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Willkommen in America

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Mitte des 15. Jahrhunderts machte Jacobus Angelus, ein Florentiner Gelehrter auf der Suche nach frühen Homerfassungen, die er aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzen wollte, die Runde durch die Läden der Handschriftenhändler von Konstantinopel. Er fand jedoch etwas weitaus Kostbareres – ein Werk, das unseren Blick auf die Welt noch einmal verändern sollte. Ptolemäus’ Geographia war plötzlich wieder da.

Die erste gedruckte Ausgabe des Ptolemäus, allerdings ohne Karten, erschien 1475 in der Übersetzung von Angelus in Vicenza, aber erst eine in Bologna zwei Jahre später veröffentlichte Edition fand schnell enormen Anklang und wurde zur gefragtesten und einflussreichsten Veröffentlichung ihrer Zeit. Auf ihren einundsechzig Seiten waren nämlich auch sechsundzwanzig in Kupfer gestochene Karten wiedergegeben, die das Werk zum ersten Atlas der antiken Welt machten, der in der modernen Welt gedruckt zu bekommen war.

Es gibt Belege dafür, dass Ptolemäus’ Werk in der arabischen Welt schon seit dem 8. Jahrhundert im Umlauf war. Im Italien des 15. Jahrhunderts jedoch galt die Geographia an sich als Offenbarung und die Visualisierung in kolorierten Holzschnitten oder Kupferstichen als ästhetischer Genuss. Die Landkarten des Ptolemäus wurden zudem erstmals durch verschnörkelte Kartuschen und gedruckte Ortsnamen ergänzt und mit himmlischen Cherubim geschmückt, die von den Rändern her mit dicken Backen Stürme über die Kontinente bliesen. Es war die Wiederentdeckung der Welt in ihrer gesamten komplexen und strengen Ordnung, und auch wenn sich die Projektion noch ändern (und die Geografie erweitern) sollte, so gab die wiedererstandene ptolemäische Weltsicht der Blütezeit der italienischen Renaissance ein Vorbild, das wir noch heute erkennen, wenn wir uns eine Landkarte anschauen.

Die Wiederentdeckung der Geographia läutete ein Goldenes Zeitalter der Kartografie ein. Die neuen, anschaulichen und überaus spannenden Ausgaben des ptolemäischen Atlanten begründeten das neuartige Konzept des Kartenzeichnens als Kunst und Wissenschaft. Und sie lösten ein erstes Sammelfieber aus – Karten und Globen wurden zu einem Ausdruck von Geld und Macht.

Warum aber hatte es so lange gedauert, bis Landkarten – und insbesondere Weltkarten – in Europa wieder einen Wert hatten? Vielleicht war jetzt die Zeit einfach günstig: Das Druckerhandwerk boomte, man baute stabilere Schiffe für Handelsreisen und Expeditionen, und es bildete sich eine neue Schicht von Bankiers und Kaufleuten zur Finanzierung dieser Unternehmungen. Man brauchte also aktualisierte Karten. Aber auch intellektuelle Gründe spielten eine Rolle: Eine weniger ängstliche religiöse Weltsicht führte zu einem Streben nach Wissen, das jahrhundertelang als irrelevant für ein Leben in bescheidener christlicher Pflichterfüllung gegolten hatte.

Karten waren nicht mehr Kathedralen, Heiligtümern und Palästen vorbehalten. Tatsächlich war die Weltkarte des Fra Mauro in Venedig im Jahr 1459 die letzte große kartografische Anstrengung des Mittelalters gewesen. Man kann sich kaum zwei gegensätzlichere kulturelle Schöpfungen innerhalb von nur zwei Jahrzehnten vorstellen als Mauros handkoloriertes Pergament und die modernen gedruckten und überarbeiteten Editionen des Ptolemäus aus den Jahren nach 1470. Es war, als sei über Nacht die ganze Welt durch eine Kombination aus alter mathematisch geprägter Geografie und neuer Technik modernisiert worden.

