Читать книгу Mein Weg als Freimaurer - Serge Abad-Gallardo - Страница 14

Das unüberwindliche Paradox einer relativen Wahrheit

Оглавление

Dennoch strebt der Weg des Eingeweihten der Einheit entgegen – einer Einheit jedoch, die außer Reichweite ist, wie die Erklärung des Redners bei der Zeremonie der Zulassung zum XXX. Grad beweist: »Die höchste Initiation hat Sie auf die Stufe der Dualität geführt, die überall auf diesem Areopag23 symbolisiert wird. Doch wehe, Ritter, alles auf dieser Welt endet hier. Auf dieser Stufe müssen Sie zwangsläufig handeln. Eine höhere Stufe können Sie sich lediglich vorstellen: die Stufe des Absoluten, wo sich die Dualität in Einheit auflöst […]. Ihr Handeln kann sich von der Vorstellung der Einheit lediglich inspirieren lassen.«24

Die Vorstellung von einer solchen höheren Ebene – der »freimaurerischen Dreiheit« – findet sich beispielsweise auch im Musivischen Pflaster wieder. In meinen Jahren als Mitglied der blauen Loge und vor allem als Lehrling bekam ich von den älteren Meistern des Öfteren zu hören, dass zwischen den weißen und den schwarzen Kacheln eine rote Linie verlaufe, die »dünner als eine Rasierklinge« sei.25 Genau genommen handelt es sich um eine Art »Synthese« der beiden dualen Pole, die der freimaurerischen Lehre zufolge für den Menschen ebenso unerreichbar ist wie die Wahrheit. Ich begriff die Bedeutung dieses unsichtbaren symbolischen Bildes erst später, als ich Geselle geworden und insbesondere, als ich zum Grad des Meisters aufgestiegen war und den Sinn der »freimaurerischen Dreiheit« verinnerlicht hatte, die im ersten Grad gelehrt wird.26

Vom Grad des Meisters an weiß sich der Eingeweihte dieser Dualität zu bedienen und nutzt sowohl das Gute als auch das Böse, sowohl die Finsternis als auch das Licht, um seinen Weg zu finden. Im Gegensatz zum Christen, der sich trotz seiner Unvollkommenheiten und trotz der Hindernisse des Lebens bemüht, dem Weg des Lichts und der Wahrheit Christi – dem Weg zum Guten – zu folgen, schreitet der Eingeweihte auf dem Weg des Guten und gleichzeitig des Bösen voran. Das bestätigt sich bei der Feier der Erhebung zum XXX. Grad, die die Hierarchie der symbolischen Hochgrade abschließt.

Im Grunde jedoch handelt es sich um eine polymorphe Einheit, wie sie unter anderem auch die (in der deistischen Freimaurerei verbreitete) Vorstellung vom »Großen Baumeister aller Welten« zum Ausdruck bringt, der als eine Art einheitliche und duale »Verschmelzung«, das heißt als das Gute und das Böse zugleich, aber auch als die Synthese oder Vereinigung des Guten und des Bösen verstanden wird. Der »Große Baumeister aller Welten« ist Liebe und Hass zugleich und die Synthese von Liebe und Hass und manifestiert sich als kosmische und energetische Kraft im Zeichen des einen und manchmal des anderen.

Letztlich richtet die ganz und gar vom Relativismus durchdrungene Freimaurerei ihre Eingeweihten auf eine »offene Gesamtheit« von Wahrheiten aus, die niemals in der Wahrheit schlechthin zu einem Abschluss gelangen können. Mit ihrem Bekenntnis zu einem »absoluten Relativismus« ist die Initiationslehre im Gegenteil in sich paradox.

In diesem Universum, wo es der Freiheit des Eingeweihten überlassen bleibt, den verborgenen Sinn der Symbole zu entdecken, sind dem Forschen des Wahrheitssuchenden keinerlei Grenzen gesetzt.

Als ich nach meiner Erhebung zum XII. Grad des Großarchitekten zum ersten Mal wieder einer Tempelarbeit beiwohnte, überraschte mich ein ritueller Dialog zwischen zwei Beamten, der meinem christlichen Glauben diametral zuwiderlief. Der Ehrwürdige Meister fragte:

»Wofür steht die Kreislinie?«27

Der Erste Aufseher antwortete:

– »Für den Bereich der menschlichen Erkenntnis.«

»Ist also der Bereich der menschlichen Erkenntnis begrenzt?«, fragte der Ehrwürdige Meister.

– »Nein, Ehrwürdiger Meister, dieser Bereich ist unbegrenzt«, erklärte der Erste Aufseher.

