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Venedig, China und eine Reise zum Mond
ОглавлениеManche Landkarten sind genau dort ausgestellt, wo sie hingehören. Die Mappa Mundi von Hereford hängt noch immer in ihrer Kathedrale; der erste Globus und auch entsprechende Karten, die Amerika verzeichnen, haben ihren Weg in die Vereinigten Staaten gefunden. Aber warum hängt eine der genauesten und wichtigsten Weltkarten überhaupt in einem schlecht beleuchteten Korridor über einem kühlen venezianischen Treppenaufgang? Auch das hat seinen Sinn.
Wenn Sie die Westecke des Markusplatzes aufsuchen, die Steinstufen zum Museo Correr hinaufsteigen, 16 Euro Eintritt bezahlen und durch neunzehn Räume voller Marmor, Münzen und Globen schlendern, landen Sie schließlich vor einer Glastür. Dies ist die Biblioteca Marciana, die in den 1530er Jahren eingerichtete öffentliche Bibliothek, die eine riesige Sammlung griechischer und römischer Handschriften und ein Exemplar jedes in der Republik Venedig gedruckten Buches beherbergt. Dort, zwischen dem Museum und der Bibliothek, durch die Glastür zu sehen, aber nur mit einer besonderen Erlaubnis des Aufsichtspersonals zugänglich, hängt das Werk eines venezianischen Mönches namens Fra Mauro, der irgendwie im Jahr 1459 genauer als alle anderen wusste, was wo auf dem Erdkreis zu finden war.
Fra Mauro lebte und arbeitete auf der venezianischen Insel Murano, die schon für ihre Glaswaren berühmt war, als er in den 1440er Jahren seine Kartografenwerkstatt dort gründete. Er war weiter gereist als die meisten seiner Landsleute, und nicht wenige seiner frühen See- und Handelskarten entsprangen der eigenen Anschauung. Seine runde Weltkarte (farbige Tinte auf Pergament, etwa zwei Meter im Durchmesser) war ein Auftragswerk für König Alfons V. von Portugal, und wir haben Glück, dass eine Kopie für einen venezianischen Adligen hergestellt wurde, denn das Original ist nicht erhalten geblieben.
Die Karte enthält fast dreitausend Ortsnamen und Unmengen erklärenden Text. Ungeachtet der üblichen falsch verorteten Flüsse und Regionen ist sie ein geografisches Meisterstück. Sie ist außerdem ein Werk des Übergangs, in der Schwebe zwischen der alten und der neuen Welt und zwischen der mittelalterlichen Darstellung der Erde als einer runden »Planisphäre« und der Projektion mit zwei Hemisphären, die im 16. Jahrhundert aufkam. Sie ist die letzte große Karte eines vergangenen Zeitalters, schon Geschichte, als sie gerahmt wurde.* Venedigs Rolle als Drehscheibe Europas ging dem Ende entgegen, und Mauros Vorstellung einer in einem Goldfischglas eingeschlossenen Welt sollte ebenso ihre Vorherrschaft verlieren. Ein paar Jahrzehnte später setzte Kolumbus die Segel, und Mercator verzeichnete dessen Reisen auf einer Landkarte, auf der sich die befahrbaren Ozeane verlockend öffneten.
Der Aufbewahrungsort der Karte in Venedig ist auch aus einem anderen Grund angemessen: Ihre bahnbrechende Darstellung Chinas, Japans und Javas entstammte den Tagebüchern des berühmtesten aller venezianischen Reisenden, Marco Polo. Polo rekapitulierte seine Reisen während seiner jahrelangen Haft in einem Genueser Kerker (wie er dorthin kam, ist unklar: Eine Theorie besagt, dass er 1298 ein venezianisches Kriegsschiff für den Angriff auf Genua finanziert hatte und seine Gegner ihn als dicken Fang betrachteten, für den sie sich ein hohes Lösegeld erwarteten). Sein Biograf war ein Mitgefangener namens Rustichello da Pisa, und obwohl man den Wahrheitsgehalt mancher seiner Reisen angezweifelt hat (Polo war berühmt für seine Geschichten und hatte in da Pisa, dem Verfasser von Ritterromanen, seinen perfekten Sekretär gefunden), ist die gewaltige Wirkung seines Berichtes unbestritten. Der Text hatte Kartografen schon nach seinem Erscheinen auf Altfranzösisch im Jahr 1300 beeinflusst, und als die venezianischen Drucker ihn 150 Jahre später in die Hände bekamen, entstand das beliebteste Reisebuch seiner Zeit. Die Händler am Rialto zogen es etwa so intensiv zu Rate wie wir heute den Zugfahrplan.
