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Montag, 17:25 Unfälle, die keine Zufälle sind

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Auf dem Rückweg ins Kommissariat gab Nemecek Gunther Rüdinger Bescheid. Wie üblich reagierte der Staatsanwalt ruhig und gefasst. In wenigen Worten sicherte er zu, umgehend alle notwendigen Folgeschritte einzuleiten. Mit dem offiziellen Ermittlungsauftrag in der Tasche, rief Nemecek gleich noch einmal in Kärnten an. Unglücklicherweise ging ausgerechnet der junge Ruschitz an den Apparat, der sich ihm gegenüber total ablehnend verhalten hatte. Sogar über das Telefon war seine negative Haltung deutlich zu spüren. Selbst als ihm Nemecek von den neuesten Erkenntnissen der Gerichtsmedizin berichtete, änderte sich daran nichts. Stattdessen wurde er mit wenigen Worten abgefertigt: Nein, Rudi Hinteregger sei derzeit nicht zu erreichen, eine genauere Spurensuche habe es nicht gegeben, jedenfalls sei er nicht daran beteiligt gewesen und über irgendwelche Ermittlungsergebnisse wisse er schon gar nichts. Für ihn sei der Fall abgeschlossen, von einem Mord wolle er nichts wissen, sie hätten wahrlich wichtigere Dinge zu tun, als irgendwelchen Spinnereien aus Wien nachzulaufen. Noch bevor Nemecek angemessen reagieren konnte, hatte sein Gegenüber einfach aufgelegt.

Als sie zehn Minuten später in ihrem Büro eintrafen, war trotzdem wieder ein wenig Ruhe eingekehrt. Nemecek nahm sich Zeit, um seine Tasche auszuräumen: Telefon, Tablet, Notizbuch, Wasserflasche und die Wochenendzeitung, die er erst heute morgen vor seiner Wohnungstür aufgelesen hatte. Betont langsam breitete er alles fein säuberlich auf seinem Schreibtisch aus. Dann schob er seinen Bürostuhl darunter, nahm sein Notizbuch in die Hand und trat vor ihr Ermittlungsboard, das sie seit ihrem Fall in der SafeIT nach Kanban-Prinzipien gestalteten. Höchste Zeit für ihr nächstes Standup-Meeting!

Zukic drehte das Post-it, auf dem Unfall Zettl stand, und begann sofort, den dazu vorliegenden Unfallbericht zusammenzufassen. »Gernot Zettl, geboren am 15. März 1972, kam am 8. August gegen 22 Uhr 30 mit seinem Oldtimer von der Höhenstraße ab, durchschlug eine Begrenzungsmauer, stürzte in den Straßengraben und prallte frontal gegen einen Baum. Zu dieser Zeit hat es stark geregnet, es bestand also erhöhte Gefahr von Aquaplaning. Deswegen konnte das Unfallkommando, das exakt um 23 Uhr 04 am Unfallort eintraf, keinerlei Bremsspuren feststellen. Für Zettl, der nicht angegurtet war, kam jede Hilfe zu spät. Beim Aufprall durchschlug sein Kopf die Windschutzscheibe seines Mini Cooper S und das kleine Sportlenkrad hat sich tief in seinen Brustkorb gebohrt.«

»War sicher kein schöner Anblick«, kommentierte Obermayr mit angewiderter Miene.

»Mit Sicherheit nicht«, bestätigte Zukic. »Die Feuerwehr hat fast eine Stunde gebraucht, um Zettls sterbliche Überreste aus dem Wrack zu befreien.«

Nemecek schüttelte heftig den Kopf, um die blutigen Bilder zu vertreiben, die vor seinem geistigen Auge herumtanzten. Zu oft schon hatte er mit ansehen müssen, zu welch schrecklichen Szenen der Leichtsinn von Autofahrern führen konnte. Unterdessen nahm Obermayr das Post-it Obduktion Zettl in die Hand, das als Nächstes anstand.

