Читать книгу ich - Sarah Michaela Orlovský - Страница 13

Streifentest

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Eigentlich würde ich das alles ja lieber mit Papa bereden. So wie immer. Ja, ich gestehe, ich bin ein Papa-Mädchen. Nein, das ist völlig in Ordnung. Ja, auch wenn man schon 15 ist. Wir passen einfach gut zusammen. Das hat absolut NICHTS mit dem Ödipus-Komplex zu tun. Außerdem hatte Ödipus was mit seiner MUTTER. Also: Komplett andere Baustelle.

Tut aber ohnehin nichts zur Sache. Dieses Mal steht Papa nicht zur Verfügung. Er hat die Seiten gewechselt. Er ist vom gegnerischen Team gekauft worden. Er ist ins feindliche Lager übergelaufen.

#i’m.on.my.own

Bis heute Abend war alles noch normal.

Na ja, „normal“ ist natürlich sehr relativ bei uns. Heute war wieder ein Tag #14. Wir leben im Zwei-Wochen-Rhythmus. Zwei Wochen ist Papa da und wir sind eine Familie, tutti paletti, Friede, Freude, Gugelhupf. Dann ist Papa zwei Wochen im Dienst, fliegt von Flughafen zu Flughafen, von Stadt zu Stadt, von Hotel zu Hotel. Zurück bleiben: Mama und Nono. Das Chaos-Duo. The Terrible Two. Wir fühlen uns beide einsam. Gleichzeitig stehen wir einander im Weg, treten uns gegenseitig auf die Zehen, gehen einander auf die Nerven, während die Zeit dahinschleicht. Wir zählen die Tage. Eeeeeeins. Zweeeeei. Dreeeei. Viiiiiiier. … Alle Tage sind gleich lang. Nur so unglaublich unterschiedlich breit. Am breitesten aber ist Tag #14. Das sind die schlimmsten im Zwei-Wochen-Rhythmus. Zuerst ist Mama der Putzfimmel in Person. Sie saugt und schrubbt und wischt und wäscht und ich würde ja in Selbstmitleid versinken, weil es keinen Fleck mehr gibt im Haus, wo man nicht im Weg ist – aber der Staubsauger ist eindeutig ärmer dran als ich. Also kein Selbstmitleid. Staubsaugermitleid.

So ist das immer, bevor Papa heimkommt. Heute hat sich Mama aber echt selbst übertroffen. Man stelle sich vor: Sie hat die blitzeblank geschrubbte Küche NOCH EINMAL geputzt. (Rätsel der Kategorie „Suchen Sie die 10 Unterschiede“. Auflösung: April, April, Sie werden keine finden.)

Da hätte ich schon misstrauisch sein sollen. Aber dazu hatte ich keine Zeit. Ich war vollauf damit beschäftigt, mich vor Tag #14, Teil 2 zu fürchten. Auf jeden Putzwahnsinn folgt das Kuschelkommando, wie das Amen im Gebet, wie der Durchfall auf das All-you-can-eat-Buffet beim Chinesen. Da hängt Mama dann ganz kaputt im Sofa, in Gedanken schon bei Papa, der wahrscheinlich schon gelandet ist, der vielleicht schon im Auto sitzt, dem es doch hoffentlich gut geht („Warum schreibt er denn nicht?“), den sie am liebsten schon knutschen würde. Nur dass er noch nicht da ist. Also muss ich herhalten.

„Nono? Komm her. Setz dich zu mir.“

Und da haben wir es schon.

Als Kind habe ich mir oft nichts mehr gewünscht, als bei Mama am Sofa sitzen zu dürfen und ihre Hand warm auf meinem Rücken zu spüren. Darum kann man natürlich nicht bitten. Das muss über einen kommen wie das braune Weich aus dem Schokobrunnen. So etwas ist ein Gefühlsgeschenk, Miteinandermagie, Zweierzauber, ein Winzigwunder, jedes einzelne Mal.

Aber bei Tag #14, Teil 2 geht es nicht um Wunder.

Da bin ich nur Platzhalter.

Ganz ehrlich: Lieber sitze ich allein im Keller und starre die Decke an.

