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Dienstag, 10:01 Agiler CEO

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Kurz nach 10 Uhr hatten sie ihren Wagen in der Tiefgarage abgestellt und hielten auf das hellgraue Gebäude zu, in dem sich der Firmensitz der Acros befand. Im Angesicht der verwaschenen Fassade mit den schmalen Fenstern, die aus der Distanz wie schwarze Löcher aussahen, drängte sich Nemecek der Ausdruck Betonbunker auf. Nemecek spürte einen Anflug von Enttäuschung. Hier sollte, wie Pflückinger in einem seiner Interviews ankündigte, die Zukunft des Unternehmens entstehen? Schon auf den ersten Blick stand das klassische Konzerngebäude vor ihnen in scharfem Kontrast zu dem architektonischen Spektakel, dem sie ein Jahr zuvor bei ihrem Fall in der SafeIT begegnet waren. Schwer vorstellbar, dass die Acros ganz auf dieselbe agile Karte setzte, um etwas Ähnliches zu verwirklichen wie der vielgelobte Vorzeigebetrieb. War das überhaupt möglich? Schließlich handelte es sich bei der Acros um einen internationalen Konzern mit vielen Tausend Mitarbeitern, während der Cybersecurity-Spezialist im 20. Bezirk ein familiengeführtes Unternehmen mit knapp 200 Angestellten war. Mal ganz abgesehen von der Frage, ob man hier überhaupt nach denselben Managementprinzipien vorgehen konnte, geschweige denn mit demselben Veränderungsansatz.

Nemecek ahnte, dass er auf diese Fragen keine schnelle Antwort finden würde. Fürs Erste war er einfach gespannt, wie gut das Innenleben der Acros zur äußeren Erscheinung passte. Allerdings erwartete er nicht allzu viel, nachdem sogar die den Eingang umflatternden Fahnen mit dem Firmenlogo seltsam farblos wirkten.

Brauner Teppich, beige Wände, niedrige, auf grobkörnigen Betonpfeilern ruhende Decken, sah er seine Vorurteile beim Betreten des Gebäudes sogleich bestätigt. Selbst die Yucca-Palme rechts vom Empfang hatte garantiert schon bessere Zeiten gesehen. Der schmale Tresen, an dem sie ihre Dienstausweise präsentierten, war mit löchrigen Paneelen verkleidet. Welcher Designer dachte sich so etwas aus? Die Mitarbeiterin, die mit einem zwischen Schulter und Kinn eingeklemmten Telefonhörer hinter dem Tresen saß, warf nur einen kurzen Blick auf ihre Ausweise, bevor sie wortlos die Zugangssperre öffnete.

»7. Stock, Chefetage«, erklärte Obermayr, als sie den Lift betraten. Nemecek nickte. Auch er hatte im Vorübergehen die goldene Hinweistafel überflogen. Wenig später verkündete ein dumpfes Klingeln, dass sie ihr Fahrtziel erreicht hatten. »Kriminalpolizei«, begrüßte Obermayr die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren, die hier offensichtlich den Zugang hütete. »Wir haben einen Termin mit Dr. Pflückinger.«

Nachdem sie kurz aufgeblickt hatte, wandte sich die Frau wieder den vor ihr liegenden Unterlagen zu. »Der Herr Direktor erwartet sie schon.« Dann drückte sie eine quadratische Taste auf ihrer altmodischen Telefonanlage und verkündete, dass die Herrschaften von der Polizei angekommen wären.

Im nächsten Moment flog die dunkel furnierte Bürotür auf und gab den Blick auf einen groß gewachsenen Mann frei. 1 Meter 90, etwa 50 Jahre alt, glattrasierter Kopf, Wohlstandsbauch, registrierte Nemeceks Radarsystem augenblicklich. »Reto Pflückinger«, begrüßte sie der Vorstandsvorsitzende der Acros mit einem strahlenden Lächeln, das den Blick auf makellose Zähne freigab. »Willkommen in unserer Villa Fürchterlich!«

Obermayr grinste. »Wenn man sich hier so umsieht, scheint mir das ein treffender Name zu sein. Aber wie wir gehört haben, ziehen sie bald um.«

Nemecek blickte seine Kollegin überrascht an. Woher hatte sie denn diese Information? War ihm da etwas entgangen? Oder hatte sie heimlich mit Zukic gesprochen?

