Читать книгу Über Nacht, Mr. Zoom? - Sarah Veronica Lovling - Страница 4
1. Kapitel
ОглавлениеEs war 10:26, und ihr Magen knurrte. Und er knurrte derartig laut, dass sich alle im Raum zu ihr umdrehten und ungläubig grinsten. Caroline errötete unter Mundschutz und Haube und es wurde ihr noch heißer, als ihr sowieso schon war. Verdammt. Caroline murmelte etwas Unverständliches und beugte sich erneut über ihre Arbeit – eine ziemlich tote Frau, beziehungsweise ihren offenen Brustkorb. Caroline schluckte und versuchte den leichten Verwesungsgeruch zu ignorieren. Obwohl die Leichen vorschriftsmäßig gekühlt wurden, hing immer ein leicht modriger Geruch in der Luft des Pathologiesaales, den sie auch nach Kursende nicht so schnell loswurde. Wie konnte sie nur Hunger haben? Doch Caroline kannte die Antwort. Mal wieder hatte sie heute Nacht schlecht geschlafen und war morgens nur schwer aus dem Bett gekommen. Zudem war ihre Mutter mal wieder… naja, anstrengend gewesen. Und so war sie ohne Frühstück, dazu nur nachlässig geschminkt, in sprichwörtlich letzter Minute aus dem Haus gestürmt. Die Versuchung war groß gewesen, heute Pathologie zu schwänzen, aber dann hatte wie immer ihr Gewissen gesiegt und sie war Richtung Bushaltestelle gehetzt, um doch noch rechtzeitig zur Uni zu kommen. Ein kurzer Sprint, und schon sah sie den Bus kommen. Sie gab noch etwas mehr Gas, und mit einem letzten Hechtsprung erreichte sie den Bus und fand, oh Wunder, sogar noch einen Sitzplatz. Eingequetscht zwischen andere Studenten, teils mit ihrem Sandwich in der Hand, doch sie konnte nicht wählerisch sein. Und so war sie langsam wieder zu Atem gekommen, während der Bus zügig Richtung Campus fuhr. Caroline war eine mustergültige Studentin. Sie besuchte mehr Kurse, als die Studienordnung vorsah, übernahm Zusatzreferate und setzte sich manchmal sogar in Vorlesungen, die für sie erst im nächsten Semester dran waren. Die Medizin war ihr Traum. Schon als Kind war sie fasziniert davon gewesen und war als einziges Kind immer gern zum Arzt gegangen. Ihre Eltern hatten stets ungläubig den Kopf geschüttelt. Selbst Impfungen hatte sie klaglos toleriert, nachdem ihr das Prinzip und die Notwendigkeit erklärt worden waren. Es stand für sie früh fest, dass sie Ärztin werden wollte – was das bedeutete, begriff sie aber erst nach und nach. So wurde ihr erst am Ende der Schulzeit klar, dass sie nicht nur einen guten, sondern einen sehr guten Schulabschluss schaffen musste. Sie atmete tief durch, und lernte noch mehr als sonst, schrieb Extraarbeiten für bessere Noten. Und sie schaffte es, bekam den ersehnten Studienplatz. Dann, in der ersten Woche an der Universität, fiel sie aus allen Wolken hinab in die harte Realität. Sie war nicht mehr die Schlaue. Sie war eine der vielen Schlauen – alle waren hier wie sie, oder begabter, wie sie erschüttert feststellte. Das war nicht mehr die Schule, in der ihr fast alles wie von selbst gelang. Doch auch diese Herausforderung meisterte Caroline. Durch vorbildliches Vor- und Nacharbeiten der Vorlesungen und Seminare und kontinuierliches Büffeln war es ihr gelungen, zu den Besten ihres Semesters zu gehören. Zudem absolvierte sie mehr Praktika als sie musste, um sich hervorzutun. Nicht, weil sie Karriere machen wollte – sie wollte einfach eine gute Ärztin werden, genau genommen, die Beste.
Und daher stand sie auch heute hier im Pathologiesaal – ohne Frühstück, mit knurrendem Magen, und konnte statt an die Herzkranzgefäße vor ihren Augen nur an ein Sandwich und einen Kaffee denken. Wissend, dass die ersehnte Pause erst um 12 Uhr wäre, seufzte sie, atmete tief durch, und machte sich weiter an die Präparation der Gefäße. Das Essen musste warten.