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Sich selbst rühmen!

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Vom Moment ihrer Initiation an erzieht also die Freimaurerei ihre Eingeweihten vor allem mittels bestimmter Rituale zu einer stolzen Autonomie. Das gilt für die Logen des Großorients von Frankreich, die mehrheitlich den – von ihnen selbst als »laikal (sic)« bezeichneten – französischen Ritus praktizieren. Im Verlauf der Zeremonie berührt der Meister vom Stuhl den neu ernannten Freimaurerlehrling, der soeben das Licht empfangen hat, mit der Klinge seines Flammenschwerts und sagt:

»Steh auf, mein Bruder, du wirst vor niemandem mehr knien. Ein Freimaurer lebt aufrecht und stirbt aufrecht.«

Das Wort Gottes lehrt uns das genaue Gegenteil: »Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters« (Phil 2,9–11).

Im Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, der weltweit am häufigsten zu finden ist, beginnt der Ichkult im Gesellengrad mit der oben beschriebenen Belehrung über die Handhabung des Brecheisens. Seine Bestätigung findet er im IV. Hochgrad des Geheimen Meisters. Bei der rituellen Unterweisung dieses Grades wird der Freimaurer gefragt:

»Sind Sie Geheimer Meister?«, und er muss antworten: »Dessen rühme ich mich.«

Es war mir schwergefallen, diese Selbstverherrlichung zu akzeptieren. Der Dreimalmächtige Meister65 hatte dies offenbar gespürt und mir daraufhin aufgetragen, ein Werkstück im IV. Grad vorzubereiten. Das Thema lautete: »Warum darf sich der Geheime Meister rühmen?«

Ich vertrat in meinem Werkstück die These, dass man sicherlich Gott, aber eben nur Gott rühmen und verherrlichen dürfe. Ich erklärte, dass »die Herrlichkeit […] der Strahlenkranz [ist], der das Bild Christi umgibt«. Dann führte ich aus, dass der Geheime Meister nicht mit der biblischen Person gleichgestellt werden könne. In diesem Zusammenhang zitierte ich in meinem Werkstück den sechsten und siebten Vers des 82. Psalms66: Die Menschen dürfen sich nicht für Götter halten, denn sonst stürzen sie wie einer der Fürsten!

Außerdem bezog ich mich auf das Johannesevangelium: »Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht!« (Joh 17,1). Der Geheime Meister dagegen, das sah ich ganz deutlich, rühmte sich seines eigenen Initiationserfolges und seines Sieges über sich selbst. Das bringt das Ritual dieses Grades nicht zuletzt durch die Erwähnung des Lorbeers zum Ausdruck:

– »Sind Sie Geheimer Meister?«

– »Dessen rühme ich mich!«

– »Wo wurden Sie als Geheimer Meister·aufgenommen?«

– »Unter dem Ölbaum und dem Lorbeerbaum.«

– »Wofür stehen diese Symbole?«

– »Der Lorbeer ist das Symbol des Sieges67, den ich infolge meiner Bemühungen, meine Pflicht zu erfüllen, über mich selbst davonzutragen hoffe.«68

Für mich dagegen gebührte aller Ruhm immer nur Gott. Mein Glaube an Gott ließ nicht zu, dass ich mich selbst rühmte: Das wäre Blasphemie gewesen: »Wo bleibt da noch das Recht, sich zu rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch die Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens« (Röm 3,27). Das stand fest: Kein gläubiger Mensch konnte sich selbst rühmen …

Im weiteren Verlauf meines Vortrages erklärte ich, dass ich mich vor Gott nur einer einzigen Sache rühmen konnte, nämlich der Armseligkeit meines Menschseins. »Ich muss mich ja rühmen […]; meiner selbst will ich mich nicht rühmen, höchstens meiner Schwachheit. […] [Der Herr] aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt« (2 Kor 12,1.5.8–9).

Wer sich selbst rühmt – so lehrt es der hl. Paulus, und das erkannte ich nun –, der sündigt und lässt sich mit Luzifer ein. Der IV. Hochgrad war für mich die Bestätigung, dass ich zum geheimen Herzen des Dämons vorgedrungen war!