Sobald die Reichen Italiens allerdings anfingen, über frischen neuen Drucken ihres Ptolemäus zu brüten, dämmerte ihnen, dass sie nicht mehr in der antiken griechisch-römischen Welt lebten. Bald wurden die Editionen durch moderne Landkarten ergänzt, die die Entdeckungen seit 150 v. Chr. widerspiegelten. Die schönste Ausgabe druckte 1482 in Ulm ein gewisser Johannes Schnitzer aus Armsheim. Als erster großer deutscher Beitrag zur Kartografie lieferte sie fünf neue Karten als Holzschnitte und zeigte als erste gedruckte Weltkarte überhaupt Grönland. Doch der Atlas des Ptolemäus musste sich noch größeren Herausforderungen stellen: In Europa brach das Zeitalter der Entdeckungen an, das Zeitalter der großen Seefahrer, die sich die Welt erschließen wollten. Menschen wie Bartolomeu Dias, John Cabot, Christoph Kolumbus, Vasco da Gama und Hernán Cortés empfanden die einzelnen Komponenten der Ptolemäus-Karte und vielleicht auch die ganze Einstellung, die ihr zugrunde lag, bald eindeutig als zu beschränkt. Nicht zuletzt, als unerwartet ein ganzer neuer Kontinent in Sicht kam.



Claudius Ptolemäus, die Ikone der Renaissance-Kartografie, auf der Waldseemüller-Karte von 1507.

Wir wissen nicht genau, welche Landkarten Christoph Kolumbus auf seinen vier gefeierten Reisen über den Atlantik zwischen 1492 und 1504 begleiteten, aber man kann durchaus annehmen, dass er eine neuere Ausgabe des Ptolemäus, den Il Milione des Marco Polo und einen Brief mit guten Ratschägen des Paolo dal Pozzo Toscanelli dabei hatte. Dieser Florentiner Arzt und Astronom hatte schon Jahrzehnte zuvor dem König von Portugal vorgeschlagen, doch auf der Reise zu den Reichtümern Asiens lieber eine Route westwärts als den Weg rund um die Südspitze Afrikas einzuschlagen. Kolumbus hatte diese »tolle Idee« zusammen mit Toscanellis zu niedrig angesetzten Schätzungen des Erdumfangs als eigene Überlegung verkauft, was nicht nur erklärt, wie er den spanischen Hof dazu bringen konnte, seine Reisen zu finanzieren, sondern auch, warum er die Bahamas mit China und Japan verwechselte.

Kolumbus’ Seereisen sind bekannt – ebenso wie seine verblüffenden Rechenfehler. Toscanelli folgend erklärte er, die Reise von Lissabon nach Japan sei statt etwa 10.000 nur 2.400 Seemeilen lang, und dann werde das Königreich Cathay bald als eine riesige glitzernde Kugel auftauchen. Wir sollten allerdings in Erinnerung behalten, dass er mit einer Art »Koppelnavigaton« mithilfe einer fehleranfälligen Kombination aus Kompass und Sternen arbeitete, die exakte Messungen unmöglich machte.*

Als Kolumbus schließlich am Freitag, dem 3. August 1492, im südspanischen Hafen Palos de la Frontera die Segel setzte, hatte er ein Jahrzehnt damit verbracht, verschiedene europäische Höfe vom Wert seiner Reise zu überzeugen. Der portugiesische König hatte seine Pläne abgelehnt, nachdem Dias 1488 das Kap der Guten Hoffnung umrundet hatte, denn damit war seiner Ansicht nach die gewünschte Route in den Osten schon gefunden. Bei Königin Isabella und König Ferdinand war viel Überredungskunst vonnöten gewesen, bevor sie schließlich zustimmten – gegen den Rat eines eigens gegründeten königlichen Komitees, das meinte, Kolumbus habe sich verrechnet und seine Forderungen seien zu hoch. Schließlich wurde ihm die Statthalterschaft über alle Länder zugesprochen, die er entdecken würde, und ein in seiner Familie vererbbarer Anteil des Wertes aller natürlichen Schätze, die er finden würde.

