Читать книгу Die Rabenringe - Fäulnis (Band 2) - Siri Pettersen - Страница 19

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Widerstand

Die Schwerter schlugen klirrend gegeneinander und Rime stand plötzlich Schwarzfeuer von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Der Gesichtsausdruck des Mesters strahlte so viel Ruhe aus wie immer. Er ließ nichts durchblicken, wenn er kämpfte. Wegen der dunklen Haut leuchteten die Augen weißer als bei anderen Männern. Vielleicht war das der Grund, warum es so schwer war, an ihm etwas abzulesen. Auf seinem kahlen Schädel war nicht ein Schweißtröpfchen.

Rime aber schwitzte. Jetzt zurückzuweichen bedeutete verlieren. Ihm brannten die Arme und das wusste der Mester. Rime sah den Anflug eines Lächelns in seinen Augen. Er biss die Zähne zusammen. Er war gefangen. Das erinnerte ihn wieder an Hirka.

Rime rammte seine Ferse Schwarzfeuer auf die Zehen. Der Mester gab ein Grunzen von sich und sprang rückwärts. Rime folgte ihm mit drei Schlägen, bis sein Schwert dem Mester an der Gurgel lag. Der Mester lachte. Und diese Heiterkeit war der einzige Grund, warum Rime die Oberhand gewonnen hatte. Die Male, die er Schwarzfeuer überrumpelt hatte, konnte er an den Fingern einer Hand abzählen, und dieses Mal gehörte nicht dazu.

»Wer hätte gedacht, dass sie dich mehr übers Kämpfen lehren sollte, als ich es konnte«, grinste Schwarzfeuer.

Rime ließ den Arm mit dem Schwert sinken. »Sie?«, fragte er, obwohl er ganz genau wusste, wer gemeint war.

»Du warst nie leidenschaftlich, bevor du sie getroffen hast.«

Rime war enttäuscht, dass der Mester ihren Namen nicht aussprach. Ihn von anderen zu hören, machte sie wirklich. Als befinde sie sich irgendwo in der Nähe. Irgendwo dort, wo er sie erreichen konnte.

Er ging zur Mitte des Raumes zurück und hob abermals das Schwert.

Schwarzfeuer kam auf ihn zu. »Und ich dachte schon, du würdest fett und faul davon werden, dass du am Tisch in Eisvaldr sitzt. Rabenträger brauchen nicht zu schwitzen. Oder hat man am Stab so schwer zu tragen?« Er begann, Rime zu umkreisen, nicht wissend, dass er eine Wunde aufgerissen hatte, die niemand sehen konnte.

Rime folgte seinen Bewegungen. »Ich habe den Stab nur ein einziges Mal getragen und das war bei der Weihe.«

»Kein Seher. Kein Stab. Kein Rabe auf der Stirn. Wie willst du führen, wenn dich niemand sieht?«, fragte Schwarzfeuer und führte einen Schlag gegen seine Seite. Rime drehte das Schwert und parierte. Er lehnte es ab, sich entmachten zu lassen.

»Das Wichtigste ist, dass sie mich hören.«

»Das zu glauben, bist du nicht dumm genug.«

Schwarzfeuer brachte eine Reihe von Schlägen an, die Rime rückwärts zwangen. Er wich der Klinge aus und es gelang ihm, den Mester zu umrunden. Schwarzfeuer belohnte ihn mit einer Verschnaufpause.

»Rime, du dienst niemandem, wenn du gegen sie arbeitest. Der Rat ist eins. Ihr wurdet für diese Aufgabe geboren.«

»Niemand ist für diese Aufgabe geboren! Kein Gott hat uns das Anrecht auf die Stühle gegeben!«

Rime schob die Falttüren auf und ging hinaus auf die Felskante. Er hatte immer geglaubt, dass er in Blindból zur Ruhe kommen würde, doch in Wahrheit hatte er noch nie Ruhe gefunden. Alles, was er hatte, waren Augenblicke des Vergessens.

Der Nebel weit unter ihm war dichter als sonst. Der Schnee hatte sich bei allen Bergen auf dieselbe Seite gelegt. Der Wind peitschte ihn von den Gipfeln und dadurch sah es so aus, als löse sich der Fels gerade auf.

