Читать книгу ich - Sarah Michaela Orlovský - Страница 23

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Möglichkeiten

Vor den Ferien hatten wir Projekttage. Das sind drei Tage, in denen die Schüler und die Lehrer innerlich schon Ferien haben, aber äußerlich noch so tun müssen, als hätte es irgendeinen Sinn, nach Notenschluss in der Schule zu sitzen. Unser Projekt hieß „Blick in die Zukunft“. Jarik hat sich erst noch recht gefreut, weil er dachte, da kommt eine Frau mit Hakennase und Kristallkugel und er schaut sich alles ab von der und liest dann als Ferialjob den Leuten am See den Wetterbericht aus der Hand. Das war natürlich Blödsinn.

Das richtige Projekt war aber auch Blödsinn: Wir mussten so einen Fragebogen ausfüllen und eine Zeichnung machen von uns in zehn Jahren und währenddessen hat der Projekt-Heini die Fragebögen ausgewertet und am Ende hat dann jeder von uns eine Liste mit drei Berufen gekriegt, die zu ihm passen.

Nonos Zukunft

1) Zuckerbäckerin

2) Grafikerin

3) Lehrerin

HÄ?

Nummer eins ist grober Unfug, weil ich sicher nicht mitten in der Nacht aufstehe, um Hochzeitstorten-Bausätze aus Tortenböden, Zuckerguss und Marzipanmännchen zusammenzubasteln. Nur weil ein 08/15-nervtöt-Fragebogen ergibt, dass ich nachtaktiv und kreativ bin.

Nummer drei ist unverantwortlich. Einerseits fällt mir kein Unterrichtsfach ein, das mich genug interessiert, um es mein ganzes Leben lang gelangweilten Gesichtern zu predigen, und andererseits würde ich mir die Kugel geben, wenn ich meine Pausen mit all den Langweilern im Konferenzzimmer verbringen müsste. SICHER NICHT!

Und Grafikerin? Mama war ganz begeistert, dass das auf meiner Liste steht. Wo ich doch zum Geburtstag so teure Graphitstifte und Pastellkreiden, wasserverschmierbar, und einen knetbaren Radiergummi und einen riesigen Skizzenblock bekommen habe, die dann ja nicht umsonst gewesen wären, sondern quasi eine Investition in meine Zukunft. HALLO? UMSONST? Ich TRÄUME doch ständig damit!

Nur

sicher

nicht

beruflich.


Wirklichkeiten

Mama kapiert das nicht mit meinen Zeichnungen. Ich will kein Geld verdienen und keinen Wettbewerb gewinnen und ich will sicher keine Ausstellung mit meinen Bildern. Für mich ist Zeichnen keine Arbeit und es ist nicht Kunst.

Zeichnen ist, etwas WIRKLICHKEIT werden zu lassen. Mit jedem Scribble gebe ich einem Gedanken die Chance, real zu werden.

Das ist nicht so einfach mit den Wirklichkeiten. Sprache formt die Realität, sagt Papa. Wer immer nur negativ redet, wird im Alltag auch mehr Negatives erleben. Und mit Gedanken funktioniert das genauso. Schließlich war jedes Wort irgendwann einmal ein Gedanke – zumindest die Wörter, die nicht so schnell aus dem Mund geschossen kommen, dass sie einen selbst überraschen. Wenn ich meine Wirklichkeit aber schon selbst gestalten kann und wenn ich dann in dieser Wirklichkeit auch leben muss, dann muss ich vorsichtig damit sein.

In meinem Kopf schaut das nämlich so aus:

Da sind so unglaublich viele Gedanken, die

ALLE

STÄNDIG

WILD

durcheinanderwirbeln.

Es gäbe mindestens fünf Parallelwirklichkeiten, wenn alle diese Gedanken meine Welt gestalten würden. Das heißt, ich muss auswählen. Und das ist echt schwer.

Welche Version soll real werden? Really really real? Was, wenn ich mich falsch entscheide?

Aber ich bin ja nicht blöd. (Niemand, der laut Fragebogen das Zeug zum Lehrer hat, ist blöd. Was würde denn das bitte für unser Schulsystem bedeuten.) Ich sortiere die Gedanken im Kopf, wenn sie kurz stillhalten. Und dann hilft es, wenn ich die Gedanken auf den vorderen Plätzen zuerst einmal auf dem Papier Wirklichkeit werden lasse. Ich materialisiere meine Gedanken quasi. Ich erschaffe eine Art Vor-Welt. Um zu sehen, wie sie mir so tut. Ob sie das Zeug hat, Wirklichkeit zu werden. Ob sie es wert ist.

Genau das ist es wohl, dieses Heft hier, meine Gedanken und Notizen, Nonos gesammelte Werke, auf meiner externen Festplatte: Eine Vorwirklichkeit. Eine mögliche Spielart meiner Zukunft. Eine Chance, es doch noch anders machen zu können, bevor es zu spät ist.

ich

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