Читать книгу Über Nacht, Mr. Zoom? - Sarah Veronica Lovling - Страница 10

7. Kapitel

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Caroline blickte in den Spiegel. Schwarze Hose, weiße Bluse, dazu flache Schuhe… sie hatte sich genau überlegt, was sie heute anzog, und es etwas konservativer gehalten als sonst. Schließlich war sie jetzt Lehrerin… Caro grinste ihr Spiegelbild an. Lehrerin. Wer hätte das gedacht, und das in ihrem zarten Alter von 23 Jahren! So ganz fühlte sie sich der Sache noch nicht gewachsen, aber sie war doch optimistisch. Und gut vorbereitet, so wie immer. Obwohl von ihr heute noch kein wirklicher Unterricht verlangt wurde – „Kennenlernen“, hatte man es bei der Projektbesprechung bezeichnet, und „Erfassung des Wissenstandes der Schüler“ – hatte sie dennoch genug Materialien dabei, um drei, vier Tage am Stück unterrichten zu können. Sie ging gern auf Nummer sicher, so war ihr Naturell. Immer auf alles vorbereitet sein, nichts dem Zufall überlassen. Und so hatte sie sich nach der Informationsveranstaltung an der Uni, an der auch einige Studenten teilgenommen hatten, die Caroline aus den Vorlesungen kannte – Jessie, die emsige Biologiestudentin und Frank, ein sympathischer Chemiestudent, mit dem sie dann und wann einen Kaffee in der Caféteria trank – gewissenhaft vorbereitet. Caro warf einen letzten prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild, öffnete dann ihren Schrank und band sich aus einem Impuls heraus noch ein kunterbuntes Halstuch um. Schon besser. Seriös, aber nicht mehr so steif. Caro liebte Halstücher, besaß sie in allen Größen und Mustern. Sandra und Annabell machten sich gerne lustig über diesen Tick, liehen sich aber gern mal eines von ihr. „Caro, wenn nichts mehr geht, kannst du immer noch ein Halstuch-Geschäft eröffnen“, hatte Sandra noch vor kurzem spöttisch geäußert. Caroline ging in die Küche, um noch kurz einen Tee für ihre Mutter zu machen, bevor sie ging. Martha saß bereits am Küchentisch und schien sie zu erwarten. „Sind Sie hier heute für den Ablauf des Fluges verantwortlich?“, fragte Martha Caroline freundlich, und Caro erstarrte. Verdammt. Wenn sie wie eine Stewardess aussah, hatte sie ihr Outfit vielleicht doch übertrieben… Martha redete indes fröhlich weiter, ihre Tochter nach wie vor nicht erkennend – das kam in letzter Zeit immer wieder mal vor, und jedes Mal lief es Caroline eiskalt den Rücken hinunter. Es wird immer schlimmer... „Ich hätte gern einen Tee, wenn es Ihnen nichts ausmacht!“ Caro schluckte, lächelte ihre Mutter an und bereitete ihr den Tee zu. Nun gut. Dann sah sie eben aus wie eine Flugbegleiterin. Sie konnte jetzt nichts mehr daran ändern. Caro trat in den Flur der Wohnung, schrieb „Mama, ich bin an der Uni, komme abends wieder“ an die Tafel an ihrer Zimmertür und zog die Wohnungstür hinter sich zu.

Eine Stunde später trat Caroline durch die Tür des „Klassenzimmers“. Der Unterricht fand im Sozialzentrum von Lanbridge statt, in dem man extra einige Räume dafür eingerichtet hatte, die nun tatsächlich Ähnlichkeit mit einem Klassenraum hatten. Tische und Stühle in Reihen, eine Tafel, ein Beamer. Auf einmal übermannte sie dann doch die Nervosität, und sie atmete tief durch. Ganz ruhig, Caro, atme… Leicht gesagt bei dem Kloß in ihrem Hals! Sie ließ beim Eintreten ihren Blick über ihre Klasse schweifen. Achtzehn Schüler, das hatte man ihr angekündigt. Hmmm, es sah nach weniger aus, und sie zählte schnell. Vierzehn. Na gut. Deutlich mehr Männer als Frauen, auch das hatte man ihr gesagt. Und auf dem Tisch, der ihr Pult sein sollte, lag eine Namensliste bereit. So weit, so gut. Caroline positionierte sich hinter dem Pult, räusperte sich, und sagte „Guten Morgen!“, woraufhin sich alle Köpfe, die noch gesenkt gewesen waren, hoben und sie anstarrten. Mist. Es war schon Nachmittag. Mühsam durchatmend fuhr sie fort. „Mein Name ist Caroline Steward, und ich bin eine Ihrer Lehrerinnen für Naturwissenschaften!“ Sie blickte in die Gesichter. Die meisten noch jung, teils aber bereits verbraucht und vorgealtert wirkend, skeptisch, abwartend... Und dann blieb ihr Blick an einem Gesicht ganz hinten in der letzten Reihe hängen, und ihr Herz blieb stehen. Wortwörtlich setzte es tatsächlich einen Schlag aus, vielleicht zwei, um dann umso schneller weiterzuschlagen und in ihren Magen zu rutschen. Oh mein Gott. Caroline schluckte, ihre Kehle war schlagartig trocken geworden. Ihr Gehirn war wie leergefegt. Wie konnte das möglich sein? Was machte er hier? Oder war es nur eine Verwechslung? Nein – unmöglich. Er sah aus wie früher, zumindest seine Augen…sie konnte nicht aufhören, ihn anzustarren, und während Caroline der Schweiß aus allen Poren brach, blickte er provozierend zurück und fragte, „Was ist, Frau Lehrerin? Hab‘ ich was Grünes im Gesicht?“ Rick Millers blickte sie trotzig an, und es machte Zoom.