Er stach mit drei Schiffen und etwa neunzig Mann in See, und es sollte nicht lange dauern, bis die Ernüchterung einsetzte. Japan wollte einfach nicht wie erwartet auftauchen, und Kolumbus musste einer Meuterei entgegentreten, als seine Mannschaft glaubte, er habe sie betrogen. Nach wechselnden Winden und einer weit längeren Reise, als alle erwartet hatten (und bei der an manchen Tagen 150 Meilen, an anderen nur 25 zurückgelegt wurden), kam endlich am 11./12. Oktober Land in Sicht, und Kolumbus betrat eine kleine Insel der Bahamas namens Guanahani, die er in San Salvador (Heiliger Erlöser) umbenannte. Er ging davon aus, dass er Asien erreicht hatte, und nannte den Stamm der Taino, der dort lebte, »Indianer«.

Einige Tage verbrachte er damit, die Inseln in der Nähe und die Nordküste Kubas zu erkunden, die er anfangs für China hielt. Dann umrundete er Hispaniola, das diesen Namen bekam, weil es Kolumbus an Spanien erinnerte, und nachdem ein Sturm eines seiner Schiffe zerstört hatte, ließ er dreißig Männer in einer Bucht auf Haiti namens La Navidad zurück und gründete so die erste allgemein anerkannte europäische Siedlung in Amerika.

Kolumbus’ längere zweite Reise führte ihn 1494 tiefer in die Inselwelt der Bahamas hinein – noch immer glaubte er, die Ostküste Asiens vor sich zu haben. Und schließlich setzten Kolumbus und seine Männer am 4. August 1498 auf der dritten Reise als erste Europäer ihren Fuß auf das südamerikanische Festland. Sie ließen sich auf der Halbinsel Paria nieder, die zum heutigen Venezuela gehört.


Die erste Landkarte, die Kolumbus’ Entdeckungen zeigt, war lange Zeit in Vergessenheit geraten. Im Jahr 1500 zeichnete sein baskischer Steuermann und Kapitän Juan de la Cosa eine Portolankarte, die ihn eigentlich zu einem der berühmtesten Kartografen in der Geschichte hätten machen sollen; es kam jedoch anders, weil sein Werk über dreihundert Jahre verschollen war und erst 1832 in Paris wiederentdeckt wurde.**

De la Cosas 99 × 177 Zentimeter große Landkarte ist mit farbiger Tinte gesprenkelt und verbindet das naive Staunen über die Neue Welt mit Symbolen aus dem Mittelalter. Burgen und unter Baldachinen thronende Monarchen sind zu sehen; die Heiligen Drei Könige ziehen durch Asien; die Kompassrose zeigt eine Szene der Geburt Christi. Heute findet man die Karte unter Glas im Schifffahrtsmuseum in Madrid, wo sie vor allem eine wichtige Geschichte erzählt – die von der massiven Landbarriere, die eine glatte westliche Überfahrt in den Orient blockierte.

Die Karte ist aus verschiedenen Pergamentstücken zusammengesetzt, und man muss um sie herumgehen, um alle Texte und Zeichnungen zu betrachten. Die alte Welt ist einigermaßen genau dargestellt: Die Britischen Inseln sind klar erkennbar; Afrika zeichnet sich durch Bergzüge und ein ungewöhnliches Fehlen von Tieren aus; und die Beschreibung von Vasco da Gamas Ankunft in Indien im Jahr 1498 eröffnet einen neuen Zugang zu diesem Land. Die Neue Welt ist nach eigenen Seekarten und der Erinnerung gezeichnet, da Juan de la Cosa als Kapitän 1492 und 1494 mit Kolumbus auf der Santa Maria segelte und später an anderen kastilischen Expeditionen teilnahm.

