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Die Ohrfeige

1957 bis 1976, Tokio, Hamburg und Yokohama

Izumi Kushiro wuchs als einziges Kind einer sehr wohlhabenden Immobilienmakler-Familie in Tokio auf. Sein Vater Yoshio starb, als Izumi noch ein Kleinkind war und da seine Mutter Omina die Leitung des Geschäftes übernommen hatte, waren stets zahlreiche Hausangestellte um den lebhaften „Zumi“ herum.

Neben der Köchin und dem Chauffeur, der gleichzeitig auch noch als Gärtner arbeitete, war das Hausmädchen, Akutzi, Izumis wichtigste Bezugsperson.

Natürlich bekam der kleine Pascha von ihr nicht immer gerade das Maß an Streicheleinheiten die er sich gerne von ihr erhoffte, was „Zumi“ umgehend mit lautstarken Wutausbrüchen zu quittieren wusste.

Da Omina ihr Büro im Haus hatte und ständig unter Strom stand, machte sie sich auch nie die Mühe zu verstehen, was eigentlich die Ursache für diese sporadisch auftretenden Tumulte waren. Ohne zu hinterfragen, zog die genervte Hausherrin bei der kleinsten Disharmonie grundsätzlich immer nur die Bediensteten zur Verantwortung.

Zu Izumis dreizehntem Geburtstag schenkte Omina ihm nicht ganz uneigennützig eine Reise nach Europa in die norddeutsche Hansestadt Hamburg, was ihn ungemein freute, da seine Lieblingsband, die Beatles, dort während ihrer Gründerzeit im sogenannten Starclub auf der Reeperbahn einige legendäre Konzerte gegeben hatte. Seit der Bekanntmachung der finalen Band-Auflösung im April 1970, die Izumi sehr schlecht verkraftete, trug er konsequent nur noch schwarze Klamotten und erhoffte sich von der kurzerhand selbsternannten Pilgerreise ein gewisses Maß an Trost.

In einem Hamburger Nobelhotel, das mitten in der Stadt an einem wunderschönen See lag, und den wohlklingenden Namen Atlantic trug, stiegen die Kushiros für sieben Tage ab.

Selbstredend bot ein Hotel in der Größenordnung und der Klasse des Atlantics einem heranwachsenden pubertierenden Jugendlichen einen ungeheuren Fundus an Möglichkeiten, sich und das Leben der Erwachsenen kennen zu lernen.

So führten dann auch allerhand von ihm inszenierte Streiche zu intensiven Freundschaften mit anderen jugendlichen Gästen und Teilen des Hotelpersonals.

Izumis große Leidenschaft waren Quartettspiele, die es in etlichen Motiven gab.

Am liebsten spielte er das Kriegsschiff-Quartett. Vorzugsweise mit Heinz Baumann, einem jungen Hamburger, der im Atlantic eine Ausbildung als Hotelfachmann absolvierte und oft Ärger mit dem zuständigen Ausbildungsleiter bekam, weil er chronisch seine Pausen überzog.

Eine Zeit lang verging keine Familienfeier, ohne dass Izumis Mutter in penetranter Weise allen Gästen den unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen Izumis Berufswunsch und seiner Vorliebe für Kriegsschiffe-Quartette unter die Nase hielt.

Schlagfertig ergänzte er dann die übertriebenen Ausführungen seiner Mutter jeweils mit einer Story, der er den wohlklingenden Titel Die unglaubliche Geschichte einer Harpune oder Träume nie in fernen Städten verpasste.

Es geschah an einem Sonntagmorgen, dem 2. August 1970, einen Tag nach seinem dreizehnten Geburtstag, als Izumi zum ersten Mal in seinem Leben von seiner Mutter zwei saftige Ohrfeigen bekam.

Am Abend zuvor hatte Omina gegen ihre ursprüngliche Absicht ohne ihn einen Opernball besucht, zu dem sogar der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt erschienen war.

Nachdem einige Monate zuvor an der Königlichen Oper in Stockholm die Uraufführung von Das Haus mit den zwei Eingängen gezeigt wurde, gab es jetzt ein einmaliges Gastspiel in der norddeutschen Hansestadt, das Omina unter keinen Umständen verpassen wollte.

In ihren Augen war Izumi mittlerweile genug alt für so einen Anlass und sollte sie begleiten. Kurzerhand wurde deshalb dieser Leckerbissen, wie sie diese Veranstaltung umschrieb, zum integralen Bestandteil Izumis Geburtstagsfestes ernannt.

Nach einem gediegenen Mittagessen im Hotel Atlantic sollte am frühen Nachmittag auf dem Hamburger Fernsehturm noch Kaffee und Kuchen serviert werden. Natürlich mit jeder Menge Schlagsahne!

Das Restaurant liegt in 128 Metern Höhe und dreht sich in einer Stunde um seine eigene Achse. Einen besseren Rundblick über ganz Hamburg konnte man nirgends anderswo haben.