Zwei Stunden später saß Caro im Bus nach Hause, der durch die verregneten Straßen von Lanbridge fuhr. Es war stockdunkel, obwohl es erst später Nachmittag war, und für Caroline fühlte es sich an wie später Abend, so müde war sie… müde, ausgelaugt, und so emotional erschöpft wie schon lange nicht. Natürlich hatte ihr schockverliebtes Herz recht gehabt – es war derselbe Richie von vor acht Jahren. Sie hatte es schließlich geschafft, ihren Blick von ihm loszureißen und ihn stattdessen auf die Teilnehmerliste zu lenken, die ihr zunächst vor den Augen verschwamm, so dass sie rein gar nichts erkennen konnte. Sie brauchte einen Moment, schloss die Augen, öffnete sie erneut und überflog die Liste. „Millers, Richard“, stand dort – die Bestätigung schwarz auf weiß, die ihr Herz aber gar nicht brauchte. Caroline hatte sich setzen müssen, einen Schluck Wasser getrunken, und hatte verzweifelt versucht, ihre Professionalität zurück zu gewinnen. Sie hatte um eine Vorstellungsrunde gebeten. Jeder sollte seinen Namen nennen, ein paar Daten zur eigenen Person, und besondere Interessen. Bewusst wollte sie auf Vorstrafen, Haftdauern und Bewährungen verzichten – während andere der mitarbeitenden Studenten abwertend von den „Knastis“ sprachen, waren es für Caroline Menschen, die schlicht auf die schiefe Bahn geraten waren, durch die eigene Schuld, durch Schicksal oder warum auch immer. Sie waren nun ausgewählt worden, um eine zweite Chance zu erhalten, und das bedeutete, dass man es ihnen zutraute. Nun, das wollte sie auch. Sie traute allen zu, es zu schaffen, und versuchte, die jeweiligen Vorgeschichten zu ignorieren, zumal sie sie ja nicht richtig kannte. Sie wusste nur ganz grob die Vorstrafen der Gruppe, nicht der einzelnen Teilnehmer, und dass die meisten noch zwischen sechs Monaten und zwei Jahren Gefängnis vor sich hatten. Nun, als letzter, war Richie dran. „Also“, begann er, sich betont lässig auf dem Stuhl zurücklehnend. Er machte ein Gesicht, als sei er lieber wieder im Knast als hier auf der Schulbank. „Ich bin Richard Millers, und ich bin nur an zwei Dingen interessiert: an Sport und daran, aus dem Knast rauszukommen!“ Ein zustimmendes Raunen ging durch die Gruppe. „Und dafür, und nur dafür mache ich das hier.“ Das saß. Aber was hatte Caroline erwartet? Dass die Teilnehmer unisono behaupten würden, schon immer ihr Herz an Naturwissenschaften verloren gehabt zu haben? Dass sie in ihren Träumen binomische Formeln sähen? Natürlich machten sie alle nur wegen der Belohnung mit, und diese war attraktiv. Caroline wollte sie dazu bringen, zu verstehen, dass sie mehr davon haben konnten als „nur“ eine vorzeitige Haftentlassung. „Also“, setzte sie an, sich an die ganze Gruppe wendend, „das kann ich verstehen… doch denken Sie doch nur daran, was das langfristig für Ihre Zukunft bedeuten kann, wenn Sie einen Schulabschluss erreichen! Ich meine, natürlich kann ich Ihren jetzigen Standpunkt schon verstehen…!“ – „Nein!“, meldete sich da eine Stimme aus der letzten Reihe – kalt, hart und zynisch. „Nein“, wiederholte Rick, „das können Sie garantiert nicht verstehen!“

Caroline hatte geschluckt und es dabei belassen. Er hatte ja Recht. Sie konnte sich nicht in die Straftäter hineinversetzen, und das sollte sie auch nicht. Ihr Job war es, ihnen etwas beizubringen. Vielleicht gewann sie mit der Zeit einen besseren Zugang zu einigen von ihnen, wer weiß…? Und so war sie dazu übergegangen, der Gruppe den Lehrplan vorzustellen. Das Ziel war, sie in Mathematik, Biologie und Chemie auf das Level zu bringen, so dass sie für die Prüfungen zugelassen werden konnten, die zum Schulabschluss nötig waren. Und es war einiges zu tun. Seufzend versuchte sie auf dem unbequemen Sitz im Bus eine angenehmere Position zu finden, doch als sie ihre Beine übereinanderschlug, stieß sie mit einer ihr gegenübersitzenden, etwas, nun ja, korpulenteren Dame zusammen, die sie gleich böse anfunkelte. Eine Entschuldigung murmelnd, machte sich Caro so schlank wie möglich und öffnete ihre große Ledertasche. Sie wollte eigentlich einen Blick auf ihre Notizen von heute werfen, aber als sie in ihre Tasche blickte, sah sie als erstes ihr Handy, das auffällig in seiner pinken Hülle steckte, und aus einem Impuls heraus griff sie danach. Sie brauchte Beistand.

CARO: Hilfe, Mädels!!!! Ich dreh gleich durch!

ANNABELL: Was ist los?? Was haben die Knastis mit dir gemacht?

SANDRA: Bella… sei nicht so fies!

CARO: Ihr ahnt nicht, wen ich heute wiedergesehen habe…! RICHIE! Der mit dem ZOOM!

SANDRA: Oh mein Gott. Bitte sag, dass er auch unterrichtet!

CARO: Nein. Er unterrichtet nicht.

ANNABELL: Oh shit!

Über Nacht, Mr. Zoom?

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