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Ruth: Pralinen und Pizza
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Manfred Müller, JerkdeGherk Media“
Maren, die doch vorbeigekommen war, warf den Kopf in den Nacken und prustete los.
„Das ist genial! Der wird schön blöd gucken! Welche IBAN ist denn das?“
„Die vom Tierheim. Falls er drauf reinfällt, tut er wenigstens etwas Gutes“, erwiderte ich lächelnd. Auch wenn Lächeln mir noch schwerfiel.
Maren lachte immer noch. Sie trug ein schwarzes Oberteil mit Schnürung. Viel Busen hatte sie nicht, aber trotzdem sah sie wieder klasse aus.
„Deine Haare hast du super hingekriegt. Aber seit wann trägst du hochhackige Schuhe zur Arbeit? Tun dir da nicht die Füße weh?“, forschte ich und nippte an meinem Wein.
„Die habe ich nach der Arbeit wieder angezogen. Danke für das Kompliment. Das Haar so zu tragen ist wirklich praktisch. Aber wenn ich einen neuen Schnitt brauche, komme ich natürlich zu dir.“
„So ein Dutt ist klassisch. Lass deine Haare doch ruhig wachsen, du bekommst irgendwie immer eine gute Frisur hin.“
„Mal sehen. Im Moment bin ich zufrieden.“
„Trotz der Sache mit dem Keller?“
„Man gewöhnt sich dran. Ich kann im Fernsehen gucken, was ich will. Im Grunde sehen wir uns nur noch zu den Mahlzeiten. Seine Sticheleien stören mich gar nicht mehr. Er ist mir egal geworden.“
„Das klingt aber gar nicht gut.“
„Was soll man machen.“
„Darüber reden?“
„Das bringt doch sowieso nichts. Jetzt gerade ist es mir wirklich egal.“
„Na gut ... möchtest du was essen?“
„Was hast du denn da?“
„Wir könnten eine Pizza bestellen.“
„Ein großer Salat mit geriebenem Käse und Schinken wäre mir lieber. Mit Joghurt-Kräuter-Dressing.“
Ich bestellte ihr den und mir selbst eine Schinkenpizza mit doppelt Käse und einen Becher Eis. Maren blinzelte.
„Ist das nicht, na ja, ein bisschen viel?“
„Ich gebe dir vom Eis was ab.“
„Na gut, aber trotzdem.“
„Maren, ich habe seit zwei Tagen fast nichts mehr gegessen vor Heulerei. Mir hängt der Magen in den Kniekehlen!“
„Entschuldige, du hast ja recht. So, wo waren wir, ach ja! Der tolle Brief an Tim.“
„Wenn du willst, schicke ich den verschlossenen Umschlag zu Stefan nach Berlin, und er wirft ihn dort in den Briefkasten. So ein Poststempel aus Berlin wirkt gleich viel echter, findest du nicht?“
„Ruth! Du bist ein Genie!“
„Kaum. Aber danke.“
„Was sagst du Stefan denn? Doch nicht etwa...“
„Ach wo, wo denkst du hin? Ich behaupte einfach, es wäre ein Streich. Der fragt nicht nach, dafür kenne ich ihn.“
„Okay, gut. Wie geht es dir denn?“
„Na ja. Ich heule noch viel. Und mir graust es davor, dass er Sonntag wiederkommt. Dieser Saukerl.“
Ich erschrak selbst vor der Wut in meiner Stimme. Maren nickte unbeeindruckt.
„Saukerl nenne ich Tim inzwischen auch. Oder habe es vielmehr eine Zeit lang. Jetzt nenne ich ihn nur noch Wichsfrosch.“
„Schlimm“, murmelte ich. Aber ich beneidete Maren. Nicht nur, dass sie so attraktiv war, sondern auch darum, dass sie mit der Sache so souverän umging. Geheult schien sie jedenfalls nicht zu haben. Außerdem hatte sie es tatsächlich besser. Ihr Tim ging nicht zu Nutten und betrog sie auch nicht wirklich körperlich. Tim machte nur eine Faust.
Wie sehr ich mir wünschte, Jens täte das Gleiche.
„Jeden Tag“, murmelte ich, „jeden Tag diese bohrende Frage. Ist er heute wieder bei dieser Lena, die er sogar küsst. Oder im Charmeur. Oder einem anderen Puff.“
„Ich könnte das überhaupt nicht ertragen“, seufzte Maren, beugte sich vor und tätschelte meinen Arm.