»Laut Gerichtsmedizin hatte Zettl zum Zeitpunkt seines Todes 1,8 Promille Alkohol im Blut. Außerdem Spuren von Amphetamin.«

»Speed?«, staunte Zukic. »Wie passend!«

»Klingt nach einem klassischen Fall von drogenbedingter Selbstüberschätzung«, pointierte Obermayr. »Die Kollegen von der Unfallabteilung gehen davon aus, dass Zettl mindestens 80 km/h drauf hatte, als seine Vorderräder aufschwammen.«

Schwungvoll heftete Zukic einige der Fotos auf die Magnettafel, die vom Unfallort gemacht wurden. Auf den ersten Blick war nur ein grell erleuchtetes Spiel von Farben und Formen zu erkennen. Nemecek brauchte eine Weile, um klare Konturen ausmachen zu können: das matte Blau der zersplitterten Windschutzscheibe, das helle Rot des Karosserieblechs, das dunkle Grün der Blätter, dazu die verschiedenen Brauntöne der Sträucher, die Zettls Mini Cooper durchpflügt hatte. Aus irgendeinem Grund hatte der Polizeifotograf das Ganze aus relativ großer Entfernung von schräg oben aufgenommen, dann aber nur einen relativ kleinen Ausschnitt herausgenommen. Wollte er die Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes lenken? Oder war die Distanz so groß, dass er sich später für eine Bildvergrößerung entschieden hatte?

Die weiteren Bilder, die Zukic nun herumreichte, rekonstruierten den mutmaßlichen Unfallhergang: den Straßenverlauf, der genau auf die Spitzkehre zuführte; das nasse Kopfsteinpflaster, das Zettl zum Verhängnis geworden war; die kleine Mauer, die der Wagen durchschlagen hatte; schließlich die mächtige Eiche, an der die Fahrt ihr jähes Ende fand. Dazu gab es weitere Nahaufnahmen des zerstörten Fahrzeugs, von allen Seiten und sogar von oben. Vom Wageninneren hatte man ebenfalls eine Menge Fotos geschossen, aber die wollte sich Nemecek ersparen. Schließlich hatte er in seinem Leben schon genügend Bilder von Tod und Zerstörung gesehen.

»Was grübelst du?«, holte ihn Obermayr aus seiner dumpfen Nachdenklichkeit. Nemecek blickte ihr in die Augen.

»Je länger ich überlege, desto verdächtiger kommt mir die Sache vor.«

»Du meinst …?« Obermayr setzte an, ohne ihren Gedanken weiter auszuführen. Doch Nemecek wollte an dieser Stelle nichts unausgesprochen lassen.

»Ich meine, dass es schon überaus seltsam ist, dass zwei Manager aus demselben Unternehmen innerhalb weniger Tage ums Leben kommen. Und ja, ich meine, dass man wohl auch in Zettls Fall nachgeholfen hat.«

»Zwei Abteilungsleiter, beide im selben Alter, mit einer vergleichbaren Entwicklung und aktuell wohl auch in einer ähnlichen Situation.« Zukic konnte Nemeceks Überlegungen offenbar einiges abgewinnen. Was natürlich einige gewichtige Fragen nach sich zog: Was verband Zettl und Joschak miteinander? Wie verlief ihre Karriere in der Acros? Und wessen Hass hatten sie dabei auf sich gezogen?