Die Landkarte steht in der besonderen kartografischen Tradition der handschriftlichen Portolan-Seekarten (vom italienischen portolano, abgeleitet vom lateinischen portus »Hafen«). Portolane sind so alt wie der magnetische Kompass der europäischen Seefahrer, und zwei Jahrhunderte lang hatten beide im Zusammenspiel großen Einfluss auf das Wachstum und die Sicherheit des Mittelmeerhandels. Von etwa 1300 an verwendeten Seefahrer Landkarten mit geraden, kreuz und quer verlaufenden Linien (den Rumbenlinien oder Windstrahlen), um ihren Weg über das offene Meer und an den Küsten entlang zu finden. Die Linien gingen fächerförmig von bis zu zweiunddreißig Kompasspunkten aus. Sie repräsentierten keine direkten Routen, wie es etwa eine Straßenkarte tut, sondern bildeten eher ein Sicherheitsnetz für immer abenteuerlustigere Seeleute; sie markierten einen Weg zurück ans Land, etwa so, wie einst vielleicht ein Seidenfaden einem mythischen Helden den Weg wies.

Juan de la Cosas Portolan war einer der letzten seiner Art, die bald durch gedruckte Karten mit einer genaueren Projektion der Welt ersetzt wurde (die Rumbenlinien bezogen die Erdkrümmung nicht mit ein und waren damit nur über kurze Entfernungen genau). Seine Landkarte ist ungewöhnlich, weil sie die ganze Welt und nicht nur ein bestimmtes Handelsgebiet oder eine Küstenroute darstellt und weil sie mehrere Kompasse mit jeweils eigenen Richtungsangaben zeigt. Man sollte sie wohl kaum mit auf Reisen nehmen – vielmehr verkündete sie große Neuigkeiten und wichtige Entdeckungen, nicht zuletzt John Cabots Landung an der nordamerikanischen Küste von Labrador und Neufundland, die auf der Karte durch Flaggen und Text klar gekennzeichnet ist: Mar descubierta por los Ingleses. (»Eigentum« und »Entdeckung« sind natürlich schwierige Worte, wenn man bedenkt, dass es dort immer schon eine indigene Bevölkerung gab.)

Die neu gefundenen Inseln der Bahamas werden leicht vergrößert dargestellt: das Archipel von Guanahani, die Siedlung La Navidad, die Stadt Isabella auf Haiti. Martinique und Guadeloupe sind als die Kannibaleninseln zusammengefasst. Kolumbus wie auch de la Cosa hatten diese Sitte mit eigenen Augen gesehen. Ganz im Westen, am schmalsten Punkt der Karte, befindet sich als Anhängsel ein Überrest der christlichen Landkarten-Ikonografie – Christophorus mit Wanderstab als Symbol für Kolumbus, der den neuen Ländern das Christentum bringt. Dort, wo im Westen der Karte das Meer endet, sieht man einen großen grünen Bogen, vermutlich eine noch nicht identifizierte, aber mit üppiger Vegetation gesegnete Landmasse; wenn de la Cosa ihr einen Namen gegeben hätte, wäre das fast sicher der falsche Name Cathay (China) gewesen.


Die Anfänge der Neuen Welt, wie sie Juan de la Cosa nach den Reisen mit Kolumbus in Erinnerung hatte.


Eine Portolan-Seekarte der afrikanischen Küste mit Rumbenlinien, wahrscheinlich in Genua um 1492 gezeichnet.

Genau das nämlich tat Giovanni Contarini sechs Jahre später, als er die Neue Welt zum ersten Mal in seine kegelförmigen Weltkarte aufnahm und sie zum ersten Mal falsch benannte (die Fehlbestimmung kam kurze Zeit in Mode, da seine Karte in einer römischen Ausgabe von Ptolemäus’ Geographia nachgedruckt wurde). Contarini platzierte Japan (Zipangu) zwischen Kuba und Cathay, während darunter eine weitere riesige, weiße und unerforschte Landmasse, größer als Afrika, den Namen Terra S. Crucis (Land des Heiligen Kreuzes) trug.

