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II.Der Einfluss von Rahmenbedingungen 1.Personalmanagement im Spannungsfeld komplexer Systeme

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34In „The Future of Management“ der Harvard Business School war bereits 2007 zu lesen: „(…) Doch anders als die Gesetze der Physik sind die Gesetze des Managements nicht vorherbestimmt und auch nicht ewig gültig. Rasante Veränderungen, flüchtige Vorteile, technologische Brüche, aufrührerische Konkurrenten, zersplitterte Märkte, allmächtige Kunden, rebellische Aktionäre – die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen in aller Welt auf eine harte Probe und zeigen die Grenzen eines Managementmodells auf, das nicht mit dem Lauf der Zeit Schritt gehalten hat.“ (vgl. Hamel/Breen, 2007, The Future of Management bei Harvard Business Review Press, übersetzt aus dem Amerikanischen von Gebauer: Hamel, 2008, S. 9). Diese ernüchternde Feststellung rührt an den Grundfesten einer Betriebswirtschaftslehre, die bis zur Finanzkrise 2007 davon ausging, mit den bisherigen Managementmodellen, darunter jenen, die nach systemtheoretischem Paradigma ein ganzheitliches, die Umfeldfaktoren einbeziehendes Schema postulierten, die Unternehmensführung zukunftsfähig aufgestellt zu haben.

35Allen Managementmodellen, auch den daraus abgeleiteten Steuerungsmodellen für die öffentlichen Verwaltungen, war gemeinsam, dass sie sich hauptsächlich auf interne Unterstützungsleistungen beschränkten und räumlich-zeitliche Dimensionen sowie Interdependenzen der einzelnen Faktoren weitgehend ausblenden. Bereits in den 1970er Jahren schlussfolgert F. Malik, dass es unabdingbar ist, eine Reihe von Illusionen aufzugeben, die Illusion der Prognostizierbarkeit und die Illusion der Machbarkeit. Beides sind Grundpostulate von Managementmodellen (vgl. Malik, 1994, S. 14). Um die Anforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen zu können, prognostizierte er, dass es vor allem auf neue Denkweisen und Methoden ankommt, die in einem kybernetischen Management wirksam werden müssen (vgl. Malik, 2006, S. 29). Kybernetische Managementmodelle finden sich heute beispielsweise im Projektmanagement, wenn die herkömmliche Wasserfall-Methode durch agile Methoden, wie Scrum, ersetzt wird. Grundannahme ist dabei, dass bereits einfache nichtlineare Systeme irreguläres Verhalten erzeugen können (vgl. Argyris et al., 2010, S. 22). Es ist für das Management im Allgemeinen, ebendo für das Personalmanagement wichtig, mit geeigneten Methoden systematisch Instabilititäten zu schaffen, um diesem Problem Rechnung zu tragen (vgl. Luhmann, 1994, S. 23).

36Die Frage, wie ein Personalmanagement der Zukunft ausgestaltet werden muss, ist eng verknüpft mit den Rahmenbedingungen, unter denen das Verwaltungshandeln Wirkung entfalten soll. Zur Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns muss die Prüfung der Risiken bei der Analyse verschiedener Wirkszenarien mit betrachtet werden, denn unzureichende Berücksichtigung von Veränderungen der Rahmenbedingungen können erwünschte Wirkungen verfehlen oder zu unerwünschten Wirkungen führen. Die schematische Anpassung von Verwaltungsprozessen genügt den sprunghaften Veränderungen meist nicht.

Die Aufgabe besteht darin, ein Mindset zu entwickeln, das es ermöglicht, die sich rasch wandelnden Rahmenbedingungen nicht nur als Herausforderung anzunehmen, sondern deren Entwicklung zu antizipieren und die größtmögliche Kongruenz zwischen den inneren und äußeren Schnittstellen (vgl. Abb. 6 „anzustrebender Bereich“) durch eine methodische Durchdringung interner Prozesse und äußeren Faktoren herzustellen. Eine solche Denkweise kann eine Emergenz zwischen den Systemen erzeugen, die im praktischen Verwaltungshandeln auch in einer transformative Führungs- und Kommunikationskultur sowie in einer höheren Transparenz von Entscheidungsprozessen ihren Ausdruck findet. Der in Teilen der Bevölkerung empfundenen fehlenden Transparenz politischer Entscheidungsprozesse ist mit rechtlichen Argumenten nicht zu begegnen. Bedeutet Transparenz und Beteiligung doch nicht ein Abweichen von verwaltungsrechtlich vorgezeichneten Abläufen. Vielmehr stellt es das Grundprinzip einer legitimierten partizipativen öffentlichen Verwaltung dar, die ihr Tun auf die Bedürfnisse des Gemeinwesens ausrichtet. Vereinzelt ist zu beobachten, dass in Kommunalverwaltungen aus Überlastungsgründen, Fragen von Stadträten an die Verwaltung unter Bezugnahme auf formaljuristische Anwendung kommunalrechtlicher Regelungen zurückgewiesen werden. Wird diese Art der politischen Kommunikation gewählt, muss den betreffenden Akteuren klar sein, dass dies erhebliche Auswirkungen nach innen auf das Werteverständnis, die Einstellungen der Verwaltungsbediensteten zu ihrer Tätigkeit und Arbeitsmotivation hat.

