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Von Grund auf eine Doppelmoral

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In den Augen der Freimauerei, die lehrt, dass der Mikrokosmos identisch mit dem Makrokosmos ist, ist das Universum dual. Folglich ist auch im Menschen alles dual angelegt.

Als Freimaurer hatte ich kein anderes Bezugssystem als das, welches die institutionelle Freimaurerei vertrat: Nichts ist ganz und gar böse, nichts ist vollkommen gut, jeder entscheidet letztlich selbst über seine moralischen Kriterien, die initiatische Utopie gibt den einzigen Rahmen vor. In vielen Werkstücken wird überdies die These vertreten, dass das schwarz-weiße Fliesenmuster nicht nur die Dualität symbolisiere, sondern – ein Anklang an das Yin und Yang der fernöstlichen Kosmologie – die schwarzen Kacheln Weiß und die weißen Kacheln Schwarz enthalten. Was in der Farbenlehre zutreffen mag, ist in der Theologie wohl eher fragwürdig! Die Freimaurerei vertritt demnach die Auffassung, dass ihre Eingeweihten Gutes tun, auch wenn sie sich ein bisschen böse verhalten, und dass sie Böses tun können, damit etwas Gutes daraus entsteht. Das ist sehr weit von der moralischen Strenge eines heiligen Paulus entfernt, der den Christen an das einzig Gute gemahnt: »Die Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten!« (Röm 12,9).

Konkret führt diese relative Moral zu Ausschweifungen, für die die Wollust ein perfektes Beispiel ist. Im Hinblick auf die Sexualität lehrt der heilige Paulus: »Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt – aber nichts soll Macht haben über mich« (1 Kor 6,12). Dagegen ist die Moral im freimaurerischen Sinne, wie ich bezeugen kann, lediglich das Ergebnis eines »Sozialvertrages« und ihre Grenzen sind letztlich von einem menschlichen Konsens abhängig, der keinem Gott Rechenschaft schuldet: »Der ehemalige Senator Caillavet, ein bekannter Freimaurer […] schreibt: ›Es gibt keine universale Moral mit göttlichem Unterbau; die Moral ist im Wesentlichen zufällig und daher veränderlich; sie ist nicht transzendental. Was heute wahr ist, ist vielleicht morgen schon falsch.‹«35 Wenn aber alles relativ und vorläufig ist, dann sind Wollust und Ehebruch keine Sünden mehr. Alles ist erlaubt und die Moral gibt es nicht mehr.

Ein Freimaurer, der immerhin für seine intellektuelle Aufrichtigkeit Anerkennung verdient, hat in einem Werkstück zugegeben, dass die Freimaurerei nicht nur relativistisch ist, sondern den Relativismus geradezu zum Dogma erhebt: »Auch wenn man sagt, dass der Relativismus nicht als Dogma aufgefasst wird, handelt es sich de facto doch um einen relativistischen symbolischen Entwurf; mithin ist der relativierende Charakter einer solchen moralischen und rituellen Gemeinschaft nichts, was man vernachlässigen könnte, sondern erweist sich im Gegenteil als entscheidend.«36

Nun wird aber gerade im Bereich der Sexualität die Freiheit, wenn sie relativ wird, leicht mit einem ausschweifenden Lebenswandel verwechselt: »Der Ehebruch ist bei ihnen weitverbreitet. Oh, protestieren Sie nicht, meine Brüder, ich könnte sehr viele Fälle nennen; ich könnte Namen von sehr erlauchten Brüdern37 nennen. In den Vorräumen werden oft sehr anzügliche Reden geführt; und wenn man am Abend die Große Loge verlässt, geht man nicht auf direktem Weg nach Hause, oder etwa doch, Bruder X und Bruder Y? Und ausgerechnet Sie schreien am lautesten, wenn es darum geht, abscheuliche Verleumdungen über die Priester und die Beichte in Umlauf zu bringen. Heuchler!«38