Doch nur ein Jahr später änderte sich die Welt für immer: Das Wort »America« tauchte zum ersten Mal auf einer Landkarte auf. Nur dumm, dass der Mann, nach dem der Kontinent benannt wurde, Amerigo Vespucci, kaum etwas mit dessen »Entdeckung« zu tun hatte.


Die Library of Congress schloss 2003 den Ankauf eines Artefakts ab, das man dort schon seit einem Jahrhundert im Auge gehabt hatte. Die nach ihrem wichtigsten Zeichner benannte Waldseemüller-Karte besteht aus zwölf Holzstichen, die jeweils einen Teil der Welt zeigen, und ist zusammengesetzt 128 × 233 Zentimeter groß. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden vielleicht tausend dieser Sätze gedruckt, aber wir wissen nur von einem erhaltenen Exemplar. Nach langwierigen Verhandlungen mit den deutschen Besitzern kam es für 10 Millionen Dollar – die höchste Summe, die je für eine einzelne Landkarte bezahlt wurde – nach Washington DC.

Wer die Waldseemüller-Karte in ihrer gedämpften und schwach beleuchteten Umgebung unter Glas im Thomas Jefferson Building in der amerikanischen Hauptstadt betrachtet, kommt sicher schnell zu dem Schluss, dass dieses Geld gut angelegt war, denn sie ist eine der faszinierendsten und historisch bedeutendsten Landkarten überhaupt. Wie an der Mappa Mundi von Hereford kann man sich auch an dieser Karte nie sattsehen – selbst wenn man sie vielleicht nie ganz verstehen wird.

Die Weltkarte entstand im Jahr 1507. Ihr Schöpfer wusste, dass sie Staunen erregen würde. Einige ihrer Offenbarungen über die Welt wirkten so fremd, dass er schriftlich um die geduldige Nachsicht der Betrachter bat – eine Bitte, die man nicht belächeln sollte, denn schließlich zeigte die Landkarte einen neuen Kontinent in der westlichen Hemisphäre. Aus einer modernen Perspektive heraus ist die Entdeckung Amerikas allerdings nicht unbedingt die seltsamste Neuerung in dieser Karte. Das große Rätsel ist, warum Martin Waldseemüller den neuen Kontinent nicht Kolumbus nannte.

Über die Landkarte weiß man im Grunde nicht viel. Sie entstand in der lothringischen Stadt Saint Dié, und der wichtigste Zeichner war der deutsche Kleriker Martin Waldseemüller, der vielleicht die Hilfe seiner Kollegen am Gymnasium Vosagense in Anspruch nahm, einem intellektuellen Zirkel, in dem theologische und geografische Themen diskutiert wurden. Die Weltkarte war Teil der Cosmographiae Introductio (Einführung in die Kosmografie) von Waldseemüller und Matthias Ringmann, einer Veröffentlichung, die auch eine viel kleinere, in Segmente für einen kleinen Globus geschnittene Weltkarte beinhaltete, dazu eine Einführung in Geografie und Geometrie und einen Bericht über Reisen in die Neue Welt.

Das auf der Landkarte dargestellte Wissen geht über alle früheren Veröffentlichungen weit hinaus. Die Karte folgt grob einer von Ptolemäus’ Projektionen, aber sie zeigt außerdem die neuesten Küstenerkundungen in Afrika und Indien. Waldseemüller schöpfte aus vielen Quellen und neueren Karten, fast sicher kannte er auch den Globus, den sein deutscher Landsmann Martin Behaim 1492 gebaut hatte, nur ein paar Wochen, bevor Kolumbus zum ersten Mal die Segel setzte. Behaim hätte allerdings gestaunt über Waldseemüllers Darstellung eines großen Ozeans, der sich ohne Unterbrechung bis zur Küste Asiens erstreckte –, sechs Jahre, bevor Vasco Nuñez de Balboa den Pazifik zum ersten Mal beschrieb, und fünfzehn Jahre, bevor Magellan mit der ersten Weltumsegelung im Jahr 1522 bestätigte, dass es ihn wirklich gab.

