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Hiobsbotschaften

Yokohama, Japan, 11. Juli 2001

Als Izumi an diesem Donnerstag spät nachmittags aufgewühlt und erschöpft nach Hause kam, saß Naomi weinend im Wohnzimmer.

Irritiert feuerte er seine Schirmmütze in einen Sessel, setzte sich zu ihr aufs Sofa und nahm sie behutsam in seine Arme.

„Naomi, was ist los … was ist passiert?“

Doch Naomi antwortete nicht.

Immer wieder schluchzte sie laut wie ein Schlosshund.

Eine Beruhigung der Situation schien ausgeschlossen. Mit einer Mischung aus Mitleid und Entsetzen schaute Izumi sich um, versuchte einen Anhaltspunkt für den Gefühlszustand seiner Frau zu erhaschen, irgendein klitzekleines Indiz … aber da war nichts.

Ihm schwante nichts Gutes.

Was ist denn heute nur los, fluchte er inwendig, Freitag der 13. ist doch erst übermorgen. Unwillkürlich schweiften seine Gedanken zur außerordentlichen Krisensitzung, an der er am heutigen Vormittag als Delegierter der Sonderabteilung zur Verhinderung von künstlich ausgelösten Naturkatastrophen teilgenommen hatte.

Hauptquartier des Verteidigungsministeriums, Präfektur Tokio, 9. 33 Uhr

Der geräumige Konferenzraum platzte förmlich aus den Nähten. Für zirka 30 Personen ausgelegt, zwängten sich an diesem Morgen nun 50 Teilnehmer um den ovalen Sitzungstisch.

An einer Wand hing eine große Weltkarte, die für dieses Treffen extra dort angebracht worden war.

Mit ernster Miene hatte der Leiter der Verteidigungsbehörde den Besprechungsteilnehmern ohne Umschweife mitgeteilt, dass die Kollegen des hiesigen Auslandsgeheimdienstes über fundierte Indizien für einen bevorstehenden gewaltigen, noch nie dagewesenen Terrorakt verfügten.

In Windeseile hatte sich ein frostiges Schweigen im Raum ausgebreitet, dass noch um einige Minusgrade eisiger wurde, als der hochrangige Beamte seine Ausführungen spezifizierte.

„Leider besitzen wir bisher keine konkreten Informationen über den genauen Zeitpunkt und die Art der Durchführung. Auch wissen unsere verdeckten Ermittler noch nicht, wer diesen Anschlag plant und wo er genau stattfinden wird. Doch ungewöhnliche Börsenspekulationen auf Unternehmensaktien amerikanischer Fluggesellschaften, sowie Banken und Versicherungen, weisen allerdings in die USA und lassen die Annahme zu, dass dieser Anschlag recht bald geschehen wird.“

Mit einer ruckartigen Bewegung zog der Referent einen ausziehbaren verchromten Zeigestock in seine maximale Länge und deutete damit auf New York!

Ein Raunen ertönte.

„Bei jedem Terrorakt gibt es Gewinner und Verlierer, meine Herrschaften. Man kann nicht nur mit steigenden Aktien ein Vermögen gewinnen. Wie wir zu genüge wissen, ist es auch möglich, auf einen fallenden Börsenkurs zu wetten!“

Das Raunen wurde lauter.

„Die massiven Abfälle von einigen US-Amerikanischen Versicherungen und Banken, sowie bei United- und American Airlines, haben unsere Experten dazu veranlasst, die sinkenden Börsenkurse genauestens zu beobachten. Folge den Geldströmen, heißt demzufolge der momentane Arbeitsauftrag an unsere fieberhaft rund um die Uhr arbeitenden geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Nachrichtendienste. Da wir über keine gesicherten Informationen verfügen, mit wem wir es bei diesem geplanten Anschlag zu tun haben, weise ich sie in meiner Funktion als Leiter der Verteidigungsbehörde an, innerhalb von den nächsten 24 Stunden unsere Landesgrenzen verstärkt zu sichern und unsere Selbstverteidigungskräfte zu Land, auf dem Wasser und in der Luft in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen! Die Bevölkerung darf bis auf Weiteres von diesen Massnahmen nichts erfahren!“

Ein wildes Gebrabbel ertönte.