»Gott sei Dank ist der Neubau fast fertig«, seufzte der CEO erleichtert. »Dieses schreckliche Labyrinth passt so gar nicht zu dem, wie wir in Zukunft arbeiten und uns präsentieren wollen.«

Locker, offen, leutselig, pointierte Nemecek seine ersten Eindrücke, gekrönt von diesem Schweizer Akzent, den er seit jeher sympathisch fand. Pflückinger trug weder Sakko noch Krawatte und hatte die Ärmel seines blütenweißen Hemds bis zu den Ellbogen aufgekrempelt. Das bestärkte das Image des engagierten Baumeisters, das ihm zugeschrieben wurde. Wenn sich Nemecek recht entsann, hatte sich der Schweizer seine Sporen in namhaften Technologieunternehmen verdient, war aber auch in Infrastruktur- und Automobilbetrieben tätig gewesen. Dabei kam der promovierte Telematiker nicht nur branchen-, sondern auch ländermäßig ganz schön herum: USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, erinnerte sich Nemecek an das eindrucksvolle Profil, das seine Assistentin aus dem Internet gefischt hatte. Laut Selbstbeschreibung sah sich Pflückinger als jemand, der eine starke Vision verfolgte und sich nicht zu schade war, kräftig mit anzupacken, um diese zu verwirklichen. Und natürlich verfügte er ebenso über die vielzitierte Handschlagqualität, ohne die heutzutage kein Spitzenmanager auszukommen schien.

Nemecek war nicht so naiv, all das für bare Münze zu nehmen. Ihm war klar, dass dahinter ein geschicktes Marketing steckte, das sich nicht immer an dem orientierte, was ein Manager tatsächlich bewirkte. Oder überhaupt bewirken konnte – schließlich hielt er die Vorstellung eines souveränen Unternehmenslenkers, der hochkomplexe Zusammenhänge quasi per Knopfdruck steuerte, für völlig realitätsfremd.

Erst kürzlich hatte er mit Bettina wieder über die unheilvolle Verbindung von Machtfülle und Selbstüberschätzung diskutiert, die sie im Universitätsbereich erlebte. Natürlich konnte ein Institutsleiter, ein Dekan oder ein Rektor weitreichende Entscheidungen treffen; dass sie dabei mitunter unerwünschte Nebenwirkungen übersahen und zugleich völlig ausblendeten, dass die Umsetzung vieler Entscheidungen nicht in ihrer eigenen Hand lag, stand freilich auf einem anderen Blatt. Innerhalb des Polizeiapparats, der ähnlich hierarchisch organisiert war wie die Universität, wurden die zahlreichen Abhängigkeiten, mit denen es jedes Management zwangsläufig zu tun hatte, ebenfalls konsequent ausgeblendet. Oder darauf beschränkt, dass »die unten« von denen »da oben« abhängig waren – nicht umsonst sprach man ja immer noch von Vorgesetzten und Untergebenen. Dass das Gegenteil ebenso zutraf und jede Art der Führung davon abhing, dass Menschen folgten, wurde weit weniger beachtet. Im Laufe der Diskussion hatte sich seine Frau sogar zu einer kleinen Brandrede hinreißen lassen: Manager, so ihre Pointe, würden überhaupt nichts bewirken, wenn die Leute nicht bereit waren, ihr Bestes zu geben.