Nemecek zeigte sich zuversichtlich. »Unser Gespräch mit Reto Pflückinger wird uns hoffentlich mehr Klarheit verschaffen.«

»Wir sollten uns auf jeden Fall das Autowrack genauer anschauen, richtig?«

»Wenn da etwas manipuliert wurde, wird das die KTU bestimmt herausfinden«, pflichtete Obermayr ihrer jungen Kollegin bei. »Abgesehen davon sollten wir auf jeden Fall mit seiner Ex-Frau reden.«

»Einer gewissen Raphaela Votrava«, spielte Zukic nach einem kurzen Blick auf ihr Tablet den Ball gleich wieder zurück, »wohnhaft Beheimgasse 24, 1170 Wien.«

»Dann fasse ich also wie folgt zusammen.« Nemecek griff nach dem Stapel Haftnotizen, der stets auf seinem Schreibtisch bereit lag. Recherche Unfallwagen, buchstabierte er vor sich hin, während der schwarze Stift in seiner Hand über das Papier huschte. Auftrag KTU, Nachfrage Gerichtsmedizin, Gespräch Raphaela Votrava. Dann blätterte er in seinem Notizbuch, um die Namen der weiteren Gesprächspartner nachzuschlagen, die er während des Gesprächs mit Marina Joschak festgehalten hatte. Kniewasser, las er, Swartling, Langholt, Wondratsch.

»Vergiss nicht Joschaks persönliches Umfeld, das du noch durchleuchten wolltest«, erinnerte ihn Obermayr. »Du weißt schon: heimliche Geliebte, alte Feindschaften, Konkurrenz unter Sportlern.«

Nachdem Nemecek auch diese Aufgaben auf eigenen Post-its vermerkt hatte, stand er auf, um sie in die Next-Spalte ihres Ermittlungsboards zu kleben. »Ich denke, wir sollten ab jetzt arbeitsteilig vorgehen.«

Obermayr und Zukic stimmten zu. Sie hatten sich nun ebenfalls erhoben. Rasch griffen sie nach ihren Farbmagneten, mit denen sie auf dem Board die Verantwortung für die jeweiligen Aufgaben-Tickets sichtbar machten. »Ich kümmere mich um das Wrack und die KTU«, sagte Zukic, zog die beiden Tickets von der Next- in die To Do-Spalte und setzte jeweils einen grünen Magnet darauf. »Und ich organisiere euch Gesprächstermine mit den Damen und Herren von der Acros

»Dann rede ich mit Zettls Ex-Frau.« Obermayr illustrierte ihre Entscheidung mit einem gelben Magnet. »Und mit einer gewissen Melanie Wunzer aus dem Produktmanagement.«

Nemecek blickte auf die Tafel. »Dann gehört Johanna Kniewasser wohl mir.«

»Und die freundlichen Kärntner sowieso«, ergänzte Obermayr grinsend.

Nemecek brummte zustimmend, bevor er die Post-its mit seinen eigenen Arbeiten auf dem Board aktualisierte. »Dann lasst uns gespannt sein, was wir bis zu unserem nächsten Standup herausfinden!«

Der Elan, mit dem sich seine Kolleginnen sogleich an ihre Aufgaben machten, war ansteckend. Gleichwohl er das unangenehme Gespräch mit Ruschitz noch im Ohr hatte, griff er erneut zum Telefon. Doch unter Johanna Kniewassers Anschluss war niemand zu erreichen.

Umso erleichterter war er, als sich kurz darauf Rudi Hinteregger bei ihm meldete. Ja, beruhigte ihn der Inspektionsleiter, natürlich seien sie den Hinweisen wie besprochen nachgegangen und sie hätten auch einige neue Einsichten zu bieten. Hoteldirektor Matschnig habe sich allerdings erst gestern Abend bei ihm gemeldet, sodass sie ein wenig im Verzug lägen. Jedenfalls versicherte Matschnig, Joschak am fraglichen Tag gar nicht gesehen zu haben, versprach aber bei seinem Personal nachzufragen. Und bei der heutigen Morgenbesprechung habe sich tatsächlich eine Kellnerin gemeldet, die sich an ein kleines rotes Boot erinnerte, das sich zur fraglichen Zeit auf dem See befunden hatte. Besagte Kellnerin, eine gewisse Reinhild Ziessegger, war sich dessen ganz sicher, da sie zu dieser Zeit die Sonnenterrasse abgeräumt hatte. Der starke Wind hatte bereits einige Gedecke von den Tischen gerissen. Während sie alle Hände voll damit zu tun hatte, diverse Servietten und Tischdekorationen einzusammeln, warf sie gelegentlich einen Blick auf das kleine Boot, das heftig in den Wellen schaukelte. Ziessegger meinte, das sei gegen 17 Uhr 30 gewesen. Falls dem so war, musste der tödliche Angriff jedenfalls vor 17 Uhr 45 erfolgt sein, denn zu diesem Zeitpunkt war die Wasserpolizei ausgerückt, um den See zu räumen. Diese hatte allerdings weder ein Boot noch einen Schwimmer gesichtet. Wer auch immer Joschak den tödlichen Schlag versetzt hatte, musste zu diesem Zeitpunkt bereits wieder am Festland gewesen sein.

