris inszeniert werden. Das sich in diesem Mechanismus widerspiegelnde diffuse, assoziative Wissen über dessen Persönlichkeit transformiert ihn zu einer Projektionsfläche revolutionärer Zielsetzungen. Das Emblem des enragé lehnt Genet jedoch ab, wie aus der am darauffolgenden Tag publizierten Rektifikation des Journalisten hervorgeht:

[J’]ai publié, hier, sous le titre de „St. Genet l’Enragé“ [sic!] des bribes de phrases contre lesquelles Genêt [sic!] a protesté. Parce qu’il ne veut pas désavouer le rôle joué par «Combat» dans cette Révolution, et parce qu’il ne veut pas de la ‚niche‘ que je lui faisais à travers ces quelques phrases, Jean Genet a refusé le rôle de terroriste inquiétant et solitaire. Parce que je comprends le sens de sa démarche, parce que la probité intellectuelle l’exige et parce que, surtout, je suis militant de notre lutte, je me désavoue moi-même.12

Genets Verzicht auf eine Sonder- bzw. Nischenstellung innerhalb der Protestbewegung wird als Wunsch nach intellektueller Rechtschaffenheit gedeutet. In seinem Artikel über Genets Besuch in der Sorbonne am 30. Mai 1968 stellt Jean Lebouleux bezeichnenderweise den Aspekt des Personenkultes in den Vordergrund seines Berichtes. So zitiert er in verkürzter Form, was Genet als Essenz der Revolution präsentiert, nämlich das Ausmerzen der sozialen Phänomene des Geldes und des Namens:

J’ai compris le sens plus profond de ce qui n’était qu’une révolte et devenait le sens même de la révolution c’est à dire [sic!] la remise en question de toutes les formes sociales dans lesquelles nous vivons. Mon avis? Je crois qu’il faut supprimer deux éléments importants: l’argent et le nom.13

Vermittels der in diesem Artikel bereits angerissenen Problematik des Namens reflektiert Genet seine eigene Rolle und Funktion in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit. Das Geld und der Name als Symbole des Prestiges und der öffentlichen Anerkennung werden hier im Kontext der Kritik an der einengenden Charakteristik von Symbolen und Emblemen problematisiert: „Le fait d’avoir un nom même peu célèbre m’opprime. Hélas, je ne sais pas comment changer cela. Quant à l’emblème, il ferme, il clot [sic!], même s’il exalte.“14 In einem Interview mit José Monleón der spanischen Zeitschrift Triunfo von 1969 anlässlich einer Inszenierung seines Theaterstücks Les Bonnes durch Victor Garcia und die spanische Theatergruppe Nuria Espert im Théâtre de la Cité Internationale konkretisiert Genet diesen Zusammenhang:

El problema que me plantea mi nueva situación es terrible. ¿Qué hacer para deshacerme de todo el dinero que recibo? ¿Qué hacer para deshacerme de un nombre que resulta cada vez más abrumador? Ese es mi gran problema actual. Yo creo que para un hombre existen dificultades que proceden del dinero. Cuando lo tiene en cantidad se convierte en dominador. Si, además, posee un nombre repetido a menudo en todas partes, ese nombre se hace tiránico.15

Genet beschreibt die negativen Auswirkungen des Geldes und der Berühmtheit auf die Persönlichkeit, welche einen sozialbedingten Transformationsprozess des Individuums auslösen: Es wird zum Herrscher und zum Tyrann. Die Tyrannei des Namens betrachtet er auch als Grundlage seines eigenen Interviews: „Un ejemplo podría ser lo que está pasando aquí ahora; se yo no me llamase Jean Genet, ustedes no estarían conmigo. ‚Ejerzo, pues, sobre ustedes, una especie de tiranía debido a mi nombre. Y eso necesito destruirlo‘.“16 Die Funktion des Eigennamens wird von Genet einerseits in Bezug auf seine Rolle als öffentliche Autorität problematisiert, andererseits aber auch in Hinblick auf den Autor-Werk-Konnex im spezifisch literarischen Bereich, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst von der Publikation literarischer Texte absah. So erweitert er diese Problematik auf das Konzept des literarischen Eigentums in einem Brief, der laut dem Ausstellungskatalog aus Tours zunächst an die Société des auteurs adressiert war,17 welche im Mai 1968 aus der Société des gens de lettres mit Standort im Hôtel Massa hervorgegangen ist. Das Konzept des literarischen Eigentums vereint das Zusammenspiel von gesellschaftlicher Anerkennung und Besitzverhältnissen, welches Genet bereits in seiner frühen Kritik unter den Schlagwörtern des Geldes und des Namens resümiert hat. Malgorn kontextualisiert diesen auch bei ihm abgedruckten Brief im Zusammenhang zweier Theaterinszenierungen und stellt ihm einen Brief an den mit Genet befreundeten Regisseur Antoine Bourseiller voran:

