Читать книгу ich - Sarah Michaela Orlovský - Страница 27

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Postkarte von Verli

Oh du meine LIIIIEBE! Das Cornetto heißt JOSH. Also Joshua. Aber seine Freunde nennen ihn Josh. Und seine Familie. Und Leute, die mit ihm GEKNUTSCHT haben, im MONDSCHEIN, am STRAND!!! Und nicht, dass du jetzt glaubst, ich hätte mich danach kopfüber vom Balkon hängen lassen müssen, um den Sand wieder aus den Sachen zu kriegen. Neeeeein. Gentleman Josh hat mir seinen Rettungsturm gezeigt. Aber da war nichts mehr zu retten. Rettungslos verliebt, deine Verli

Sonnenklar

Was sag ich denn? Das war soooo klar! Hauptsache, er ist Amerikaner. Wenn sie durch sind mit stundenlang Knutschen und sich ihre Zungen wieder hinter den eigenen Zahnreihen einpendeln, unterhalten sie sich ja vielleicht. Dann besteht noch Hoffnung für Verena Mahringer, 5. Klasse, Englisch. Es leben die Sprachferien!

Schwangerschaftshormone

Die möglichen Namen für mein mögliches Projekt schwirren mir im Kopf herum. #concentration. Mama schwirrt durchs Haus. Vielleicht ist sie gar nicht schwanger, sondern manisch-depressiv. Nach der Ich-liege-den-ganzen-Tag-auf-der-Couch-herum-und-dröhne-mich-mit-Liebesschnulzen-zu-Phase ist sie jetzt plötzlich in der Ich-bin-schwanger-und-alles-ist-so-wunderbar-dassich-ständig-sagen-muss-wie-wunderbar-alles-ist-Phase.

Ach, Nono, es ist so wunderbar, schwanger zu sein. Ach, Nono, es gibt nichts Schöneres, als schwanger zu sein. Ach, Nono, wenn du wüsstest …

Ach, Mama, was willst du von mir? Soll ich mir jemanden suchen, der mich schwängert? Am besten jetzt gleich, auf der Stelle? Vielleicht schaffen wir ein paar Monate gemeinsamer Schwangerschaft, dann können wir uns gegenseitig erzählen, wie wun-der-bar nicht alles ist. Aber weißt du was? Lieber nicht. Ich glaube nämlich, schwanger zu werden, bevor man von zu Hause ausgezogen ist, bevor man studiert hat, bevor man weiß, was man will im Leben, bevor man geheiratet hat, ich glaube, das ist gar nicht so wunderprächtig.

Sonst hättest du vielleicht EIN MAL in meinem Leben erwähnt, wie wunderbar es war, mit der kleinen NONO schwanger zu sein. Wie schön es war, mich neun Monate lang gut verpackt durch die Welt zu tragen. Zu spüren, wie ich in deinem Bauch strample und Purzelbäume schlage. DAVON hast du nie etwas erzählt.


Online-Kunst

Tagsüber sitzen Rettungsschwimmer in ihrem Turm. Allein. In gewissem Sinne hat der Job halt doch auch mit Verantwortung zu tun. Zumindest wenn man’s genau nimmt. Josh also im Turm. Verli in der Farbenpracht des fliederfarbenen Blümchentapetengästezimmers bei ihrer All-American-Surfing-USA-Gastfamilie, Nono in der heimeligen Abgeschiedenheit ihres It-get’s-me-high-to-be-down-there-Kellerzimmers, dazwischen die Vorzüge der Internettelefonie. Ein Hoch auf die Technik, sagt die Kunst, und ein Hoch auf die Rettungsschwimmer. Ich hab Verli jetzt doch vom Gugugagageschwisterkind erzählt. Sie ist hellauf begeistert. Und hat geschworen, das gefälligst für sich zu behalten. Wir haben Wichtigeres zu besprechen, denn jetzt wird geplant und zwar im großen Stil: „Foto mit rotem Stuhl“.

Ein Kunstprojekt, von Nono real initiiert, von Verli im Netz inszeniert.

Ein Projekt, das sich selbstständig macht. Das DADURCH erst zur Kunst wird, findet Verli auch.

Man muss es den Leuten nur noch begreiflich machen. Ihnen helfen, mit diesem ersten Schritt in Richtung Avantgarde. A-vantgarde. Schönes Wort. Der Schlachtruf der Musketiere, wenn mich nicht alles täuscht? (Keine Angst, das ist nur ein Witz. Ein sehr schlechter, zugegebenermaßen. Aber ich bin ja auch keine Kabarettistin. Ich bin Internetkünstlerin.)