Plötzlich offenbarte sich mir ein ebenso eklatanter wie grundlegender Widerspruch. Ich hatte unlängst und in einem Rahmen, der mit der Freimaurerei rein gar nichts zu tun hatte, eine Arbeit über den 119. Psalm der Bibel verfasst. In diesem langen28 Loblied auf den Herrn wird genau das Gegenteil verkündet, denn in Vers 96 heißt es: »Ich sah, dass alles Vollkommene Grenzen hat, doch dein Gebot ist von unendlicher Weite.« Dieser Gegensatz zur katholischen Lehre bestätigte meinen Vorbehalt, den Weg der Hochgrade weiter zu verfolgen: Nein, der Geist des Menschen und seine Erkenntnis sind nicht unbegrenzt! Nur Gott ist unendlich. Unser Wissen ist eingeschränkt, begrenzt, unvollständig, und der Herr allein ist der Allmächtige. Dennoch liegt die Wahrheit nicht außerhalb der menschlichen Reichweite, weil Christus sie uns geoffenbart hat. Der Teufel, und nur er, kann sich erhoffen, uns vom Gegenteil zu überzeugen: »Die Bosheit Satans richtet sich mit derselben Erbitterung gegen das Buch wie gegen die Wahrheit, die darin niedergeschrieben ist.«29

Die angebliche Unbegrenztheit des »Bereichs der menschlichen Erkenntnisse« ist letztlich nichts anderes als die Leugnung der einen Wahrheit und damit indirekt auch der Offenbarung. Ein heimtückischer Leugnungsversuch, der obendrein in die Ausweglosigkeit führt!

Der Relativismus ist eine ebenso schwerwiegende wie essenzielle theologische Sackgasse. Allein schon das Bekenntnis zum Relativismus – das heißt zu der Überzeugung, dass es keine absolute Wahrheit gibt – ist theologischer Unsinn und geradezu sophistisch. Indem sie die Wahrheit so klar als relativ bezeichnet, verkündet die Freimaurerei selbst zumindest eine Wahrheit, die sie als absolut postuliert! Niemand kann kategorisch erklären, die Wahrheit sei nur relativ. Wie also sollte man den Relativismus absolut setzen? Was für ein unauflösliches Paradox!

Ich höre schon, wie gewisse freimaurerische Angehörige der Großlogen einwenden, dass die Freimaurerei das Absolute ja nicht leugne, sondern lediglich erkläre, dass es außerhalb der Reichweite des Menschen liege. Doch wenn die absolute Wahrheit außerhalb der Reichweite des Menschen läge, wie kann dann die Freimaurerei, die durch die Relativität und die Unzugänglichkeit der Wahrheit selbst unbestreitbar menschlich begrenzt ist, den Anspruch erheben, dass ihre Aussage von der Unzugänglichkeit der Wahrheit absolut wahr ist? Hätte sie demnach paradoxerweise Zugang zu einer Wahrheit, die doch unzugänglich, weil ihrer Lehre zufolge außerhalb der Reichweite des Menschen ist? Das wäre ein Widerspruch in sich!

Ich bezeuge schlicht und einfach, dass es keine freimaurerische Wahrheit, sondern lediglich einen dualistischen Okkultismus gibt. Der christliche Glaube dagegen führt mich dazu, das Gute zu wählen – und nur das Gute! Gott wird niemals von uns verlangen, dass wir uns abwechselnd im Licht und in der Finsternis verorten. Oder einem roten Faden folgen, der angeblich zwischen beiden verläuft.

Wenn der geheimnisvolle Ratschluss Gottes uns in der Gegenwart von Gut und Böse, von Licht und Finsternis belässt, dann zeigt und offenbart er uns damit, dass wir die Wahl haben, uns für das Gute und für sein Licht zu entscheiden: »Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den HERRN, deinen Gott, hör auf seine Stimme und halte dich an ihm fest« (Dtn 30,19–20). Mein Glaube gebietet mir, nicht in dieser Zweideutigkeit zu verharren: »Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündet wurde – durch mich, Silvanus und Timotheus –, ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht« (2 Kor 1,18–19). Seit mein Herz meinem Erlöser Jesus Christus gehört, ist für mich zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen den schwarzen und den weißen Fliesen des Musivischen Pflasters kein Kompromiss mehr möglich, und wäre er auch nur so dünn wie eine Rasierklinge. Damit, dass er am Kreuz gestorben ist, um uns von unseren Sünden zu erlösen, hat Jesus Satan endgültig besiegt. Und der Teufel rast vor Wut, weil Maria weder die Liebe Gottes noch den gepriesenen Triumph ihres Sohnes jemals in Zweifel gezogen hat: »Wir wollten sogar seine Mutter in Versuchung führen. Ihr Herz war zerrissen, aber auch von großem Frieden erfüllt, und sie hat alles vergeben. Sie liebte und litt: Ihre Vergebung war vollkommen; ihre Liebe war vollkommen; ihr Opfer war vollkommen. Das hat uns besiegt!«30

Hinter der relativistischen Lehre der Freimaurerei mit ihrer vermeintlichen Harmonie und Ausgewogenheit verbirgt sich, im Musivischen Pflaster implizit ausgedrückt, ein Teufelswerk. Denn ihre Botschaft steht im Widerspruch zu der Lehre Jesu. Im Übrigen hat Christus selbst uns vor den Gefahren des Relativismus gewarnt: »Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen« (Mt 5,37).

Mein Weg als Freimaurer

Подняться наверх