Читать книгу Norden - Sien Volders - Страница 16
7. Bier
ОглавлениеSarah sah fünf Hunde vor der Kneipe, die Leinen waren an Ringen in der Wand befestigt. Als sie näher kam, hoben alle fünf die Köpfe. Doch das Bellen blieb aus. Sarah öffnete die Tür und das Stimmengewirr in der Kneipe verstummte.
»Herzlich willkommen, Sarah.«
Jacob, der junge Mann, der eben im Laden gewesen war. Er lachte und zeigte auf einen freien Barhocker neben sich. »Keine Sorge, die werden sich schnell an dich gewöhnen.«
Hinter ihnen wurde gemunkelt.
Er bedeutete dem Barkeeper, ihnen Bier zu bringen, und stellte der Frau, die neben ihm an der Bar saß, Sarah vor. »Sarah, June. June, Sarah.«
Wilde, zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebundene Mähne, ein offenes, herzliches Gesicht. »Das ist also Sarah vom Auto vor Marys Laden.«
Sarah nickte.
Die Gespräche schwollen wieder zu einem kompakten Stimmengewirr an, unterbrochen von Rufen und Gelächter, im Hintergrund lief eine Bluesnummer. Jacob gab Sarah ein Bier und stieß mit ihr an. »Prost! Wie gesagt: Du bist früh dran für die Jahreszeit.«
Die Eingangstür ging auf und ein Schwall kalter Luft kam herein. Ein alter Mann mit weißem Bart und langem, weißem Haar unter einem verschlissenen Hut steuerte geradewegs auf einen Tisch hinten in der Kneipe zu. Laute Begrüßungen, Murmeln. Anders als das Schweigen vorhin. Jetzt war also ein Bekannter reingekommen.
»Willy! Jacob, Willy ist da!« Ein großer, junger Mann kam auf Sarah zu. Blonder Bart und strubbeliges Haar. Er küsste June auf die Stirn und versuchte, Jacob am Ellbogen hinter sich her zu ziehen. »Komm doch mit, Willy ist da.«
Jacob stand auf und zwinkerte Sarah zum Abschied zu. »Anscheinend muss ich mit. Du bleibst zum Konzert da, oder?« Der große Blonde hinter ihm drehte sich ungeduldig um. Jacob wurde mitgeschleift, hinten in die Kneipe.
»Das war Adam«, sagte June, »der gleich zusammen mit Jacob spielen wird.«
»Ach. Davon hat er kein Wort gesagt, als er vorhin vom Konzert gesprochen hat.«
»Typisch!« June stieß mit Sarah an. »Jacob ist einer der Klügeren hier. Er weiß, wann es Zeit ist, für eine Weile aus Forty Mile wegzugehen. Wenn die Abgeschiedenheit zu groß wird, die Welt zu klein …«
»Und du?«
June grinste.
»Ich gehöre natürlich auch zu den Klügeren. Ich wohne seit über zehn Jahren hier und weiß, wann ich mal ausbrechen muss.«
»Und der andere Musiker?«
»Adam? Um Himmels willen, nein. Wenn der nicht aufpasst, wird der Norden noch sein Tod.« Sie schaute zum Tisch hinten in der Ecke. »Hast du den alten Mann gesehen, der gerade reinkam? Das ist Willy Bowskill. Alle Musiker, die hierherkommen, wollen mit ihm spielen. Er wohnt am anderen Ufer, aber immer, wenn das Eis beim break-up schmilzt, ist er für eine Weile hier. Manchmal können Adam und Jacob ihn dazu überreden, mit ihnen zu spielen, aber eher selten. Das sind die besten Abende.« June trank ihr Glas aus und machte dem Barkeeper ein Zeichen, zwei weitere Biere zu bringen. »Mit etwas Glück wird der heutige Abend also unvergesslich.«
Sarah musterte die Leute um sie herum. Der Geräuschpegel stieg. June setzte ihre Erzählung fort, redete zwischendurch auch mit den anderen, die kamen, um sich etwas zu trinken zu bestellen. Im Spiegel ihr gegenüber sah Sarah, wie der blonde Musiker, Adam, zur Theke kam. Er trat zwischen sie und June und bestellte drei Whiskys. »Große! Ohne Eis. Und schenk den Ladys hier auch was ein.«
June fragte, ob sie Willy schon rumgekriegt hätten.