»Der blinde Fleck der Macht«, nannte Bettina diese Top-down-Abhängigkeit, die sie an der Universität so intensiv erlebte. Nemecek hatte der Ausdruck so gut gefallen, dass er ihn später in seinem Notizbuch festhielt. Jetzt fragte sich Nemecek, ob auch Pflückinger diesen blinden Fleck teilte. Oder verfolgte der Schweizer, der sich ja dezidiert vom traditionellen Management abgrenzte, tatsächlich einen anderen Kurs? Bedeutete der Begriff agiles Management weit mehr als ein modisches Label? Fürs Erste eilte dem neuen CEO ein ausgezeichneter Ruf voraus, sodass man gespannt sein durfte, was sich bei der Acros tatsächlich verändern würde – obgleich man nach den wenigen Monaten, die er in Amt und Würden war, sicher noch keine Wunderdinge erwarten durfte.

»Nehmen Sie doch bitte Platz«, holte ihn Pflückinger aus seinen Überlegungen wieder in die Gegenwart ihrer Ermittlungen zurück. »Was darf ich Ihnen anbieten? Kaffee, Tee, Wasser?«

»Danke, Wasser reicht uns vollkommen.«

Geduldig verfolgte Nemecek, wie ihr Gastgeber nach der bereitstehenden Karaffe griff, um die Gläser zu füllen. Bereits im Wagen hatte er sich mit Obermayr darauf verständigt, dass sie dem Manager den Vortritt lassen würden. Dementsprechend neugierig durfte man auf dessen Eröffnung sein.

Sie mussten nicht allzu lange warten. Denn kaum, dass er die Karaffe abgestellt hatte, sagte der CEO: »Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass mich Ihr Besuch überrascht.« Pflückinger wartete kurz, damit seine Worte die erhoffte Wirkung erzielen konnten. »Bislang bin ich davon ausgegangen, dass Joschak bei einem Schwimmunfall ums Leben kam. Und jetzt sitze ich der Kriminalpolizei gegenüber?«

»Bei solchen Unfällen sind wir verpflichtet, die genaueren Umstände zu klären«, fühlte sich Obermayr sofort zu einer Erklärung angehalten, merkte aber selbst, wie fadenscheinig diese klang.

»Verstehe«, erwiderte der CEO nach einer weiteren Pause. Allerdings war ihm deutlich anzusehen, dass das Gegenteil zutraf. Demonstrativ blickte er auf seine Armbanduhr, die mit Sicherheit ein paar Monatsgehälter verschlungen hatte – zumindest von den Gehältern, die ein Kriminalkommissar durchschnittlich verdiente. Dann presste er seine Fingerspitzen aufeinander, um mit seinen Händen eine jener Rauten zu formen, die die deutsche Bundeskanzlerin weltberühmt gemacht hatte. Das sollte zweifellos eine Botschaft sein.

»Wie genau kann ich Ihnen helfen?«

»Erzählen Sie uns doch für den Anfang einmal, wie es so war, mit Joschak zusammenzuarbeiten.«

Während Nemecek sein Notizbuch aus der Tasche kramte, fiel ihm auf, dass Obermayr ebenfalls eine Händeraute gebildet hatte. Spiegeln, nannte sie diese Strategie, die sie schon bei vielen Gesprächen eingesetzt hatte. Verstohlen blickte Nemecek zwischen seiner Kollegin und dem Acros-Chef hin und her. Beide hatten jetzt die Augenbrauen ein wenig zusammengezogen und den Mund leicht gespitzt. Konnte es sein, dass Obermayr nun sogar die Mimik ihres Gegenübers nachahmte?

»Ich muss vorsichtig sein«, setzte Pflückinger an, »da ich ja erst ein paar Monate im Unternehmen bin. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass Joschak zu denen gehörte, die ich als alte Garde bezeichne.«

»Das klingt in meinen Ohren ziemlich negativ«, merkte Obermayr an, was Pflückinger mit einem kurzen Prusten quittierte. Gleich darauf ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, als suchte er dort nach den richtigen Worten.

