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Wenn man nicht aufhören kann

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„Manche können nicht aufhören“, bei diesen Worten klingt Lisas Stimme amüsiert. „Juliane aus meiner Aquafitness-Gruppe eröffnete uns, sie könne vorläufig nicht mehr kommen. Sie müsse sich um ihren Mann kümmern, der jetzt in den Ruhestand getreten sei. Er habe 20 Jahre lang die Zoologische Abteilung des Museums geleitet und sei völlig in der Erforschung von Nachtfaltern aufgegangen. Sein Leben lang habe er Nachtfalter gesammelt und diese in unzählige Kästen wohlsortiert aufbewahrt, um die nächsten 300 Jahre tiefer in das Leben der Nachtfalter einzutauchen.“

„Typisches Wissenschaftlerdasein“, wirft Max ein.

„Nun hat er einen Nachfolger, der nicht Nachtfalter, sondern Libellen erforscht. Und der Platz ist knapp. Wohin also mit den Nachtfalter-Kästen? Juliane stöhnt, ihr ganzer Boden sei bereits mit diesen Kästen gefüllt.“

„Er sollte sich eine Garage mieten.“

„Spotte nicht, er ist tief deprimiert, er sieht sein Lebenswerk entwertet. Keine Nachtfalter mehr, kein Leben mehr. Juliane ist ganz unglücklich: ‚Die Kinder kommen jetzt öfter. Doch nichts hellt die Stimmung meines Mannes auf.‘“

„Da hat der Mann meiner Freundin mehr Glück“, fügt Kiri hinzu. „Mit seinen 78 Jahren lebt er 600 km entfernt von seiner Frau, um weiterhin an seinem Institut zu arbeiten. Meine Freundin sagte zu ihm: ‚Wir wollten doch unseren Lebensabend gemeinsam gestalten.‘ Daraufhin er: ‚Willst du mich schon jetzt unter die Erde bringen?‘“

„Das passt zu dem, was mein Mann gegen Ende seines Berufslebens äußerte“, fügt Lisa hinzu: ‚Am liebsten würde ich mit dem Arbeitsende sterben. Die Kinder sind erwachsen. Mein Leben hat sich erfüllt.‘“

Scheint mir doch ein sehr einseitiges Leben zu sein“, bemerkt Golo.

„Mit seiner neuen Lebenssituation kam wohl auch der ehemalige Leiter einer Touristikfiliale nicht klar“, sagt Max. „Ich stand bei Tchibo in einer Schlange, um Kaffee zu kaufen. Er kam auf mich zu, begrüßte mich freudig und legte gleich los: ‚Wie langweilig ist doch das Leben geworden. Ich habe noch Projekte, die ich umsetzen könnte. Doch man will nicht, dass ich weiterarbeite. Glücklich, wer nach dem Renteneintritt noch die Möglichkeit hat, beruflich tätig sein zu können.‘ Er wirkte sehr niedergeschlagen.“

„Umso scheinheiliger mag die Frage sein: ‚Wann willst du dich endlich zur Ruhe setzen?‘ Oft steckt Neid dahinter.“ Kiri betrachtet liebevoll ihr Ochsenauge.

„Trotzdem, die meisten atmen auf, wenn sie nicht mehr arbeiten müssen“, entgegnet Golo.

„Merkwürdig“, sinniert Lisa, „manche Männer empfinden ihren Eigenwert fast ausschließlich über ihren Beruf. Frau und Familie zählen da nicht wirklich – zumindest meinen sie das.“

„Beruflich weiterarbeiten wird eben als lebensverlängernde Maßnahme empfunden“, bekräftigt Alma. „So selten ist das nicht, dass sich jemand nach dem Ausscheiden aus dem Beruf umbringt. Die Psychologen sprechen vom Pensionstod – den übrigens nur Männer erleiden.“

„Man muss das Ganze aber nicht nur negativ sehen.“ Max trinkt einen Schluck Kaffee und erzählt dann: „Ich habe einen Bekannten, inzwischen Mitte 70, der schon seit Jahren schwer krank ist und im Rollstuhl sitzt. Dieser Mann ist ein überaus erfolgreicher Internist, der vielen Menschen in ihrem schweren Leiden helfen konnte. Er arbeitet wie besessen und praktiziert weiterhin.“

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