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Dicke Kisten und pupsende Götter

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Kürzlich saß ich mit einer guten Freundin bei unserem Lieblingsitaliener zusammen. Wir hatten gerade unsere Pizza gegessen, da zückte sie ihr Handy und hielt es mir hin. Die Fotos auf dem Display waren klar älteren Datums und zeigten eine wunderhübsche junge Frau in schwarzem Bikini. Die Haare vom Wind verwuschelt und völlig ungeschminkt, schaute sie, etwas verunsichert, in die Kamera. Die Fotos seien vor gut dreißig Jahren beim Surfen an der Atlantikküste von Biarritz entstanden, klärte sie mich auf. Ihr Exfreund habe die Bilder in einer alten Schachtel mit Erinnerungsstücken gefunden, sie abfotografiert und ihr geschickt.

Sie ist auch heute noch eine sehr attraktive Frau, aber klar, ihre Haut, die Haare und die Figur haben sich im Verlauf der Jahrzehnte verändert. Das ist völlig normal und löst keine schlechten Gefühle aus. Höchstens ein bisschen sentimentale.

Wenn ich alte Fotos von mir anschaue, passiert das auch. Wenn man mal von der etwas schrägen Mode der 1970er-Jahre absieht, sehe ich da eine junge Frau, die sich ihres guten Aussehens überhaupt nicht bewusst war. Im Gegenteil, ich fokussierte nur auf meine Schwächen. Lachend erinnerten wir uns, wie uns unsere Väter wegen unserer »dicken Kiste« und unserer »Stampfer« immer geneckt hatten. Auch wenn diese Bemerkungen nicht bösartig gemeint waren, hinterließen sie doch Spuren: Meine Freundin versteckte ihr Füdli jahrelang unter langen Blusen, und ich trug nur ungern Röcke. Und jetzt suchten wir auf den alten Fotos vergebens nach der vermeintlich »dicken Kiste«, entdeckten jedoch eine siebzehnjährige Schönheit, die heute innert zehn Minuten einen Modelvertrag bekommen würde. »Mein Aussehen von damals, gepaart mit meinem Selbstbewusstsein von heute, das wäre perfekt«, sinnierte meine Freundin selbstironisch.

Warum ich diese Geschichte erzähle? Weil ich das Gefühl habe, dass wir von einem Extrem ins andere gefallen sind. Während wir Teenager früher meist »kleingehalten« wurden, damit uns ein allfällig gutes Aussehen oder gute Leistungen nicht in den Kopf steigen sollten, werden die heutigen Kids von ihren Eltern oft behandelt, als seien sie kleine Götter. Jeder Pups wird bewertet, jeder Fortschritt auf den verschiedensten Kanälen geteilt – es scheint, als gäbe es in unserer westlichen Welt nur noch Superkids. Und so erstaunt es nicht, wenn bereits zehnjährige Mädchen mit Kussmund auf Instagram posieren oder gleichaltrige Buben mir die Welt erklären: »Das Wichtigste ist, ein cooles Image zu haben.« Natürlich soll man Kinder in ihrem Selbstbewusstsein auf allen Ebenen aufbauen, aber ihnen ständig das Gefühl zu geben, sie seien der Nabel der Welt, gebärt kleine Narzissten. Denn genau wie »dicke Stampfer« ein Leben prägen, fördert auch eine stete Glorifizierung die gesunde Entwicklung eines Menschen nicht wirklich.

Sind denn alle guten Männer schon vergeben?

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