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Silkes Home Sweet Home

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„Hallo liebe Leute und herzlich willkommen zu einer neuen Folge ‚Clean With Me`, heute aus unserem Badezimmer. Wie ihr seht, habe ich mir kleine Plastikkörbe besorgt, denn ich möchte zusätzlich gern Florians Schublade organisieren.“

Ich öffnete die Schublade, in der Florian seine Rasierer, Handcremes, Gesichtscreme und Nagelscheren aufbewahrte. Alles ein wildes Durcheinander. Ich hielt die Kamera nahe genug aber nicht zu nahe, um den Autofokus nicht zu überfordern.

Dann stellte ich die Aufnahme auf Pause und setzte die Kamera auf das Stativ, das schon bereitstand. Ein bisschen absenken, etwas nach links – perfekt. Wieder auf die Aufnahmetaste gedrückt, und es konnte losgehen. Zu erklären brauchte ich jetzt nichts mehr, das machte ich per Voice-over beim Schneiden.

Ich nahm alles aus der Schublade heraus und saugte sie kräftig durch. So ohne Staub und Haare sah sie schon viel besser aus. Dann hielt ich ein Küchentuch vor die Kamera, danach ein Fläschchen Reinigungsalkohol. Den sprühte ich in die Schublade, verteilte ihn mit dem Tuch und rieb alles trocken.

Dann hielt ich den Zollstock in die Kamera, um die Schublade auszumessen. Die Aufnahme stoppte ich dafür wieder.

Danach hatte ich fix das Stativ ins Wohnzimmer gestellt und auf den Esstisch ausgerichtet, Lineal, Schere und Klebefolie daraufgelegt, und mit der Hand auf alles gezeigt. Schnitt. Wieder aufgenommen, wie ich die Klebefolie ausrollte, beschwerte und ein passendes Stück herausschnitt. Auch dieses hielt ich in die Kamera.

Es war ein Steinmuster, denn Blümchen wollte ich Flori nicht zumuten.

Wieder stoppte ich die Aufnahme und stellte die Kamera zurück ins Badezimmer. Dann filmte ich, wie ich die Klebefolie vorsichtig, Millimeter für Millimeter abziehend, in der Schublade anlegte und aufklebte. Mit einer Rakel drückte ich die Luftbläschen rechts und links zur Seite weg. Sah prima aus.

In meinem Kopf entstand schon der passende Text: „Wenn ihr die Folie und den Boden der Schublade vorher anfeuchtet, geht es noch etwas einfacher, aber für die kleine Fläche funktioniert es auch so. Wie ihr seht, sind in der Folie keine Luftbläschen mehr zu sehen. Einmal noch mit der Rakel ordentlich andrücken, und schon können wir mit dem Organisieren beginnen.“

Nun richtete ich die flachen Plastikkörbchen passend in der Schublade aus und füllte sie mit Florians Toilettenartikeln. Natürlich hatte ich vorher alle peinlichen Sachen entfernt.

Leere oder fast leere Tuben warf ich vor laufender Kamera weg, denn sie verdeutlichten, was ich meinen Abonnenten immer wieder sagte: Nichts Nutzloses aufbewahren.

Auch seit drei Jahren abgelaufenen Rasierschaum warf ich in den Müllbeutel, der schon ziemlich voll war.

Die fertige Schublade mit den ordentlich befüllten Körbchen filmte ich von drei Seiten. Richtig gut sah sie jetzt aus. Dann stellte ich die Kamera in die Küche und recycelte die leeren Tuben und warf nur Restmüll in den Mülleimer.

Man glaubte gar nicht, wie genau die Abonnenten hinguckten. In den Kommentaren wurde immer wieder gefragt, ob ich denn den Müll auch richtig trennte. Auch wurde gerne an Putzutensilien und vor allem Putzmitteln herumgemäkelt („nicht umweltfreundlich!“ „Du tötest unseren Planeten!“). Aber das ignorierte ich. Denn die Firmen bezahlten mich inzwischen dafür, ihre Produkte zu benutzen.

Ja, Florian und ich gehörten zu den Influencern, oder wie man das jetzt nannte. Jedenfalls verdienten wir unser Geld mit YouTube-Videos und auf Instagram. Angefangen hatte das alles recht harmlos. Ich war damals noch als Industriekauffrau angestellt und machte den Papierkram für Ruths Ehemann Jens.

Ich hatte zu der Zeit noch ein Buch von meiner Oma, in Sütterlin geschrieben, in dem Rezepte und Hausmittel standen. Einen Trick mit Soda und Zitronensaft verriet ich Ruth. „Der Backofen ist endlich wieder sauber!“, strahlte sie.

Ein Auflauf war ihr übergelaufen. Quasi ein Überlauf.

„Du solltest solche Tipps weitergeben“, empfahl sie. Zuerst hatte ich einen Blog, aber dann sah ich, dass es Videos auf YouTube gab, in denen solche Tipps ebenfalls weitergegeben wurden.

