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Während der Rückkehr auf der Draisine nach Babylon und ins Seminar hatten Elmer und Frank einander wenig zu sagen.

»Seien Sie doch nicht so ein Brummbär. Wirklich, ich hab' gar keinen Unsinn mit der kleinen Lulu machen wollen«, knurrte Elmer keuchend, während er am Handgriff pumpte, grotesk aussehend in Mütze und Halstuch.

»Schön. Vergessen wir's«, sagte Frank.

Bis Mittwoch hielt Elmer es aus. Zwei Tage lang war er von Plänen gemartert worden, wie er sich Lulu verschaffen sollte. Die Pläne waren so deutlich in ihm geworden, daß sie ihm zu leben schienen, während er sich auf der Kante seines Feldbettes wand, mit geballten Fäusten und abwesenden Blicken … In seinem Traum verschwendete er ganze zweieinhalb Dollars für eine »Mietskarre« am Abend nach Schoenheim. Er ließ sie an der großen Eiche, eine Viertelmeile vom Bains'schen Farmhaus. Im Mondlicht konnte er den runden, ausgehöhlten Eichenstamm sehen, dort wo ein Ast abgeschnitten war. Er schlich sich zum Farmhof, vom Maisschuppen gedeckt, kalt, aber aufgeregt. Sie kam mit einer Schüssel Wasser an die Tür – stand mit der Seite zu ihm im Licht, ihr Gingan-Arbeitskleid schmiegte sich an die Kurve zwischen Schulter und Brust. Er pfiff ihr; sie erschrak, kam zögernden Schritts auf ihn zu, schrie vor Freude auf, als sie sah, wer es war.

Sie konnte nicht bei ihm bleiben, bevor die Arbeit getan war, aber sie bestand darauf, daß er im Stall wartete. Dort war die Wärme der Kühe, ihr süßlicher Geruch und ein Heuduft. Er saß im Dunkeln auf der Kante einer Krippe, voller Entzücken, doch so begierig, daß er zitterte wie in Angst. Die Stalltür ging auf, ein Strahl des Mondlichts fiel herein; sie kam auf ihn zu, zögernd, bezaubert. Er rührte sich nicht. Sie bewegte sich, gebannt, geradeswegs in seine Arme; sie saßen miteinander auf einem Bündel Heu, steif vor Leidenschaft, ohne ein Wort zu sprechen, seine Hand streichelte ihre Fessel.

Und ein andermal wieder, in seinen Phantasien, war es die Kirche, in der sie sich ihm gab; aus irgendeinem Grund, der unklar blieb, war er ohne Frank dort, an einem Wochentagsabend, und sie saß neben ihm in einem Kirchenstuhl. Er konnte sich selbst ihr zureden hören, daß sie ihm vertrauen müßte, daß ihre Liebe ein Teil der göttlichen Liebe wäre, auch während er sie koste.

Aber – wenn auf sein Pfeifen der Diakon Bains käme und ihn im Hof bei den Ställen herumschleichen sähe? Wenn sie sich weigerte, in Kuhställen romantisch zu werden? Und was für eine Ausrede hatte er denn dafür, abends mit ihr in der Kirche zu sein?

Aber – immer und immer wieder, auf seinem Feldbett sitzend, im Halbschlaf liegend, das Bettzeug wild packend, hatte er seine Phantasieerlebnisse, bis er es nicht mehr ertragen konnte.

Erst am Mittwoch vormittag kam der Reverend Elmer Gantry auf den Gedanken, daß er nicht schleichen und herumlungern müßte, daß ihn nichts dazu zwang, was immer er auch für Gewohnheiten gehabt hätte, und daß es nichts gab, was ihn daran hindern könnte, sie offen zu besuchen.

Er gab auch keine zweieinhalb Dollars für einen Wagen aus. Trotz seiner Pracht und Herrlichkeit war er in Wirklichkeit ein sehr armer junger Mann. Er ging nach Schoenheim (diesmal nicht im Traum, sondern wirklich), er brach um fünf Uhr nachmittags auf und nahm ein Schinkenbrot zum Abendessen mit; er ging die Eisenbahnstrecke entlang, die kalten Schwellen hallten unter seinem schweren Tritt.

Um acht Uhr kam er an. Er war sicher, daß ihre Eltern, da er so spät anlangte, nicht aufbleiben und ihm höchstens eine Stunde zur Last fallen würden. Es war anzunehmen, daß sie ihn auffordern würden, über Nacht zu bleiben, und diesmal würde keine schnüffelnde Cousine Adeline Baldwin in der Nähe sein.

Mr. Bains öffnete auf sein Klopfen.

