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3. Kaffee und Scham

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Adam stieg die Stufen zu Jacobs Haus hoch. Seit die Sonne wieder ins Tal und auf die Veranda schien, traf man ihn und Jacob kaum mehr woanders an. Jacob meistens in dem abgewetzten Sessel, eine Decke auf dem Schoß, und der lange Adam mit einem Bein über dem Geländer, an einen Pfeiler gelehnt. Äußerlich waren sie gegensätzlich. Adam groß, mager und blond, Jacob klein, breitschultrig und dunkel. Beide trugen einen wilden Bart.

Den ganzen Weg von der Kneipe bis zu Jacobs Haus hatte Adam sich den Kopf darüber zerbrochen, was gestern Abend passiert war. Er brachte keinen logischen Ablauf zusammen. Er hatte rumgeschrien, das wusste er. Vielleicht hatte er sich sogar geprügelt. Er nahm den Geigenkoffer in die andere Hand und schob die freie Hand in die Tasche, zum Aufwärmen. Die altbekannte Scham bahnte sich ihren Weg zu seinem Magen. Es wäre hilfreich gewesen, zu wissen, wie die Nacht geendet hatte. Doch er wusste nur, dass er in einem Zimmer über der Kneipe aufgewacht war.

Es wollte ihm nicht einfallen. Nichts Neues, aber trotzdem ärgerlich. Weil es gerade mehrere Wochen gut gegangen war. Und er jetzt keine Ahnung hatte, wie Jacobs Laune sein würde. Am Abend hatten sie einen Auftritt, da wäre eine gewisse Harmonie schon förderlich.

Adam klopfte, wartete eine Weile und trat dann ein. Hinter dem Küchentisch hörte er das Ticken und Klackern von Krallen auf dem Holzboden. Muddy kam auf ihn zugestürmt. Streichelnd und flüsternd versuchte er, seinen Labrador zur Ruhe zu bringen. Er sah sich um. Jacobs Schuhe lagen neben der Tür, seine Jacke hing über einem Stuhl neben dem Küchentisch. Oben war noch nichts zu hören. Adam zog die Schuhe aus und ging zum Herd, um Kaffee aufzusetzen. Er pustete sacht, bis die schwelenden Kohlen wieder aufglommen.

Jacobs Haus war klein und schmal. Ein rotes Holzhaus mit weißen Regenrinnen, einer kleinen Veranda und einem verwilderten Stück Land drumherum. Vor drei Jahren hatte Jacob es selbst gebaut, von dem Geld, das er hier im Norden verdient hatte. Es war ein einfaches Haus. Unten gab es eine Küche und genau ausreichend Platz für einen Tisch, vier Stühle und den großen Sessel, in dem Adam normalerweise schlief. Muddys Korb stand neben dem Ofen. Von der Küche führte eine Treppe nach oben ins Schlafzimmer.

Das Haus lag am südlichen Ortsrand, etwas oberhalb der anderen Häuser. Hinterm Gartenzaun begann die steile Bergwand, die Forty Mile begrenzte und das Städtchen gegen die Mündung beider Flüsse drängte.

Adam schenkte sich einen Becher Kaffee ein, zog die Jacke aus und lehnte sich auf einem Küchenstuhl zurück. Muddy legte ihm den Kopf in den Schoß.

Sich aus dem Winterschlaf zu reißen, fiel ihm mit jedem Jahr schwerer. Er war vierunddreißig Jahre alt, doch der Norden und der Alkohol hatten ihn rasch altern lassen. In diesem Winter hatte es sich zweimal in seinem Kopf verfinstert und er war von Jacob weggegangen, hatte sich ein Zimmer über der Kneipe genommen. Beide Male stellte ihm Jacob wochenlang jeden Tag einen Teller mit warmem Essen vor die geschlossene Zimmertür. An manchen Tagen schaffte Adam es nicht einmal, die Tür zu öffnen. Wenn der Teller länger als vierundzwanzig Stunden stehen blieb, ersetzte Jacob ihn durch einen neuen.

Diese langen Phasen von Suff und Dunkelheit im Winter hatten nichts zu sagen, nicht gezwungenermaßen. Im Moment fürchtete sich Adam eher vor den anderen Jahreszeiten. Vor all dem, was nach den ersten zögerlichen Frühlingstagen auf ihn zukam. Monate, in denen er für ein ganzes Jahr arbeiten, seinen Platz behaupten, seinen Beitrag leisten musste.