Abb. 6: Überblick über die Schnittstellen Umwelt-Behörde, eigene Darstellung


Das Personalmanagement kann diesen Imageschaden durch kein Seminar zum Thema bürgernahe Verwaltungsarbeit wieder ausbügeln. Wie in erfolgreichen Unternehmen auch muss vom Management vorgelebt und von jedem Mitarbeiter verinnerlicht werden, dass die Kunden und ihre Vertreter im Mittelpunkt aller Tätigkeit stehen. Will künftig der öffentliche Dienst in einer digitalen selbstregulierenden Welt noch eine Rolle spielen, muss er Lösungen für Probleme der Bürger anbieten, die kein Unternehmen besser und kostengünstiger anbieten kann. Nur unter dieser Voraussetzung kann der öffentliche Dienst mit seinen rechtstaatlichen Prinzipien erhalten bleiben. Seine bisherigen Kennzeichen der Neutralität und Legalität werden ergänzt um die Ausrichtung auf ethische Grundwerte und die Lösungs- und Ergebnisorientierung bei der Realisierung von Bürgeranliegen, Qualität und Service. Das ist kein Widerspruch. Die Interaktion von Behörde und Bürgern wird nicht mehr durch Distanz bestimmt, sondern durch die Betrachtung des Bürgers als Kunden mit spezifischen Bedürfnissen und Interessen. Die Unterstützung durch das Personalmanagement erfolgt durch die professionelle Gestaltung der Kommunikationsprozesse zwischen Behörde und Kunde sowie die Entwicklung von Innovations- und Akzeptanzkonzepten. Beispiele für kundenspezifische Maßnahmen können sein:

• Förderung von Kundenvorhaben (Unterstützung von Bürgerprojekten durch Bekanntmachen auf der kommunalen Internetplattform nach dem Prinzip: Der bürgerschaftlichen Eigeninitiative ein Gesicht geben);

• interaktive Kommunikationsplattform Bürger-Verwaltung, nicht nur mit der Möglichkeit, online Formulare zu bearbeiten, sondern mit einem virtuellen Ansprechpartner, der sprachbasiert überregional durch Behörden navigiert und Fragen beantwortet;

• organisationsübergreifende Leistungsvergleiche, an denen die Verwaltungskunden aktiv mitgestalten können.

37Die Rahmenbedingungen des Personalmanagements müssen auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden. Eine Gliederungsmöglichkeit sind die Bezugsgrößen auf Makro- und Mesoebene.

Entsprechend der Gliederung in Abbildung 7 beeinflussen Rahmenbedingungen mittelbar die Gestaltung von Maßnahmen des Personalmanagements und können neben positiven Wirkungen auch Risiken mit sich bringen. Die Wirkungen treten jedoch nicht kausal im Sinne eines Ursach-Wirkungs-Zusammenhangs ein. Das Personalmanagement kann jedoch die Wirkung von Verwaltungsentscheidungen in Bezug auf Kundenzufriedenheit mediieren.

Beispielsweise trifft die Kommunalverwaltung auf der Grundlage prognostizierter steigender Geburtenraten und des für den Betrachtungszeitraum erwarteten Auslastungsgrades die Entscheidung, den Bau weiterer Kindertagesstätten in Auftrag zu geben. Der Bau weiterer Betreuungseinrichtungen hat nicht unmittelbar eine höhere Kundenzufriedenheit zur Folge.

Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich jedoch, wenn das Personalmanagement einen Personalaufbau und zielgerichtete Qualifizierungsmaßnahmen für diese Einrichtungen plant und realisiert. Wird hingegen die Entscheidung getroffen, vorhandenes Personal aus anderen Einrichtungen abzuziehen und auf die Neubauten zu verteilen, wird die Wahrscheinlichkeit für steigende Unzufriedenheit wegen eines ungünstigeren Personalschlüssels größer sein als der Vorteil durch den Neubau.

