Читать книгу Der Klang der Shakuhachi - Siegmund Eduard Zebrowski - Страница 7
Mal wieder im Flugzeug Zürich, Schweiz, 31. Juli 2002, später Nachmittag
ОглавлениеHelmut Neumanns Taxi kam im zähfließenden Berufsverkehr einfach nicht vom Fleck. Zu alledem prasselte auch noch ein fürchterlicher Schauer auf die Stadt nieder.
Fette Regentropfen klatschten wie Kuhfladen auf die Windschutzscheibe des beigen Mercedes S 250 und brachten den Verkehr schlussendlich ganz zum Erliegen.
Entsetzt starrte Helmut auf seine Armbanduhr, eine Original Rolex Submariner aus dem Jahre 1995.
Dem Taxifahrer schien dagegen diese unfreiwillige Pause gerade recht zu kommen. Ungeniert streckte er seine Glieder, schaltete den Verkehrsfunk ein und pulte in aller Ruhe einen Kaugummi aus der Verpackung.
Die aktuelle Verkehrsdurchsage verhieß nichts Gutes.
Unmerklich zupfte Helmut an seiner Krawatte, stieß dabei einige räuspernde Töne aus. Das Ding zwickte. Er war es einfach nicht gewohnt, eine zu tragen. Doch diesmal musste es sein.
Außer in seinem Outfit, in der Regel ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose der Marke Hugo Boss, entsprach Helmut überhaupt nicht den geläufigen Vorstellungen eines Architekten. Genauso gut hätte er mit seinen 48 Jahren auch als gereifter Berufsmusiker in irgendeinem klassischen Orchester arbeiten können. Und in einen branchenspezifischen Overall gesteckt, würde man ihm sogar das kaputte Auto oder die defekte Heizung zur Reparatur anvertrauen.
Im Herbst und im Winter schlüpfte Helmut vorzugsweise in graue oder anthrazit-farbige Rollkragenpullis aus Kaschmirwolle. Dazu trug er ganz nach Tagesform einen seiner vielen Trenchcoats. Er war ganz vernarrt in diese zeitlosen klassischen Humphrey Bogart-Mäntel. Acht unterschiedliche Exemplare in zahlreichen Farbnuancen hingen daheim in seiner kleinen, aber begehbaren Garderobe.
Der unverhoffte Wetterumschwung führte an diesem heißen Mittwochnachmittag zu einem starken Temperaturabfall und in Folge die Klimaanlage des Benz für einen Moment lang ad absurdum. In wenigen Sekunden beschlugen die Innenscheiben und forderten das ganze Können des Taxichauffeurs heraus.
Nachdem die Innenraumbelüftung wieder für freie Sicht gesorgt hatte, kam es zu einer neuen Irritation. Ein riesiges Platanenblatt hatte sich unter ein Scheibenwischerblatt gezogen und erzeugte nicht nur einen ratternden Klang auf der Windschutzscheibe, sondern auch noch hellgrüne Schlieren.
Gebannt fixierte Helmut das eingeklemmte Platanenblatt. Die Vorstellung, seinen Flug nach Shanghai zu verpassen, beherrschte immer stärker sein Denken und ließ seinen Blutdruck hochschnellen.
„Ich glauben nicht Flüge rechtzeitig starten …“, stellte der Taxichauffeur lapidar in einem südosteuropäischen Akzent fest, „… aber wenn du wünschen, kann ich rechts und Schleichwege gehen … du wissen, was ich meine …?“
„Okay! Einverstanden, 100 Franken extra!“
Gelassen öffnete der Fahrer per Knopfdruck das Seitenfenster, beförderte seinen Kaugummi mit Nachdruck nach draußen, bog bei der nächsten Gelegenheit rechts ab und schon ging es im normalen Tempo zügig voran.
Am Flughafen Kloten angelangt, wartete Helmut gar nicht erst auf das Wechselgeld, sondern stürzte aus dem Taxi, warf sein Gepäck auf einen der umherstehenden Trolleys und hetzte Hals über Kopf in Richtung des Haupteinganges davon.
