Читать книгу Norden - Sien Volders - Страница 15

6. Torun

Оглавление

Mary zog das Gartentor hinter sich zu und ließ Frank aus seiner Hundehütte. Siebzehn war er inzwischen. Ein uralter, kleiner Foxterrier. Ricks Hund. Sie hatten es gut miteinander. Gemeinsam war der Verlust leichter zu ertragen.

Er folgte ihr zum Hintereingang und wollte mit in den Laden. Sie schob ihn mit dem Fuß zurück und schloss die Tür. Kratzende Krallen und leises Jaulen.

Von ihrem Platz hinter der Ladentheke aus sah sie sich um. Die junge Frau hatte einen Arm voll Sachen zusammengetragen.

»Du hast eine lange Fahrt hinter dir. Kaffee?«

»Ja gern, danke. Ich bin Sarah.«

»Mary. Komm ruhig mit.« Sie ging in die kleine Küche hinten im Haus, ließ die Tür zum Laden offen und stellte den Wasserkessel aufs Feuer. Frank lag draußen vor dem Hintereingang. Während sie wartete, dass das Wasser kochte, schüttete Mary Kaffee in den Filter auf der Thermoskanne. Sie drehte sich eine Zigarette und bot Sarah das Tabakpäckchen an. Eine Zeit lang rauchten sie schweigend, bis der Kessel anfing zu pfeifen.

»Ich wollte hier was zu essen kaufen. Und fragen, wo ich in Forty Mile am besten übernachten kann.«

Mary nahm den Kessel vom Feuer und goss den Kaffee auf. »Kommst du für den Sommer, die Romantik und das Gold? Dann bist du ganz schön früh dran.«

Sarah lachte auf, schwieg dann kurz. Ein letzter Zug, dann drückte sie die Kippe im Aschenbecher aus. »Ich weiß nicht.« Sie schaute zum Garten. »Ich wollte weg aus Vancouver. Ich muss nachdenken und eine Entscheidung treffen, und das kann ich am besten unterwegs. Der Norden schien mir eine gute Idee.«

Bei diesen Worten zuckte sie ein wenig hilflos mit den Schultern.

»Auf der Fahrt habe ich die ganze Zeit nachgedacht über … Über das, worüber ich nachdenken muss. Und nicht so sehr darüber, was ich hier will.« Sie verstummte wieder, drehte an ihrem Armband.

In diesen frühen Frühlingstagen stand die Sonne den ganzen Tag niedrig. Die Schatten waren anders, die Proportionen auch. Als ob man sich alles in diesem neuen Licht gründlich wieder ansehen müsse. Mary blickte die junge Frau vor ihr lange an. Die fast waagerechten Strahlen fielen funkelnd auf ihren Schmuck. Marys Blick blieb an dem Armband hängen. Eine silberne Spange, in die ein großer, schwarzer Stein gefasst war.

»Ich weiß noch nicht, wie lange ich hierbleibe. Vielleicht eine Woche, vielleicht nicht so lange.«

»Na ja, hier gibt es jedenfalls das beste Brot weit und breit, und mein Angebot ist auch sonst sehr gut, außer im Winter. Die meisten mieten sich für eine Weile über der Kneipe ein, schräg gegenüber, bis sie was anderes gefunden haben oder wieder abreisen. Die nehmen dort zurzeit zwölf Dollar pro Nacht für ein Zimmer, wenn ich mich nicht täusche.«

Mary erzählte weiter, wegen des break-up sei da mehr los als sonst. Der Strom, der Forty Mile vom Norden trennte, taute gerade. Im Winter konnte man übers Eis zu den paar Häusern am anderen Ufer gelangen. Aber jetzt war die Eisstraße wegen des Schmelzwassers zu Fuß unpassierbar, und solange es noch Eisschollen gab, konnte auch die Fähre nicht zu Wasser gelassen werden. »Über der Kneipe wohnen jetzt ein paar Leute, die normalerweise am anderen Ufer daheim sind.« Sie schenkte ihnen beiden Kaffee ein.

Um das Schweigen zu brechen, fragte sie, ob sie sich Sarahs Armband mal ansehen dürfe, sie wolle herausfinden, wie der Verschluss funktionierte. Sarah ließ das Häkchen aufschnappen und gab Mary das Schmuckstück. Das Design war ausgewogen. Schlicht, gut durchdacht. Das Silber perfekt poliert. Mary betrachtete die Ohrringe der jungen Frau. Ein zarter, tropfenförmiger silberner Hänger, darin derselbe schwarze Stein wie beim Armband.

»Hm. Außergewöhnlich.« Sie legte sich das Armband in die Handfläche, bemerkte den Schriftzug im Inneren, las. »Torun. Woher hast du es?«

»Selbst gemacht.«

»Bist du Silberschmiedin?«

»Ja.«

»Es ist sehr schön. Und ein guter Name, Torun.«

Sarah erklärte ihr, es sei ihr zweiter Name, den sie den norwegischen Wurzeln ihrer Mutter zu verdanken habe.

»Hat die Entscheidung etwas mit deiner Arbeit zu tun?«

Sarah nickte.

Es blieb eine Weile still, während die beiden ihren Kaffee tranken.

»Du kannst auch hierbleiben.« Die Worte waren raus, noch ehe Mary darüber nachgedacht hatte.

Sarah sah überrascht auf.

»Ich habe oben noch ein Zimmer. Es ist seit Jahren nicht mehr benutzt worden.«

»Gern.« Jetzt war es Sarah, die sich über ihre schnelle Zusage zu erschrecken schien.

»Dann komm mit.« Mary ging vor, in den kleinen Vorraum und zu der Treppe, die ins obere Stockwerk führte. Von den vielen Schritten und dem Staub waren die Eichenholzstufen nach fast einem Jahrhundert grau geworden. Oben auf dem Treppenabsatz gab es drei Türen.

Mary zeigte ihr alles. »Das ist mein Zimmer, da ist das Badezimmer und hier kannst du schlafen.« Sie öffnete die Tür, der aufgewirbelte Staub leuchtete in den einfallenden Sonnenstrahlen. Sie versuchte sich zu erinnern, wann sie das Zimmer zuletzt betreten hatte.

Es war der hellste Raum im ganzen Haus. Alles war weiß gestrichen, die Wände, der Fußboden und die wenigen Möbel. Ein französisches Bett mit Schnitzereien an einer Wand, ein großer Schrank, ein Schaukelstuhl neben dem Fenster, das auf die Kneipe auf der anderen Straßenseite blickte. Links vom Fenster eine Staffelei, über die ein Tuch gebreitet war. Mary roch noch einen vagen Nachhall von Terpentin.

Sie zeigte auf den Schrank. »Da ist frische Bettwäsche drin. Na ja, was heißt schon frisch. Sie war frisch gewaschen, als sie in den Schrank kam. Aber das ist lange her.«

Sarah drehte sich zu Mary um. »Danke.« Ihre Stimme war sanft.

»Bring deine Sachen hoch, wann immer du willst. Wenn Leute im Laden sind, kannst du zur Gartentür rein.«

Mit diesen Worten ging Mary wieder runter. Was war in sie gefahren, diese junge Frau zu sich einzuladen? Ob es am Auto lag? Oder an der Art, wie Sarah von der Reise erzählt hatte? An der Behutsamkeit, mit der sie ihre Worte wählte.

Ein Gefühl des Wiedererkennens.

Norden

Подняться наверх