Verli liebt Kunst. Sie würde die verrücktesten Dinge mitmachen, Häuser in Watte packen, tote Tiere fotografieren, das ganze Programm. Der rote Stuhl ist ein Klacks für sie. Ich schicke meine besten Stuhlfotos über den Ozean und wenig später poppen sie an allen möglichen Stellen im Netz auf. Verli postet sie auf ihrem Blog und auf Snapchat und auf Instagram. Sie kreiert einen eigenen Facebook-Account. Zackzack, alles keine Hexerei für sie. Ich sitze in der ersten Reihe fußfrei, in der VIP-Lounge, im Dozentenzimmer und spende Szenenapplaus.

Zwei Freundinnen auf edler Mission: Gemeinsam versuchen wir, die Kleinstädter kunstaffin zu machen. Da können die Musketiere einpacken.

2 Stunden später

Nur ZWEIIII Stunden später! Two! Due! Dve!

Der erste kunstaffinierte Kleinstädter: ein Kleinkind. Grad, dass es auf den Stuhl raufkommt. Auf den Schuhsohlen Initialen, in Permanent Marker-Blau. Quasi als Signatur. Oder als Message für die Welt. F. E. Für euch. ForEver. Ich sag’s ja immer. Beim Nachwuchs muss man ansetzen.

Family Guy

Papa ist da. Das ist gut. Das tut uns gut. Allen dreien. Endlich fühlt es sich hier zu Hause nach FAMILIE an (nicht nach „Big Sister is watching you: Die Östrogen-WG“ oder nach „Zwei Frauen gegen den Rest der Welt. Ein berührendes Drama“ oder nach „Reality TV: Teenagermütter – 15 Jahre danach“).

Die Tage fließen so dahin, wir frühstücken gemeinsam, machen hier einmal einen Ausflug zum See (gewisser Gruselfaktor, aber okay), spielen dort einmal Minigolf, zaubern zu dritt deftige Daheim-Döner, feiern Familienalltag. Staycation hat Pause. Wir machen sogar ein Stuhl-Foto, barfuß, AUF dem Springbrunnen am Stadtplatz. Also quasi im Brunnen. Nur halt oben drauf. #wirsprudeln

Es ist echt gut, Mama so entspannt zu sehen. Sie legt die Buchhaltung beiseite und die Beine hoch und den Kopf in den Nacken und lacht während zwei Marmeladesemmeln mehr als sonst in vierzehn Tagen. Das ist eine Verwandlung wie von der Raupe zum Schmetterling. Vom Beutel zum Känguru. Vom Fleischabfall zum Dönertier.

Na ja. So irgendwie halt.

Folgendes Szenario: Mama und Papa turteln. Schon seit dem Frühstück. Nasenstupser, Fingerverschränken, Blinzelzwinker. Das ist dann doch etwas gruselig. Ständig hat Papa seine Hand auf Mamas Bauch und streichelt sie. Das Baby wird sich freuen. (Oder ihr Blinddarm. Oder die Leber.) Während Mama den Teig für die Kasnocken anrührt und Papa Zwiebeln schneidet, verdrücke ich mich in den Garten. Offiziell: Um im Hochbeet Salat zu pflücken. In Wirklichkeit: Um den Gutelaunebären zu entfliehen. Ich sitze auf den Stufen zur Terrasse, das Kinn auf die Knie gestützt und lasse mich vom fernen Rasenmäherbrummen der Schrebergärtner einlullen. Die Sonne brennt mich von der Seite an. Im Kellerfenster sehe ich, dass das linke Ohr drei Rotschattierungen vom rechten abweicht. Umdrehen geht nicht. Ich kann die Beine schlecht drei Stufen ÜBER meinem Allerwertesten verschränken und noch genauso adrett aussehen wie jetzt gerade. Zwei verschiedenfarbige Ohren sehen auch blöd aus, wenn man nicht gerade eine Glückskatze ist oder ein sympathischer Straßenköter. Also: Raus mit dem Grünzeug. Rein in die Küche.

„Da haben wir ja den Salat“, lacht Papa. „Machst du auch das Dressing? Ich bin extrem knapp an den perfektesten Zwiebeln der kulinarischen Weltgeschichte.“

Ich nicke nur und hole ein leeres Marmeladenglas von der Kellerstiege. Öl, Essig, Honig, Senf. Gut schütteln.