„Wirst du ihn verlassen?“
Ich schrak hoch.
„Verlassen? Aber wo soll ich denn hin?“
Maren schien leicht verärgert.
„Du könntest dir eine Wohnung nehmen und wieder als Friseurin arbeiten. Tu doch nicht so, als müsstest du dir das bieten lassen!“
„Ach, und du? Wieso bist du denn noch bei Tim?“
„Wir haben eine Tochter.“
„Die ist fast erwachsen!“
„Ich weiß. Ich denke schon darüber nach, wie es weitergehen könnte. Aber mir geht es nicht mehr schlecht mit dem Wissen, was er da unten macht. Soll er ihn sich doch lang ziehen. Aber du? Was Jens macht, ist eiskalter Betrug. Und das ohne schlechtes Gewissen!“
„Er sieht es gar nicht so, befürchte ich.“
„Dann macht er ganz fest die Augen zu. Er belügt dich ja, schon das ist Betrug. Und dann die Sache an sich ... bäh!“
„Bäh, da sagst du was. Ich werde den jedenfalls nie wieder küssen! Ich weiß ja ... wo sein Mund so war.“
In Marens Gesicht stand das pure Entsetzen.
„Du meinst...“
„Wir wollen gleich essen und werden das jetzt schön vergessen.“
„Wääääh!“
„Ja. Nun ja.“ Wieder stieg mir das Blut in die Wangen. Ich hatte inzwischen alle Testberichte gelesen, auch alle Nachrichten an und von Jens. In einer hatte er Lenas Adresse weitergegeben.
„Aber nur an dich, Kumpel. Ich behalte Lena am liebsten für mich.“ In anderen hatten Huren ihn angeschrieben und ihre Dienste angeboten. Und das ohne jede Beschönigung. Mir war so übel geworden wie noch nie. Und die Antworten von Jens waren noch ekelerregender, völlig unverblümt, direkt und ungehobelt. Ich kannte diesen Mann nicht.
Die letzten Tage waren schlimm gewesen. Nachts bekam ich kaum ein Auge zu. Heute Morgen war Frau Salinsky gekommen, zum Glück erst um elf.
„Sie sehen ja furchtbar aus, Frau Eberharth. Geht es Ihnen nicht gut?“
„Ich bekomme wohl eine Erkältung“, hatte ich gemurmelt und die alte Dame zum Stuhl gebracht, wo ich ihre Dauerwelle vorbereitete. Ich schwatzte mit ihr über Alltägliches, die neusten Nachrichten. Aber ihre alten, weisen Augen waren die ganze Zeit auf mein Gesicht gerichtet. Nachher, beim Bezahlen, legte sie mir sanft eine Hand auf den Arm.
„Niemand kann eine Frau so sehr verletzen, wie der eigene Ehemann. Glauben Sie mir, ich habe das alles schon hinter mir. Trotzdem vermisse ich meinen Otto jeden Tag.“
Sie tätschelte meinen Arm und fügte hinzu:
„Gott hat uns Frauen die Fähigkeit gegeben, zu verzeihen. Immer wieder. Aber wenn er es zu weit getrieben hat, ziehen Sie ihm ruhig auch mal eins über! Nur vergessen Sie dabei nicht, wie sehr er Ihnen fehlen würde, wenn er für immer fort wäre.“
Ich blieb verdattert an der Tür stehen, und vergaß sogar, ihr in den Mantel zu helfen.
Als sie gegangen war, hastete ich zum Spiegel. Sah man es mir etwa so sehr an? Gut, dass ich nicht geschlafen hatte, das war unübersehbar. Auch die Traurigkeit in meinen Augen. Eigentlich konnte das ja auch nur Liebeskummer bedeuten. Uns ging es finanziell und gesundheitlich gut. Bis auf diese Skelette, die in allen ehelichen Kleiderschränken zu stecken schienen.
Selbst Maren und Tim haderten mit dem Alltag und Frau Salinsky war es auch nicht gut ergangen, wovon ich heute zum ersten Mal etwas gehört hatte. Der Dorfklatsch drehte sich nie um sie und ihre Familie.
Silke fiel mir ein. Maik hatte ihr damals das Herz gebrochen. Maik war ein ruhiger, netter Mann gewesen. Auch attraktiv, nur sah man nichts davon. Er trug karierte Flanellhemden, Socken in Sandalen, hatte einen langweiligen Haarschnitt und alte, fleckige Jacken und Hosen in Braun und Grau. Eine echte graue Maus.