Zwischen alt und neu: Fra Mauros Weltkarte, hier auf dem Kopf stehend abgebildet. Großbritannien, Irland und Europa sind linkerhand deutlich zu erkennen. Bei den grauen Flächen auf den Landgebieten handelt es sich um Text.
Die Reisen des Marco Polo sind kaum zu belegen und sollten aus verschiedenen Gründen nicht nach ihren Neuentdeckungen – andere vor ihm hatten auch schon spektakuläre Reisen Richtung Osten unternommen –, sondern nach der Art ihrer Aufzeichnung beurteilt werden. Denn genau wie bei den Karten begegnen wir auch hier nicht der eigentlichen Entdeckung, sondern der historischen Spur, die sie hinterlassen hat.
Die Geschichte beginnt mit den venezianischen Brüdern Niccolò und Matteo Polo, die um 1260 von ihrer Handelsstation in der Hafenstadt Soldaia auf der Krim aufbrachen, um mit den Mongolen im heutigen Wolgograd Edelsteine zu handeln. Ihre Reise zog sich durch einen Krieg in die Länge, und während ihres Aufenthalts in der zentralasiatischen Stadt Buchara lernten sie einen Gesandten des Großkhans Khublai kennen, der sie an seinen Hof einlud. Der Großkhan bat sie, eines Tages mit Öl aus der Grabeskirche in Jerusalem und hundert christlichen Gelehrten aus Rom, die als Missionare wirken sollten, wiederzukommen. Die Brüder kehrten nach etwa fünfzehn Jahren endlich nach Venedig zurück, wo Niccolò jetzt zum ersten Mal seinen Sohn Marco zu Gesicht bekam. Zwei Jahre später brachen alle drei wieder in den Osten auf.
Marco Polos (oder vielmehr da Pisas) Beschreibungen ihrer Reisen beginnen im Heiligen Land und erreichen schließlich den Sommerpalast des Großkhans in Cathay (Nordchina). Polo prahlt damit, dass er sich am Hof unentbehrlich machte, mehrmals nach Indien und wieder zurück reiste und von Java und Japan hörte, bevor er über Sumatra und Persien nach Europa zurückkehrte. Doch sein Buch von den Wundern der Welt, später Il Milione genannt, ist meilenweit entfernt von der Reiseliteratur, die wir heute lesen; es gibt kaum Angaben zur genauen Reiseroute, und große Strecken werden zurückgelegt, ohne die Gegebenheiten an Land und zur See überhaupt zu erwähnen. Es geht nur um den Handel, und wir erfahren nicht weniger vom Überfluss an Saphiren, Amethysten, Seide, Duftstoffen und Gewürzen als über die Geografie.
Auf dem Totenbett soll Polo gesagt haben, dass er nur die Hälfte seiner Erlebnisse erzählt habe. Dennoch ist bis heute das letzte Wort darüber, ob er wirklich die Seidenstraße bereist hat oder bis kurz vor Japan gesegelt ist, nicht gesprochen. Wie dem auch sei – unabhängig davon, wie verworren seine Reiserouten waren, trug die Existenz dieser sagenhaften Länder in einem so populären Bericht doch mehr als alles andere dazu bei, die europäische Weltsicht im 15. Jahrhundert zu erweitern. Für Kolumbus, der seine Ausgabe von Polos Il Milione in hohen Ehren hielt, war das Buch später Zielvorgabe und Inspiration.
Niemand jedoch war so stark von Polos Bericht beeinflusst wie Fra Mauro. In seinen Kartentexten bezieht er sich mehrmals auf dieses Werk. Fast zwei Jahrhunderte lagen zwischen Polos Expeditionen und Fra Mauros bildlicher Darstellung der von ihm bereisten Länder, und doch waren die Berichte über Cathay noch nicht durch andere westliche Erkundungsfahrten überholt. Fra Mauro und sein Mitarbeiter Andrea Bianco verwendeten Polos Ortsnamen und Legenden und nutzten vielleicht zusätzlich noch ein Wandgemälde zu seinen Reisen im Dogenpalast, das später durch Feuer zerstört wurde. Im Jahr 1550 schrieb der Geograf Giovanni Ramusio, dass Mauro sich auch auf eine Landkarte gestützt habe, die Polo selbst in Cathay gezeichnet hatte. Allerdings hat sich keine solche Karte bis in unsere Zeit erhalten.
