Читать книгу Tod dem Management - Siegfried Kaltenecker - Страница 6
Mittwoch, 13:09 Ferragosto in Wien
Оглавление8 Minuten, 23 Sekunden, stellte Chefinspektor Robert Nemecek mit einem kurzen Blick auf seine Stoppuhr fest. Wenn das so weiterging, dann würden sie bald keine fünf Minuten mehr für ihr Standup-Meeting benötigen! Andererseits gab es wahrlich Schlimmeres, als bei 35 Grad Celsius eine Besprechung kurz zu halten, bei der es ohnehin nur wenig abzustimmen gab. Immerhin befanden sie sich mitten in dem, was die Italiener so schön Ferragosto nannten. Denn während sich die Österreicher mit einem einzigen Feiertag begnügten, gingen die südlichen Nachbarn rund um den 15. August für gewöhnlich gleich länger in Urlaub. Dieser Kultur folgend, sollte man die heißeste Zeit des Jahres, wie Bezirksinspektorin Nina Obermayr in schillernden Farben ausmalte, tunlichst am Meer und nicht in einem stickigen Büro verbringen. Doch so begeistert seine Kollegin das hochsommerliche Dolce Vita beschwor, so schwer fiel es Nemecek, dabei nicht an zähe Blechlawinen, überteuerte Hotels und endlose Reihen von Sonnenschirmen zu denken. Ob das wirklich eine attraktive Alternative zu ihrer aktuellen Schwitzhütte war? Zusammengepfercht wie die sprichwörtlichen Sardinen auf einem brandheißen Strand zu liegen? Oder sprach da wieder einmal der klassische Wiener aus ihm, der bekanntlich an allem etwas auszusetzen hatte?
»Was für eine Affenhitze«, stöhnte Nina Obermayr auf, als wollte sie diese Grundhaltung illustrieren. »Da fängt dir ja das Hirn zu kochen an!« Mit einer theatralischen Geste wischte sie sich die Schweißperlen von der Stirn und ließ sich dann auf ihren Bürostuhl plumpsen.
»Aber Nina«, meinte Lilly Zukic grinsend, »damit wir nicht überhitzen, hat uns der Herr Oberst doch mit ausreichend Cold Cases versorgt.« Die junge Kriminalassistentin war zwar erst vor ein paar Monaten zu ihnen gestoßen, fügte sich aber bereits bestens in ihr eigenwilliges Ermittlungsteam ein, zu dem eben auch ihr Chef Heribert Kappacher gehörte.
»Hör mir bloß auf!«, schimpfte Obermayr. »Den machen die Temperaturen endgültig gaga. Wie kann man nur auf so eine bescheuerte Idee kommen?!«
Wenn er ehrlich war, musste Nemecek seiner langjährigen Sparringpartnerin recht geben. Und diese war schon wieder ordentlich in Fahrt. »Gott sei Dank ist er zwei Wochen in Urlaub, da geht er uns wenigstens nicht jeden Tag auf die Nerven!«
»Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch«, kommentierte Zukic. Worauf Obermayr knurrte: »Der Käse, den die Katze zurückgelassen hat, ist allerdings ziemlich ranzig.«
Nemecek schüttelte den Kopf. Natürlich war das wieder mal so eine typische Idee ihres Vorgesetzten gewesen. Eines Morgens hatte er sein Ermittlungsteam zu sich beordert, um ihnen lang und breit darzulegen, dass sie die Saure-Gurken-Zeit in diesem Jahr dafür nützen würden, systematisch alte Fälle aufzuarbeiten. Zu allem Überfluss hatte er offenbar wieder einmal ferngesehen, denn plötzlich hießen diese ungelösten Fälle nach einer amerikanischen Krimiserie.
»Mir reicht’s jedenfalls«, beschloss Obermayr und sprang von ihrem Stuhl auf, als hätte die Sitzfläche gerade Feuer gefangen. »Wie wär’s stattdessen mit einer erfrischenden Zitronade? Selbstverständlich on the rocks, wie sich das für ein weltoffenes Kommissariat so gehört.«
»Gute Idee!«, ließ sich Zukic nicht zweimal bitten, obwohl sie im Unterschied zu Obermayr keinerlei Erschöpfungszeichen zeigte. Aufgrund ihrer kroatischen Wurzeln schien sie in der Hitze eindeutig im Vorteil zu sein. Sie wirkte ruhig und gelassen, während sich ihre oberösterreichische Kollegin schon wieder den Schweiß von der Stirn tupfte.