„Meine Herrschaften … ich bitte um ihre geschätzte Aufmerksamkeit! Arigatō. Obwohl derzeit alle Indizien darauf hinweisen, dass dieses Ereignis in Amerika stattfinden wird, dürfen wir nichts ausschließen! Ein künstlich ausgelöster Tsunami durch eine unterirdische Explosion im Pazifischen Ozean oder die willentliche Aktivierung von Erdbeben, sind leider kein Hirngespinst von irgendwelchen Verschwörungstheoretikern mehr, sondern mögliche Formen der modernen Kriegsführung. Sollten wir tatsächlich angegriffen werden, werde ich umgehend den Verteidigungsfall ausrufen!“

Unterdessen hatte Naomi aufgehört zu weinen.

Bedächtig tupfte sie sich die verschmierte Wimperntusche aus den Augenhöhlen, warf Izumi einen kurzen herzzerreißenden Blick zu und wisperte einen Satz, der ihn erschaudern ließ.

„Die Ärzte haben mir gesagt, dass ich bald sterben werde.“

Im Nu verfinsterte sich Izumis Miene.

„Das … das ist nicht wahr“, erwiderte er perplex.

„Sie geben mir höchstens noch 12 Monate.“

„Ach du heiliger Konfuzius! Was um Himmels Willen ist denn passiert, Naomi?“

„Ich habe Krebs … Schilddrüsenkrebs!“

Wie ein Echo hallten ihre Worte im Raum nach, und ließen

Izumis Blut in seinen Adern gefrieren.

Sofort stellten sich ihm sämtliche Nackenhaare auf. Verstört und mit einem fahl weißen eingefallenen Gesicht, schaute er Naomi schwer atmend an.

„Das Verrückte daran ist, dass die Ärzte mir mit dieser Diagnose gleichzeitig eine große Last von meinen Schultern genommen haben.“

„Was?“ Izumi traute seinen Ohren nicht. „Wie meinst du das?“

„Ich … es tut mir leid, Izumi … aus lauter Scham … ich muss mich bei dir entschuldigen!“

„Wofür denn entschuldigen, bitte schön?“, erwiderte er ungehalten, griff in seine Jackentasche und zog eine Schachtel Zigaretten daraus hervor.

Naomi schloss kurz die Augen, als würde sie überlegen, während Izumi mit fahrigen Bewegungen nach seinem Feuerzeug kramte.

„Weil … ich habe dir nie gesagt, dass ich eine … Hibakusha bin. Ich … ich bin ein Strahlenopfer der Folgegeneration der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki!“

Ein Jahr später. Yokohama, Japan, 5. Juli 2002, später Nachmittag

Wie mit Naomi abgesprochen, steuerte Izumi den Mitsubishi ordnungsgemäß in die Garage, schaltete den Wagen ab, ließ seinen Kopf in die Nackenstütze fallen und blieb in dieser Position eine zeitlang regungslos sitzen. Er musste sich sammeln.

In nur einer Woche hatte ein Marder dreimal in Folge alle Zündkabel des Mitsubishi Airtrek durchgebissen, sodass nichts mehr lief und Izumi am Morgen jeweils zu spät zum Dienst erschienen war.

Beim ersten Mal dachte er noch die Batterie wäre leer. Doch als der Pannenservices das Auto inspizierte, lautete die Diagnose eindeutig auf Marderbiss. Exakt wie mit einem Teppichmesser am Kabelansatz gekappt, leistete das Tier im Schutze der Dunkelheit immer ganze Arbeit.

Nachdem das Auto nach der dritten Reparatur aus der Werkstatt kam, waren sämtliche Kabel mit einer Aluminiumummantelung ausgestattet.

Leichtgläubig hatte Izumi nach der ersten Instandsetzung den Rat eines befreundeten Marineoffiziers befolgt und die erneuerten Kabelstränge an einigen Stellen mit Hundehaaren versehen, in der Hoffnung, der Marder würde sich durch deren Geruch nicht mehr in die Nähe des Autos wagen. Leider griff diese Art der Problemlösung nicht und somit kam es zum zweiten Schaden.

Zwar zog mit der Aluminiumummantelung und der Abmachung, den Mitsubishi konsequent in der Garage zu parken, wieder Ruhe ein, doch dafür hatte sein Vorgesetzter ihm heute kurz vor Dienstschluss eine deftige Hiobsbotschaft unterbreitet. Erschöpft strich Izumi sich mit beiden Händen übers Gesicht. In einer Endlosschleife schoss ihm immer wieder das Gespräch mit seinem vorgesetzten Offizier durch den Kopf, das im Grunde genommen ein in Seidenpapier eingepackter Befehl war.