»Ich will Ihnen nichts vormachen. Joschak war das, was man mit Fug und Recht als Urgestein bezeichnen darf. Seine Karriere erzählt viel über die Unternehmensgeschichte, die er fast zwanzig Jahre lang mit gestaltete.«

Es folgte eine weitere Pause, in der Pflückinger anscheinend seine Gedanken sortierte. Mit Sicherheit überlegte er, wie viel er preisgeben sollte. Fragte sich nur, wie diplomatisch er seine Aussagen anlegen würde – was ihm als Schweizer vermutlich besonders im Blut lag. Während Pflückinger weiter mit sich selbst beschäftigt war, warf Nemecek einen bangen Blick zur Seite, da er befürchtete, dass Obermayr wieder aufs Tempo drücken würde. Doch seine Kollegin saß ganz entspannt in ihrem Ledersessel und wartete, was als Nächstes kommen würde.

»Zweifellos hatte Joschak seinen Anteil an unserer Erfolgsgeschichte«, begann Pflückinger schließlich das Ergebnis seiner Überlegungen zu präsentieren.

»Das klingt nach einem Aber-Satz.«

»Andererseits«, nahm der CEO Obermayrs Anmerkung auf, »legte er dabei einen Managementstil an den Tag, der einem die Zusammenarbeit alles andere als leicht machte – wenn Sie verstehen, was ich meine?«

»Er war kein Teamplayer?«, versuchte Obermayr den säuerlichen Ausdruck zu deuten, den Pflückingers Gesicht angenommen hatte. Der Schweizer lachte auf, aber es war alles andere als ein fröhliches Lachen.

»Man soll ja bekanntlich nicht schlecht über Tote reden. Aber offen gesagt war gerade Joschak eine echte«, Pflückinger zögerte kurz, um das richtige Wort zu finden, »Herausforderung. Für mich als Vorstand, für seine Kollegen und fürs ganze Unternehmen.«

»Weil er immer sein eigenes Ding durchziehen wollte?«

»Weil er extrem machtorientiert war«, stieß Pflückinger mit unerwarteter Heftigkeit hervor. »Weil er seine Mitarbeitenden wie ein Marionettenspieler zu dirigieren versuchte, weil er sich ständig in die laufenden Arbeitsprozesse einmischte und weil für ihn letztendlich nur seine eigene Meinung zählte. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung fühlte er sich immer im Recht.«

»Das stand in krassem Widerspruch zu den umfassenden Veränderungen, mit denen Ihr Unternehmen gerade beschäftigt ist«, spekulierte Nemecek. »Stichwort Agilität?«

»Das sagt Ihnen etwas?«, wunderte sich sein Gegenüber.

»Wir hatten in einem unserer Fälle damit zu tun.«

»Sie erahnen wahrscheinlich, wie gut ein solcher, nennen wir es einmal traditioneller Managementstil mit agilen Werten vereinbar ist.«

»Agile Werte?« Obermayr runzelte die Stirn. Nemecek musste zugeben, dass er selbst Mühe hatte, sich zu erinnern. War das nicht etwas mit Offenheit gewesen? Oder Vertrauen?

Pflückinger schien ihre Verwirrung zu spüren. Oder er fühlte sich aufgrund von Obermayrs Stirnrunzeln zu einer Antwort verpflichtet. Jedenfalls hob er unversehens die linke Hand und erklärte mit gestrecktem Zeigefinger: »Commitment, verstanden als die Bereitschaft, mich für eine Sache wirklich verantwortlich zu fühlen und alles in meiner Macht Stehende zu tun, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Einfachheit«, schnellte schon der Mittelfinger in die Höhe, »als Gegenentwurf zu unserer Neigung, vieles komplizierter als nötig zu machen.« Nemecek verfolgte gespannt, wie der CEO kurz durchatmete und dann seinen Ringfinger in Bewegung setzte. »Respekt als fundamentale, vorurteilsfreie Anerkennung jeder Person, wie sie ist. Schließlich Mut«, wie erwartbar vom kleinen Finger angezeigt, »im Sinne von Ehrlichkeit, offenem Feedback und der Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren und alte Gewohnheiten hinter sich zu lassen.«