Abb. 7: Übersicht über Rahmenbedingungen des Personalmanagements und Risikofaktoren, eigene Darstellung


In diesem Abschnitt werden die Einflussfaktoren dargestellt und anhand praktischer Beispiele Handlungsoptionen für das Personalmanagement aufgezeigt.

38a) Externe Faktoren. Zu den externen Einflussfaktoren gehören u. a. die im Beispiel genannte bevölkerungsstrukturabhängige Entwicklung der Leistungsnachfrage, die Einnahmeentwicklung, die Übertragung gesetzlicher Aufgaben. Interne Einflussfaktoren sind die Personalbestandsentwicklung (Fluktuation), die Entwicklung der Leistungsanforderungen, das Leistungsvermögen, altersstrukturbedingte Besonderheiten.

39Dynamische Umweltveränderungen erhöhen den Handlungsdruck auf öffentliche Verwaltungen. Abbildung 8 verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen veränderten Umweltanforderungen, die auf das System der Gesamtorganisation einwirken und die notwendige Anpassungsgeschwindigkeit innerhalb des sozio-technischen Systems erzeugen.

Aus einer damit verbundenen Komplexitätserhöhung resultiert das Bestreben, die interkommunale Zusammenarbeit, aber auch themenbezogen zwischen Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen, zu intensivieren, beispielsweise durch Vergleichsringe auf der Basis gemeinsamer Kennziffern oder der gemeinsamen Inangriffnahme gesamtgesellschaftlicher Themen wie Demografie und Digitalisierung. Auch Unternehmen, die eigentlich im Wettbewerb zueinander stehen, kooperieren und vernetzen sich projektbezogen, denn die Nutzung von Netzwerken bedeutet, dass Ressourcen sparsamer eingesetzt werden können. Qualitätsunterschiede werden bei vergleichbaren Leistungen und Produkten geringer, der Grad der Standardisierung steigt. Darin besteht die Chance, ein IT-gestütztes evidenzbasiertes Personalmanagementsystem aufzubauen. Ein solches System unterscheidet nach standardisierten Bearbeitungsfällen und Lösungsalternativen für kategorisierte fallbezogene Probleme, deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Risiko im Vorfeld definiert sind.

40Die rasante Veränderungsgeschwindigkeit unserer Umwelt verlangt nach immer neuen Handlungsstrategien. Grenzen zwischen Arbeit und Umwelt sind fließend. Gleichzeitig benötigt der Mensch Routinen in Form von Strukturen und Abläufen, um sich orientieren zu können. Orientierung bedeutet auch, dass der Mensch in der Lage ist, ausgehend von individuell bedeutsamen konstanten Rahmenbedingungen, Annahmen über die Zukunft zu treffen (vgl. Neuberger, 1985, S. 1 f.). Wir können uns beispielsweise am Sonntagabend vorstellen, wo wir am nächsten Morgen die Arbeit weiterführen werden. Ob im Büro oder bei einer Dienstreise können wir uns dadurch orientieren, weil wir eine bildhafte Vorstellung davon haben, was wir am nächsten Morgen vorfinden werden. Wir wissen, wie unser Büro gestaltet ist und erwarten bei einer Reise mit der Bahn die Menschenmengen auf einem Bahnhof an einem Montagmorgen, weil wir bereits Erfahrungen darüber gesammelt haben, was uns erwarten wird. Möglicherweise beschleicht uns ein ungutes Gefühl bei der Vorstellung an den Berufsverkehr und wir stellen uns darauf ein. Aber auch wenn es darum geht, langfristige Pläne zu schmieden, können wir das nur unter der Voraussetzung einiger stabiler Rahmenbedingungen, um die Zukunft gedanklich zu antizipieren. Dafür verwenden wir mentale Repräsentanten auf Basis von Erfahrungswerten und dem Abgleich mit unseren Bedürfnissen, Zielen und Einstellungen. Die Umwelt wird dabei nicht eins zu eins abgebildet, sondern durch einen individuellen Filter wahrgenommen und emotional bewertet. Ein Teil der Beobachtungsfehler resultiert daraus, dass Menschen ihre Umwelt selektiv wahrnehmen und je nachdem, was bewusst oder unbewusst als individuell bedeutsam eingestuft wird, die Aufmerksamkeit darauf gelenkt und andere Dinge ausblendet werden.

Wenn sich jetzt als konstant vorausgesetzte individuell bedeutsame Umfeldfaktoren verändern, beispielsweise durch eine räumlich und zeitlich entgrenzte Arbeit, auf die wenig Einfluss besteht, funktioniert die Orientierung nicht mehr wie gewohnt. Je nach persönlicher Beanspruchungstoleranz können solche entgrenzte Arbeitsbedingungen als Kontrollverlust erlebt werden und Stress auslösen.

