Читать книгу "Alljährlich im Frühjahr schwärmen unsere jungen Mädchen nach England" - Simone Müller - Страница 12

Endstation Dover

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Manchmal gerieten die jungen Frauen auch bereits an den Häfen von Dover oder Folkestone in Schwierigkeiten. Dort legten die Schiffe aus Frankreich an, und für diejenigen, die sich ohne Ar­beitsbewilligung oder Visum auf den Weg gemacht hatten, endete die Reise mitunter an den Ufern des Ärmelkanals. Erst seit dem Vertrag von Touquet aus dem Jahr 2003 werden die britischen Grenzformalitäten im französischen Calais abgewickelt, zuvor entschied sich im Hafen von Dover, wer in das Vereinigte Königreich einreisen durfte und wer nicht.

1953 verschärfte Grossbritannien die Einreisebestimmungen, die Zahl der Abgewiesenen nahm weiter zu. Die wenigsten der jungen Schweizerinnen rechneten wohl damit, dass ihnen die Einreise verweigert werden könnte – viele Betroffene reagierten wütend oder verzweifelt. Manchen kam dann die 1913 geborene Berner Sozialarbeiterin Helen Ellis-Däpp zu Hilfe, die selber als Neunzehnjährige nach Birmingham gegangen war, um Englisch zu lernen, und sich nach dem Krieg der jungen Schweizerinnen und Österreicherinnen annahm, die an der Grenze in Schwierigkeiten gerieten. Ellis-Däpp verhandelte mit den Beamten, trieb Visa und Arbeitsbewilligungen auf, organisierte Übernachtungen und Rückreisen. Gelegentlich kümmerte sie sich auch um Sechzehnjährige, die zu Hause ausgerissen und ohne Geld und Papiere im Hafen von Dover gelandet waren. Oder um Schwangere, die in Willisau oder Rapperswil ihre Schwangerschaft verheimlicht hatten und in einer Londoner Klinik abtreiben wollten. Als sich die Berichte häuften, dass Abgewiesene in die Bars von Calais gelockt worden und danach spurlos verschwunden seien, nahm Ellis Kontakt auf mit einem französischen Mädchenheim. Sie begleitete diejenigen, die zurückmussten, bis aufs Schiff und meldete ihre Ankunft telefonisch der Heimleiterin in Calais, die sie dort am Hafen abholte. Später kümmerte sich Ellis-Däpp um Reisende aller Nationa­litäten – 1967 erhielt sie für ihr Engagement einen Orden von der Queen.

Mit den Institutionen in Kontakt gekommen sind meist nur diejenigen, die Hilfe brauchten. Die Berichte der Anlaufstellen spiegeln die Schwierigkeiten, in die eine Minderheit der jungen Frauen geriet. Für die Mehrheit gilt, was in den Fünfzigerjahren in einer Broschüre mit dem Titel «Was erwartet mich in England?» folgendermassen beschrieben wird: «Unsere Töchter stehen am englischen Herd, sie kochen und flicken, hüten die Kleinen in der Kinderstube, gärtnern oder wirtschaften ­irgendwo in einem Kleinbetrieb. Die meisten leben beschei­dener als zu Hause, arbeiten wesentlich mehr, verdienen sehr wenig und sind merkwürdigerweise zufrieden und glücklich dabei.»



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