Er hörte hinter sich Schwarzfeuers Schritte im Schnee.

»Du wirst den Tag hassen, an dem du gegen mich verlierst«, sagte Rime.

»An dem Tag, an dem ich gegen dich verliere, wird es aus Liebe geschehen«, sagte der Mester. Die Worte kamen unerwartet. Ausgesprochen ohne die geringste Spur von Wärme und dennoch … war es eine Erinnerung daran, dass er Unterstützung, eine Familie hatte.

»Sie kämpfen gegen mich, Mester. Mehr als du mit dem Schwert. Jeden Tag finden sie etwas Neues, damit ich schweige. Damit ich in Vergessenheit gerate. Wenn sie mich töten könnten, dann würden sie es tun.«

Schwarzfeuer stellte sich neben ihn. »Dann solltest du vielleicht eine Weile schweigen.«

Rime schaute ihn an. »Ein feiger Rabenträger? Kannst du dir etwas Gefährlicheres vorstellen?«

Schwarzfeuer gab keine Antwort. Rime steckte das Schwert in das Futteral auf dem Rücken. »Sie wollen, dass ich eine Frau finde.«

»Ja, das würde viele Probleme lösen.«

»Genau das sage ich auch immer! Nichts wird besser, wenn ich …«

»Nein, ich meine es so«, sagte Schwarzfeuer. »Das würde tatsächlich viele Probleme lösen.«

Kurz dachte Rime, er habe sich verhört. Der Mester der Schwarzröcke sollte doch der Erste sein, der den Gedanken verwarf, Probleme durch eine Heirat zu lösen. Rime ballte die Fäuste. Nicht einmal Schwarzfeuer stand auf seiner Seite.

»Die Leute haben davon nicht mehr Essen auf dem Tisch, dass wir Geld für eine Verlobungsfeier ausgeben.«

Schwarzfeuer lachte in sich hinein. »Wie viele von solchen Entschuldigungen hast du auf Lager?«

»Viele«, antwortete Rime und schaute in eine andere Richtung.

»Du siehst das aus dem falschen Blickwinkel, Rime. Überleg mal, was es dir bringen kann, und nicht, was es dir nimmt. Ich höre, dass man sich von einem Mädchen aus dem Norden erzählt. Das würde den Rat und Ravnhov zweifelsohne einander näherbringen, ganz gleich, ob sie wollen oder nicht.«

Rime sagte nichts. Er wusste, dass es stimmte, aber es erschien ihm dennoch unwesentlich. Das ging ihn nichts an. Das Einzige, was ihn etwas anging, das waren die Tore.

Schwarzfeuer deutete mit dem Schwert. In einiger Entfernung kletterten rund fünfzig Schwarzröcke die senkrechte Felswand hinauf. Auf ihren Rücken trugen sie geflochtene Körbe mit Deckeln, die Fisch, Geflügel und Winterfutter enthielten. Sogar das Überleben wurde in Blindból zur Übung und meistens wurden die Neulinge fürs Klettern eingesetzt. Die schwarze Uniform verschmolz mit dem Fels. Manchmal sah es so aus, als schwebten die Körbe von selbst hinauf.

»Sie klettern mehrmals am Tag bergauf und bergab«, sagte Schwarzfeuer. »Um sich am Leben zu halten. Um uns am Leben zu halten. Erinnerst du dich?«

Erinnerst du dich? Ich habe noch immer die Spuren der Riemen auf den Schultern.

»Ja, ich erinnere mich.«

»Wenn der Tag um ist, legen sie sich schlafen. Und am nächsten Morgen stehen sie auf und machen alles wieder von vorn. Aber dann kommt die Wintersonnenwende. Dann sitzen sie in den Hütten um die Feuerstellen und trinken vergorenen Tee und Wein. Sie krempeln die Ärmel hoch und zeigen ihre Narben vor. Lachen über ihre Fehler, beschenken sich mit Dingen, die sie hergestellt, gekauft oder gestohlen haben. Und am Morgen danach können sie lange schlafen.«

»Lange?« Rime hob eine Augenbraue und der Mester besaß so viel Anstand, sich etwas peinlich berührt zu räuspern.

