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Montag, 14:16 Es war Mord

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»Herr Chefinspektor«, verfiel Gerda Probisch in diesen schulmeisterlichen Ton, für den sie bekannt war, »wenn ich mit Sicherheit sage, dürfen Sie getrost davon ausgehen, dass da nicht der Hauch eines Zweifels besteht.«

Über den schmalen Rand ihrer goldenen Brille warf sie ihm einen dieser Blicke zu, die so typisch für sie waren: streng, unnachgiebig und mit dieser herablassenden Art von Menschen, die zu hundert Prozent von sich überzeugt sind.

Nemecek biss sich auf die Lippen, damit ihm nicht noch eine überflüssige Anmerkung entschlüpfte – oder er gar die Obduktionsergebnisse infrage stellte, von denen er soeben erfahren hatte. Die Grande Dame der Gerichtsmedizin hatte nämlich zweifelsfrei nachgewiesen, dass Joschak keinem Unfall zum Opfer gefallen war. Er war zwar ertrunken, die Wunde am Hinterkopf war ihm aber definitiv vor seinem Tod beigebracht worden. »3,4 cm lang, 1,5 cm breit und fast 2 cm tief«, lieferte Martin Habicher, Probischs ewiger Assistent, die pathologischen Fakten, bevor seine Chefin erläuterte: »Kräftiger Schlag mit einem scharfkantigen Gegenstand, der zu sofortiger Bewusstlosigkeit und in weiterer Folge zum Tod durch Ertrinken geführt hat.«

Scharfkantiger Gegenstand, überlegte Nemecek verwundert, mitten auf dem See?

»Könnte vielleicht ein Ruder gewesen sein«, relativierte Obermayr sogleich alle Wunder. »Oder ein schwerer Gegenstand, der ihm an den Kopf geworfen wurde.«

»Möglich«, räumte Probisch ein, »zumindest, wenn der Gegenstand aus Holz bestanden hat. In der Wunde haben wir nämlich mikroskopisch kleine Holzsplitter gefunden.«

»Und die Wunde kann nicht von einem der Boote stammen oder vom Steg, wo die Leiche gefunden wurde?«, setzte Obermayr mit einer naheliegenden Frage nach. »Da gibt es doch auch jede Menge Holzteile?«

»Die Form der Wunde spricht eindeutig dagegen«, beschied Probisch knapp und verstummte, als wäre hiermit alles gesagt. Doch Habicher, der ja trotz seiner treuen Dienerschaft seit vielen Jahren selbst eine Professur innehatte, fühlte sich noch zu einer Ergänzung bemüßigt. »Die anderen Wunden und die Knochenbrüche hat er definitiv erst post mortem erlitten.«

Es muss also noch jemand auf dem See gewesen sein, sah Nemecek seine ursprüngliche Vermutung bestätigt.

»Der große Unbekannte in einem Elektroboot?« Obermayr dachte offenbar in dieselbe Richtung. »Oder in einem Ruderboot. Oder vielleicht sogar auf einem dieser Stand-up-Paddle-Boards.«

»Bei heftigem Wellengang?«, fragte Nemecek. »Du vergisst, dass es zu dieser Zeit ein schweres Gewitter gab!«

»Stimmt«, räumte seine Kollegin ein. »Ich kann mich ja nicht einmal bei ruhiger See auf diesen Dingern halten.«

Wie auch immer, schob Nemecek die Frage nach dem Transportmittel vorläufig zur Seite. Der Täter musste Joschak jedenfalls überrascht haben. Wahrscheinlich hatte er sich von der Seite genähert, an der Joschaks Kopf nicht regelmäßig aus dem Wasser tauchte – zumindest, wenn man von der klassischen Kraultechnik ausging. Andernfalls hätte Joschak doch den Angreifer sehen müssen und es hätte Abwehrverletzungen gegeben. Oder war alles so schnell gegangen, dass er gar nicht mitbekam, dass es sich um eine mörderische Attacke handelte? Immerhin war extrem schlechtes Wetter und Joschaks Sicht durch die Schwimmbrille ebenso eingeschränkt wie sein Gehörsinn durch die Badehaube.

»Unser Opfer muss völlig überrascht worden sein«, nahm Probisch seine Gedanken auf. »Joschak war wahrscheinlich in seinem eigenen Flow, bis dieser brutal beendet wurde.«

Nemecek staunte, dass die Gerichtsmedizinerin sich solchen Spekulationen hingab und dabei noch dazu ein so überstrapaziertes Wort in den Mund nahm. Flow konnte heutzutage ziemlich vieles bedeuten: die völlige Konzentration auf eine bestimmte Herausforderung, das Aufgehen in einer bestimmten Tätigkeit oder eben ein besonderes Rauschgefühl im Sport. Seine Frau Bettina hatte sich einmal intensiver mit dem bekannten Glücksforscher beschäftigt, dessen Namen in seiner Erinnerung nur aus einer langen Reihe von C, I und Y bestand. Dass ausgerechnet die sprachverliebte Gerichtsmedizinerin darauf anspielte, war erstaunlich. Aber vielleicht war Gerda Probisch in ihrer Jugend selbst Schwimmerin gewesen? Und kannte daher sowohl die Kraultechnik als auch das Hochgefühl, das dabei entstehen konnte? Nemecek dachte an diesen besonderen Tunneleffekt, den er beim Laufen oder Downhillen erlebte und der mitunter, wie er gerade erst wieder erlebt hatte, zu gefährlichen Situationen führen konnte.