Wie konnte Waldseemüller überhaupt von ihm wissen? Die gespenstische Intuition eines Kartografen? Oder gab es da vielleicht eine weitere Karte mit Nachrichten von anderen Erkundungsfahrten, die inzwischen verloren gegangen ist?

Waldseemüllers zweite große Offenbarung, seine neue westliche Hemisphäre, war auf drei Kartenblättern ganz links dargestellt. Vage erkennen wir die Umrisse, und den breiten Wasserweg zwischen Nord- und Südamerika statt einer Landenge können wir ihn wohl verzeihen. Dagegen verblüfft uns die einsame Präsenz eines Wortes in der unteren linken Ecke immer wieder, eines Wortes, das die Welt bisher noch nicht kannte: »AMERICA«.

Die Buchstaben stehen über einer Landmasse, die wir heute als zentrales Südamerika bezeichnen würden, und in einem Kasten mit lateinischem Text darunter folgt eine Erklärung. Dieses Land ist etwas, »das die Alten nicht erwähnen«, und seine Aufnahme in die Karte gründet auf »wahrem und genauem geografischen Wissen«. Faszinierenderweise ist der Kasten um einiges größer als der Text darin, was vermuten lässt, dass eine genauere Beschreibung geplant war, aber nie zustande kam.

America war nach Amerigo Vespucci benannt, einem begabten, aber eher unbedeutenden Florentiner Seefahrer, der in den 1490er Jahren in Sevilla für die Medici gearbeitet und in dieser Funktion Gelder für die frühen Reisen des Christoph Kolumbus bereitgestellt hatte. Vespucci und Kolumbus wurden Freunde, und wahrscheinlich war es der Genueser, der Vespuccis Entdeckergeist weckte. Doch nur einer der beiden setzte 1497 Segel und landete an der Küste Venezuelas.

Unklar ist, wo sich Vespucci zwischen 1495, als er seine Arbeit bei der Bank verliert, und 1499, als er an Bord eines spanischen Schiffes unterwegs zur südamerikanischen Küste bezeugt ist, aufhält. Auf der Reise, die über ein Jahr nach der Kolumbus’ Landung auf der Halbinsel Paria begann, stand er unter dem Kommando des spanischen Conquistador Alonso de Ojeda (auch Juan de la Cosa gehörte zur Mannschaft), und es könnte Ojeda gewesen sein, der Vespucci für weitere Reisen zur brasilianischen Küste empfahl. Er beschloss seine Tage im Amt für Geoinformation, wie man es vielleicht heute nennen würde, und erstellte die Seekarten für viele spanische Reisen entlang der südamerikanischen Küsten. Als er unter Zurücklassung einer verarmten Witwe, die beim Staat um finanzielle Hilfe bitten musste, 1512 mit 60 Jahren starb, wusste Amerigo Vespucci (oder Americus Vesputius, wie er sich manchmal nannte) wahrscheinlich nicht, dass eine weitere Version seines Namens ihn unsterblich machen würde.


Die zwölf Blätter der beeindruckenden Waldseemüller-Karte – die durch ein langgestrecktes Amerika (ganz links) nur noch besser wird. Ganz oben sind Ptolemäus und Amerigo Vespucci zu sehen.

Wie war das passiert? Die überraschende Zuordnung scheint auf zwei gedruckte, weit verbreitete Briefe zurückzugehen, von denen wenigstens einer auch Martin Waldseemüller in Nordfrankreich bekannt war, als er 1507 seine Karte zeichnete. Der erste Text, die Abschrift eines vierseitigen Briefes, der offenbar aus Vespuccis Feder stammte, wurde 1503 in Florenz gedruckt und schildert eine Reise zur Küste Südamerikas im Sommer 1501. Die Reise an sich war nicht so bedeutsam wie ihre Beschreibung: Vespuccis Brief brachte den Ausdruck »Neue Welt« unter die Leute und beschrieb erstmals eine verlockende, üppige Küste sowie »ein gemäßigteres und angenehmeres Klima als in jeder anderen uns bekannten Gegend«.