41Zahlreiche Publikationen beschäftigen sich mit der Frage, wie die unterschiedlichen Generationen mit den Herausforderungen in Technik, Gesellschaft, Natur und der Arbeit umgehen. Während der Generation „X“ (Geburtenjahrgänge 1970 bis ca. 1985) ein eher unflexibler Umgang mit den Anforderungen sich rasch verändernder Rahmenbedingungen zugeschrieben wird, sind für Arbeitgeber besonders die Generationen „Y“ (Geburtenjahrgänge ab 1985 bis 2000) und „Z“ (Geburtenjahrgänge ab 2000 bis 2015) in das Blickfeld gerückt (vgl. Scholz [II], 2014, S. 73 f.). Sie verkörpern jene Altersgruppen, die die Digitalisierung für soziales Netzwerken zu nutzen wissen, bzw. mit der Digitalisierung aufwachsen und für die Agilität kein Fremdwort ist.

Der Klassifizierung in Kohorten liegt ebenfalls die Prägung nach gemeinsam geteilten gesellschaftlichen, ökonomischen, technischen und politischen Rahmenbedingungen zugrunde.

Die kommende Generation potenzieller Bewerber weist eine wesentlich heterogene Biografie auf. Die Fachkräftegewinnung wird sich deshalb nicht auf altbewährte Marketingstrategien der öffentlichen Verwaltung beschränken können. Das Werben mit sicheren Arbeitsplätzen und die Tätigkeit für das Gemeinwohl allein, werden nicht genügen, um Potenzialträger für den öffentlichen Dienst zu interessieren. Behörden müssen in Sachen Digitalisierung und neue Arbeitsformen mit Unternehmen mithalten. Auch in der öffentlichen Meinung werden die sich verändernden Rahmenbedingungen mit Nachdruck und unter Bezugnahme auf die Veränderungsnotwendigkeit der Personalarbeit wiederholt und an die Personalpraktiker adressiert. Dies erschwert zusätzlich die Chance auf einen proaktiven Umgang mit der Thematik, der für Innovation unabdingbar ist.

Personalmanagement kann zum Aufbau einer Arbeitgebermarke und damit zur Attraktivität als potenzieller Arbeitgeber sowie zur Bindung von Beschäftigten beitragen (vgl. Jetter, 2008, S. 19 f.).

42Ob ein Arbeitgeber jedoch für potenzielle Mitarbeiter attraktiv ist, wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, so beispielsweise auch davon, ob der potenzielle Arbeitgeber als Teil der Gesellschaft soziale und ökologische Verantwortung wahrnimmt und dies nicht nur auf seiner Website bewirbt, sondern als Philosophie bis hin zum Produkt lebt.

Es kommt in der Außenwirkung weniger darauf an, möglichst viele kostenintensive Benefits einzuführen. Damit kann Personalmanagement nur noch selten punkten. Allerdings kann eine verfehlte Personalpolitik, mit strukturellen Mängeln, Defiziten in der Führungskultur oder unzureichendem Gesundheitsschutz, zu einer hohen Fluktuationsrate und damit zu sinkender Arbeitgeberattraktivität beitragen. Ein wirkungsorientiertes Personalmanagement blockiert sich nicht selbst durch viele teure Angebote und unflexible Konzepte, sondern richtet sich nach den zu lösenden Fragen der Kunden und ist deshalb nah an den dezentralen Struktureinheiten.

43Für die beispielhaft beschriebenen Unsicherheitsfaktoren gibt es bereits mit dem Akronym VUCA-Umwelt ein Etikett (vgl. Lenz, 2019, S. 51 f.).

Es steht für:

• Volatility (Unbeständigkeit),

• Uncertainty (Unsicherheit),

• Complexity (Komplexität) und

• Ambiguity (Mehrdeutigkeit).

Erhöht sich die Komplexität durch vielfältige Umfeldanforderungen, wie Abbildung 9 zeigt, ist es wenig sinnvoll, durch eine Verstärkung normativer Regelungen gegensteuern zu wollen. Dies führt zu einer Spirale der Komplexität. Beispielsweise sollte ein steigendes Anspruchsverhalten oder ein sprunghafter Anstieg der Kundenanliegen nicht dazu führen, die leistungserbringenden dezentralen Strukturbereiche grundsätzlich mit mehr normativen Regelungen auszustatten, die infolge Zeitdrucks unübersichtlich und nicht widerspruchsfrei die Fehlerquote eher noch steigern. Bei hoher Komplexität ist eine Personalführung mit effizientem Personaleinsatzmanagement gefragt. Als Dominoeffekt wirkt auch hier eine Komplexitätssteigerung dadurch, dass Kapazitäten für die Einleitung personalwirtschaftlicher Maßnahmen gebunden werden.