»Ja, länger als an den anderen Tagen zumindest. Aber meine Frage an dich ist: Wollen wir ihnen diesen Abend wegnehmen?«

»Natürlich nicht, Mester.«

»Warum nicht?«

»Weil die Tage ohnehin schon anstrengend genug sind.« Rime wusste, dass er in eine Falle tappte, aber Schwarzfeuers Fallen konnte man nur schwer aus dem Weg gehen. Man landete in ihnen, ob man wollte oder nicht.

»Das stimmt. Die Tage sind ohnehin anstrengend genug. Ein Fest kann für ein ganzes Jahr Schufterei entschädigen.«

»Lass uns doch ein Fest ohne Frauen machen.«

Schwarzfeuer schaute ihn an. »Du bist Rabenträger. Sie können dich nicht dazu zwingen. Aber wenn du eine Familie gründen würdest, könnte das Volk feiern. Sie würden alle vergessen, die bei Ravnhov gestorben sind. Könnten die Asche vergessen, die das Getreide unter sich begräbt. Sie würden sogar den Raben vergessen. Das Einzige, was sie sehen würden, wäre Jugend, Hoffnung und Liebe. Eine neue Generation An-Elderin. Etwas von Bestand im Chaos. Und wie du es auch drehst und wendest, du bist derjenige, der das Chaos verursacht, Rime. Und das Schlimmste, was dir passieren kann, sind warme Arme, zu denen du abends ins Bett kriechen kannst. Es gibt im Leben Unangenehmeres, Junge.«

Rime starrte ihn an.

Schwarzfeuer war offensichtlich amüsiert. »Ja, was denn? Hast du etwa gedacht, man ist ohne Gegenleistung Rabenträger? Dass du nichts opfern müsstest?«

Rime antwortete nicht. Was sollte er sagen? Er hatte bereits das Einzige geopfert, das für ihn je von Bedeutung gewesen war. Sich an eine andere zu binden, kam einem Todesurteil gleich. Das war, als würde er sich damit abfinden, dass Hirka verloren war. Dass sie nie wieder zurückkam.

Ein schwarz gekleideter Schatten kam zwischen den Bäumen angelaufen. »Mester Schwarzfeuer! Ein Rabe!« Der Mann kam bei ihnen an und tat sein Bestes, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er außer Atem war. Er reichte Schwarzfeuer eine weiße Briefhülse mit dem Siegel des Rates. Das Rabenzeichen gab es noch, obwohl es den Seher nie gegeben hatte.

Schwarzfeuer reichte Rime die Hülse. »Das ist dein Siegel.«

Rime nahm sie, zog das zusammengerollte Papier heraus und las, während sich ihm die Haare auf den Armen sträubten. »Das ist von der letzten Heeresgruppe aus Ravnhov. Sie stehen kurz vor Mannfalla. Sie sagen, dass sie zu wenige Leute haben und dass sie angegriffen worden sind. Mehrere sind schwer verletzt.«

Schwarzfeuer nickte. »Ich weiß. Aber wir haben vor mehreren Wochen jede Hilfe geschickt, die uns zur Verfügung stand.«

»Nein. Sie sind jetzt angegriffen worden, kürzlich.« Rime reichte ihm den Brief. »Und nicht von Ymlingen. Sie sagen, es sind Nábyrn.«

Schwarzfeuer riss das Papier an sich. Niemand hatte die Blinden gesehen, seit Bromfjell explodiert war. Am Schicksalstag. Am Tag, als Urd starb und der Ritualsaal einstürzte. Als Hirka noch da war. Nun war sie fort und alles hatte darauf hingedeutet, dass es sich mit den Blinden auch so verhalten würde.

Rime umklammerte die Briefhülse. Schwarzfeuer sah ihn an.

»Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, Rime An-Elderin. Vielleicht hast du den Grund gefunden, den du brauchst, um das Fest abzusagen.«

Die Rabenringe - Fäulnis (Band 2)

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