Vespuccis zweiter Brief, 1504 an einen Freund aus Kindertagen geschrieben, der inzwischen an die Spitze der Regierung von Florenz aufgestiegen war, beschrieb auf zweiunddreißig Seiten vier Reisen. Die zweite und dritte Reise fanden zwischen 1499 und 1502 statt und führten zu etwa jenem Küstenstrich, den er schon in seinem ersten Brief beschrieben hatte. Die vierte Reise von 1503 bis 1504 hat wahrscheinlich gar nicht stattgefunden, da Vespucci anderen Quellen zufolge zu dieser Zeit in Spanien lebte. Vor allem die erste Reise aber hat für Dispute gesorgt, denn der Brief behauptet, Vespucci sei schon ein Jahr vor Kolumbus auf dem südamerikanischen Kontinent gelandet.

In seinem Buch The Mismapping of America hat der Kartografiehistoriker Seymour Schwartz keine Scheu, diese Reise als »einen Schwindel« zu bezeichnen, und zwar einen, der »die Tatsache, dass die Reise … 1499 stattfand, ein Jahr nach der von Kolumbus, völlig verdrehte«. Allerdings wissen wir nicht genau, wer diesen Betrug – oder die glatte Fälschung der Briefe – in die Wege leitete oder warum es geschah.

Wie können wir sicher sein, dass es Fälschungen sind? Schwartz hat mehrere Anhaltspunkte. Zwischen 1500 und (wahrscheinlich) 1504 schrieb Vespucci drei Briefe, deren Authentizität nie angezweifelt worden ist, und in einem davon schilderte er eindeutig seine Landung auf der Halbinsel Paria ein Jahr nach Kolumbus. Schwartz macht auch geltend, dass Alonso de Ojeda sein ganzes Leben lang Kolumbus’ Anspruch auf Vorrang gegenüber Vespucci gestützt habe. Weitere Beweise entstammen einem Prozess, den die Erben des Kolumbus 1516 gegen die spanische Staatskasse anstrengten (ungeachtet seiner Berühmtheit hatte Kolumbus kein Vermögen hinterlassen). Während des Prozesses zweifelte kein einziger der hundert Zeugen daran, dass Kolumbus als erster seinen Fuß auf südamerikanischen Boden gesetzt hatte.


Waldseemüllers Benennung: Ein neuer Kontinent bekommt seine Form – und einen Namen.

All dies macht Waldseemüllers Fehleinschätzung umso seltsamer. Vespucci wird mit einem Porträt oben auf der Karte geehrt, wo er nur einer anderen Gestalt, Ptolemäus, gegenübersteht. Dort finden sich auch zwei Abbildungen von Globen: Ptolemäus sitzt neben der älteren, bekannten östlichen Hemisphäre, Vespucci neben der neuen westlichen. Und er ist auch in den Titel der Karte aufgenommen: Universalis cosmographia secunda Ptholemei traditionem et Americi Vespucci aliorum que lustrationes (»Eine Zeichnung der ganzen Erde in der Tradition des Ptolemäus und nach den Schilderungen des Amerigo Vespucci und anderer«). Christoph Kolumbus zählt sicher zu den »anderen«, doch Waldseemüller rechtfertigt seine Benennung des neu entdeckten Landes ganz unmissverständlich in der schriftlichen Einführung zur Karte: »Da sowohl Europa als auch Asien (Asia) ihre Namen von Frauen haben, ist nicht einzusehen, warum jemand es verbieten sollte, das neue Land Amerige, Land des Amerigo, oder America zu nennen, nach dessen Entdecker Amerigo, einem besonders scharfsinnigen Mann.« Ein paar Jahre später gibt es Belege dafür, dass Waldseemüller seine Wahl bereute. Im Jahr 1513 gab er seine erste Edition von Ptolemäus’ Atlas mit neuen Landkarten in Straßburg heraus, und auf der Seite, die die Neue Welt zeigt, ist Südamerika als »Terra Incognita« bezeichnet. Daneben steht ein Text, der übersetzt lautet: »Die Länder und nahen Inseln wurden von Kolumbus entdeckt, der auf Befehl des Königs von Kastilien ausgesandt wurde.« Diesmal war es Vespucci, der ungenannt blieb. Und als Waldseemüller drei Jahre später eine neue Weltkarte auf zwölf Blättern, die sogenannte Carta Marina, vorlegt, werden beide im Text erwähnt, Südamerika aber hat zwei neue Namen, die keinem von beiden die Ehre der Entdeckung zuschreiben: »TERRA NOVA« und »TERRA PAPAGALLI« (Das Land der Papageien).***