„Kann ich schon?“, frage ich Mama mit einem Blick auf das Rohr. („Den Salat erst kurz vor dem Essen anrichten“, das ist eisernes Familiengesetz bei uns. So wie „Nudeln nur al dente“ und „Knödel nur reißen, nicht schneiden“.)

„Ring frei“, lächelt Mama. „In drei Minuten können wir essen.“

In Zeitlupe gieße ich das Dressing über den Salat. Sieht ein bisschen aus wie eine Mure, die Grünland einsaut. Aber wir wissen alle, dass ich die Queen of Dressing bin.

Die Zwiebeln duften, das Rohr verströmt perfektes herb-stinkiges Käsearoma und mein Magen schickt Glückshormone in den Rest meines Körpers.

Papa pfeift irgendwas von den Stones. Ich pfeife Bruno Mars dagegen, den Lazy Song, bis wir beide so einen Riesen-Grinser im Gesicht haben, dass wir keinen einzigen geraden Ton mehr über die Lippen bringen. Mama versucht auch einen Pfeifton, was natürlich schiefgeht, weil sie einfach nicht pfeifen kann, genetisch bedingt wahrscheinlich, denn einen anderen vernünftigen Grund gibt es nicht dafür. Sie holt Luft, spitzt die Lippen und – keine Ahnung, was sie dann macht, aber es pfeift nicht, es FURZT. Jetzt müssen wir alle drei lachen. Jeder in seiner Tonlage. Zum ersten Mal seit … also seit … Also mir geht es richtig gut gerade. Richtig, richtig gut. EINE Familie. ZWEI Eltern, eine Mama und einen Papa, die sich lieben und das auch noch zeigen. DREI Menschen, die sich einig sind, dass Kasnocken mit Röstzwiebeln und Salat das Nonplusultra der Gaumenfreuden sind. Und bald sind wir VIER. Das ist so – wow …

Der Tisch ist schon gedeckt. Papa läuft mit den Zwiebeln und dem Korkuntersetzer vor, Mama trägt die heiße Kasnocken-Form hinterher und ich platziere die Salatschüssel so, dass jeder ungefähr gleich weit hat. Mama sticht den Küchenfreund in die Nocken und säbelt drei Riesenstücke heraus, vierlagig, mit einer knusprigen Käseschicht darauf. Die Zwiebeln sind so perfekt braunknusprig, dass ich mir am liebsten einen ganzen Löffel voll solo in den Mund schieben würde. Aber, wie jeder weiß: Die Mischung macht’s. Also: Ein großes Stück Kasnocken, direkt vom Rand, wo es am meisten knuspert, mit fünf perfekten Zwiebelkringeln obendrauf, an der Nase vorbei (mmmmmh!), in den Mund hinein.

Und dann spucke ich. „Was zum …“, hustet Papa gleichzeitig.

Mama wird rot und führt langsam die Serviette zum Mund, extrem slow-mo, und legt sie dann zerknüllt neben ihren Teller, die Serviette dunkel dort, wo sich die Nocken feucht durchdrücken.

„Ist dir der Salzstreuer ausgekommen?“, fragt Papa vorsichtig.

„Nein“, stammelt Mama. „Nein, ich … DU hast doch gesagt, drei Löffel …“

„Drei EIER!“, ruft Papa entsetzt. „Drei Eier und EINE Messerspitze Salz!“

Mit großen Augen sehen sich Mama und Papa an.

Und dann lachen sie los, prusten, gackern, schnauben, wiehern und japsen, dass sie keine Luft mehr kriegen. Wie zwei zwölfjährige BFF auf Hormontrip. Ich kann dieses Mal nicht mitlachen. DREI Löffel Salz? Selbst wenn die eigenen Gedanken in einer fremden Zeitzone sind – so etwas passiert einem doch nicht!!!

„Entschuldigt bitte“, kichert Mama. „Die Schwangerschaftsdemenz …“

Klar. Die Entschuldigung für alles. Happy Schwangerschaftsdemenz! Gratuliere! So schnell können Glückshormone verpuffen. Mein Magen knurrt. Ich brauche kein Koch-Kabarett. Ich brauche Kohlenhydrate.

Wortlos stehe ich auf. Ich hole mir Knuspermüsli.

Mama und Papa sitzen da und schauen verliebt in der Gegend herum, die Lachtränen noch in den Augenwinkeln. Neben ihnen steht der Salat und ersäuft im eigenen Dressing.

VERFÜGUNG

Sollte ich jemals schwanger werden – bitte schickt mich auf eine einsame Insel, damit ich niemandem wehtun kann.

ich

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