Hauptquartier des Verteidigungsministeriums, Präfektur Tokio, Besprechungszimmer der Sonderabteilung zur Verhinderung von künstlich ausgelösten Naturkatastrophen, 15 Uhr

Über dem Militärareal erstreckte sich ein grauer Himmel. Gedankenversunken überquerte Izumi mit zügigen Schritten den Innenhof, der zwei Gebäudekomplexe voneinander trennte. Das Wochenende stand vor der Tür. Eine kurzfristig anberaumte Sitzung an einem Freitagnachmittag deutete erfahrungsgemäß auf etwas Dringliches hin.

Als er das Besprechungszimmer betrat, saß sein Vorgesetzter Izaya, mit dem er sich sporadisch auch privat traf, bereits am Sitzungstisch und spielte mit einem Bleistift, den er durch seine Finger gleiten ließ.

Objekt-Beruhigungsgesten, stellte Izumi lapidar fest und setzte zu einem ordnungsgemäßen militärischen Gruß an.

„Wie du weißt, werden wirklich wichtige Dinge mündlich weitergegeben“, begrüßte Izaya ihn, salutierte eher beiläufig und bat Izumi sich zu setzen. “Um es kurz zu machen … es geht um deine Beförderung zum 1. Offizier der Yamato.“

Damit hatte Izumi nicht gerechnet.

„Meine Ausführungen werden dich jetzt bestimmt irritieren, Izumi, doch du sollst wissen, dass dieses Gespräch auf Wunsch von ganz oben zustande gekommen ist. Verstehe unsere heutige Unterredung somit auch als eine vorerst indirekte Auszeichnung und Wertschätzung der Admiralität.“

Izumi nickte, ließ die Worte seines Vorgesetzten sacken, wobei eine authentische Reaktion eindeutig anders ausschaute, schließlich hatte er keine Ahnung, um was es genau ging.

Izaya nahm seine randlose Brille ab, putzte nachdenklich die Gläser, setzte sie wieder auf und kam zur Sache.

„Wir haben Grund zur Annahme, dass die chinesische Regierung eine riesige Militäranlage im chinesischen Meer plant. Es handelt sich dabei um eine Formation von fünf kleinen Inseln und drei Felsen-Riffen, die sich ungefähr 200 Seemeilen östlich vom chinesischen Festland befinden. Dieser ungeheuerliche Vorgang verlangt von uns besondere Maßnahmen.“

„Darf ich fragen, was das mit meiner Beförderung zum 1. Offizier zu tun hat?“, vergewisserte sich Izumi und fuhr sich kurz mit der Hand übers Kinn. Eine klassische Selbstberuhigung-Geste, wie sie im Handbuch stand.

„Sehr viel, Izumi … sehr viel!“, erwiderte Izaya mit fester Stimme, ging einige Schritte im Raum auf und ab und setzte sich dann auf die Kante des Tisches.

„Nach unserem Dafürhalten bist du für den Posten des 1. Offiziers auf der Yamato eindeutig überqualifiziert. Deshalb darf ich dir im Auftrag der Admiralität ein anderes, äußerst lohnendes Angebot unterbreiten.“

Sofort schoss Izumis Blutdruck in die Höhe.

„Wir möchten, dass du als Undercover-Agent tätig wirst, für eine unbestimmte Zeit nach China reist und dich dort vom hiesigen Geheimdienst als Agent anwerben lässt.“

Izumi wurde kreidebleich. Im Nu bildete sich eine tiefe Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen. Mit düsterem Blick starrt er vor sich hin.

„Großartig, Izaya!“, schoss es ungehalten und mit einem ironischen Unterton aus ihm heraus. “Du weißt, dass Naomi jeden Moment sterben kann?“

Izaya nagte an seiner Unterlippe, wusste für einen Moment nicht so recht, wo er hinschauen sollte, blickte Izumi dann aber direkt an und antwortete: „Tut mir leid, Izumi … es tut mir wirklich außerordentlich leid … du weißt nur zu gut, wie mich Naomis Krankheit berührt … doch in erster Linie dient ein Soldat immer der ganzen Nation. Unser selbstloser Dienst kann sich mitnichten ausschließlich auf eine Einzelperson beziehen.“

Spätestens jetzt realisierte Izumi, dass Izaya sein Vorgesetzter war.

Eine Weile starrten sich die beiden Männer schweigend an. Dann blickte Izaya auf seine Armbanduhr, was nichts anderes bedeutete, als dass die Sitzung zu Ende war.

„Am kommenden Montag erwarte ich dich um 10 Uhr in meinem Büro, Izumi. Solltest du dich für dein Vaterland entscheiden, erhältst du weitere Details, ansonsten bleibt alles beim Alten und ich werde deine Beförderung zum 1. Offizier der Yamato in die Wege leiten. Arigatō!“

Der Klang der Shakuhachi

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