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Kalifornien ist eine Insel!

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Schon vor den Beach Boys, vor Hollywood, ja sogar schon vor dem Goldrausch gab es etwas, das Kalifornien vom Rest Amerikas trennte: Kalifornien war eine Insel.

Heute können wir uns ziemlich sicher sein, dass Kalifornien fest mit Oregon, Arizona und Nevada verbunden ist (schließlich haben wir es auf Landkarten gesehen). Selbst südlich von San Diego, wo es an den mexikanischen Bundesstaat Baja California grenzt, ist es hundertprozentig Teil des Festlands. Im Jahr 1622 jedoch geschah etwas ganz Bedauerliches: Nach 81 Jahren offizieller Verbindung mit einer riesigen Landmasse trennte sich Kalifornien davon. Es war kein radikaler Akt politischer Willensbildung, kein einzelner Ausrutscher eines Graveurs, sondern ein nachhaltiger Akt kartografischer Fehleinschätzung. Noch seltsamer ist, dass dieser Fehler weiterhin auf Landkarten zu finden war, lange nachdem Seefahrer versucht hatten, das Land zu umrunden und – sicher sehr zu ihrer Verwirrung – dabei gescheitert waren.

Der Name »California« tauchte erstmals 1541 auf einer Landkarte auf. Domingo del Castillo – ein Steuermann auf einer Expedition des Hernando de Alarcón – zeichnete die Halbinsel als Teil Mexikos und beschriftete sie. Ihren ersten Auftritt auf einer gedruckten Karte hatte sie 1562, als auch der spanische Steuermann und Instrumentenbauer Diego Gutiérrez den Namen auf die Spitze einer Halbinsel schrieb, ein eher unwichtiges Detail auf einem wunderschönen, sehr detailreichen Kupferstich der Neuen Welt. Die bis dahin mit 107 × 104 cm größte Karte der Region könnte nach Gutiérrez’ Tod von Hieronymus Cock gestochen worden sein, einem Künstler, der ganz eindeutig große Freude an fantasievollen Ausschmückungen hatte: Riesige Schiffe und sagenhafte Ungeheuer bevölkern die Meere, Poseidon lenkt seine Pferde auf einem seetüchtigen Streitwagen, eine riesige gorillaähnliche Kreatur bricht die Wellen und verspeist dabei einen Fisch, und in Brasilien schlachten die Einheimischen andere Menschen, hängen ihr Fleisch zum Trocknen an einem Baum auf und braten es über offenem Feuer.

In der Folge sah es 60 Jahre lang so aus, als gehöre Kalifornien zum Festland. Dann aber schwamm es plötzlich in den Pazifik hinaus, wo es mehr als 200 Jahre lang eine kartografische Insel blieb.

Seinen ersten bekannten Auftritt als Insel hatte Kalifornien 1622 auf der Titelseite eines spanischen Bandes mit dem Titel Historia General. Zwei Jahre später trieb es, umrahmt vom Mar Vermeio und vom Mar Del Zur, auf einer niederländischen Landkarte von Abraham Goos dahin. Die größte Verbreitung fand diese Vorstellung jedoch durch eine Londoner Karte aus dem Jahr 1625 mit dem Titel The Northern Part of America, einer Beilage eines Artikels des Mathematikers Henry Briggs über die Suche nach der Nordwestpassage. Er füllte die großen unerforschten Räume des Nordens zur Arktis hin mit einem Text, in dem er die Wunder seiner Karte schilderte: »Conteyning Newfoundland, new Eng/land, Virginia, Florida, new Spaine … and upon ye West the large and goodly lland/of California« (»sie enthält Neufundland, Neuengland, Virginia, Florida, Neuspanien … und im Westen die große und stattliche Insel Kalifornien«). An der Ostküste sind Plymouth und Cape Cod (»C Codd«) in Massachusetts eingezeichnet, aber noch fehlen Boston und Manhattan (das seine erste Erwähnung auf einer gedruckten Karte, der von Joannes de Laet, erst fünf Jahre später fand, als »Manhattes«).

Diese falsche Vorstellung hielt sich jahrzehntelang, sie war sozusagen das Äquivalent des 17. Jahrhunderts für einen Fehler bei Wikipedia – dazu verdammt, in tausend Schulaufsätzen wiederholt zu werden, bis ein kluger Kopf ihn bemerkt und endlich berichtigt. Bei den Vorarbeiten für einen Vortrag vor der California Map Society im Jahr 1995 katalogisierten Glen McLaughlin und Nancy H. Mayo 249 verschiedene Landkarten (Weltkarten nicht mitgerechnet), die den Golden State mitten im Pazifik verorteten. Sie trugen kühne Titel, die keinen Platz für Zweifel ließen: »Eine neue und überaus genaue Karte von Amerika« nannte sich die eine, die andere versprach: »Amerika nach den neuesten und besten Beobachtungen gezeichnet«. Zwischen 1650 und 1657 veröffentlichte der französische Historiker Nicolas Sanson verschiedene Landkarten, die Kalifornien als Insel zeigten, und deren Übersetzungen ins Holländische und Deutsche lösten Briggs als einflussreichsten Mythenbildner noch einmal für ein halbes Jahrhundert ab. Dabei lieferten sie auch durchaus korrekte Neuigkeiten, darunter die erste kartografische Darstellung aller fünf Großen Seen.

Selbst nachdem neue Landkarten in Umlauf gekommen waren, die Kalifornien als mit dem Festland verbunden darstellten (die wichtigste war die Beilage zu den persönlichen Berichten des Jesuiten Eusebio Kino im Jahr 1706), tauchte es immer wieder als Insel auf. Den Todesstoß erhielt die Insel Kalifornien letztendlich durch ein königliches Dekret Ferdinands VII. von Spanien im Jahr 1747, das die Möglichkeit dieser Nordwestpassage mit der eindeutigen Aussage »Kalifornien ist keine Insel!« abschmetterte. Aber auch diese Neuigkeit verbreitete sich nur langsam. Noch 1865 war Kalifornien auf einer japanischen Landkarte ringsum von Wasser umgeben.

Wie war es überhaupt zu diesem Missverständnis gekommen? Der kartografische Nullpunkt lag wohl bei einem Karmelitermönch namens Antonio de la Acensión, der auf einer Reise mit Sebastian Vizcaino 1602/1603 entlang der amerikanischen Westküste ein Tagebuch führte. Zwei Jahrzehnte später zeichnete er seine Reise auf Papier nach und machte dabei Kalifornien zum Inselstaat. Auf dem Weg nach Spanien fingen die Niederländer das Schiff ab, das die Karte transportierte, es beendete seine Reise in Amsterdam. Im Jahr 1622 schrieb Henry Briggs, er habe diese Landkarte von Kalifornien in London gesehen. Und kurz darauf wurde die Karte, die nach jener gezeichnet war, die man »von Holländern abgefangen« hatte, in Kupfer gestochen und trat ihren Siegeszug um die Welt an.


Kalifornien treibt sorglos als Insel im Meer dahin – auf einer niederländischen Karte von 1650.

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