Keine von uns würde es zugeben. Aber in dem Moment, in dem Papa zur Tür hereinkommt, nachdem wir ihm zugesehen haben, wie er aus dem Auto steigt, wie er seinen Rollkoffer aus dem Kofferraum hebt, nachdem wir zur Haustür gegangen sind, betont langsam, das Willkommen-daheim-Lächeln auf dem Gesicht ausgebreitet, in dem Moment, wo Papa also endlich da ist, aber noch bevor er die Schuhe aufgemacht hat – in diesem Moment geht es nur um eines: Wen von uns beiden er zuerst umarmt.

Heute bin ich erst aus dem Keller gekommen, als ich schon das Brummen der Kaffeemaschine gehört habe. Wer so verzweifelt ist, dass er zwei Mal putzen muss, der hat’s wohl bitter nötig. Und ich bin kein Unmensch.

Beim Abendessen hat Papa von seinem Flug erzählt. Von diesem spanischen Minister, der so große Flugangst hat, dass er drei doppelte Schnäpse kippen muss, bevor Papa überhaupt den Motor anlassen darf. Mama und ich haben zugehört, gelacht, Fragen gestellt. Kommunikation Mama-Papa, Nono-Papa. Schweigen Mama-Nono. Alles wie immer. Alles in bester Ordnung. Doch dann kommt die Rede auf diese Flugbegleiterin in Papas Team, die Nette, mit dem Wuschelkopf.

„Im September kommt sie zurück“, erzählt Papa. „Da geht ihr Mann in Karenz.“

„Ein Jahr vergeht so schnell“, meint Mama.

Und plötzlich schauen sie sich ganz komisch an. Und Papa nimmt Mamas Hand. Und Mama nickt. Und dann lassen sie die Bombe platzen:

„Nono“, sagt Papa. „Du bekommst ein Geschwisterchen.“

Ich hab zuerst nicht kapiert, was er meint. Ja, ich weiß, die Wörter an sich sind jetzt nicht so kompliziert, aber – HÄ?!

Mama, ganz säuselig: „Ich bin schwanger.“

Und dann steht sie tatsächlich auf, geht ins Badezimmer und kommt mit diesem Ding zurück, das aussieht wie eine Füllfeder oder ein Skalpell. Nur dass es natürlich kein Skalpell ist. Es ist ein SCHWANGERSCHAFTSTEST. So einer, auf den man PINKELN muss. Und sie legt ihn auf den ESSTISCH, damit ich die zwei STREIFEN sehen kann!!! WIE GRAUSIG KANN MAN SEIN? HALLO?????!!!!! So etwas gehört in den MÜLL!!!!!

Sie ist im VIERTEN Monat.

Trommelwirbel,

Rosenregen,

Schnurrbartzwirbel,

Kindersegen.

Noch einmal für den Taschenrechner: vierter Monat.

Das heißt, sie wissen es schon drei Monate lang. Na ja, mindestens zwei. Und NIEMAND hat mir etwas gesagt. KEIN WORT. Sie wollten „auf Nummer sicher gehen“.

Damit ich „nicht enttäuscht bin“, falls es „doch nichts wird“.

Noch mal: HÄ?!

Es wundert mich ja nicht, dass Mama nichts gesagt hat. Aber Papa war in dieser Zeit schon mindestens zwei Mal zu Hause. Jedes Mal für zwei ganze Woche. Und er hat nicht ein Mal den Mund aufgekriegt. Nicht ein einziges Mal!

Dafür redet er jetzt plötzlich wie ein Wasserfall. Dass sie sich so freuen. Dass das so schön ist, „wieder was Kleines daheim zu haben“. Dass ich mich sicher auch freue. Dass er so froh ist, dass ich schon so „groß und vernünftig“ bin, dass ich Mama unterstützen kann, wenn er nicht da ist … Ich war kurz davor, Verli anzurufen, in Amerika, koste es, was es wolle. Aber dann würde sich Verli Zeit nehmen und das Thema mit mir durchdiskutieren und sich ständig melden, wie es mir geht … das lasse ich schön bleiben. So viel Platz kriegt Mamas Bauch nicht in meinem Leben. Verli gehört mir. Ich brauche eine Insel. #for.me.only. Und Verli wird es noch früh genug erfahren.

Immerhin kriegen meine Eltern ein Ersatz-Kind. Ein liebes, süßes, kleines Gugugaga-Baby. Und ich bin draußen.


ich

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