Abb. 8: Wirkungen komplexer Umfeldfaktoren, eigene Darstellung


44Bei hoher Komplexität ist ein personenorientiertes Management dem faktorenbezogenen Management vorzuziehen. Das bedeutet enge Absprachen, einzelfallbezogene, jedoch alle Einflussfaktoren und Wirkungen berücksichtigende Lösungen, kurze und weniger hierarchische Entscheidungswege, mehr delegierte Handlungs- und Entscheidungskompetenz. Das Vorgehen scheint die Komplexität eher noch zu erhöhen – dem ist zuzustimmen, wenn dies unvorbereitet erfolgt. Folgt man Luhmann, dann müssen komplexe Systeme Instabilitäten schaffen, um den Problemen Rechnung zu tragen (vgl. Luhmann, 1994, S. 23). Es ist eine wesentliche Aufgabe des Personalmanagements und der Führungskräfte, die Organisationsmitglieder auf Phasen hoher Komplexität, beispielsweise durch die Einführung eines Risikomanagements, agiler Projektorganisation, Ganzheitsbearbeitung mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung in der Sachbearbeitung und Feedbackgespräche, vorzubereiten.

Abb. 9: Spannungsfeld zwischen personenorientiertem und faktorenbezogenem Management, eigene Darstellung


Die Einflussfaktoren im Einzelnen:

Digitalisierung

45Die Arbeitswelt befindet sich durch die rasante digitale Entwicklung, die sich bisher weitgehend einer institutionellen Steuerung entzieht, im bedeutendsten Umbruch seit der Industrialisierung. Die Digitalisierung erreicht eine Geschwindigkeit, die es immer schwieriger werden lässt, ordnend einzugreifen, um die wichtigen Fragen nach dem Schutz der Daten und der Regulation von Datenhandel zu beantworten.

46Globalisierung findet nicht nur durch ökonomische Entgrenzung statt. Mit der Digitalisierung ist eine Vernetzung von Menschen weltweit möglich. Damit entstehen bisher nicht gekannte Möglichkeiten der Einflussnahme auf Wirtschaft und Politik. Sie wird als die entscheidende Veränderungskomponente alle anderen Rahmenbedingungen beeinflussen. Digitalisierung wird sogar das Grundverständnis unseres bisherigen gesellschaftlichen Zusammenlebens und unser Rechtsverständnis beeinflussen.

Der digitale Fortschritt lässt sich auch nicht proaktiv steuern. Dafür hinken institutionelle Konzepte meilenweit hinterher. Während Großunternehmen dies erkannt haben und über ausreichend Ressourcen verfügen, um die rasante Entwicklung für sich nutzbar zu machen (z. B. Robotik), ist der öffentliche Sektor noch weitgehend in traditionellen Strukturen und Abläufen verwurzelt. Als Beispiel dafür ist die Einführung von E-Government zur Abwicklung geschäftlicher Prozesse mit Hilfe elektronischer Informations- und Kommunikationstechnik zu nennen, in das die öffentlichen Verwaltungen ihre Hoffnungen legen. Allerdings ist durch das schrittweise, kaum vernetzte Vorgehen die Idee von der virtuellen Verwaltung noch Zukunftsmusik.

Damit könnte auch die Einflussmöglichkeit des öffentlichen Sektors auf das gesellschaftliche Leben schwinden, das sich ebenfalls durch die digitale Durchdringung aller Lebensprozesse verändern wird.

47Schon jetzt werden Überlegungen laut, ob öffentliche Verwaltungen in Zukunft noch Aufgaben für das Gemeinwesen wahrnehmen werden oder ob dies in Zukunft weitgehend der Selbstregulierung freier Marktkräfte überlassen bleibt.

Die „Digitalisierung“ betrifft alle Lebensbereiche – nicht nur die private Kommunikation und die elektronische Bearbeitung von Kundenanliegen, sondern auch Managementprozesse. Die elektronische Abwicklung von Geschäftsprozessen und -abläufen bringt völlig neue Herausforderungen für das Personalmanagement mit sich, angefangen von der digitalen Personalakte bis hin zu digitalisierten Recruitingprozessen. Die Möglichkeit, durch Algorithmen die Personalauswahl vollständig digital abzuwickeln, wird bereits in Experimenten erforscht.