Obwohl ich aus diplomatischen Gründen in meinem Werkstück im IV. Grad Christus implizit mit Hiram gleichsetzte, damit es der »freimaurerischen Korrektheit« entsprach69 – was der Herr mir später vergeben hat –, wirkten die Mitglieder der Perfektionsgrade verstört. Einige zogen eine Grimasse, andere knirschten mit den Zähnen, und die, die mich mochten, schienen betrübt darüber, dass es offenbar mit mir »schiefging«: Ich begann, dem Ungehorsam ungehorsam zu werden!

Von da an trennten sich unsere Wege … Hätten sie damals verstehen können, dass mein Gott nicht der »Große Baumeister aller Welten« war? Ich wollte nur noch eines: meinem Gott gehorchen, ihn allein von ganzem Herzen lieben und mich vor seiner Allmacht verneigen. Und nicht mich selbst vor dem »Großen Baumeister aller Welten« rühmen!

In den Ritualen der Freimaurerei – und das gilt auch für die deistischen Großlogen – ist keinerlei Lob Gottes vorgesehen. Allenfalls wird bei der Eröffnung und zum Abschluss der Arbeit verkündet, dass diese »zu Ehren des ›Großen Baumeisters aller Welten‹« abgehalten wird. Doch es gibt keine Bitten, keinen Lobpreis, kein gemeinsames Gebet, keine Anbetung. Was nur logisch ist, denn kein Freimaurer wäre imstande, sich vor Gott als schwach zu bekennen. Für die deistischen Großlogen ist Gott ein naturalistischer Begriff70, aber kein persönlicher Gott. Und für die »laizistischen« (genauer gesagt antiklerikalen oder bestenfalls materialistischen) Großlogen ist »Gott« einfach die Humanität oder ihr kollektives Unbewusstes.

Die individualistische Einstellung oder Autonomie, die daraus erwächst, wird zum Dogma erhoben und äußert sich letzten Endes in einem grundsätzlichen Ungehorsam: »Was mich die Fakten der Wissenschaft, des Glaubens und der Philosophie bislang hat ablehnen lassen, ist die Gehorsamsverweigerung gegenüber einem System und einer Sprache, die dieses System abbildet, und mein Bestreben […], bei ›der Suche nach der Wahrheit keinerlei Grenze‹ zu akzeptieren.«71 Dieser institutionalisierte Ungehorsam führt zwangsläufig zur Übertretung. In einem Konventbericht wird die Übertretung – als Leitidee einer auf die »freimaurerischen Werte« gegründeten Gesellschaft – sogar ausdrücklich gelobt: »1789 markiert somit den Beginn einer euphorischen Periode der Übertretungen […]. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts wird eine große Zahl von Werken das Kommen einer wunderbaren Welt heraufbeschwören. Dies sind politische Utopien, die man als sozialistisch bezeichnen wird.«72 Aus Sicht der Freimaurerei kann also der »Fortschritt der Menschheit«, insofern er einzig und allein auf freimaurerischen Utopien beruht, nur durch Übertretungen herbeigeführt werden. »Manchmal sind aus den Utopien von gestern die Realitäten von heute (Abschaffung der Sklaverei, Bürgerrechte, Abtreibung, Abschaffung der Todesstrafe …) geworden.«73 »Die Utopie erklärt sich durch die Entscheidung, sich für eine baldige Veränderung der Gesellschaften einzusetzen.«74

Die Freimaurerei wird ihre Adepten, die sich der weitreichenden Konsequenzen ihres Tuns zuweilen gar nicht bewusst sind, also anspornen, diese Utopien wahr werden zu lassen und – um noch einmal auf das Symbol des Brecheisens zurückzukommen – die Einführung von Gesetzen zu ermöglichen, die (wie Brecheisen) die bestehende Gesellschaftsordnung der Menschen aus den Angeln heben sollen. Das heißt, dass auf dem gedanklichspekulativen Boden der meisten Großlogen die Entschlossenheit wächst, eine neue Gesellschaftsordnung zu schaffen. Meine eigenen Erfahrungen aus 24 Jahren aktiver Freimaurerei sowie etlichen Werkstücken und freimaurerischen Erklärungen werden mir im Folgenden als Grundlage dienen, um zu erläutern, mit welcher Methode die Freimaurerei immer wieder versucht, ihre Utopien in Gesetzen auf legaler Ebene durchzudrücken und ihre Handlungs- und Einflussbereiche geltend zu machen.

Mein Weg als Freimaurer

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