In anderen Gesellschaftskreisen zeigt eine Begebenheit, die durch die nationale Presse gegangen ist, wie sehr die Ideologie der Freimaurerei manche ihrer Mitglieder beeinflusst, bis schließlich in einer zügellos hedonistischen Mischung aus Freimaurerei, Sex, Politik und Geschäftemacherei jedwede moralische Barriere fällt: Ich meine die »Carlton«-Affäre, die im Februar 2015 beim Landgericht in Lille ihr gerichtliches Nachspiel hatte. Auch wenn der ehemalige geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, Sohn von Freimaurern und möglicherweise selbst Mitglied einer Loge, 2015 nicht wegen Zuhälterei verurteilt wurde39, hat er eingeräumt, im Rahmen von Veranstaltungen, die von manchen als »kollektive sexuelle Aktivitäten«40 beschrieben wurden, mit mehreren jungen Frauen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Knapp die Hälfte der im Zusammenhang mit dieser Affäre angeklagten Personen waren Freimaurer. Und »vier der sechs beschuldigten Freimaurer waren Mitglieder des Großorients von Frankreich«.41 Das Stichwort »Freimaurerei« ist auf jeder Seite dieser »erotisch-intimen« Akten zu finden: »Nach Ansicht der Untersuchungsrichter waren ›Netzwerke aus Freimaurern, Freigeistern und Politikern‹ beteiligt.«42 Und so kam es, dass das Wochenmagazin »Le Point darin den Schatten der Freimaurerei erkannte, Le Figaro von ›schlüpfrigen Brüdern‹ sprach, La Dépêche einen freizügigen, teils freimaurerischen Freundeskreis benannte und in etlichen weiteren Medienkommentaren der Begriff der Freimaurerei auftauchte«.43

Es geht hier nicht darum, alle Freimaurer als Freigeister oder als sexuell entartet abzustempeln. Ich kann im Gegenteil bezeugen, dass ich Logenmitglieder gekannt habe, die in dieser Hinsicht ohne Fehl und Tadel waren. Doch in der Freimaurerei ist alles relativ und der moralische Relativismus, der aus der freimaurerischen Doxa folgt, führt häufig auf Abwege. Diese Abwege sind die logische Konsequenz einer individualistischen, subjektiven und eigenständigen Betrachtungsweise des Eingeweihten. Wenn jeder Gut und Böse nach seinen eigenen Kriterien definiert, wird der Mensch in moralischer Hinsicht autonom.

Ein Freimaurer des Großorients von Frankreich erläutert in einem seiner Werkstücke – mit dem Titel »Ethik und Moral« –, dass die Freimaurerei amoralisch und dass diese relativistische Auffassung zwangsläufig durch den freimaurerischen Individualismus bedingt ist: »Die Autonomie jedes Einzelnen ist eine zentrale Forderung.«44

Darauf hat Papst Leo XIII. schon vor beinahe eineinhalb Jahrhunderten hingewiesen: »Die sittliche Erziehung, welche die Sekte der Freimaurer allein noch gutheißt und billigt, in der die Jugend herangebildet werden soll, ist die sogenannte rein weltliche, unabhängige und freie, d. h. alles Einflusses der Religion bare. Wie dürftig aber eine solche ist, wie kraftlos, wie schwankend bei jedem Hauch der Leidenschaften, das haben ihre bereits offenbarten und beklagenswerten Früchte hinlänglich dargetan. Denn wo immer jene ungehindert sich geltend machte, und die christliche Erziehung weichen musste, da schwanden alsbald die guten und reinen Sitten.«45

Und die Wollust ist eine Sünde gegen Gott, denn sie ist eine Sünde gegen unseren eigenen, von Gott geschaffenen Leib: »Meidet die Unzucht! […] Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!« (1 Kor 6,18–20). Liebe und Sexualität sind nicht voneinander zu trennen und die Heilige Schrift verpflichtet die Eheleute zur Vereinigung im Fleisch: »Entzieht euch einander nicht, außer im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeit lang, um für das Gebet frei zu sein! Dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht in Versuchung führt, weil ihr euch nicht enthalten könnt»(1 Kor 7,5).

Die Freimaurerei dagegen vertritt die Auffassung, dass jeder seinen eigenen Wünschen gemäß leben soll. Die Unzucht ist somit nichts Verwerfliches, sondern lediglich eine frei gewählte »Besonderheit« des Verhaltens. Gut und Böse werden zu relativen Begriffen und nichts hindert den Freimaurer daran, etwas Böses als gut zu betrachten.

Mein Weg als Freimaurer

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