48Es muss Aufgabe des Personalmanagements sein, den Einsatz digitaler Medien sorgfältig und kritisch unter ethischen und datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und auf Fehlentwicklungen hinzuweisen.

Dafür wird sich das Personalmanagement von der bisherigen reinen Unterstützungsfunktion verabschieden und eine eigene strategische Funktion übernehmen. Dies setzt voraus, dass Personal-, Organisations- und Finanzmanagement eine Einheit bilden. Der IT-Bereich übernimmt dann die Unterstützungsfunktion, die bislang dem Personalwesen oblag.

Dies bedeutet auch, dass ein Großteil der bisherigen unterstützenden Personal- und Organisationsprozesse künftig stärker durch den IT-Bereich mit elektronischer Unterstützung übernommen werden müssen. Diese Prozesse und Aufgaben sind zu identifizieren und von jenen abzugrenzen, die keine weitgehende Digitalisierung erlauben.

Um diesen Veränderungsprozess wirkungsvoll in Gang zu setzen, darf keine Personal- und Organisationsleistung mehr denkbar ohne die Beteiligung des IT-Bereiches sein.

Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Altersstruktur im öffentlichen Bereich

49Die sozio-ökonomischen Konsequenzen einer im Durchschnitt immer älter werdenden Bevölkerung gehören zu den zentralen Herausforderungen westlicher Industrienationen. Deutschland ist hierbei vergleichsweise stark betroffen.

Die Bevölkerung im Erwerbsalter wird infolge des demografischen Wandels nach Schätzungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2013) um gut 6 Mio. bis zum Jahr 2030 sinken (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2013, S. 8).

Diese Entwicklungen sind seit langem bekannt und werden aus volkswirtschaftlicher und soziologischer Perspektive eingehend in wissenschaftlichen Studien analysiert. Auch im öffentlichen Sektor finden demografische Aspekte zunehmend Aufmerksamkeit, zumeist in Hinblick auf den Umgang mit der Altersstruktur als Anlass für Personalplanungsprozesse.

Eine große Anzahl von Behörden hat sich jedoch vor dem Hintergrund bisheriger Einsparvorgaben insbesondere im Personalbereich noch nicht bzw. noch nicht systematisch mit den Konsequenzen beschäftigt. Hierfür sind vor allem zwei Gründe maßgeblich.

50Der erste Grund liegt in einer scheinbar geringen Präsenz des demografischen Wandels.

Der Charakter einer sich langsam aber stetig vollziehenden Entwicklung veranlasst viele Personalverantwortliche die langfristigen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu unterschätzen und die vermeintlich zur Verfügung stehende Vorbereitungszeit hierauf zu überschätzen.

51Ein zweiter Grund ist eher pragmatischer Natur. So ist von Personalverantwortlichen immer wieder zu hören, dass geeignete Instrumente vermisst werden, die eine spezifische Analyse und Bewertung demografischer Effekte für eine mittelfristige Personalplanung, wie in folgendem Beispiel, ermöglichen.

Potenzielle Risiken infolge des demografischen Wandels lassen sich durch zwei Kernfragen, die weiter differenziert werden können, erfassen:

Wie verändert sich die Bevölkerungsstruktur aufgrund des demografischen Wandels?

– Welche Leistungen des öffentlichen Dienstes in welchem Umfang werden künftig benötigt?

– Wie wirkt sich das auf die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der öffentlichen Haushalte aus?

Welche Effekte ergeben sich für die externe und interne Verfügbarkeit von Fachkräften?

– Werden potenziell geeignete Fachkräfte in ausreichender Anzahl für alle relevanten Berufe vorhanden sein?

– Muss der öffentliche Dienst aufgrund des Fachkräftemangels in einigen Berufen, verstärkt in benachbarten EU-Ländern werben oder möglicherweise viel früher ansetzen und Schulabgänger zuerst anlernen und später aus- und fortbilden?

– Welche Unterstützung benötigen interne Fachkräfte, um ihr Leistungspotenzial zu erhalten?

– Was kann der Arbeitgeber tun, um Fluktuation zu vermeiden?

– Wie kann der Krankenstand gesenkt werden?

– Wie können Arbeitswelten künftig divers gestaltet werden?

Die Konsequenzen, die sich aus einer unzureichenden Analyse von Risiken ergeben, können hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Zukunftsfähigkeit öffentlicher Verwaltungen erheblich sein. Die Praxis zeigt jedoch, dass derzeit nur wenige Behörden über hinreichende Klarheit darüber verfügen, welche spezifischen Risikofaktoren bestehen und ein entsprechendes Risikomanagement implementieren.

