Читать книгу Über Nacht, Mr. Zoom? - Sarah Veronica Lovling - Страница 5
2. Kapitel
ОглавлениеRick versuchte, die hämmernden Kopfschmerzen und den brennenden Schmerz in der Magengegend zu ignorieren. Atme, Rick, sagte er sich und versuchte, ruhig zu bleiben. Schrie er, oder schlimmer noch, wehrte er sich, würde er noch mehr einstecken müssen. So war das hier. Hackordnung war Hackordnung. Rick krümmte sich zusammen und versuchte, an etwas Schönes zu denken – das hatte seine Mutter immer zu ihm gesagt, als er noch klein gewesen war. Doch es wollte ihm partout nichts Schönes einfallen. Wie hatte es nur so weit kommen können, fragte sich Rick – und das nicht zum ersten Mal.
„Betrug“ lautete die offizielle Bezeichnung des Delikts, das er begangen hatte. Für Rick konnte es auch „Idiot“ heißen, denn das war er wohl. Er war kriminell, er war schuldig, es gab daran nichts schönzureden. Er hatte niemanden umgebracht, niemanden verletzt, und dennoch saß er im Gefängnis. Weil er illegal auf CD gebrannte Filme verkauft hatte. „Eine todsichere Sache, und noch dazu einträchtig!“, hatte sein Kumpel John ihm die ganze Aktion schmackhaft machen wollen. „Du verkaufst die CDs, auf Flohmärkten oder so, und ich brenne nachts einen Haufen neue – wir werden stinkreich!“ Und Rick, wie immer knapp bei Kasse, arbeitslos und desillusioniert, hatte zugestimmt. Vier Wochen lang hatten sie ihre schwarzgebrannten CDs und DVDs unters Volk gebracht. Auf Märkten, in der Fußgängerzone, im Park – bei größeren Menschenansammlungen waren sie stets recht erfolgreich gewesen. Aber sie waren nicht vorsichtig genug gewesen. Einer ihrer „Kunden“ hatte sich im Nachhinein als Undercover-Polizeibeamter entpuppt, und das war’s gewesen. Stinkreich waren sie übrigens ebenfalls nicht geworden, ganz im Gegenteil. Die paar Dollar, die sie noch übrighatten (viel war für Bier, Wodka und Zigaretten draufgegangen) wurden natürlich beschlagnahmt, und er und John wurden festgenommen.
Jetzt, drei Monate später, war John längst aus dem Schneider. Rick hingegen saß hier und kämpfte gegen das aufsteigende Erbrechen, weil Bad Bob, wie er von allen genannt wurde, mal wieder hatte demonstrieren müssen, wer hier der Boss war – nämlich er. Rick wusste – und das war hier meistens so – nicht, warum er die Schläge kassiert hatte. Nach seinem ersten Aufbegehren nach ein paar Tagen hatte er seine erste Lektion erhalten und schnell verstanden, wie der Hase lief. Und so hatte er sich stets bemüht, unauffällig zu bleiben, was aber gar nicht so einfach war bei seinem Äußeren. Rick war groß, durchtrainiert und von Natur aus leicht gebräunt. Seinen Teint hatte er, ebenso wie die braunen Haare und Augen, seiner italienischen Mutter zu verdanken, die Statur seinem Vater. Zum Glück so herum, und nicht anders – sonst wäre er wohl klein, pummelig und eher blass geraten. Obwohl, ein Glück war sein gutes Aussehen nicht immer, wie er schon vor einiger Zeit festgestellt hatte. Gut, er kam bei den Mädchen, später Frauen, immer super an – wobei keine jemals hinter seine Fassade geblickt hatte. Alle wollten nur sein Äußeres, und niemand interessierte sich für ihn. Jahrelang hatte ihm das nichts ausgemacht – er hatte sich genommen, was er kriegen konnte, und das war einiges. Und hier war das Aussehen definitiv ein Nachteil. Neid schlug ihm entgegen, den er fast körperlich spüren konnte. Er war nicht – noch nicht – vorgealtert und verbraucht, man hatte ihm keine Zähne ausgeschlagen und er hing auch nicht an der Flasche. Sein schönes Gesicht wurde nicht durch Narben verunstaltet. Sein Tattoo war von hoher Qualität und keine dilettantische Knaststecherei. Doch all das würde noch kommen, das ahnte er. Das kriminelle Milieu brachte es unweigerlich mit sich, und die Schläge hier waren erste der Anfang. Langsam kam Rick wieder zu Atem und richtete sich vorsichtig ein wenig auf. Die Menschenmenge, die sich um ihn gebildet hatte, als Bad Bob ihn sich vorgenommen hatte, hatte sich bereits wieder aufgelöst, und niemand beachtete ihn. Niemand, nicht einmal die Wärter. Die ließen Bad Bob tun, was ihm gefiel – so hatten sie ihre Ruhe. So war das im Knast. Die Gefangenen bestimmten die Regeln, die Wärter schlossen nur Türen auf und wieder zu. Seit drei Monaten saß Rick nun im Gefängnis Wentington, einem drittklassigen Stadtteil von Lanbridge, und es war, verdammt noch mal, seine eigene Schuld.
