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0 Einleitung

„J.G. cherche, ou recherche, ou voudrait découvrir, ne le jamais découvrir, le délicieux ennemi très désarmé, dont l’équilibre est instable, le profil incertain, la face inadmissible, […] je cherche l’ennemi déclaré.“1 Mit diesen Worten, die nicht nur in den sechsten und letzten Band seiner Werke, die politischen Reden und Texte, einleiten, sondern diesem auch seinen Titel geben, lässt sich Jean Genets Einsatz im politischen Zeitgeschehen metaphorisch als eine auf der politischen Bühne der Öffentlichkeit vorgenommene Suche nach dem erklärten Feind umschreiben. Ausgehend von den Ereignissen im Mai 1968 unterstützt er insbesondere die Black Panther Party in den USA und den palästinensischen Befreiungskampf, aber auch die Immigranten in Frankreich und die Rote Armee Fraktion. Er schreibt über den Vietnamkrieg und die Friedensdemonstrationen in den USA, die Willkür des französischen und amerikanischen Justizsystems und entwirft eine Kampagne gegen die Wahl von Giscard d’Estaing 1974. Seine Haltung der Konfrontation charakterisiert die gesamten zwischen 1968 und 1983 entstandenen politischen Schriften und Interventionen, die sich im Kontext eines historisch determinierten revolutionären Diskurses situieren lassen. Faszinierend und umstritten zugleich, formen sie das Substrat, auf dessen Basis sich sein ambivalentes politisches Profil nachzeichnen lässt. Gekennzeichnet durch seine Ablehnung jedweder seine schriftstellerische und gesellschaftskritische Haltung subsumierender Kategorien, lässt sich seine Sichtweise vor allem ex negativo bestimmen: nicht Intellektueller, sondern Poet, nicht Revolutionär, sondern Vagabund oder Reisender, nicht Beobachter der Gesellschaft, sondern ihr Kontrahent.

In dieser durch Abgrenzung bestimmten Selbstdefinition ist die vergleichende Grundstruktur der vorliegenden Untersuchung begründet. So kristallisiert sich Jean Genets öffentliche Position in bestimmten Personenkonstellationen besonders deutlich heraus. Seine politischen Aktivitäten in Frankreich lassen sich nicht ohne eine Kontrastierung mit Jean-Paul Sartre und Michel Foucault fassen, die dem intellektuellen Feld der sechziger und siebziger Jahre durch unterschiedliche Handlungsentwürfe seine Prägung geben. In den USA ist sein öffentliches Bild eng an die Autoren der Beat Generation gebunden, die als Bezugsgrößen im gegenkulturellen Feld agieren. Jean Genets politische Stellungnahmen sollen folglich als Elemente bestimmter Aussagensysteme und Korrelationsräume mit jeweils spezifischen diskursiven Gegenständen, Konzepten und Argumentationsmustern beleuchtet werden. Am Beispiel seiner zwischen 1968 und 1986 entstandenen Texte lässt sich auch ein Wandel des so ermittelten Diskurses nachzeichnen, der durch die Öffnung und den Verschluss des Möglichkeitshorizontes einer umfassenden gesellschaftlichen Veränderung bestimmt wird. Insbesondere in seinem letzten literarischen Werk Un captif amoureux von 1986 zieht Jean Genet eine Bilanz seines gesellschaftspolitischen Handelns, zu einem Zeitpunkt, als er die revolutionären Bewegungen in ihrer Endlichkeit erfasst. Mit der letzten Seite von Un captif amoureux, das kurz nach dem Tod seines Autors erscheint, schließt sich symbolisch auch ein Kapitel der Zeitgeschichte, deren Entwicklungen jedoch auf die Gegenwart ausstrahlen.

Es zeugt von Genets politischer Weitsicht, dass weiterhin jene Konfliktherde, auf die er in besonderem Maße sein Augenmerk richtete, ihren Platz in den aktuellen Schlagzeilen finden. Dazu zählen nicht nur der Nahostkonflikt, sondern auch die jüngst wieder aufkeimenden Rassenunruhen in den USA. „Amerika diskutiert wieder über Rassismus“2 – mit diesen Worten leitet beispielsweise der Historiker Manfred Berg in seinen Beitrag über die Proteste gegen die Polizeigewalt in Ferguson und Baltimore ein,3 in dem er einen direkten Vergleich mit den Unruhen in den sechziger Jahren anstellt.4 Man würde der politischen Schlagkraft von Genets Texten jedoch nicht gerecht, wenn man sich ihnen allein mit rationalen Erklärungsmodellen, wie etwa dem Bemessungskriterium der Weitsicht, des Scharfsinns, der Richtigkeit oder auch der Falschheit, nähern wollte. Denn was seine Haltung vor allem charakterisiert, ist die Radikalität seiner Position, welche auf dem Verständnis einer poetischen Negation basiert und in seinen Augen überhaupt erst eine neue Sichtweise eröffnen kann. Diese soll in der vorliegenden Arbeit mit dem methodischen Ansatz einer Verschränkung der Diskursanalyse nach Foucault und der Feldtheorie nach Bourdieu ergründet werden.

Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext

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