Beispiel: Instrumente zur Analyse und Bewertung demografischer Effekte

Die Analyse der Altersstruktur liefert gute Informationen dafür, mit welchen demografischen Effekten in unterschiedlichen Strukturbereichen und Berufsgruppen in der Organisation gerechnet werden muss. Wichtig für die Aussagekraft einer Analyse ist zunächst die gezielte Erhebung qualitativer und quantitativer Daten zur Personalstruktur. Weiterhin ist von Interesse, ob es in einzelnen Fachbereichen zu einer Häufung altersbedingter Abgänge in bestimmten Laufbahngruppen oder Spezialberufen in einem bestimmten Zeitraum kommt. Mit Hilfe eines kontinuierlichen Monitorings, das über Fragebögen auch den beabsichtigten vorfristigen Renteneintritt einbezieht, entsteht ein Gesamtbild aus dem Schlussfolgerungen für Maßnahmen gegen Personalengpässe in bestimmten Berufsgruppen, wie beispielsweise IT oder Bau gezogen werden können.

Eine biografische Analyse nach Berufslebensphasen kann Entwicklungsverläufe nachzeichnen und Hilfestellung für die Personaleinsatzplanung oder den Aufbau eines Kompetenzmanagementsystems sein.

52b) Interne Faktoren. Externe und interne Faktoren stehen zueinander in Wechselbeziehung.

In der Personalstruktur spiegeln sich die Entwicklungen in der Gesellschaft wider und Organisationen gestalten durch ihre Betätigung in der Gesellschaft, ihren Leistungen und Produkten, der Sozialisierung ihrer Mitarbeitenden, den sozio-ökonomischen Rahmen mit.

Innere Rahmenbedingungen prägen die Organisationskultur, die sich wesentlich aus den manifestierten Einstellungen und Werten ihrer Organisationsmitglieder speist. Für das Personalmanagement ist die Kenntnis der Interdependenzen äußerer und innerer Rahmenbedingungen wesentlich für die Ist-Stands-Analyse, die richtige kontextuale Beurteilung der erhobenen Daten und die Wirksamkeit und Akzeptanz der Interventionen.

Nachfolgend werden wesentliche innere Rahmenbedingungen genannt, die die Wirksamkeit des Personalmanagements beeinflussen.

53aa) Personalmanagement im Spannungsverhältnis von Organisation und Person. Welche internen Wirkungszusammenhänge sind für das Personalmanagement zu beachten?

Die Übersicht in Tabelle 2 stellt den Bezug des Personalmanagements zu wesentlichen inneren Einflussfaktoren dar.

Dabei ist das Prozesshafte ein wesentliches Merkmal eines modernen Personalmanagements jenseits der Vorstellungen von kausalen Ursache-Wirkungs-Ketten. Dem Prozesscharakter des Personalmanagements ist immanent, dass Personalpraktiken auf allen Organisationsebenen stattfinden und unterschiedliche Herangehensweisen erfordern. Gleichzeitig sind Risikofelder festzustellen und konfligierende Ziele zu beachten. Wird dies nicht hinreichend berücksichtigt, laufen Personalmaßnahmen ins Leere, da das Personalmanagement nicht die für die jeweilige Organisation wichtigen Felder bespielt. Dazu müssen die Felder, die Einordung und Funktion des Personalmanagements innerhalb der Ebenen und Felder und die wichtigsten Entscheidungsträger bekannt sein.

Tab. 2: Integrativer Prozessansatz des Personalmanagements, eigene ­Darstellung


54Das Personalmanagement nimmt eine zentrale Funktion auf der Ebene „Organisation und Person“ ein. Direkte Steuerungsfelder an der Schnittstelle „Organisation und Person“ sind die Geschäftsprozesse und das Management von Ressourcen. Das Personalmanagement befindet sich nicht nur im Spannungsverhältnis zwischen Person und Organisation, sondern vertikal zwischen Personalpolitik, die sich aus der Gesamtverwaltungsstrategie über normative Ziele ableitet, und der interpersonalen Ebene, zu der die Realisierung von personalwirtschaftlichen Einzelmaßnahmen sowie die Kommunikation und Beziehungsgestaltung zwischen den Organisationsmitgliedern gehört. Ein weiteres wesentliches Spannungsfeld liegt zwischen hohem Handlungsdruck und Risikovermeidung bei Entscheidungsunsicherheit.

