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Im Eingangsbereich des Polizeireviers Roermond ist es brütend heiß. Wegen der großen Fensterfronten hat der Raum etwas von einem Gewächshaus, in dem die Temperaturen im Sommer schnell unerträglich werden.

Julia und Sjoerd gehen hinauf in den zweiten Stock. Vor dem Wasserspender im Flur bleibt Julia stehen und greift nach einem Plastikbecher.

Während das Wasser einläuft, betrachtet sie die Puppe im Regal darüber. Sie stellt einen Außerirdischen dar; ein Kollege hat sie auf dem Jahrmarkt gewonnen. Seitdem ist sie das Maskottchen der Truppe und wurde liebevoll dekoriert: mit einer Polizeimütze, Handschellen und einem ausgedienten Pistolenhalfter.

»Hallo, E. T.«, sagt Julia. »Sei froh, dass du hier deine Ruhe hast. Es gibt Tage, da denke ich, ich hätte doch lieber Kindergärtnerin werden sollen.«

E. T. verzieht keine Miene.

Julia nimmt ihren Becher und holt dann am Automaten daneben Kaffee für Sjoerd. Egal, wie heiß es ist, ihr Partner trinkt immer Kaffee. Von Wasser und Tee könne kein Mensch leben, behauptet er immer.

Mit einem Becher in jeder Hand betritt Julia das Büro, das sie mit drei Kollegen teilt.

Koenraad und Ari sind damit beschäftigt, Protokolle zu tippen. Beide sehen auf, als Julia das Zimmer betritt, Ari rollt seinen Stuhl etwas zurück und fragt: »Na, gibt’s was Neues?«

Julia stellt den Kaffeebecher auf Sjoerds Schreibtisch und trinkt einen Schluck Wasser.

»Wir haben keinerlei Hinweise auf einen Einbruch gefunden«, sagt sie. »Die Hintertür war offen, sodass der Täter problemlos ins Haus konnte. Auffällige Fußspuren hat er leider nicht hinterlassen.«

»Olle Kamellen – die Tatortfotos hat uns die Spurensicherung schon geschickt. Ich wollte eigentlich wissen, ob es was Neues gibt.«

»Ach so ...« Julia zieht eine Grimasse und setzt sich an ihren Computer.

Dass Ari nicht zu ihren größten Fans gehört, weiß sie. Anfangs dachte sie, es läge daran, dass sie eine Frau ist, aber damit scheint es nichts zu tun zu haben. Bei der Kripo arbeiten noch mehr Frauen, und die behandelt Ari durchaus zuvorkommend.

Sjoerd hat ihr einmal bei einem gemeinsamen Kneipenbesuch erklärt, Ari könne nicht damit umgehen, dass sie jung und ehrgeizig sei. Er sei jahrzehntelang Streife gefahren, bevor seine Bewerbung bei der Kripo Erfolg hatte. Und dann sei sie gekommen und schon nach kurzer Zeit auf eine Fortbildung für zukünftige Führungskräfte geschickt worden. Ari fühle sich bedroht, sozusagen auf den Schwanz getreten, so Sjoerd.

Misstrauisch hatte Julia gefragt, ob er damit ebenfalls Probleme habe.

Sjoerd hatte grinsend den Kopf geschüttelt. »Quatsch! Für mich hat es nur Vorteile, dass du meine Partnerin bist. Du bist nun mal die Beste aus unserem Team, also lass ich dich die ganze Arbeit machen, heimse das Lob ein und bekomme noch eine Gehaltserhöhung.«

Sie hatte so getan, als wollte sie ihm ihr Bier ins Gesicht schütten, dann waren sie beide in Gelächter ausgebrochen.

Wenn man tagtäglich zusammen ist, lernt man sich zwangsläufig ziemlich gut kennen. Julia weiß, dass Sjoerd lieber zu Burger King geht als zu McDonald’s. Sie weiß, worüber er sich ärgert und was ihn zum Lachen bringt, dass er gern klassische Musik hört und lieber wochenlang Zahnschmerzen erträgt, als einmal zum Zahnarzt zu gehen. Und dass er auf Salmiaklutscher steht.

Sie kennt Sjoerd so gut, als wäre er ihr Lebensgefährte, und die Zusammenarbeit hat von Anfang an sehr gut funktioniert.

Julia kann sich nicht vorstellen, mit jemand anderem zu arbeiten, und schon gar nicht mit einem wie Ari. Ein Albtraum! Sie würde umgehend ihre Versetzung beantragen.

Noch leicht verärgert über die Provokation, macht sie sich an die Arbeit und ist schon bald völlig darin vertieft. Sjoerd sitzt inzwischen ebenfalls an seinem Schreibtisch. Nachdem sie eine halbe Stunde still vor sich hingearbeitet und ihre Ermittlungen dokumentiert haben, kommt Hauptwachtmeisterin Rietta herein und legt Julia eine Mappe hin: Sie enthält die Auswertung der Anwohnerbefragung.

»Danke, Rietta«, sagt Julia, ohne die Finger von der Tastatur zu nehmen.

»Gern geschehen. Sind das hier die Fotos vom Tatort?« Rietta zeigt auf eine Klarsichthülle. »Habt ihr schon Hinweise?«

»Bisher nicht. Wir warten auf die Ergebnisse von der Kriminaltechnik.«

»Und wie schätzt du den Fall ein?«

Aus dem Augenwinkel sieht Julia, dass Ari und Koenraad Blicke tauschen. Sie kehrt ihnen den Rücken zu.

»Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Abrechnung«, sagt sie.

»Ja«, pflichtet ihr Rietta bei, »Den Nachbarn zufolge hatte Ruud Schavenmaker ziemliche Probleme mit den Ausländern im Viertel.«

»Aber wenn das der Grund war, verstehe ich nicht, warum seine Freundin ebenfalls umgebracht wurde. Vermutlich geht es hier um mehr als nur um Diskriminierung«, sagt Julia. »Du weißt ja, dass Donderberg nicht gerade ein Musterviertel ist.«

Roermond-Donderberg ist ein Multikultiviertel, in dem es immer wieder zu Konflikten zwischen ausländischen und einheimischen Bürgern kommt. Außerdem sind etliche Bewohner in kriminelle Machenschaften verstrickt. Im Grunde reichen die drei Problemviertel der Stadt – Donderberg, ‘t Veld und De Kemp – bereits aus, um sämtliche Streifenkollegen rund um die Uhr auf Trab zu halten. Kneipenschlägereien, Messerstechereien und dergleichen sind dort an der Tagesordnung, und die Zeugen schweigen meist aus Angst vor Racheakten.

»Die Kollegin Vriens hat den Fall schon gelöst.« Ari dreht seinen Bürostuhl so, dass er Julia im Visier hat. »Jedenfalls theoretisch. Und ganz ohne Beweise.«

»Ich recherchiere, Walraven«, sagt Julia. »Nach Beweisen muss man erst einmal suchen.«

»Mit deinem Tunnelblick wirst du bestimmt schnell welche finden«, sagt Ari.

Julia dreht ihm seufzend den Rücken zu.

»Lass dich nicht ärgern!«, sagt Rietta. »Ari ist ein großes Kind. Ich gehe jetzt Kaffee holen. Möchtest du auch einen?«

»Ja, gern. Danke.«

»Nett von dir, Rietta!«, ruft Ari dazwischen. »Du weißt ja, wie ich ihn trinke.«

»Allerdings«, sagt Rietta im Hinausgehen. »Schwarz – genau wie deine Seele.«

Zwanzig Kripoleute von verschiedenen Revieren in Midden-Limburg werden als Sonderkommission auf den Fall angesetzt.

Julia und Sjoerd haben sich Fotos und Videoaufnahmen vom Tatort angesehen und die Akten straffällig gewordener Bewohner des Viertels unter die Lupe genommen.

Inzwischen ist bekannt, dass das ermordete Paar in dem überwiegend von Ausländern bewohnten Stadtteil nicht besonders beliebt war. Als einer der letzten Einheimischen hatte Ruud Schavenmaker vehement den »Verfall des Viertels« beklagt und damit weniger den renovierungsbedürftigen Zustand vieler Reihenhäuser und Wohnblocks, sondern deren Bewohner gemeint.

»Ruud hat sich immer wieder mit den Marokkanern angelegt«, hatte eine ältere Frau, die ein paar Häuser weiter wohnt, berichtet. »Dabei machen die gar nichts, sondern stehen nur rum, rauchen und reden miteinander. Aber Ruud hat sich trotzdem daran gestört. Vor allem mit einem von ihnen, einem gewissen Rachid, lag er im Clinch. Den hat er immer wieder einen stinkenden Kameltreiber genannt. Manchmal habe ich gedacht, das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Eines schönen Tages hat Ruud noch ein Messer im Bauch, so wie Theo van Gogh.«

Ein Messer war es zwar nicht, denkt Julia, aber das Ergebnis ist dasselbe.

Julia hat wie Sjoerd Überstunden gemacht, trotzdem ist sie mir ihrer Schreibtischarbeit noch längst nicht fertig. Häuft sich diese zu sehr, sehnt Julia sich manchmal nach der Zeit zurück, in der sie als Streifenpolizistin unterwegs war. Sie mochte es, durch die Stadt zu gehen, hier und da einen Streit zu schlichten oder bei einer Rauferei einzugreifen.

Trotzdem hat sie zugegriffen, als sich ihr die Möglichkeit bot, zur Kripo zu gehen. Und ihr Chef hat ihr geraten, sich zur Kommissarin ausbilden zu lassen. Dafür muss Julia viel lernen, und das neben ihrer Vollzeitarbeit, aber sie ist ehrgeizig und möchte beruflich weiterkommen.

Schnell ordnet sie die Papiere auf dem Schreibtisch, nimmt ihre Tasche und geht in die Waffenkammer. Sie schließt gerade ihre Dienstpistole ein, als auch Sjoerd hereinkommt und sein Schulterhalfter abnimmt.

»Hast du heute noch was vor?«, fragt er, während er seine Waffe verstaut.

»Ich bin mit Taco in der Stadt zum Essen verabredet.«

»Nett.«

»Ja.«

Sie sehen sich an.

»Tja«, sagt Julia. »Dann geh ich mal. Dir noch einen schönen Abend.«

»Danke, ebenso. Bis morgen.«

Julia verlässt gerade die Waffenkammer, als Sjoerd ihren Namen ruft.

Mit fragendem Blick dreht sie sich zu ihm um.

»Pass auf dich auf.« Mehr sagt er nicht.

Julia nickt und geht dann zum Ausgang.

Am hellichten Tag

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