Dann brachte Silke ihn zu mir und kaufte ihm ein paar tolle Klamotten. Von da an fiel er auch anderen Frauen auf und nach einer Weile ließ er Silke kurz vor der Hochzeit für eine andere sitzen. Sie hatte das nur schlecht verkraftet.
Nun war sie mit Florian zusammen und wir alle hofften, dass er tatsächlich so ein netter Kerl war, wie er zu sein schien.
Aber jetzt, wo mein eigener Ehemann unter seiner loyalen Fassade auch nur ein Schwein war, bekam ich Zweifel. Waren die etwa alle so?
Ich hätte meine Mimik gerne irgendwie unter Kontrolle gebracht, aber gut verstellen konnte ich mich nicht. Maren schien darin ein Meister zu sein. Der sah man gar nichts an.
Ein paar Minuten später erschien Kurt, ein Mitglied unserer „Moppelchen“ auf einen schnellen Trockenschnitt. Er bemängelte sofort, dass ich am Tag zuvor nicht beim Volleyball erschienen war.
„Ich hatte Migräne“, murmelte ich und legte ihm den Umhang um. Er schien überrascht.
„Heute nicht ganz so kurz, bitte. Du und Migräne? Soll ich dann nicht lieber an einem anderen Tag wiederkommen?“ Ängstlich strich er sich durch die Haare. „Die werden sowieso immer weniger. Nicht, dass du dich jetzt nicht konzentrieren kannst und mir ein Ohr abschneidest.“
„Du hast ja noch eins!“
„Aber wie hält dann die Brille?“
„Vincent van Gogh hatte auch nur ein Ohr“, gab ich zurück und schnippelte drauflos.
„Schon, aber das hatte er sich selbst abgesäbelt!“
„Wer weiß? Vielleicht hatte seine Friseurin auch Migräne. Jetzt nimm deine Hände da weg, du Feigling.“
Er ergab sich in sein Schicksal. Kurt war so ein lustiger Typ. Ob er wohl auch ...? Man merkte es einem Mann ja nicht an. Ich jedenfalls nicht!
Erleichtert zahlte Kurt seine zehn Euro und zog beidohrig von dannen. Sofort kam die dunkle Wolke zurück und die Herzrhythmusstörungen setzten wieder ein. Wo war Jens gerade und was machte er ...?
Tagsüber ging es einigermaßen, da musste er ja arbeiten. Aber wenn der Feierabend nahte, spielte mein Kopfkino eine Sondervorstellung nach der anderen.
Ich war zutiefst erleichtert, als mich Frau Jähnick anrief und absagte. So konnte ich einkaufen fahren und vielleicht etwas spazieren gehen.
Im Supermarkt legte ich mir eine große Schachtel Pralinen in den Wagen und beachtete die Stimme in meinem Kopf nicht, die lauernd fragte: Was machst du da, Ruth?
Wieder zu Hause, müde nach einem Spaziergang am Flüsschen entlang, lief ich meinem Schwiegerpapa in die Arme. Er hielt die Gartenschere in der Hand und war auf dem Weg, die Buchsbäume zu beschneiden.
„Na endlich sehe ich dich mal. Ruth, was ist denn? Seit Tagen igelst du dich im Haus ein. Und du siehst total fertig aus.“
Ich sah ihn an. Die Ähnlichkeit mit Jens schnitt mir ins Herz. So ungefähr würde er aussehen, wenn er in das Alter seines Vaters kam. Und ich würde ihn immer noch lieben. Tränen stiegen mir in die Augen, und ich wandte mich ab.
„Ruth ...? Rede mit mir. Hat Jens wieder Mist gebaut?“
„Wieder?“ Ich drehte mich erschrocken zu ihm um und studierte seine Augen. „Hat er das etwa früher auch schon gemacht?“
„Was hat er denn verbockt? Er hat früher öfter Quatsch gemacht und Unsinn geredet, da habt ihr euch zu Recht gestritten. Manchmal fehlte ihm die Mutter, glaube ich. Deswegen hatte er bisweilen nicht genug Verständnis für deine Seite. Das habe ich ihm dann unter vier Augen auch immer gesagt. Offiziell halte ich mich aber aus eurer Beziehung weiterhin raus. Es sei denn, er hätte richtig Mist gebaut, dann bekommt er es mit mir zu tun. So ein liebes Mädel wie dich kriegt man nicht an jeder Straßenecke.“
„Aber genau da kann man danach suchen“, murmelte ich und eilte an ihm vorbei ins Haus. Ich sah aus den Augenwinkeln noch sein verständnisloses Gesicht, dann schloss ich schnell die Tür.