Victor Garcia vient me voir. Afin de lui faciliter les moyens d’obtenir de l’argent pour jouer Le Balcon à Paris, il me demande, et je lui donne mon accord, selon les règles que nous récusons, je le fais et ce n’est qu’un tour de passe-passe, et je vous préviens, parce qu’autour de vous, tout va tenter de maintenir la fiction d’une pseudo propriété artistique ou théâtrale, protégée par le nom de l’auteur, par la signature de l’auteur. Il est donc possible que je galvaude encore cette signature de ‚l’œuvre‘. Pour vous, pour Garcia et pour moi, la seule réalité de nos rapports est là, dans ce texte que j’ai signé avec vous et votre troupe le 19 février 1969.18

Der Brief an die Société des auteurs steht folglich im Kontext der Inszenierung des Stückes Le Balcon durch Antoine Bourseiller in Marseille 1969 und stellt den Begriff des literarischen Eigentums in Frage, welches in der Signatur und nominalen Zuschreibung eines Werks zum Ausdruck kommt. Unklar bleibt jedoch, warum Genets und Bourseillers Text sich an die Société des auteurs richtet. Genets kritisches Verhältnis zu dieser Gesellschaft manifestiert sich in seinem ironischen Kommentar zur Besetzung der Vorgängerinstitution durch einige bekannte Autoren: „[À] quoi bon occuper un cimetière? À moins de remplacer de vieux morts par de jeunes morts.“19 Wie Christian Charrière in ebenso scharfzüngigem Tonfall berichtet, besetzen unter anderem Michel Butor und Nathalie Sarraute das Hôtel Massa, „réalisant enfin le vieux rêve des intellectuels de marier l’action et la pensée […] pour manifester leur solidarité avec les étudiants et les ouvriers.“20 Ziel dieser neu gegründeten Autorengemeinschaft sollte die Verbindung der Literatur mit den als revolutionärer Prozess wahrgenommenen Bewegungen sein. So zitiert Charrière das Credo der Société des auteurs: „Ouverte à tous ceux qui considèrent la littérature comme une pratique indissociable du procès révolutionnaire actuel [c]ette Union sera un centre permanent de contestation de l’ordre littéraire établi.“21

In seinem Brief problematisiert Genet die von ihm als feudales System beschriebene Beziehung zwischen dem Autor und seinem Werk, welche auf der Unterschrift bzw. dem Namen des Autors basiert und dessen Substitution er anstrebt: „C’est par une voie plus subtile que celle qui s’établit à partir d’une prétendue propriété littéraire – ou dramatique, ou artistique – que nous allons essayer d’instaurer entre un très aléatoire auteur et notre troupe, un accord différent.“22 Die Tyrannei des Namens scheint für Genet aus einer semiotischen Geschlossenheit des Eigennamens zu resultieren, den er metaphorisch als „une sorte de repaire, un silo à grain, un sanctuaire chinois, où personne d’autre que le signataire ne pourrait tirer avantages“23 charakterisiert. Die von Genet als gefährlich geschilderte, sich proportional zum Erfolg verhaltende ‚Aufladung‘ des Eigennamens wird in diesem Text in Bezug auf das Konzept des literarischen Eigentums bewertet, das er als unzeitgemäß beschreibt: „De plus en plus, elle [la propriété littéraire, S.I.] se rattache à un nom (le nom de l’auteur) alors que le nom recouvre de moins en moins une œuvre originale, si l’on accepte qu’‚un esprit de l’époque‘ soit à l’origine de toute œuvre originale.“24 Denn obwohl die Vorstellung eines gemeinsamen Geistes der Epoche die Originalität von Individualwerken grundsätzlich widerlege, würden einzelne Werke stärker denn je mit Autorennamen in Verbindung gebracht. Genets Kritik kann unter diesem Gesichtspunkt in Bezug zu Barthes’ in dessen gleichnamigem Artikel beschriebenem Postulat der „mort de l’auteur“25 gesetzt werden, in dem er die durch die kapitalistische Ideologie fundierte tyrannische Zentrierung der Literatur um den Autor kritisiert. Ähnlich wie auch Barthes, für den im Tod des Autors die Geburt des Lesers liegt,26 kritisiert Genet, dass der mandarinale Respekt vor dem Eigennamen des Schriftstellers die Qualitäten und Mängel seines Werks für den Leser verberge. Stattdessen plädiert Genet für die künstlerische Anonymität, welche die Sensibilität des Publikums schärfe:

