Читать книгу ich - Sarah Michaela Orlovský - Страница 21

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Badeunfall

Ich muss den letzten Teil meines Staycation-Programms so richtig auskosten, Moment für Moment, so wie man den letzten Urlaubstag genießt, in dem Wissen, dass das nächste Mal Salz-auf-der-Haut mindestens elf Monate in der Zukunft liegt. (Außer man ist in der OBERstufe und fährt zur Meeresbiologischen Woche und nach Irland und … YEAH!)

Aber erst mal: Staycation auf meiner rauchfreien Handtuch-Insel inmitten der verrauchten Senioren-Massen am menschenüberschwemmten Baggersee. Endlich ein richtiger Sommertag mit flirrender Luft und flirtenden Bikinibräuten und flimmerndem Asphalt am Parkplatz. Musik im Ohr, Sonnenbrille auf den Augen, Buch auf dem Bauch. Ich kenne niemanden hier auf dem Alte-Leute-Badeplatz. Ein ganz neues Gefühl also, inmitten all der Leute, die einander zuwinken und sich Grüße zurufen, sobald jemand Neues dazukommt, der zielbewusst die zwei Quadratmeter unter dem einen Baum ansteuert, unter dem er wahrscheinlich schon liegt, seit der Zweite Weltkrieg aus ist.

Es ist fast ein bisschen gruselig hier. Ehepaare mit der exakt gleichen Oberweite. Männer, die einen Umhang aus geblümtem Stoff überziehen, um die nasse Badehose gegen eine trockene auszutauschen. Frauen, die offensichtlich Tag für Tag auf der Sonnenliege dahinbrutzeln. Obwohl dieses Jahr beileibe nicht der Jahrhundert-Badesommer ist, den sich alle erhofft haben, sind sie schon herbstbraun bis hellschwarz. Die weißbleiche Winterhaut aber flüchtet sich in jede einzelne Falte am Bauch und unter dem Busen und in den Kniekehlen und in den vielen Schichten der ausladenden Hinterteile (#zebrastreifenzuchtverband). Die Sonnenbrille ist kein Sonnenschutz, sondern ein Sichtschutz, damit das arme Gehirn nicht alles mitkriegt. Da kann man dann sicher drei Wochen lang nicht mehr schlafen, wenn das Gehirn das alles verarbeiten muss …

Ich habe mir umsonst Sorgen gemacht. Offensichtlich hat mein Körper einen Schutzmechanismus eingebaut: Ich dämmere einfach weg, bevor mein System überlastet wird. Da kreischt ein Folgetonhorn und plötzlich ist hier die Hölle los. Ein Rettungswagen kommt, ein Notarztwagen, die Feuerwehr, gleich dahinter noch ein Feuerwehrauto. Unter dem Baum am anderen Ufer bleiben alle stehen. Mir ist heiß und ein Sprung ins kühle Wasser wäre gut, aber da parkt noch ein Feuerwehrauto direkt hinter mir. Ins Wasser trau ich mich jetzt definitiv nicht mehr. Ich meine – was macht die Feuerwehr hier? Ist das Wasser verseucht?

Hinter mir geht die Fahrertür auf und ein Feuerwehrmann steigt aus, Funkgerät in der Hand, den behelmten Kopf in alle Richtungen drehend. Ich weiß, egal was es ist, ich sollte mich sicherer fühlen, jetzt, wo alle Einsatzkräfte da sind, die unsere Ministadt zu bieten hat. Aber der Typ hinter mir macht mich ganz nervös. Was sucht er denn? Was in aller Welt ist passiert?

Wie bei einer Choreo im Musical oder in einem Hip-Hop-Video oder wie bei so einem Flashmob-Heiratsantrag zu Bruno Mars’ „Marry Me“ teilen sich die Leute plötzlich in drei Gruppen: Manche haben es auf einmal furchtbar eilig. Sie rollen sich von ihren Sonnenliegen, wuchten ihre geschwollenen Füße in ihre Badeschlapfen und watscheln zum Ort des Geschehens. Ein ganzer Strom von Schwimmbegeisterten schwärmt aus, springt an unterschiedlichen Stellen ins Wasser – um dann doch gesammelt ans andere Ufer zu schwimmen, ins Zentrum des Geschehens. Die dritte Gruppe bleibt. Niemand lümmelt mehr auf seiner Sonnenliege herum. Alle haben brav die Füße ins Gras gestellt und sitzen da wie die Erstklässler vor der Stundenwiederholung.