»Nanu, nanu, nanu, Bruder Gantry! Was bringt Sie um diese Nachtzeit in unsere Gegend? Kommen Sie herein! Kommen Sie herein!«

»Ich hab' gemeint, ich könnte einen langen Spaziergang gut brauchen – ich hab' zu viel studiert – und gehofft, daß Sie mich auf einen Augenblick reinkommen und wärmen lassen.«

»Na, mein Lieber, bei Gott, Bruder, ich wär' wild geworden wie'n Bulle, wenn Sie nicht bei mir vorgesprochen hätten! Das ist Ihr Haus, und wir haben immer was, was für Sie noch auf den Tisch gestellt werden kann. Jawohl! Schon Nachtmahl gegessen? Belegtes Brot? Genug? Unsinn! Die Weiberleute werden im Handumdrehen was für Sie hergerichtet haben. Die Frau und Lulu, sie sind beide noch draußen in der Küche. Lu-lu!«

»Ach, ich darf mich nicht aufhalten – es ist so schrecklich weit zurück in die Stadt und so spät – ich hätt' nicht so weit gehen sollen.«

»Sie werden heute nacht Ihren Fuß nicht aus diesem Haus heraussetzen, Bruder! Sie bleiben ganz einfach hier!«

Als Lulu ihn sah, sagten ihre verzückten Augen: »Und diesen ganzen Weg bist du für mich gekommen?«

Sie war noch lieblicher und begehrenswerter, als er sich gedacht hatte.

Gewärmt, von Rühreiern und Bewunderung angeschwollen, saß er mit ihnen im Wohnzimmer und erzählte von mehr oder weniger möglichen Ereignissen während seines Bekehrungsfeldzuges in Kansas, bis Mr. Bains zu gähnen begann.

»Weiß Gott, zehn Minuten nach neun! Ich begreif' gar nicht, wie's so spät geworden ist. Ma, ich glaub', es ist Zeit, ins Bett zu kriechen.«

Elmer machte einen mutigen Vorstoß:

»Schön, Sie können schlafen gehen, aber wir jungen Leute werden noch aufbleiben und uns allerhand erzählen! An Wochentagen bin ich kein Prediger – da bin ich nichts weiter als ein Student, bei Gott!«

»Schön – wenn Sie das einen Wochentag nennen. Mir kommt's vor wie eine Wochennacht, Bruder!«

Alles lachte.

Sie lag in seinen Armen, auf dem Sofa, bevor ihr Vater sich noch die Treppe hinaufgegähnt und gehustet hatte; sie lag in seinen Armen, schlaff, ohne zu denken, als es Mitternacht geworden war; nachdem in dem kaltgewordenen Zimmer langes Schweigen geherrscht hatte, setzte sie sich um zwei Uhr hastig auf und fingerte an ihrem zerrauften Haar herum.

»Oh, ich hab' so Angst!« klagte sie.

Er versuchte sie tröstend zu tätscheln, aber jetzt war nicht mehr viel Herz in ihm.

»Aber es macht nichts. Wann heiraten wir?« fragte sie zitternd.

Und dann war überhaupt kein Herz mehr in ihm, sondern nur ein Klumpen Angst.

Ein oder zweimal in seinen Wachträumen hatte er daran gedacht, er könnte in die Gefahr kommen, sie heiraten zu müssen. Er hatte überlegt, daß diese Heirat jetzt sein Fortkommen in der Kirche behindern würde, und daß er überhaupt nicht dieses hirnlose dumme kleine Huhn heiraten wollte, das ihm nicht im geringsten dabei helfen könnte, reichen Pfarrkindern zu imponieren. Doch diese Vorsicht hatte er in der Aufregung ganz vergessen, ihre Frage war wirklich eine Überraschung, ein entsetzlicher Choc. So wirbelten seine Gedanken durcheinander, auch während er murmelte:

»Ja – ja – das können wir wohl noch nicht endgültig entscheiden. Wir müssen warten, bis ich nach meinem Schlußexamen Zeit hab', mich umzuschauen, und in einer guten Pfarre niedergelassen bin.«

»Ja, wir werden wohl müssen«, sagte sie wehmütig zu ihrem Mann, dem besten, gelehrtesten, stärksten und weitaus interessantesten Menschen, den sie überhaupt kannte.

»Du darfst also mit niemand davon reden, Lu. Nicht einmal mit deinen Leuten. Sie würden vielleicht nicht verstehen, wie du, wie schwer es für einen Geistlichen ist, seine erste richtige Kirche zu kriegen.«

»Ja, mein Herz. Ach, gib mir einen Kuß!«

Und er mußte sie ungezählte Male küssen, in diesem gräßlich kalten Zimmer, bevor er in seine Kammer entrinnen konnte.

Mit einer Miene, als ob ihm übel wäre, saß er auf seinem Bett und jammerte: »Teufel, ich hätt' nicht so weit gehen sollen! Ich hab' gemeint, sie würde länger Widerstand leisten. Aaah! Das war das ganze Risiko nicht wert. Aaaaah! Sie ist blöd wie eine Kuh. Armes kleines Ding!« Sein Mitleid gab ihm wieder ein Gefühl der Güte. »Sie tut mir leid. Aber, du lieber Gott, sie ist so nichtswertig! Ihre Schuld, wirklich, aber – aaah! ich war ein Dummkopf! Na, man muß immer aufrecht bleiben und sich seine Schuld ehrlich eingestehen. Das mach' ich. Ich entschuldige mich nicht. Ich hab' keine Angst davor, meine Fehler zuzugeben und zu bereuen.«

Das gab ihm die Möglichkeit, voll Bewunderung für seine eigene Tugendhaftigkeit zu Bett zu gehen und ihr fast zu verzeihen.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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