Selbst heute noch wirkt Fra Mauros Begeisterung für die spannenden neuen Entdeckungen Polos ansteckend. Er beschreibt, wie die große Stadt Cansay (Quinsay) genau wie Venedig auf Wasser gebaut war, spricht von ihren 12.000 Brücken und der riesigen Einwohnerzahl von 900.000 Menschen. Auch staunt er über die Pracht des Yangtze und die exotischen Handelswaren Porzellan, Ingwer und Rhabarber.
Überlegungen, welchen Nutzen man wohl aus diesem fernen Land ziehen könnte, bestimmten sicherlich die Sicht westlicher Kartografen auf China; der Reiz, einen riesigen und lukrativen Markt zu »erschließen«, ist seit den frühesten Reisen auf der Seidenstraße bis in unsere Zeit praktisch der gleiche geblieben. Ebenso unausweichlich interpretierte Fra Mauro Marco Polos Berichte nicht unbedingt so, wie die Chinesen sich selbst sahen.
Unser Wissen über die Kartentradition im Fernen Osten geht bis in das 2. Jahrhundert zurück, als der Astronom Zhang Heng ein mathematisch durchdachtes System der Größen und Maßstäbe entwarf. Pei Hsiu, ein Beamter am Kaiserhof der Qin-Dynastie, entwickelte dessen Leitlinien weiter. Die Welt erhielt ihre Form durch ein Konstrukt aus Winkeln, Kurven und Geraden in einem rechteckigen Rahmen, mit dem erklärten Ziel, sie dürfe »nichts von ihrer Form vor uns verbergen«. Leider sind weder Hengs noch Hsius Karten erhalten geblieben.
In Stein gehauene Geopolitik: »Die Karte Chinas und barbarischer Länder« verortet China in der Mitte der Welt.
Die frühesten Landkarten aus China, die wir heute noch ansehen können, stammen aus dem Jahr 1137 und finden sich auf zwei jeweils fast einen Quadratmeter großen Steinplatten im Pei-Lin-Museum in Xi’an. Sie repräsentieren die beiden traditionellen Stile der chinesischen Kartenproduktion, wobei eine von ihnen mit ihrem genau gezogenen Gitternetz auch auf dem Reißbrett eines modernen Zeichners nicht fehl am Platze wirken würde.
Die erste, klassischere, trägt je nach Übersetzung den Titel »Die Karte Chinas und ausländischer Gebiete« oder – im Vorgriff auf die strikt isolationistische Politik des Landes – »Die Karte Chinas und barbarischer Länder«. Sie ist eine mit vielen Anmerkungen versehene, sehr politisch aufgeladene Darstellung von Chinas Platz in der Welt, wobei die Verwaltungszentren des Landes stärker herausgestellt werden als ferne Flüsse und Küstenlinien. Die Karte diente nicht den chinesischen Handelsinteressen, sondern war offenbar ein Unterrichtsmittel für angehende Beamten, die sich auf ihre Prüfung vorbereiteten. Sie betonte die Botschaft, dass China das »Reich der Mitte« war, in dem der Kaiser »alles unter dem Himmel« beherrschte.
Die zweite, moderner wirkende Landkarte kommt ganz ohne den Rest der Welt aus »Die Karte von den Wegen Yus des Großen« diente wohl auch eher historischen und Unterrichtszwecken, obwohl die Flüsse in ihrer Lage und ihrem Verlauf für eine Landkarte des 12. Jahrhundert verblüffend genau eingezeichnet sind. Der Maßstab des Gitternetzes behält seine Geltung auf der gesamten Karte: Jede Seite aller winzigen Quadrate entspricht knapp fünfzig Kilometern (und es gibt hunderte davon). Damit lädt dieses System zu positiven Vergleichen nicht nur mit der mathematischen Kartografie des Ptolemäus, sondern auch mit den viel ungenaueren Seekarten ein, die westliche Entdecker noch jahrhundertelang benutzen sollten.