[Q]u’en face d’accords nouveaux, et d’une œuvre non signée, le public y gagnera en sensibilité, nous le savons bien, nous […] qui avons visité des musées Chinois et Japonais et qui après les plus beaux tableaux nous avons cherché la signature et n’avons découvert que cette mention „anonyme“ du XVIᵉ siècle, et que notre émotion en était augmentée.27

Genets Vision einer neuen (literarischen) Übereinkunft, die nicht mehr auf der Autorität des Unterzeichnenden beruht, sondern auf einer Steigerung der Bedeutung des Betrachters, muss als Synthese seiner im Mai ’68 einsetzenden Reflexion über die oppressive Macht des Namens und des Prestiges verstanden werden und weist, wie gezeigt werden soll, Analogien zu Foucaults Vorstellung des Autors auf. Das Gebot der Anonymität versteht Genet als Grundlage jener neuen Beziehung, die er im ersten Satz des Briefes als „accord différent“ zwischen jenem „très aléatoire auteur et notre troupe“28 ankündigt. Die Konzepte der Anonymität und der Zufälligkeit, die hier von Genet als Substitute der Individualität und Authentizität des Autors postuliert werden, lassen einen bewussten Pakt zwischen Autor und Leser gar nicht erst zu, wobei die Vorstellung eines Paktes sich grundsätzlich Genets ästhetischen und moralischen Grundsätzen widersetzt, wie der nur in Malgorns Transkription erscheinende, abschließende Satz untermauert:

Tous les accords que j’ai pu signer jusqu’à aujourd’hui doivent être considérés comme nuls et non avenus: en accordant sa propre liberté à ce que j’ai pu écrire (pièces de théâtre), je reprends ma liberté à l’égard d’une société dont je dénoncerai tous les pactes.29

In seiner Essenz behandelt der Brief weniger kunstästhetische Aspekte als die Funktion und Bedeutung des Autors und seines Namens. Diese Thematik steht auch im Zentrum von Foucaults Text „Qu’est-ce qu’un auteur?“ von 1969, in dem die Indifferenz gegenüber der Identität des Autors als ethisches Prinzip behandelt wird.30 Foucault diskutiert die Teilaspekte des Namens („le nom d’auteur“), der Aneignung des Werks durch den Autor („le rapport d’appropriation“), der Zuweisung des Gesagten zu einem Werk („le rapport d’attribution“) und der Position des Autors in einem Diskurstyp oder einem diskursiven Feld („la position de l’auteur“).31 Hinsichtlich des Namens konstatiert Foucault, dass er weder eine reine Bedeutung habe noch das Äquivalent einer Beschreibung sei, sondern „entre ces deux pôles de la description et de la désignation“32 zu situieren sei, wobei sich jedoch der Autorenname vom Eigennamen durch seinen besonderen Status unterscheide. Über den Status der Autorität hinaus, kommt dem Autorennamen innerhalb eines Diskurses eine ordnende Funktion zu, insofern er nämlich die Gruppierung, Eingrenzung und Gegenüberstellung von Texten erlaubt. Der Name des Autors charakterisiert einen bestimmten Diskurstyp und fundiert die Bedeutung dieses Diskurses innerhalb der Gesellschaft, der ihn von jenem alltäglichen, flüchtigen und konsumierbaren Diskurs differenziert. Diesen Zusammenhang wird Foucault ein Jahr später in L’ordre du discours im Kontext der die Ereignishaftigkeit und Zufälligkeit des Diskurses bändigenden internen Prozeduren weiter ausführen, wonach der Autor als Prinzip der Gruppierung von Diskursen verstanden und als solches abgelehnt wird.33 Eng mit der Bedeutung des Eigennamens verknüpft ist auch für Foucault die Frage nach dem literarischen Eigentum bzw. der Verflechtung von Autor und Werk, welches sich in Foucaults Verständnis als Paradigma einer sich im 17. und 18. Jahrhundert abzeichnenden Wende des Literaturverständnisses herauskristallisiert.34 Während zuvor der Autorenname eine geringere Rolle für die Rezeption bestimmter Texte spielte, avancierte die literarische Anonymität dann zu einem nicht länger akzeptierbaren Faktum. Das Verständnis des Namens als Marker der Individualität und Identität charakterisiert über das Verhältnis des Autors zu seinem als Einheit konzipierten Werk hinaus den literarischen Diskurs und dessen Bedeutung. Die von Foucault aus diskurshistorischer Perspektive beschriebene Autoren-Funktion gleicht aufgrund der historischen Transformationsprozesse keinem Fixum, sondern räumt der Anonymität, jenem „anonymat du murmure“35, stets eine Möglichkeitsexistenz ein. Foucault diagnostiziert vielmehr – ähnlich wie auch Barthes – einen mit Mallarmé einsetzenden Prozess des Verschwindens jener durch die Autoreninstanz gesicherten Charakteristika, nämlich der Individualisierung des schreibenden Subjektes, wodurch ein neues ethisches Prinzip in der Literatur hervortrete.