Solche Videos hatten eine Menge „Mag Ich“ Klicks und noch mehr Aufrufe. Und da ich sie mir angesehen hatte, schlug mir YouTube noch andere Videos vor. Ich abonnierte die Kanäle von drei Amerikanerinnen, die putzten, bastelten, organisierten. Und all das packte mich.

Es machte mir so viel Spaß, dass ich beschloss, mich auch dabei zu filmen, zuerst nur meine Hände. Ich wollte mich keinem breiten Publikum zeigen, denn breit war ich selber. Dann stieß ich auf eine weitere Amerikanerin, die mindestens genauso moppelig war wie ich. Weder sie noch ihre Zuschauer schien das zu stören. Und erfolgreicher war man, wie ich bald herausfand, wenn man sich zeigte, lächelte und etwas sagte.

Also tat ich das. Zuerst war ich sichtlich nervös. Mein erstes Video war eine gründliche Küchenreinigung. Es war mäßig erfolgreich. Dann kauften Florian und ich das alte Haus im Dorf und der große Umbau begann.

Zuerst war Florian genervt davon, dass ich ständig mit der Kamera um ihn herumschwirrte. Dann kaufte ich ein Stativ und eine gute HD-Kamera mit viel Speicher und stellte die in eine Ecke. Sie lief einfach mit, während Florian Wände aufklopfte und der Elektriker neue Leitungen verlegte („aber nicht mein Gesicht filmen, Frolleinchen“). Und auch, als Flori den alten Fußboden herausbrach und neues Laminat verlegte.

Am Ende des Umbaus hatte ich genug Material für über dreißig Filme von verschiedener Länge. Die Renovierung des Badezimmers bekam dabei am meisten Klicks. Ich bestellte ein gutes Mikrofon und professionelle Filmbearbeitungssoftware, denn die Kommentarspalte floss über vor Fragen. Wir lernten daraus. Am Wochenende abends, wenn wir uns beide etwas erholt hatten, machten wir das Voice-over für den Film, an dem ich gerade arbeitete.

Das Schneiden nahm viel Zeit in Anspruch, und die Filme wurden nur im Schneckentempo fertig. Aber die Klickzahlen stiegen und immer mehr Leute abonnierten meinen Kanal Silkes Home Sweet Home.

Das Geheimnis unseres Erfolgs war wohl, dass wir jede Frage beantworteten. Florian war Tischlermeister und ein Allrounder, was das Heimwerken betraf. Er half jedem. Auch das nahm viel Zeit in Anspruch, aber jeder bekam einen guten Rat von ihm. Das sprach sich herum.

Auch zeigten wir alle Arbeitsschritte. Das Verlegen des Fußbodens erklärte Florian geduldig Schritt für Schritt. Jeder Handgriff wurde gezeigt und noch einmal genau erläutert. Wer ganz spezielle Fragen hatte, konnte ihn auch per Videochat kontaktieren und bekam freundlichen und geduldigen Rat.

Die Anzahl Abonnenten, die YouTube für die Monetarisierung verlangte, bekamen wir im Nu zusammen. Als nun Werbevideos eingeblendet wurden, wandten sich einige enttäuscht von uns ab. Aber wir investierten inzwischen viel Zeit in unseren Kanal und auch das Equipment kostete Geld. Nicht zu vergessen das ermüdende Schneiden und Aufspielen lizenzfreier Musik.

Nach Feierabend saß ich manchmal bis ein Uhr nachts vor dem PC und schnitt an den Videos herum. Manchmal war es dem Computer zu viel und er stürzte mittendrin ab. Wer behauptete, mit Videos Geld zu verdienen wäre leicht, der hätte dabei sein müssen. Ich erinnerte mich gut daran, wie ich einmal nachts um Viertel nach zwölf vor dem eingefrorenen Bildschirm saß, und heulte wie ein Schlosshund.

„Du hast noch nichts gegessen und musst jetzt dringend schlafen“, hatte Florian mitleidig gesagt und von hinten die Arme um mich gelegt.

Es war nicht das erste oder einzige Mal.

Aber dann kam die erste Überweisung der Werbeeinnahmen auf unser Konto, und die Arbeit machte wieder Spaß. Als unser Haus fertig war und wir sechsundvierzig Videos zum Thema Entkernen, Ausbauen, Renovieren hatten – das kürzeste fünf Minuten, das längste eine Stunde lang - wechselte ich zu Putz- Bastel- Dekorations- und Organisierungsvideos.

Als ich sah, dass diese genauso erfolgreich waren – vielleicht sogar noch erfolgreicher – kündigte ich bei Jens und machte die Videos hauptberuflich.

Florian freute sich, denn ich war wieder munterer und weniger gestresst, ich freute mich, weil ich endlich wieder ausgeschlafen war, und das Finanzamt freute sich auch, denn ich hatte natürlich ein Gewerbe angemeldet.

