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Silber

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Vancouver, Februar 1982

Das Walzen des Silbers sollte ein Versprechen bergen. Jahrelang war das bei Sarah so gewesen. »Das Walzen des Silbers ist die Erwartung, das Hämmern die Bekräftigung.« So hatte ihr Lehrer es ausgedrückt, und so war es immer gewesen.

Sie drehte an der Kurbel und zog das Silberblech durch die Rollen, wieder und wieder, bis die gewünschte Stärke erreicht war. Das stetige, rhythmische Kurbeln, dann das Hämmern und die erste Handpolitur. Das Repetitive dieser Handlungen, die monotonen Geräusche, die sie erzeugten, versetzten ihre Gedanken in eine meditative Trance. Jede Drehung, jeder Hammerschlag drängte die Welt weiter in den Hintergrund, bis ihr Denken rauschfrei war.

An diesem Nachmittag nahm sie eine Halskette in Angriff, um den Sturm in ihrem Kopf zu beruhigen. Diesmal klappte es nicht. Das Walzen verlief stockend und das Hämmern nicht rhythmisch. Sie legte das Werkstück beiseite und machte mit der Gerätschaft das, was mit ihren Gedanken nicht gelang. Die Polierhämmer legt sie in Reih und Glied in die linke Ecke, die Sägen daneben. Den Brenner und die Handschuhe zusammen mit der Brille in die Mitte.

Als ihre verwitterte Werkbank perfekt aufgeräumt war, knipste sie die Schreibtischlampe aus und betrachtete sich im Spiegel. Den hatte sie hier aufgehängt, um die Stücke nach dem letzten Polieren zu begutachten. Wenn der Schmuck mit ihren Umrissen verschmolz, war er fertig, sonst machte sie weiter.

Heute wirkte der Blick in den Spiegel nicht befreiend. Sie sah nur die Linie zwischen ihren Augenbrauen. Die war neu.

Der Umschlag lag noch auf dem Küchentisch, wo sie ihn am Vormittag hingelegt hatte. Sie ging am Tisch vorbei zum Fenster, blickte in die Dämmerung. Als sie frühmorgens in Stiefeln durch den verschneiten Garten zum Briefkasten gegangen war, hatten zwei Briefe darin gelegen. Der eine in einer vertrauten Schrift, der andere auf dickem, teurem Papier. Die Einladung zu Anns Vernissage hängte sie an den Kühlschrank, danach öffnete sie zögerlich den zweiten Umschlag.

Ein Angebot. Sie wusste, dass es solche Angebote gab. Hätte sie jenen Weg weiterverfolgt, der an der Akademie gelehrt wurde, wäre sie eher darauf gefasst gewesen, ein solches Angebot zu bekommen. Hätte sie sich angepasst und sich jahraus, jahrein bemüht, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber nicht jetzt. Nicht, nachdem sie ihren eigenen Weg gegangen war. Es war noch zu früh. Zu seltsam.

Draußen ragten die Sträucher wie dunkle Zeichen aus dem schmelzenden Schnee. Dahinter die verwitterte Holzgarage, deren Tor sich seit zwei Jahren nicht mehr richtig schließen ließ. Sie wusste, dass ihr Auto da stand, unter der grauen Decke. Es wartete. Sie war seit Monaten nicht mehr gefahren.

Erregung kroch ihr das Rückgrat hoch, ihre Nackenhaare stellten sich auf, ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. In der Diele schlüpfte sie in ihre Stiefel und legte sich den Mantel um die Schultern. So schwer sich die schlecht schließenden Garagentüren ganz öffnen ließen, so leicht glitt die Decke vom Auto. Im letzten Tageslicht war seine Farbe kaum zu erkennen, doch sie war auf der Stelle wieder hingerissen, wie beim ersten Mal, als sie ihn am Straßenrand gesehen hatte. Ihr Auto. Ein olivgrüner 1969er Dodge Challenger, rote Ledersitze, dreihundertdreißig PS.

Sie schob sich auf den Fahrersitz, spürte das eiskalte Leder durch die Kleidung, drehte den Zündschlüssel herum. Hustend und sprotzend erwachte der Wagen zum Leben. Die erste richtige Zündung war ein Vorspiel für das, was folgen würde.

Bald.

Morgen.

Dann kehrte sie ins Haus zurück und streifte ruhelos umher. Sammelte Sachen zusammen und warf sie in einen Rucksack, blieb zweifelnd vor dem Bücherregal stehen, griff nach dem Atlas und blätterte so lange, bis sie wusste, wo sie hinwollte.

Nordwärts.

Morgen.

Norden

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