»Also gut«, rang sich Nemecek ebenfalls durch, »ein wenig abgestandene Kantinenluft kann an so einem Tag sicher nicht schaden.«
»Wie geht’s eigentlich den Mädels?«, fragte Obermayr, als sie wenig später die Treppe erreicht hatten. »Schwitzen die auch brav vor sich hin?«
»Höchstens am Badesteg.«
»Sind die schon am See?«
»Seit letzten Sonntag. Zwei Wochen Kärnten. Wie immer in Faak. Mit der Frau Mama.«
»Und der Herr Papa?« Zukic blickte ihn neugierig an.
»Wird morgen dazu stoßen. Und sich dann bis Sonntagabend in eine stabile Sommerlage bringen. Nichts als Wasser, Liege, Sonne.«
»O sole mio«, setzte Obermayr gerade zu einer ihrer gefürchteten Singattacken an, als sie plötzlich von lautem Geschrei unterbrochen wurde.
»Das ist doch nicht zu fassen!«, tönte eine aufgebrachte weibliche Stimme aus der Eingangshalle des Polizeipräsidiums zu ihnen herauf. »Glaubt ja nicht, dass ich mir das gefallen lasse!«
Verwundert drehte sich Nemecek zu Obermayr um. Seine Kollegin hatte jedoch auch keine Erklärung, sondern nur ein kurzes Schulterzucken zu bieten. Ohne es zu wollen, beschleunigten sie ihre Schritte. Als sie im ersten Stockwerk angekommen waren, nahm die Schimpftirade neue Fahrt auf. »Das wird ein Nachspiel haben. Darauf könnt ihr alle miteinander Gift nehmen!«
»Kärntnerin, oder?«, versuchte Zukic den Dialekt der Frau zuzuordnen. Während Obermayr noch versuchte, das landestypische Verschlucken der ch-Laute nachzuahmen, konzentrierte sich Nemecek ganz darauf, mit seinen Kolleginnen Schritt zu halten. Denn Zukic hatte ebenfalls einen Zahn zugelegt und nahm nun immer gleich zwei bis drei Stufen auf einmal.
»Das war Mord!«
Der grelle Schrei der unbekannten Frau hallte im Foyer wider, bevor das schwere Eingangstor mit einem dumpfen Knall ins Schloss fiel. Als sie endlich unten ankamen, war nichts mehr von einer Kärntnerin zu sehen. Vor dem Ausgang standen jedoch noch zwei Uniformierte, die sich leise miteinander unterhielten.
»Was war denn da los?«, rief ihnen Obermayr schon von Weitem zu. »Und wo ist die Frau?«
»Gott sei Dank ist die wieder weg«, antwortete der ältere der beiden Beamten, der anscheinend ebenfalls aus Kärnten kam. »Die macht einen noch ganz verrückt.«
»Das geht schon den halben Vormittag so«, bekräftigte sein Kollege in diesem langgezogenen, ein wenig weinerlich klingenden Ton, der in der Wiener Vorstadt zu Hause war. Obermayr drehte sich zur Seite, blies die Backen auf und ließ die Luft dann mit einem kurzen Zischen entweichen. Als sie sich wieder den Beamten zuwandte, schien sie fürs Erste ausreichend Spannung abgebaut zu haben.
»Und worum ging es der Frau, wenn man fragen darf?«
»Na, ihr Göttergatte hat letzte Woche einen tödlichen Unfall gehabt und jetzt ist die Witwe mit den Nerven am Ende.«
»Das kann man ja irgendwie verstehen, wenn man einen geliebten Menschen verliert, oder?«, meinte Zukic.
»Das verstehen wir eh auch. Aber muss man dann gleich so einen Aufstand machen?«
»Die hat sich echt total hineingesteigert, sag ich euch«, bekräftigte sein Kollege.
»Wieso hineingesteigert?«
»Na, die marschiert da rein und behauptet steif und fest, dass ihr Mann ermordet wurde.«
»Ermordet?«, kam nun auch Nemecek ins Staunen. »Wie kommt sie denn auf so was?«
»Das fragt ihr am besten den Bialek. Der hat sich gerade fast eine Stunde mit ihr beschäftigt.«
»Marina Joschak heißt die Frau«, erklärte besagter Bialek, seines Zeichens Chef des Unfallkommandos, wenig später. »Ihr Mann ist vor ein paar Tagen im Faaker See ertrunken.«
»Ausgerechnet im Faaker See?«, meinte Obermayr mit einem Seitenblick auf Nemecek.