China hatte in der Tat einen eigenen Ptolemäus, aber einen mit Scheuklappen. In einem Land, in dem Karten mehr noch als anderswo Machtinstrumente waren, sollte das Werk von Chu Ssu-Pen (1273–1337) fünfhundert Jahre lang nicht nur die offizielle Grundlage aller Karten (zunächst in nachgezeichneten oder von gravierten Exemplaren abgeriebenen Kopien und später gedruckt) bleiben, sondern spiegelte auch die ganze Zeit über die Ängste und die hartnäckige Ignoranz seiner Bürger gegenüber der Welt da draußen. Ssu-Pens Karte konzentrierte sich unweigerlich auf das Heimatland des Kartografen, die Chinesische Mauer bekam eine symbolische Dominanz. Das Wissen über die Welt jenseits davon stammte vor allem von arabischen Händlern, doch Chu Ssu-Pen blieb skeptisch. »Was die fremden Länder der Barbaren südöstlich des Südmeeres und nordwestlich der Mongolei angeht«, erklärt er, »so gibt es wegen ihrer großen Ferne keine Möglichkeit, sie zu erforschen, obwohl sie regelmäßig Tribute an den Hof senden. Diejenigen, die von ihnen sprechen, können nichts Genaues sagen, und diejenigen, die etwas Genaues sagen, sind nicht vertrauenswürdig; daher sehe ich mich gezwungen, sie hier außer Acht zu lassen.«
Die früheste erhaltene Kopie der China-Karte von Chu Ssu-Pen im Kuang Yü T’u (Mongolischer Atlas) aus den Jahren um 1555.
In Norditalien wiederum setzte sich die Tradition venezianischer Erkundungsfahrten weit über Marco Polo hinaus fort. Vierzig Jahre nach Fra Mauros Weltkarte pflanzte John Cabot (Giovanni Caboto), ein Venezianer im Dienst Heinrich VII. von England, die Fahne des Evangelisten Markus neben einer englischen auf, als er die Küste der Neuen Welt erreichte, während sein Sohn Sebastian, der Venedig ebenso als seine Heimat betrachtete, bisher nicht kartierte Gebiete Südamerikas erforschte und vielleicht eine der frühesten Handelsrouten über die Nordwestpassage fand. Alvise de Mosto, ein weiterer Sohn der Stadt, drang in den 1450er Jahren tief in westafrikanische Gebiete vor; ihm wird auch die Entdeckung der Kapverdischen Inseln zugeschrieben.
Alle diese Erkundungen fanden bald auch Eingang in die Landkarten, die in Venedig entstanden. Andrea Bianco, der für die venezianische Kopie der Weltkarte des Fra Mauro verantwortlich zeichnete, schuf ebenfalls bedeutsame Seekarten für reiche patrizische Kaufleute. Und Giacomo Gastaldi, der die längste Zeit seines Lebens in Venedig arbeitete, kartierte als erster Mitte des 16. Jahrhunderts viele Gebiete der Neuen Welt. Auch malte er große Wandbilder von Asien und Afrika im Dogenpalast und brachte den wohl ersten Taschenatlas heraus, als er 1548 eine Fassung des Ptolemäus unter Einschluss der Neuen und Alten Welt veröffentlichte. Auch eine wichtige technische Innovation beim Druck von Landkarten ist ihm zu verdanken, da er als erster Kupferstiche anstelle von Holzschnitten verwendete und so genauere und detailliertere Darstellungen liefern konnte.
Was machte gerade die Venezianer zu so zielstrebigen Kartografen und ihre Landkarten zu Kunstwerken, um die sie ganz Europa beneidete? Nun, hauptsächlich war es Macht. Die Serenissima wünschte eine handfeste und unwiderlegbare Zurschaustellung ihrer Herrschaft und Finanzkraft, die nicht nur Venedig, sondern alle ihre Herrschaftsgebiete umfassen sollte. Karten lieferten die Dokumentation. Doch wie sahen die berühmten Kartografen von Venedig ihre eigene Heimat? Mit demselben Staunen, das uns noch heute den Atem raubt. Nicht lange vor Marco Polos Aufbruch hatte der Autor Boncompagno da Signa die Stadt als »unvergleichlich« beschrieben. »Ihr Grund ist das Meer, ihr Dach ist der Himmel, und ihre Mauern die Ströme ihres Wassers; diese einzigartige Stadt macht sprachlos, weil man jetzt und in Zukunft kein Reich wie dieses finden wird.« Vielleicht aber mochten Landkarten helfen, Venedig zu beschreiben, wenn die Worte fehlten.