Nur noch wenige Monate und der kurze, heiße Sommer wäre da. Dann war im Städtchen und in der Natur drum herum am meisten los. Es waren die Wochen, in denen Gold gesucht und gefunden wurde, in denen die Glücksjäger vorbeizogen. Die Sommergäste, die seit Jahren kamen, kehrten wie späte Schwalben zurück. Jeden Herbst, jeden Winter, jedes Frühjahr spürten sie bis in die Knochen, wie der Norden rief und lockte. Die Täler und die Tundra, die Flüsse und die Stille. Die Leere, die niederschmetternd sein konnte. Der Hunger nach Einsamkeit und nach einem Leben in der Wildnis, der die meisten in diesem letzten Städtchen im Norden der bewohnten Welt stranden ließ. Forty Mile. Wo jeder rumhing, jeder fieberte. Wo man einander am Rand der Einöde fand. Wo Kameradschaft durch die knallharten Winter brachte und es immer und überall genügend Alkohol gab, um die eigene Ohnmacht wegzusaufen.

Oben knarrte das Bett. Getrampel, kurz darauf sah Adam zwei bestrumpfte Füße die Treppe herunterkommen. In Unterhose und T-Shirt, die Augen noch verquollen vom Schlaf, warf Jacob ihm einen glasigen Blick zu.

»Hm.«

»Kaffee?«

»Hm.«

Nach ein paar Schlucken ging Jacob an Adam vorbei zur Spüle und hielt den Kopf unter den Wasserhahn. Mit einem Handtuch rubbelte er sich Haare und Bart kräftig trocken.

»Verdammt noch mal, Adam, du warst nicht auszuhalten, gestern.«

»Hab’s mir schon gedacht. Entschuldigung.«

»Entschuldigung? Hast du sie noch alle? Benimm dich einfach mal normal.«

Bockig trank Jacob den Kaffee aus, schmierte sich ein Butterbrot und ging wieder hoch, um sich anzuziehen. Adam sah ihm nach und fragte sich, ob er heute so leicht davonkommen würde.

Als Jacob wieder vor ihm stand, merkte Adam, dass es noch nicht vorbei war. Er schnappte sich schon mal seine Geige und zog auf die Veranda. Durch die Kälte waren seine Geige und Jacobs Banjo bereits nach drei Liedern total verstimmt, aber die Frühlingssonne draußen war wichtiger.

Mit roter Nase und tränenden Augen spielten sie, bis ihre Finger taub waren. Dann verzogen sie sich kurz nach drinnen, um sich aufzuwärmen und die Instrumente zu stimmen. Nach dem fünften Stück verschwand der Ärger aus Jacobs Gesicht, das nahm Adams Scham die Schärfe, sie war nicht mehr so schneidend.

Beim Spielen musterte Adam seinen Freund. Jacob war vier Jahre jünger als er. Wie viele andere war er zunächst nur als Saisonarbeiter nach Forty Mile gekommen, für einen Sommer. Gleich am Tag seiner Ankunft, irgendwann Anfang Juni, war er Adam über den Weg gelaufen. Die Folge waren drei Tage ununterbrochenes Feiern in der Kneipe, am Lagerfeuer, Bootsfahrten, Alkohol und vor allem viel Musik. Jacobs Banjospiel passte perfekt zu Adams Geige, und die Klangfarben ihrer Stimmen verschmolzen wie Zucker mit warmer Milch. Nach einem Monat ließ sich Jacob einen Bart wachsen und beschloss zu bleiben. Er bekam einen Job nach dem anderen, während sich Adam seit Jahren kaum über Wasser halten konnte. Dafür war Adam der bessere Musiker, das schon. Immer, wenn er einen Job in den Sand gesetzt hatte und nach der soundsovielten faulen Ausrede so gut wie pleite war, rettete ihn das gemeinsame Musizieren.

Jetzt war es fast Frühling, und das Leben rief. Vielleicht würde ja diesmal alles anders werden. Vielleicht käme dieses Jahr alles ins Rollen. Heute Abend spielten sie das Eröffnungskonzert der Saison. Da kam die halbe Stadt, um sich den Winter aus dem Leib zu tanzen und zu trinken. Es war das letzte Wochenende, an dem die Kneipe das einzige offene Lokal in Forty Mile war.

Norden

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