»Jawolle, Frau Holle«, entgegnete Bialek betont locker. Er gehörte zu den Menschen, die schallend über ihre eigenen Witze lachen konnten – selbst wenn diese gar nicht lustig waren oder vielleicht dann sogar am meisten.
»Die Gute ist sogar zwei Mal von Wien nach Kärnten und wieder zurück gefahren, um überall für Wirbel zu sorgen.«
»Frau Joschak stammt selbst aus Kärnten?«
»Genau wir ihr verunglückter Mann. Die beiden wohnen aber schon über 30 Jahre in Wien. Wartet kurz.« Bialek hob die Hand wie ein Verkehrspolizist, der ein allgemeines Stopp signalisierte. Während er die linke in der Luft behielt, wühlte er mit der rechten in den vor ihm liegenden Unterlagen. »Da haben wir’s schon.«
»Sie haben gar kein Protokoll aufgenommen?«, wunderte sich Zukic.
»Geh bitte!« Bialek verdrehte demonstrativ die Augen. »Wenn ich für jede aufgeregte Angehörige einen offiziellen Bericht schreiben tät, käme ich den ganzen Tag zu nix anderem.«
Obermayr warf dem Unfallchef einen gefährlichen Blick zu. Nemecek war klar, dass ihr die überhebliche Art des Kollegen total gegen den Strich ging. In seinen Ohren klang Bialek ebenfalls ziemlich respektlos – vom sprichwörtlichen Freund und Helfer ganz zu schweigen. Aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Erst einmal mussten sie in Erfahrung bringen, worum es hier eigentlich ging.
»Warum war sie denn so aufgebracht?«
»Wie gesagt: Sie war sich sicher, dass die Kärntner Kollegen ihre Arbeit nicht richtig gemacht haben.« Obwohl er sich demonstrativ entspannt zurücklehnte und dabei seinen imposanten Bierbauch zur Schau stellte, war Bialek deutlich anzuhören, wie viel er von einem solchen Vorwurf hielt.
»Aber wie kommt sie darauf?«
»Das müsst’s ihren Psychiater fragen!«
Nemecek hörte, wie Obermayr neben ihm die Luft ausstieß. Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie explodierte. Doch Nemecek setzte auf Deeskalation und wiederholte deswegen betont sachlich: »Wie kommt Frau Joschak darauf, dass es sich um Mord handelt?«
Jetzt blies auch Bialek die Backen auf. Es war offenkundig, dass ihm die lästigen Fragen der Kripo-Kollegen allmählich auf die Nerven gingen. Entsprechend säuerlich erklärte er: »Weil sie nicht akzeptieren kann, dass ihr Mann einem ganz normalen Badeunfall zum Opfer gefallen ist.«
»Aber sie wird doch einen Grund für ihren Verdacht haben?«
»Die hat sich eine regelrechte Verschwörungstheorie zusammengesponnen: dass man ihn aus dem Weg räumen wollte, dass sich das schon lange abgezeichnet hat, dass bestimmte Leute nur auf eine passende Gelegenheit gewartet hätten, was weiß ich!«
Während er sich regelrecht in Rage redete, verfärbte sich Bialeks Gesicht mehr und mehr. Mittlerweile hatte es eine besorgniserregende dunkelrote Farbe angenommen. »Glaubt ihr denn wirklich, dass an der G’schicht irgendwas dran ist?«
»Glauben bringt uns nicht weiter«, zischte Obermayr. »Wie wär’s zur Abwechslung mal mit den Fakten? Wen genau hat sie mit ‘bestimmte Leute’ gemeint? Wer wollte ihm etwas antun? Wir brauchen Namen, Bialek, konkrete Anhaltspunkte!«
Bialek warf ihr einen wütenden Blick zu und sah dann mit aufforderndem Gesichtsausdruck zu Nemecek. Es schien, als würde er allen Ernstes erwarten, dass dieser jetzt den Vorgesetzten gab und seine Kollegin zurückpfiff. Nachdem Nemecek keinerlei Anstalten machte, griff der Unfallchef schließlich resigniert nach seiner Computermaus. »Ich weiß zwar nicht, warum euch das so interessiert, aber bitte: Wenn ihr es unbedingt genau wissen wollt, dann schick ich euch halt den Unfallbericht der Faaker Kollegen zu.«