Während Foucault die Entwicklung der Funktion des Autors und des literarischen Eigentums diskursanalytisch determiniert, tritt in Genets Stellungnahme stärker die Charakteristik der Forderung nach der Auflösung der Autoreninstanz in Hinblick auf seine persönliche Stellung in der Öffentlichkeit in den Vordergrund. Der Autorenname hat eine autoritäre Funktion und indiziert die Bedeutung des Werks für die Gesellschaft vermittels seiner beschreibenden Charakteristik, so Foucault:

Quand on dit ‚Aristote‘, on emploie un mot qui est l’équivalent d’une description ou d’une série de descriptions définies, du genre de: ‚l’auteur des Analytiques‘, ou: ‚le fondateur de l’ontologie‘, etc. Mais on ne peut pas s’en tenir là; un nom propre n’a pas purement et simplement une signification; quand on découvre que Rimbaud n’a pas écrit La Chasse spirituelle, on ne peut pas prétendre que ce nom propre ou ce nom d’auteur ait changé de sens.36

Der Name als Äquivalent einer Zuschreibung einschlägiger, aus dem Leben oder dem literarischen Werk des Autors geschöpfter Merkmale, birgt die Gefahr der Deformation in sich und gleicht zudem für Genet einem die künstlerische Bedeutung einschränkenden Qualitätssiegel. Im Vordergrund seiner Reflexionen steht der Verzicht auf die dem Namen des Autors eingeschriebene Autorität, welcher er durch die Distanzierung von seinem literarischen Werk Rechnung trägt.

Die Autorität resultiert stets aus einer gesellschaftlich erworbenen Anerkennung, welche auch zu jenen Grundmerkmalen gehört, die eine intellektuelle Intervention ermöglichen. Problematisch erscheint daher die Ablehnung der durch den Namen gesicherten Autorität in Hinblick auf Genets Eintreten in das intellektuelle Feld und seine öffentliche Funktion als Sprachrohr bestimmter revolutionärer Gruppierungen wie beispielsweise der Black Panthers oder der palästinensischen Freiheitsbewegung. Denn sein Einsatz in der Öffentlichkeit lässt die Möglichkeit eines Verzichtes auf den Gebrauch der eigenen Reputation fraglich erscheinen. Sein Misstrauen gegenüber der medialen Öffentlichkeit und ihrer Prozesse der Instrumentalisierung zeichnet sich somit bereits in seinen frühesten politischen Stellungnahmen ab. Tatsächlich repräsentiert auch Genets erster politischer Artikel jenen medienkritischen Standpunkt, wobei die Kritik an den Deformationsmechanismen der Öffentlichkeit in diesem Text nicht autoreferentiell, sondern in Hinblick auf Daniel Cohn-Bendits medial konstruiertes Image geäußert wird.37 Durch die Einschreibung des eigenen Namens in den medialen Diskurs wird der Name mit Bedeutung und Autorität aufgeladen, wodurch es zu seiner Verselbständigung und Deformation kommt, ein Prozess, der an Barthes’ Konzept des Mythos erinnert.38 In einem unveröffentlichten Text von 1976 mit dem programmatischen Titel „J’ai peur de mon nom“ zeigt sich, dass diese Thematik der medialen Defiguration auch weiterhin von Genet reflektiert wird.39 Die sich in Genets Kritik an der Einschreibung des Eigennamens in den medialen Diskurs abzeichnende Reflexion über die eigene Position in der Öffentlichkeit kann grundsätzlich als für das intellektuelle Feld der 1960er und 1970er Jahre symptomatisch eingestuft werden, in dem die Intellektuellen aufgrund der sozialen Umwälzungen zu einem kritischen Überdenken ihrer eigenen Autorität und Funktion in der medialen Öffentlichkeit sowie ihres Verhältnisses zu den revolutionären Gruppierungen veranlasst wurden.

Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext

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