Das waren in der Tat interessante Neuigkeiten. Stellte sich natürlich die Frage, wo der Täter angelegt hatte. Und vor allem, woher überhaupt sein Boot stammte. War es ein Privatboot? Oder gemietet? Traf Ersteres zu, musste es entweder an einer Anlegestelle zu finden oder auf einem Anhänger transportiert worden sein. Andernfalls sollte sich ein Vermieter auftreiben lassen. Oder war es womöglich gestohlen worden? Am Ende des Gesprächs versprach Hinteregger auch zu überprüfen, ob es eine entsprechende Anzeige gab.

Keine Stunde später läutete das Telefon erneut. Plötzlich ging es Schlag auf Schlag, denn den Kollegen war es tatsächlich gelungen, an einem der Campingplätze ein Video sicherzustellen, das die Geschehnisse zwischen 17 und 18 Uhr dokumentierte. Wie erhofft war darauf auch ein rotes Elektroboot zu sehen. Als sie den Datensatz übermittelt hatten, musste Nemecek allerdings feststellen, dass die Entfernung zu groß war, um die Person in dem Boot eindeutig zu identifizieren. Darüber hinaus regnete es zu dieser Zeit bereits so stark, dass man lediglich eine Gestalt erkennen konnte, die dunkle Regenkleidung und eine Kapuze trug. Noch enttäuschender war allerdings, dass auf dem Video keine Spur von einem Schwimmer zu entdecken war. Sofort stiegen Zweifel in Nemecek auf: Vielleicht war Joschak zu dieser Zeit bereits untergegangen? Und das Boot hatte überhaupt nichts mit seinem Tod zu tun? Wie aber hatte sich Joschak dann die Kopfwunde zugezogen? Blieb zu hoffen, dass die Spezialisten von der KTU noch mehr aus den Bildern herausholen konnten.

Angespornt durch ihre aktuellen Rechercheergebnisse versprach Hinteregger, die Suche nach weiteren Aufzeichnungen fortzusetzen. Unglücklicherweise war die Videoanlage des Inselhotels bereits seit längerer Zeit defekt, denn diese wäre noch um einiges näher am mutmaßlichen Tatort gelegen. Zumindest blieb noch die Hoffnung, dass vielleicht einer der Gäste zufällig etwas aufgenommen hatte. Außerdem wollten sie beim Bundessport- und Freizeitzentrum nachfragen, das ein wenig oberhalb des Inselhotels lag. Dort herrschte für gewöhnlich immer ein reger Betrieb.

Nemecek fasste zusammen. Erwartungsgemäß waren sie von einem Durchbruch noch weit entfernt. Doch ihre Sammlung an sachdienlichen Hinweisen vergrößerte sich sukzessive. Entsprechend zuversichtlich verließ er am Ende des Tages das Büro. Ja, schon morgen früh, wenn sie mit dem neuen CEO der Acros sprachen, würden sich viele der herumschwirrenden Puzzleteile zu einem deutlich klareren Gesamtbild fügen.

Tod dem Management

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