Amerigo Vespucci auf der Waldseemüller-Karte, neben ihm die neue westliche Hemisphäre.

Aber es war zu spät. Der Name Amerika war schon in anderen Karten aufgetaucht, auch in einflussreichen, massenhaft reproduzierten Werke von Peter Apian und Oronce Fine. Er ließ sich nicht mehr aus der Welt schaffen.


Die Falschbenennung Amerikas hat fünf Jahrhunderte lang für Aufregung wie auch für Amüsement gesorgt. Im 17. Jahrhundert spekulierte der wichtige schottische Kartograf John Ogilby, dass Vespucci vor allem deshalb Vorrang gegenüber Kolumbus bekommen habe, weil sein Name »Americk« besser zu »Africk« geklungen habe. Als passender Abschluss zur absurden Benennung von Orten soll hier diese Geschichte über den Conquistador Hernán Cortés dienen.

Cortés nimmt einen bedeutsamen Platz in der Geschichte der Landkarten ein, da er die erste gedruckte Karte schuf, die den Golf von Mexiko zeigte, die erste datierte Karte, die Florida benannte, und den ersten Plan einer amerikanischen Stadt, eines Ortes, den er Temixtitlan nannte (dort, wo heute Mexico City liegt). Doch vor allem die Geschichte einer anderen Namensgebung hat in Zusammenhang mit Cortés die Zeiten überdauert.

Im Jahr 1519 lud Cortés kurz vor der Landung in Mexiko einige Eingeborene zu einem Gespräch auf sein Schiff ein und fragte sie auch nach dem Namen des Ortes, dessen Gold er plündern wollte. Ein Mann antwortete: »Ma c’ubah than«, was Cortés und seine Männer als Yucatan verstanden und so auf ihrer Karte verzeichneten. Etwas über 450 Jahre später untersuchten Fachleute für Maya-Dialekte diese Geschichte (die durchaus auch apokryph sein kann) und stellten fest, dass »Ma c’ubah than« eigentlich »Ich verstehe dich nicht« bedeutet.

* Das System der Breitengrade war schon im alten Griechenland entwickelt worden, die korrekte Messung der geografischen Länge jedoch, für die man sehr genau gehende Uhren braucht, war erst seit den späten 18. Jahrhundert möglich, als John Harrison mit seinem Chronometer einen legendären Wettbewerb gewann.

** Sein Finder war der deutsche Entdecker Alexander von Humboldt, der sich auch viele andere Verdienste auf dem Feld der Geografie und der neu aufkommenden Wissenschaft der Meteorologie erwarb: So entwickelte er 1816 das Konzept der Isothermen auf Karten, mit denen man gleiche atmosphärische Temperaturen rund um den Globus anzeigen kann.

*** Es gibt, fast unausweichlich bei einer solchen Geschichte, eine faszinierende neuzeitliche Randbemerkung dazu: Die Waldseemüller-Karte war ein paar hundert Jahre verschollen, nur um dann 1901 im Schloss Wolfegg wiederentdeckt zu werden, eben dort, wo ein paar Jahrzehnte später Josef Fischer die Vinland-Karte gefälscht haben könnte.

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