„Oh Mann, Kumpel“, hatte der Anwalt, der ihm gestellt worden war, der jetzt sein Anwalt war, aufgestöhnt. Die plumpe Vertraulichkeit hatte Rick nicht weiter gestört – in seinen Kreisen war das üblich so, schoss es ihm durch den Kopf. Wann war aus Richard Millers, dem aufstrebenden jungen Sportler, ein „Kumpel“ geworden, der einen Anwalt brauchte? Und der junge Kerl, der ihm gegenübersaß, war auch gewiss kein Staranwalt. Er sah eher aus, als sei er gestern erst mit dem Studium fertig geworden – noch grün hinter den Ohren, hätte seine Mutter gesagt. Rick hoffte, dass sein frisch angeeignetes Wissen seine mangelnde Erfahrung wettmachen würde, hielt aber besser die Klappe. Anwälte waren schließlich was Besseres, und man kritisierte sie nicht. Zumal er für diesen hier keinen Cent bezahlen musste, immerhin. Mr Timmons, sein Pflichtverteidiger, seufzte noch einmal tief und strich sich die schütteren Haare aus der Stirn. Er konnte höchstens fünf Jahre älter sein als Rick, sah aber aus wie sein eigener Vater. Er trug einen billigen Polyesteranzug und roch unterschwellig nach Schweiß, gemischt mit einem gängigen Parfüm, von dem Rick angenommen hatte, dass es längst aus der Mode sei. „Mister Timmons“, hatte Rick so höflich wie möglich geantwortet. Er ist ein Mister, ich bin ein Kumpel… „Mister Timmons, was genau meinen Sie?“ – „Ich meine, Kumpel, dass Sie am Arsch sind. Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber er könnte Ihnen geläufig sein, oder?“ Rick nickte knapp, die Lippen zusammengepresst, und Timmons fuhr fort. „Kumpel…“ – „Ich heiße Rick!“ – „Also, Rick, wie auch immer. Sie haben kein Kapitalverbrechen begangen, schon klar, aber Betrug ist und bleibt Betrug, das kann man nicht wegdiskutieren.“ – „Ich weiß.“ – „Schön. Wissen Sie aber auch, was Bewährungsauflagen sind?“ Es dämmerte Rick allmählich. Er hatte zwar die Schule abgebrochen, aber dumm war er deshalb schon lange nicht. Scheiße. Die Bewährung. Und dann erklärte es der Anwalt ihm. Rick hatte keine Chance, heil aus der Nummer raus zu kommen. Eine Haftstrafe würde folgen, so sicher wie das Amen in der Kirche. Rick hatte während seiner Bewährungsstrafe ein weiteres Verbrechen begangen, und diesesmal würde er nicht so glimpflich davonkommen. Und auch wenn er Timmons nicht leiden konnte – er hatte recht gehabt, mit allem. Rick war nicht aus der Nummer rausgekommen, und er war am Arsch. Zehn Monate, hatte das Urteil gelautet, und drei hatte er erst rum.