»Ich arbeite daran.« Dann blieb Adams Blick eine Weile an Sarah hängen. »Ha!« Nach diesem Ausruf stob er davon.
June warf ihr einen Blick zu. »Der führt was im Schilde, scheint mir.«
Das Stimmengewirr hinter ihnen wurde lauter, die Leute erhoben sich und strebten zur Bühne hinten in der Kneipe. Sarah sah Willy hinaufsteigen und eine Gitarre von der Wand nehmen. Er legte sich den Gurt um den Nacken, trat an den Rand und räusperte sich.
»N’Abend, alle Mann. Ich hatte heute Abend nicht vor zu spielen, aber Young Adam hier will ein neues Mädchen beeindrucken, also …«
Lachen rollte durch die Menge, June klopfte Sarah auf den Rücken.
»Auf die Liebe!«, schrie Willy und setzte mit einem fetten Blues-Solo ein.
Der alte Mann hatte eindeutig die Führung. Er bewegte sich kaum, nickte nur rhythmisch mit dem Kopf. Er stand da, ein Bein gebeugt, die Gitarre weit unten auf dem Bauch, der Gitarrenhals ragte steil nach oben. Ein Hochziehen seiner buschigen Augenbrauen, eine Bewegung des Kinns, und das Tempo wurde erhöht. Das Singen überließ er Jacob und Adam, er brummte nur bei manchen Stücken in einem tiefen Bariton. Ganz selten mal murmelte er einen Sprechgesang zu seinen eigenen Solos. Jacob spielte Banjo und sang, konzentriert, mit hochgezogenen Schultern. Auf der anderen Seite von Willy stand Adam. Er wechselte zwischen Geige und Mundharmonika hin und her und bewegte sich viel wilder. Er stampfte im Takt mit dem Fuß, wiegte sich hin und her und genoss den Auftritt sichtlich, während Jacob sich offenbar große Mühe geben musste, hinterherzukommen. Doch die beiden jungen Männer waren gut aufeinander eingespielt. Ihre Stimmen verschmolzen zu einem flehenden Duett.
Nach der Hälfte des zweiten Sets tanzte das halbe Lokal. Es war ein ständiges Kommen und Gehen an der Theke. Die Leute holten Bier und Whisky für sich selbst, aber auch für Willy. Sie stellten eine immer länger werdende Reihe von Gläsern vor ihn auf die Bühne. Immer wieder hielt Adam Sarahs Blick fest.
Nach zwei Zugaben fand Willy, dass es jetzt genug war. Er löste sich aus seiner vorgebeugten Körperhaltung, hob zum Abschied die Hand und wurde wieder der alte Mann, der er beim Reinkommen gewesen war. Er winkte die beiden jungen Männer zu sich und gab jedem zwei der Whiskygläser, die vor ihm auf der Bühne aufgereiht waren. »Nicht schlecht, Jungs, nicht schlecht.« Seine Stimme übertönte den Applaus.
Der Schweiß stand noch auf Adams Stirn, als er Sarah nach dem Auftritt begrüßte. Sie unterhielten sich. Oberflächlich, aber nicht unbehaglich. Er erzählte genug, um ihre Neugier zu wecken. Den ganzen Rest des Abends war sie von einem fröhlichen Gedränge umgeben; Adam und June blieben die ganze Zeit bei ihr, Jacob tauchte immer mal wieder auf.
Als sie Anstalten machte zu gehen, gab es lauten Protest. Sie winkte nur, verabschiedete sich kurz: »Bis morgen.« Auf dem Weg zur Tür hielt Adam sie rasch am Arm zurück.
»Schläfst du nicht hier oben? Du willst doch sicher nicht im Auto übernachten, bei dem Wetter?«
»Nein, gegenüber, bei Mary.«
Sie ließ sein Staunen in der Trunkenheit und dem Stimmengewirr um sie herum verklingen.