Den berühmtesten Stadtplan, der das starke Bild Venedigs für alle Zeiten festschrieb, veröffentlichte 1500 der Maler und Kupferstecher Jacopo de’ Barbari. Es war ein gewaltiges Unternehmen auf sechs hölzernen Druckplatten, ein Luftbild, das den leichten Zugang zum Handel mit den Kaufleuten der Stadt widerspiegelte und das bekannte (und wahre) Bild der Stadt als zwei ineinandergreifende Hände oder – noch berühmter – als eine gigantische Flunder prägte. Sein Arbeit war umso bemerkenswerter, als sie Venedig von oben zeigte – eine Vogelperspektive, vier Jahrhunderte, bevor die Luftbildfotografie solche Bilder möglich machte, an die wir uns heute alle gewöhnt haben.
Vor allem aber zeigte de’ Barbaris Plan, dass Venedig ein fantastischer Ort ist, eine ebenso mythische wie unergründliche Idee eines Gemeinwesens. Es ist eine Stadt, in der sich der Tourist – im Jahr 1500 wie im Jahr 2013 – todsicher verirrt, egal, wie gut der Plan ist, den er dabei hat. Die winzigen calli und die verwirrenden sestieri sind nur eine Einladung, noch weiter in die Irre zu gehen. Der Navi ist hier ebenso überfordert wie der digitale Plan auf Ihrem Handy. Sie gehen einfach weiter und hoffen und fragen und zeigen, und vielleicht werden Sie sich nie jenseits der vier Ecken des Markusplatzes (der einzigen festen Koordinate in der Stadt) zurechtfinden. Schon lange haben sie vergessen, dass es hier keine Autos gibt, die überteuerte Fahrt mit der Gondel haben Sie auch schon hinter sich, und sogar über die Kirche mit den herrlichen Giorgiones sind Sie schon vor längerer Zeit einmal gestolpert, und noch immer verirren Sie sich aufs Schönste. Genau dies, diese bezaubernde und altertümliche Unkartierbarkeit, führt Sie ebenso wie die Bellinis und Carpaccios der Stadt in die Geschichte zurück.
Jacopo de’ Barbaris Holzschnitt einer »Luftaufnahme« von Venedig, Jahrhunderte bevor ein echtes Luftbild möglich wurde.
Es gibt aber noch einen Ort, der in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielt, und der liegt weit jenseits von Cathay. Es ist der Mond. Am 5. Februar 1971 landeten die Apollo-14-Astronauten Alan Shepard und Edgar Mitchell auf der erdzugewandten Seite des Mondes bei einem Meteoritenkrater mit einem Durchmesser von etwa dreihundert Metern. In jenen seltenen Momenten, in denen sie nicht gerade Golfbälle schlugen und herumhüpften, sammelten sie Gesteinsproben, und die Steine, die sie zurückbrachten, waren ein bisschen jünger, als die Forscher am Caltech in Pasadena erwartet hatten – sie waren nicht 4,5 Milliarden Jahre alt, wie man vermutet hatte, sondern nur etwa 3,9 Milliarden Jahre.
Das Gebiet, in dem die Mondfähre gelandet war, hieß nach dem Fra-Mauro-Krater, einem der größten Mondkrater mit einem Durchmesser von achtzig Kilometern, das Fra-Mauro-Hochland. Der Name klingt nicht ganz so lieblich wie »Meer der Ruhe«, wo die erste Apollo-Mission im Jahr 1969 landete, und es gibt keine offizielle Erklärung dafür, warum Mitglieder der International Astronomical Union ihrer planetaren Nomenklatur gerade diesen venezianischen Mönch aus dem 15. Jahrhundert als kleine, aber signifikante Ergänzung hinzufügten. Man kann jedoch wohl davon ausgehen, dass sie Kartenfans waren und die Bedeutung seines Werks kannten.
* Die Weltkarte des Fra Mauro war nicht nur ein wichtiger kartografischer Meilenstein; sie bedeutete auch das Ende des Paradieses. Den Raum zwischen ihrer runden Welt und dem Kartenrahmen nehmen kosmologische Anmerkungen und Zeichnungen ein, darunter Hinweise zur Entfernung der Sterne, dem Strom der Gezeiten und der Theorie der Elemente. Das Paradies ist schon noch da, liegt aber außerhalb der Karte: ein Garten Eden abseits der bewohnten Welt.