„Attention, please! Final Call! Here’s some important information for flight number SH 33 to Shanghai. Mister Helmut Neumann, please …“
Ohne dass Helmut sich versah, saß er zwischen zwei angestrengt lächelnden Service-Mitarbeiterinnen des Flughafens auf einem futuristisch gestylten Elektrofahrzeug in Richtung Fluggastbrücke. Ihm gegenüber saß eine unbekannte Frau, die genau wie er auch spät dran war.
„Puh, das war mehr als knapp“, stöhnte Helmut, als sich ihre Blicke für einen Moment lang kreuzten.
„Ja, das isch uhuere knapp gsie“, antwortete die Frau salopp auf Schweizerdeutsch und tupfte sich dazu Schweißperlen mit einem blendend weißen Stofftaschentuch von der Stirn.
Helmut schätzte sie auf Mitte fünfzig. Die überdimensionierten, extravaganten Gläser ihrer leicht getönten Brille wurden an den Seitenbügeln von dem Logo der Firma Dolce & Gabbana geschmückt und ihre Lippen hatten eindeutig eine Überdosis Botox abbekommen.
Mehr Schmollmund geht nun wirklich nicht mehr, dachte er verstohlen und gab kurzerhand den Verkehrsbehinderungen die Schuld an seinem späten Erscheinen.
„S nöscht mal müest me halt so öppis iplane!“, gab die Frau mit einem gewissen Charme zu bedenken und verstaute gelassen ihr Taschentuch.
Der Shuttle stoppte. Direkt vor ihren Augen die monströse Boeing 747. Ein Hochhaus auf Rädern, das nur darauf wartete, jeden Moment abzuheben.
Wie schon beim Abflug in Zürich entlud sich auch über dem Shanghaier Airport Pudong ein starkes Gewitter und färbte den blaugrauen Himmel schwarz.
Donnerkrachen, dann wieder bizarre Blitze, die zuckend und gespenstisch den Himmel grell erleuchteten. Der dichte Regen lieferte den passenden Soundtrack, indem er einem Trommelwirbel gleich an die Scheiben und Metallwände des Flugzeuges prasselte und begründeten Zweifel an der Haltbarkeit solcher Rumpfkonstruktionen schürte.
Zwölf Stunden in dieser mit hunderten von Menschen vollgestopften High-Tech-Röhre waren eindeutig genug!
Leicht genervt blickte Helmut verstohlen zu der Schweizerin hinüber, die schräg rechts vor ihm saß und prompt seinen Blick mit einem schmunzelnden Schalk in den Augen erwiderte.
Beschämt gestand er sich ein, dass er dieser Frau aufgrund ihres Aussehens eindeutig mit Vorurteilen begegnet war.
Und nun hockte er da, umgeben von mehrheitlich ungeduldigen, den Schnodder hochziehenden Chinesen, die wie er auch, alle darauf warteten, dass das Flugzeug endlich die Landeerlaubnis erhalten würde.
Dank seiner detaillierten Reisevorbereitungen wusste er, dass es sich in Asien zwar nicht gehörte, in der Öffentlichkeit ein Taschentuch zu benutzen, lautstark die Nase hochzuziehen dagegen, jeden wissen lässt, man habe alles unter Kontrolle.
Waren es beim Start eher Gefühle der Bewunderung, dass sich so ein tonnenschwerer Stahlkoloss mit hunderten von Menschen in den Himmel empor heben konnte, wurde Helmut bei der Landung nun vor allem von Momenten der absoluten Verdichtung auf das Vergängliche beherrscht. Mit einem einzigen Atemzug, einem flüchtigen Lidschlag der Augen nur, könnte im Ernstfall bei einer Bruchlandung alles vorbei sein.
Kein so stimmiger Moment, sich mit der Vergänglichkeit des Lebens auseinanderzusetzen, mokierte sich Helmut, hielt sich an der Koppel-Mechanik seines Sicherheitsgurtes fest und war heilfroh, als die Maschine endlich unter dem tobenden Applaus vieler Fluggäste die Landepiste entlang glitt.