Während Nemecek noch Pflückingers spontanem Wertevortrag nachhing, zeigte sich Obermayr wenig beeindruckt. Gut möglich, dass seine Kollegin sogar ein wenig genervt über die ungebetene Belehrung war. Ihre Stimme klang jedenfalls sonderbar, als sie wieder zu ihrem eigentlichen Gesprächsthema zurückkam: »Doch Joschak waren offenbar ganz andere Dinge wichtig?«

Pflückinger schien es nichts auszumachen, dass seine Gesprächspartnerin sang- und klanglos über seine agilen Werte hinwegging. Auf alle Fälle antwortete er wie aus der Pistole geschossen: »Joschak ging es vor allem darum, alle Fäden in der Hand zu behalten. Sich im eigenen Fachsilo einmauern, alle Mitarbeitenden engmaschig kontrollieren, Fehlleistungen drastisch sanktionieren – wollen Sie noch mehr hören?«

»Ich frage mich gerade, wie das Ganze zur bevorstehenden Beförderung passt, von der uns seine Frau erzählt hat.«

»Beförderung?« Pflückinger staunte.

»Laut seiner Frau hat er fix damit gerechnet, die offene Stelle des Technikvorstands zu übernehmen.«

Wieder dieses bittere Lachen. Dann fuhr sich der Acros-Chef rasch mit beiden Händen über das Gesicht, als könnte er damit seine Bitterkeit wegradieren. Mit matter Stimme setzte er fort. »Glauben Sie mir: Das ist das absolute Gegenteil dessen, was wir mit ihm vorhatten.«

»Joschak sollten entlassen werden?« Nemecek konnte seine Überraschung nicht verbergen.

Pflückinger hob die Hände. »Das stand zumindest im Raum.«

»Dann gab es in den letzten Wochen also jede Menge Konfliktstoff«, fasste Obermayr die Ausführungen des CEO zusammen. Für Nemeceks Ohren klang das Ganze nach einem echten Pulverfass. Ihm war, als könnte er die explosive Mischung geradezu riechen. Fragte sich, wie sich Joschak dazu verhalten hatte. Mit Sicherheit hatte er dem Funkenregen rund um ihn nicht tatenlos zugesehen. Doch was würde ein traditionell orientierter Manager wohl tun, der über viele Jahre hinweg sein eigenes Reich aufgebaut hatte und dieses nun massiv bedroht sah? Er würde in die Gegenoffensive gehen, gab er sich selbst die Antwort. Getreu dem alten Slogan: Angriff ist die beste Verteidigung!

»Mit seinem Verhalten hat sich Joschak sicher nicht nur Freunde gemacht«, griff Obermayr im nächsten Moment seine Gedanken auf. »Was Sie erzählen, klingt eher nach gepflegten Feindschaften.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, doch Pflückinger schien das nicht zu stören. Offensichtlich bot ihm das Gespräch eine willkommene Gelegenheit, ein wenig Dampf abzulassen. Ob sie dieser Dampf in ihren Ermittlungen weiterbrachte, würde sich zeigen.

»Weder auf Kunden- noch auf Mitarbeiterseite. Joschak wollte einfach nicht anerkennen, dass der Markt heute völlig andere Anforderungen stellt als vor 20 Jahren! Und dass dies bedeutet, dass wir uns nicht nur anders organisieren, sondern diese Organisation auch anders managen müssen.«

»Ich nehme an, Sie sind nicht der Einzige, der das so sah.«

»Gottlob nicht. In vielen Bereichen greift die agile Veränderung ausgezeichnet. Die neuen Teams arbeiten großartig zusammen, die Stimmung ist gut und sogar die Leistung hat sich schon nach wenigen Wochen verbessert.«

»Ich gehe auch davon aus, dass Joschak nicht der Einzige war, der sich dieser Entwicklung verweigerte«, spitzte Nemecek seine konfliktorientierten Argumente weiter zu.