Nachdem ich alles fortgeräumt und eine alte Jogginghose angezogen hatte, holte ich mir ein Glas kalte Milch, machte den Kaminofen an, und legte mich mit der Schachtel Pralinen auf die Couch.
Abends war dann Maren gekommen und nun warteten wir auf die Pizza. Leider riss sie mit einigen Fragen und Bemerkungen die Wunde noch weiter auf. Ich wollte heute, so gut es ging, Lena, Hani und all die anderen vergessen.
Die Pizza und der Salat kamen. Das Eis schob ich in den Gefrierschrank und stellte Maren ihren Salat hin.
Wahrscheinlich wäre das für mich auch die bessere Wahl gewesen. Aber heute nicht, dachte ich.
„Also, Ruth. Was wirst du nun tun?“, fragte Maren und goss sich Dressing über ihren Salat, in dem sie wählerisch herumstocherte. Mit angewiderter Miene pikte sie ihre Gabel in die paar Scheiben Salatgurke, die darin waren, und legte sie beiseite.
Ich viertelte meine Pizza und balancierte ein Stück zum Mund.
„Weiß nicht“, mampfte ich.
„So? Du musst doch darüber nachgedacht haben.“
„Ich bin ungefähr so weit wie du.“
„Du guckst also schon ganz unverbindlich nach Wohnungen?“
Ich ließ meine Pizza sinken und starrte Maren an.
„Was, das tust du?“
„Bisher nur bei so einer Suchmaschine im Internet. Aber es ist gut, zu wissen, auf was man sich einstellen müsste. Wenn man es dann tatsächlich tut.“
„Meinst du nicht, dass du erst einmal mit Tim reden solltest? Pornos gucken doch alle Männer!“
„Das ist es ja nicht einmal. Es ist die Art und Weise, wie er mit mir umgeht. Respektlos, irgendwie. Ich fühle mich nicht mehr von ihm als Frau wahrgenommen. Und seine doofen Sprüche und diese Gleichgültigkeit ... das macht mich am meisten fertig.“
„Vielleicht solltest du öfters mal nicht zu Hause sein. Damit er merkt...“
„Ach, das ist es ja! Er merkt es eben nicht!“, rief sie, und ich zuckte zusammen.
„Ob ich nun da bin oder nicht, den juckt das nicht. Er mosert höchstens rum, dass nix zum Essen auf dem Tisch steht. Gestern kam ich nach Hause und er meinte, wenn ich schon nicht da bin, soll ich Bescheid geben, damit er weiß, dass er zur Pommesbude muss. Er fragte ja nicht mal, wo ich gewesen bin. Amelie war auch unterwegs. Ob ich da bin, ha. Das merken die nur daran, dass kein Essen da ist oder die frische Wäsche knapp wird.“
„Das ist mies“, murmelte ich und griff zum dritten Viertel. Maren warf einen schrägen Blick auf das fettige Stück in meiner Hand. Aber sie sagte nichts.
„Tja, das ist eine blöde Situation“, murmelte ich nach einer Weile. Sie hob die Schultern.
„Wahrscheinlich kommt jede längere Beziehung mal an diesen Punkt. Oder fast. Ein Zurück kann es nur geben, wenn beide das merken und was ändern wollen. Ich sehe bei unseren Männern nichts davon. Vor allem deiner hat es sich so richtig bequem gemacht.“
„Na, deiner aber auch.“
„Schon, aber deiner hält sich einfach nebenher einen Harem und kommt dann zu dir nach Hause und spielt den guten Ehemann. Das ist doch widerlich.“
„Das schon. Aber deiner spielt in seiner Fantasie auch mit anderen rum.“
„Er tut aber nicht so, als wäre alles in Butter. Na ja, im Grunde ist für beide Männer alles in Butter. Die in den Arsch Gekniffenen sind doch wir.“
„Ja. Das stimmt.“
Ich brachte den Pappkarton und Marens Plastikbehälter in die Küche. Aufräumen konnte ich auch morgen noch.
Oder irgendwann.