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Kuscheln und kämpfen

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Auch als gut informierte Zeitgenossin erfahre ich immer wieder Dinge, die mich staunen lassen und bei denen ich mich frage: »Bin ich im falschen Film?« So ging es mir kürzlich, als ich im Radio von zwei gesellschaftlichen Trends hörte. Es ging einerseits um organisierte Kuschelabende und andererseits um das Gegenteil, sogenannte Rage-Rooms, in denen man in einem sicheren Rahmen Aggressionen ausleben kann.

Beides befremdete mich ein bisschen, aber ich war auch neugierig. Also hörte ich mir ein Interview an, in dem die Organisatorin der Kuschelevents über ihre Veranstaltungen sprach. Die Sexual- und Beziehungstherapeutin erklärte eindrücklich, wie sehr sich die Menschen in der heutigen hektischen, schnelllebigen Welt nach Berührungen, Wärme und Geborgenheit sehnen würden. Und dass dies im Alltag oft zu kurz komme. Darum biete sie Menschen die Möglichkeit, diese Bedürfnisse auszuleben. Natürlich gebe es klare Richtlinien bei diesen Zusammenkünften. Es gehe nicht um Erotik – gewisse, klar definierte Körperzonen seien darum auch von Berührungen ausgeschlossen –, und es werde nicht geküsst und gebe auch keinen Sex. Man teile die Berührungen zudem nicht nur mit einem einzigen Gegenüber, sondern auch zu dritt oder zu viert oder gar in einem »Kuschelhaufen«.

Schnell wurde mir klar, warum mich diese Sache irritierte. Körperliche Nähe, verbunden mit Sehen, Fühlen, Riechen und Spüren, ist für mich eine sinnliche Sache. Und die Vorstellung, dass mich eine mir unbekannte Person, die ich vielleicht nicht riechen kann oder die mir auf den ersten Blick nicht sympathisch ist, mich anfassen könnte, lässt mich schaudern. Doch wenn für mich diese Art von Nähe nicht passt, heißt es nicht, dass sie für andere Menschen nicht stimmen kann. Aber irgendwie macht es mich ein bisschen traurig, dass körperliche Intimität organisiert – und bezahlt – werden muss.

Etwas ratlos ließ mich auch der andere Radiobeitrag zurück, bei dem es um Rage-Rooms ging. Diese Räume, die es an verschiedenen Orten in der Schweiz gibt, sollen einem die Möglichkeit geben, Aggressionen auszuleben. Allein oder zu zweit, körperlich gut geschützt durch einen reißfesten Anzug, mit Gummihandschuhen und einem Helm aus Panzerglas, kann man so mit Vorschlaghammer, Baseballschläger oder mit einem Brecheisen Geschirr, Flaschen oder auch (zu einem Aufpreis) elektronische Geräte zerstören. Wem die Aggressionen durch die vielseitigen Sicherheitsmaßnahmen zwischenzeitlich vergangen sind, kann diese durch laute Musik wieder anheizen. Selbst wenn Minderjährige und Betrunkene von diesen »Events« ausgeschlossen sind, finde ich auch diese Erlebniskultur zweifelhaft. Auch wenn es sich nur um einen Spaß-Event handelt. Würde es nicht mehr Freude machen, vielleicht eine neue, abenteuerliche Sportart auszuprobieren, um so einen Adrenalinkick zu erleben, statt sinnlos Gegenstände zu zertrümmern?

Mein Fazit: Man kuschelt mit Fremden, um Nähe und Geborgenheit zu spüren, und verpackt sich beinahe hermetisch in Schutzkleidung, um Gefühle loszulassen, die im Alltag keinen Platz haben. Irgendwie irrational das Ganze. Ich klappe jetzt mal den Laptop zu und schaue, wo meine Hunde stecken. Vielleicht haben die beiden Kampfkuschler ja Lust auf eine Runde Streicheleinheiten.

Sind denn alle guten Männer schon vergeben?

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