»Nein«, gestand der CEO schweren Herzens. Nemecek war klar, dass sein Gegenüber lieber weiter über die Zwischenerfolge seiner Veränderungsinitiative geredet hätte, doch darauf durfte er jetzt keine Rücksicht nehmen.

»Das klingt für mich nach einem astreinen Machtkampf.«

Pflückinger nickte.

»Nach einem Kampf, der für Marco Joschak tödlich endete«, ließ Nemecek nun endlich die Katze aus dem Sack.

»Marco wurde ermordet?« Von einem Moment auf den anderen schien jede Farbe aus Pflückingers Gesicht gewichen zu sein. Langsam öffnete er den Mund, brachte aber keinen Ton hervor.

»Seit gestern wissen wir definitiv, dass Joschak bewusstlos geschlagen wurde, bevor er im See ertrunken ist«, ergänzte Obermayr der Vollständigkeit halber. Ihr Gegenüber war immer noch leichenblass, schaffte es aber wenigstens, seine Lippen wieder zu schließen.

»Sie können uns sicher einige Personen nennen, mit denen Joschak in letzter Zeit besonders intensive Auseinandersetzungen hatte.«

Pflückinger streckte seinen Rücken durch. Es war ihm deutlich anzusehen, wie er mit sich rang. Um seine eigene Ungeduld zu bezähmen, begann Nemecek im Geiste langsam von zehn herunterzuzählen. Als er bei vier angekommen war, hatte Pflückinger offenkundig einen Entschluss gefasst.

»Nun, Sie finden es ja ohnehin heraus. Ja, es gab zuletzt einige unschöne Szenen, die zu einer Art Lagerbildung geführt haben.«

»Die Namen, Herr Pflückinger!«, zeigte sich Obermayr nun ungnädig. »Wir brauchen Namen, um in diesem Fall weiterzukommen.«

»Also, die Protagonisten des agilen Lagers sind Niels Swartling als gesamtverantwortlicher Change Manager, Johanna Kniewasser, unser Head of Product, sowie Felix Wondratsch und Melanie Wunzer aus den Entwicklungsteams. Gemeinsam mit mir bilden sie das sogenannte Agile Change Team, kurz: ACT, das alle Veränderungsmaßnahmen koordiniert.« Rasch hatte Nemecek die genannten Namen in seinem Notizbuch festgehalten. Beim letzten Namen stutzte er kurz, fand aber auf die Schnelle keine Erklärung dafür. Dennoch ahnte Nemecek, dass ihm diese Melanie Wunzer schon einmal irgendwo untergekommen war. Wo war das bloß gewesen?

»Und die andere Seite?«, gönnte ihm seine Kollegin keine Zeit, um weiter in seinem Gedächtnis zu graben.

»Neben Joschak vor allem Gernot Zettl, unser Head of Operations. Aber der ist ja leider letzte Woche tödlich verunglückt.«

»Das wissen wir schon«, erklärte Obermayr, »und sind gerade dabei, diesen Unfall auf Herz und Nieren zu prüfen.«

Pflückinger verzog das Gesicht. »Sie gehen jetzt aber nicht davon aus, dass auch Zettl einem Anschlag zum Opfer gefallen ist?«

Obermayr warf Nemecek einen kurzen Blick zu, als wollte sie sich stillschweigend mit ihm abstimmen. Doch ihre Richtung war längst klar.

»Die KTU klärt gerade, ob an Zettls Wagen etwas manipuliert wurde.«

Nemecek sah, wie der CEO heftig schluckte, bevor er hinzufügte: »Noch ermitteln wir natürlich in alle Richtungen. Aber die Hinweise verdichten sich, dass die Ereignisse zusammenhängen.«

Und dass diese wiederum etwas mit den laufenden Veränderungen in der Acros zu tun haben könnten, dachte Nemecek für sich. Ein Gedanke, der noch im Raum zu hängen schien, als sie das Büro verließen, nachdem ihnen der CEO jede in seiner Macht stehende Hilfe versprochen hatte, um diese schrecklichen Ereignisse so rasch wie möglich aufzuklären.

Tod dem Management

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