»Ich nehme an, die aufgefundenen Holzsplitter sind bereits in der KTU zur weiteren Materialanalyse?«

»Selbstverständlich.«

»Können wir sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte Habicher zuvorkommend, als wäre er Verkäufer in einem Spezialitätengeschäft und erwarte die nächste Bestellung. Hatte er seinen Oberkörper nicht sogar kurz nach vorne gebeugt, wie das früher bei Dienstboten üblich war? Zuzutrauen wäre es ihm auf jeden Fall.

»Da ist tatsächlich noch etwas.« Kaum, dass er den Satz ausgesprochen hatte, sah Nemecek, wie sich die Augenbrauen der beiden Gerichtsmediziner fast gleichzeitig in die Höhe hoben. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet.

»Haben Sie letzte Woche einen gewissen Gernot Zettl obduziert?«

»Ist auf der Höhenstraße bei einem Autounfall ums Leben gekommen«, ergänzte Obermayr.

»Was hat das mit dem vorliegenden Fall zu tun?«, wollte Probisch wissen, während ihr Assistent bereits nach seinem allwissenden Tablet griff.

»Wissen wir noch nicht«, gestand Nemecek. »Wir wissen allerdings, dass Zettl im selben Unternehmen wie Joschak gearbeitet hat. Sogar im selben Geschäftsbereich.«

»Joschak und Zettl waren seit vielen Jahren Kollegen«, setzte Obermayr nach. Nemecek fragte sich gerade, wieso sich seine Kollegin bemüßigt fühlte, jede seiner Wortmeldungen zu kommentieren. Wollte sie ebenfalls zu Wort kommen? Oder passte ihr etwas an seinen Aussagen nicht? Doch bevor er sich weiter darüber wundern konnte, bestätigte Habicher: »Gernot Zettl. Unfall Höhenstraße am 8. August. Todesursache Genickbruch.«

»Ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen?«

Habicher blickte von seinem Tablet auf, als verstünde er die Frage nicht. Doch noch bevor Nemecek zu einer genaueren Erklärung ansetzen konnte, preschte Obermayr nach vorne: »Mein Kollege meint, ob Sie ungewöhnliche Verletzungen festgestellt haben?«

Nemecek spürte Ärger in sich aufsteigen. Was war heute mit seiner Kollegin los? Drückte er sich so undeutlich aus? Und selbst, wenn dem so wäre: Dachte sie denn, er sei nicht dazu imstande, das selbst zu klären?

»Soweit ich mich erinnere, handelte es sich um ein klassisches Unfallopfer«, mischte sich Gerda Probisch in die Diskussion ein. »Die Details über die unzähligen Knochenbrüche und inneren Verletzungen ersparen wir Ihnen lieber. Oder Herr Doktor, wie sehen Sie das?«

Habicher nickte seiner Vorgesetzten zu, wirkte dabei aber ein wenig zögerlich. »Wir sollten noch erwähnen, dass wir in Zettls Blut 1,8 Promille Alkohol und Spuren von Amphetamin gefunden haben.«

Nemecek zog die Augenbrauen hoch. War man mit einer derartigen Drogenmenge überhaupt noch fahrtüchtig? Aber das war wahrscheinlich wie in dem alten Witz von dem stockbesoffenen Mann, der seine Saufkumpanen bittet, ihn zum Auto tragen: Weil gehen kann ich heute nicht mehr!

»Könnten ihm die Drogen auch ohne sein Wissen verabreicht worden sein?«, zog Obermayr kurzfristig in eine andere Richtung. Was die Frage aufwarf, wo Zettl vor seinem Unfall gewesen war.

Wieder zögerte Habicher mit einer Antwort. Bevor er sich dazu äußern konnte, stellte Probisch fest: »Das herauszufinden, verehrter Herr Chefinspektor, fällt dann ja eindeutig in Ihr Ressort.«

Obwohl er gerne gewusst hätte, was Habicher durch den Kopf ging, musste Nemecek der Gerichtsmedizinerin recht geben. Mögliche Tathergänge durchzuspielen, war sicher nicht ihre Aufgabe. Auf alle Fälle hatte sie damit klargestellt, dass ihr heutiger Termin beendet war.

»Gut, dann bedanken wir uns für Ihren Sondereinsatz und stören Sie nicht länger.« Probisch hob kurz die Hand zum Gruß. Oder wollte sie mit der Geste eher anzeigen, dass die Audienz nunmehr beendet und sie entlassen waren? Das hätte zu dem aristokratischen Gehabe gepasst, das Obermayr so oft an der Gerichtsmedizinerin kritisierte: »Als würden wir noch in der K & K-Zeit leben!«

Von einem Moment auf den anderen verwandelte sich der Sektions- wieder in einen Konzertsaal. Wie sie wussten, wurde die forensische Routine gerne in opernhafter Atmosphäre erledigt. Die klangliche Wucht des einsetzenden Orchesters war überwältigend. Eines Tages würde er Habicher nach der technischen Anlage fragen, mit der er für einen solchen Sound sorgte. Während Obermayr das Reich der Toten fluchtartig verließ, gab sich Nemecek noch kurz den pathetischen Klängen hin, die nun den Raum erfüllten: Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligthum!

Im Hinausgehen fiel ihm ein, dass es Anfang der 70er-Jahre eine Dialektversion zu Beethovens Neunter gegeben hatte, die den Wiener als echten Menschenfreund präsentierte. Alle Menschen sind mir zuwider, hieß es darin sinngemäß, ich möcht’ sie in die Gosch’n hauen. Aufs Maul, in die Fresse, zwischen die Zähne, gingen Nemecek noch eine Zeit lang verschiedene Übersetzungen des wienerischen Ausdrucks durch den Kopf, ohne dass er sich einen Reim darauf machen konnte. Ob diese wortreichen Aggressionen irgendwas mit dem Mordfall zu tun hatten, der nunmehr offiziell war?

Tod dem Management

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