55bb) Der Umgang mit Risiken. Chancen für ein innovatives Personalmanagement bestehen darin, Risiken in Bezug auf personelle Maßnahmen zu kennen, deren Wirkungen und Eintrittswahrscheinlichkeit einschätzen zu können, demgegenüber Chancen zu erkennen und unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren und Wirkungen Entscheidungen zu treffen. Damit wird Personalmanagement zu einem wichtigen Partner der Organisationssteuerung. Die Personalbereiche nehmen ihre Managementfunktion erst vollständig wahr, wenn es gelingt, über alle Personalmanagementfelder und Schnittstellen zu Organisation und Finanzwesen ein IT-gestütztes, kennzahlenbasiertes Managementsystem zu implementieren, das ein Controlling und Risikobewertungssystem enthält (vgl. Birkholz, 2009, S. 157 f.). Personalpraktiker sollten in der Lage sein, das personalwirtschaftliche Instrumentarium zur Erarbeitung von Lösungsstrategien im Umgang mit Risiken einzusetzen. Schwerpunktmäßig muss eine solchermaßen erweiterte Analyse strategische und operationale Kategorien unter anderem mit folgenden Risikobereichen einbeziehen:

• Innovationsrisiken, wenn marktähnliche Mechanismen auf strukturelle Hemmnisse treffen (beispielsweise Öffnung in Richtung öffentlich-private Partnerschaft),

• Leistungs- und Motivationsrisiken,

• Qualifikationsrisiken (Risiko der Dequalifizierung, Risiko künftig erforderliche Kompetenzen nicht rechtzeitig zu erkennen, Risiko des Wissensverlustes),

• Rekrutierungsrisiken (keine geeigneten Bewerber),

• Bindungsrisiko (Fluktuation von Fachkräften),

• Risiko der Flexibilität von Arbeitsstrukturen und Entgrenzung der Arbeit,

• Risikobereich Anreizsysteme und Commitment,

• Risikobereich Kommunikation (intransparente Unterstützungsprozesse im Personalbereich),

• Motivationsrisiken,

• Risiko des Entscheidungsdrucks bei Informationsverdichtung.

56Zentrale Unterscheidungsmerkmale der öffentlichen Verwaltung gegenüber privatwirtschaftlichen Organisationen sind allen voran die demokratische Legitimierung, weiterhin als Handlungsgrundlage die gesetzlichen Normen und die Finanzierung des Verwaltungsapparates mit seinen Beschäftigten und Beamten basierend auf Zuwendungen u. a. aus Steueraufkommen.

Die Kommunikation mit der Bevölkerung und die erbrachten Dienstleistungen, so der Reformtenor der 70er Jahre, müssen so ausgestaltet werden, dass bei der Bevölkerung eine bestmögliche Zufriedenheit erreicht werden kann (vgl. Lengwiler, 1989, S. 24). Dies muss allerdings auch Hand in Hand mit Effektivität, Effizienz und nicht zuletzt Gesetzeskonformität gehen. Die nach außen gerichtete Personalpolitik wurde im Hinblick auf die Bürgerorientierung neu überdacht. Der Wandel zu einem Personalmanagement war an das Vorhaben gekoppelt, der stetig sinkenden Attraktivität der Kommunalverwaltungen (Attraktivitätslücke bei hoch qualifizierten potenziellen Bewerbern) durch geeignete Maßnahmen und Anreizsysteme zu begegnen.

57Die Forderung nach einem innovativen Personalmanagement steht jedoch auch stellvertretend für die Forderungen an das Management grundsätzlich in der Politik. Es geht letztlich auch darum, wie das Image bei der Bevölkerung verbessert werden kann. Dies führt in der öffentlichen Wahrnehmung zur Erwartung, dass sich die öffentliche Verwaltung zum bürgerorientierten Dienstleistungsunternehmen entwickeln soll. Neue Organisationsformen fordern vom Einzelnen hohe soziale Kompetenz und mehr Flexibilität. So ist z. B. Telearbeit – trotz mancher Vorteile für die Akteure – mit dem Risiko sozialer Isolierung und zeitlicher Entgrenzung verbunden. Moderne Arbeitszeitmodelle ermöglichen den Betroffenen vermeintliche Wahlmöglichkeiten.

Es besteht die Gefahr, dass Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit verschwimmen.

Das Personalmanagement der Zukunft braucht andere Instrumente als die alleinige Erfassung der Arbeitszeit, um entgeldrelevante Leistung abzubilden.

Es geht um die kontinuierliche Ausbalancierung zwischen den konfligierenden Zielen wie Effizienz, Effektivität und Legalität als Beurteilungskriterien für das Personalmanagement und dessen Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Kunden.

Personalmanagement in der öffentlichen Verwaltung

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