Bis auf den Opernbesuch stimmte Izumi allem zu. Insbesondere die Idee mit dem Fernsehturm fand er hochgradig spannend. Den Abend wollte er aber lieber mit seinen exklusiven Geburtstagsgeschenken, einem Tonbandgerät der Marke Sony TC 850 und einem Komplettset zum Schnorcheln, inklusive einer Harpune, allein in seinem Zimmer verbringen. Überhaupt fand er klassische Musik zum kotzen. Die einzige Ausnahme sollte das musikalische Märchen Peter und der Wolf bilden.

Seine Mutter ließ aber nicht locker, und er hielt pubertär dagegen. So ging es eine Zeit lang hin und her.

Irgendwann stoppte Omina dieses Ping-Pong-Spiel. Verbittert verließ sie Türe knallend sein Zimmer.

Izumi dagegen wusch sich die Tränen aus seinen Augen. Aber nicht, weil es die Beatles nicht mehr gab oder der Streit mit seiner Mutter ihm leid tat, sondern weil er keinen Vater hatte.

Ja, obwohl er ihn nie kennengelernt hatte, vermisste Izumi seinen leiblichen Vater.

Hotel Atlantic, Sonntagmorgen, 2. August 1970

Im Stil einer königlichen Herrscherin thronte Omina in der Mitte ihres luxuriösen Hotel-Wohnzimmers in einem extra für diesen Anlass dort platzierten bordeaux-braunen barocken Stoffsessel mit goldener Verzierung.

Izumi hatte man unterdessen durch den Room-Service aufgeboten und ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, um was es bei dieser Audienz gehen könnte, trat er völlig übermüdet und naiv unwissend an.

Neben seiner Mutter stand der sichtlich aufgeregte Hotelmanager und ein total verängstigtes Zimmermädchen. In ihren Händen hielt sie einen Staubwedel. Für einen Augenblick hatte Izumi das Gefühl, das Hausmädchen Akutzi dort stehen zu sehen.

Bevor Izumi von seiner Mutter auf Japanisch zusammengeschissen wurde, nahm er im Augenwinkel einzelne Quartettkarten wahr, die zu seiner Verblüffung teilweise an der Wand klebten, vereinzelt aber auch am Boden lagen und Ähnlichkeiten mit seinem Kriegsschiff-Quartett aufwiesen. Einige Wände waren mit unzähligen Einstichen übersät.

Bei genauerem Hinschauen fiel ihm auf, dass sämtliche Hiebe ein Dreizackmuster aufwiesen, also eindeutig von einer Harpune stammen mussten.

Schlurfend, sich keiner Schuld bewusst und in der Art eines Naturforschers, der ein seltenes Phänomen entdeckt hat, schritt Izumi schlaftrunken in Richtung mütterliches Schlafzimmer, an der auch einige Quartettkarten an den Wänden hafteten.

Omina unterbrach jedoch seine Neugierde, und als die beiden sich frontal gegenüber standen, warf sie ihm mangelnden Respekt vor.

Das Schimpfwort, das Izumi seiner perplexen Mutter wütend entgegen schleuderte, verstand außer ihnen beiden natürlich niemand und die Hotelangestellten reagierten erst, als Omina ihm eine kräftige Ohrfeige für diese unzumutbare Unverschämtheit verabreichte.

Es brauchte nur den zehnten Teil einer Sekunde, war also mit normalen Maßstäben gar nicht zu messen, um den von Izumi über Jahre hinweg aufgestauten Ärger auf seine alleinerziehende Mutter zu entladen. Entsprechend verletzend fiel dann auch seine Antwort auf die Backpfeife aus. Intuitiv rechnete er mit einer weiteren Reaktion, behielt ihre rechte Hand sicherheitshalber im Auge.

Dass sie diesmal mit ihrer Linken zuschlagen würde, hatte er nicht bedacht, und so taumelte er wie ein Boxer, der unerwartet von einem Haken getroffen wird, für einen Moment unsicher von einem Bein aufs andere.

Auch eine Form der Ablösung, dachte sich der aufgebrachte Hotelmanager, als Izumi mit einer knallroten Wange gefasst aus dem Zimmer schritt und eine betretene Stille hinterließ.

Sechs Jahre später, mit neunzehn, trug Izumi immer noch schwarz. Doch nicht wegen der Bandauflösung seiner damaligen Lieblingsgruppe, den Beatles, sondern weil Johnny Rotten mittlerweile die Punkband Sex Pistols gegründet hatte.

Izumis Metamorphose vom gemäßigten Beatles-Fan zum waschechten Punk verlief aber nicht etwa, wie man meinen könnte, in homöopathischen Zeit-Dosierungen, sondern radikal von einem Tag auf den anderen.

Provokativ erschien er zum Abendessen mit einem Irokesenschnitt, wadenhohen Springerstiefeln und einem weißen T-Shirt, das mit blutroter Stofffarbe bespritzt war und an einigen Stellen improvisierte Harpuneneinstiche aufwies.

Seine Art der Vergeltung für den damaligen, nie vergessenen Gesichtsverlust am 2. August 1970.

Der Klang der Shakuhachi

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