Schließlich kommt auch in diese Gruppe rund um mich unvermutet Leben. Ein Mann steht auf, geht zu dem Funkgerät-Feuerwehrmann hinter uns, unterhält sich mit ihm. Kommt zurück. Erzählt seiner Frau, was er in Erfahrung gebracht hat. Zwei andere kommen, fragen nach. Langsam macht die Kunde die Runde: Da ist jemand im Wasser. Untergegangen. Noch nicht gefunden. Ein Krampf vielleicht, ein Junger wahrscheinlich, ein Unfall, ein tragischer. Jaja, der Kreislauf. Bei der Hitze, noch dazu wenn sie so plötzlich daherkommt wie in diesem Sommer – da braucht es kein altes Herz für einen Infarkt. Das kann jedem passieren. Selbst einem Spitzensportler.

Ich bekomme eine Gänsehaut. Da, in dem Wasser, das zwei Meter vor mir leise gegen die Holzbalken am Ufer schwappt, schwimmt, taucht, treibt ein Mensch. Kämpft ums Überleben. Oder, noch wahrscheinlicher: Er ist schon bewusstlos. Alle ANDEREN kämpfen um sein Überleben.

Und ich? Ich sitze da und werde eins mit dem Badetuch. Die Sonnenbrille beult aus und wächst und bedeckt mich schließlich ganz.

Es dauert über vierzig Minuten. Dann fahren die Rettungswägen und die Polizei und der Funk-Feuerwehrmann weg. Die Feuerwehr am anderen Ufer bleibt noch. Mir rinnen die Schweißperlen in dünnen Bahnen die Wirbelsäule entlang. Aber ich gehe nicht mehr ins Wasser. Ich dusche mich am Ufer ab, ziehe mir mein Kleid über und radle nach Hause.

In den Nachrichten sagen sie, sie konnten den jungen Mann im Krankenhaus noch einige Stunden am Leben erhalten. Aber nur, weil wir so tolle Ärzte haben. Er hatte nicht den Funken einer Chance. 16 Minuten unter Wasser, in acht Metern Tiefe – das war einfach zu viel.

Wir halten fest: Es gibt zwei Kategorien von Leuten – die Hinschauer und die Nachfrager. ICH gehöre NIRGENDS dazu. (Wieder einmal.) Natürlich gehe ich nicht nachschauen, ob unauffällig oder offensichtlich, weil ich ganz sicher keine Gafferin sein will. Ich traue mich aber auch nicht, einfach zu fragen, was passiert ist. Damit ja niemand auf die Idee kommt, dass ich möglicherweise eine Gafferin sein KÖNNTE.

Welche kranke Logik ist DAS denn?! Wenn’s nicht so tragisch wäre, würde ich glatt lachen.

Darf ich vorstellen: Nono. Weder Fisch noch Fleisch.

Krise

Jetzt mal ehrlich.

Wenn ich nicht weiß, wer ich bin,

wie soll ich denn dann dem Baby IRGENDETWAS über die Welt beibringen?

ICH MUSS DAS AUF DIE REIHE KRIEGEN!

Bitte, kann jemand eine Schublade für mich erfinden? Eine Kategorie? Ein Kapitel in einem pseudowissenschaftlichen Bestseller, das die Menschheit in vier verschiedene Persönlichkeitstypen einteilt? Ehrlich, das würde mir helfen. So als ersten Schritt …

NONOTIZ, von Nono an Nono:

Du hast (fast noch) 200 Seiten.

Also, Mädchen: Brauch, so lang du willst.

Aber wenn die 200 Seiten aus sind, weißt du, wer du bist.

Und jetzt hör auf zu heulen und fang an zu schreiben.

Hart aber herzlich,

Nono.

ich

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