Noch begeisterter war ich, als der erste Hightech-Staubsauger ins Haus trudelte, den ich ausprobieren sollte und behalten durfte. Andere Firmen schickten spezielle Putztücher oder Reinigungsmittel und sponserten meine Videos.

Inzwischen war auch noch die Sparte Rezepte und Kochen hinzugekommen, denn ich besaß nun einen Slowcooker, auch Crockpot genannt und kochte vor der Kamera einfache und wohlschmeckende Eigenkreationen. Der Slowcooker wurde sowieso immer beliebter und die Videos bekamen viele Klicks.

Das Geld rollte so herein, dass Florian seinen Vollzeitjob in der Tischlerei zunächst auf einen 450-Euro-Job herunterschraubte und schließlich ganz kündigte. Er fuhr nun den ganzen Tag im Umkreis von zweihundert Kilometern umher und sammelte alte Möbelstücke ein, die er im Internet oder in der Zeitung fand. Er reparierte sie, schliff sie ab und lackierte sie neu. Oft genug hatte ich Ideen, wie man ein langweiliges Schränkchen aufmotzen konnte. Unser letztes Projekt, das ich natürlich auch mit der Kamera begleitet hatte, waren zwei alte Nachttischchen gewesen. Das Holz war noch völlig in Schuss.

Florian wechselte lediglich die Bänder in den Schubladen und schliff die Farbe ab, mehrere Schichten scheußlich-schönes Gelb. Dann kam ich ins Spiel. Ich ersetzte die schlichten Metallknäufe durch blaue zwiebelförmige Porzellanknöpfe und strich die Schränkchen mit weißer Kreidefarbe.

Die Platte wurde genauso blau wie die Porzellanknöpfe. Innen hatte ich Klebefolie angebracht. Sie war weiß, durchzogen von dunkelblauen Schnörkeln.

Das Endergebnis war so überwältigend, dass wir die Nachttischchen am liebsten selbst behalten hätten. Aber „Geschäft ist Geschäft, und Schnaps ist Schnaps“, pflegte Florian zu sagen. Das Video der „Transformation“ der Tische hatten wir hochgeladen. Es war wie immer im Zeitraffer, sonst wurde es dem Zuschauer zu langweilig. Am Ende erwähnte ich, dass wir die Tischchen verkauften.

Es stritten sich dreizehn Zuschauer darum. Daher bekam der Meistbietende den Zuschlag. Samstag wurden sie abgeholt.

Bis zu unserem nächsten Projekt hielt ich unsere Zuschauer mit dem Organisationsvideo von Florians Schublade bei Laune. Viel war es nicht, es würden kaum zehn Minuten dabei herauskommen. Dann putzte ich das Bad noch mit einem umweltfreundlichen Reiniger, der gestern per Post gekommen war.

Was das Putzen betraf, wurde es langsam eng. Daher beschloss ich, Ruth noch einmal auf den Sack zu gehen.

„Eberharth“, erklang die Stimme meiner Freundin.

„Hi, Ruth. Ist die Rufnummer nicht angezeigt worden?“

„Oh, Silke, hi! Nee, leider nicht. Komisch.“

„Eigentlich nicht. Flori deaktiviert sie manchmal.“

„Gehen euch eure Abonnenten wieder auf die Nerven?“

„Es muss ja transparent sein. Und die Nummer am Ende der Videos ist nur eine Handynummer. Flori ist da übervorsichtig. Ich glaube kaum, dass es schlimm wäre, wenn jemand unsere Festnetznummer hätte.“

„Transparent?“, fragte Ruth zweifelnd.

„Na ja, wer uns finden will, schafft das innerhalb weniger Minuten. So ist das eben, wenn man ein Gewerbe hat und sich in Videos der ganzen Welt zeigt.“

„Oh weh.“

„Nix oh weh. Bisher ist noch nie etwas passiert. Samstag kommen die Tische weg, und der Käufer kennt unsere Adresse. Na und? Der mit dem Tisch hat sich danach auch nie mehr gemeldet.“

„Trotzdem, ich finde das unschön.“

„Ist dein gutes Recht. Wie geht`s euch denn?“

„Och, der alte Trott. Jens ist unten, nahe Düsseldorf. Brandneue Heizungsanlage einbauen. Hat sich spontan ergeben.“

„Das ist doch gut!“ Ich streckte mich auf der Couch aus.

„Na ja schon, aber er arbeitet zu viel, denke ich. Wenn er mehrere Tage bleiben muss ...“

„Das hat Flori auch früher oft mitgemacht. Beim letzten Mal ist er mit seinem Chef nach München gegurkt, Montage in einem Restaurant. Da angekommen stellte sich raus, dass der Fußboden noch gar nicht drinnen war und sich das Ganze um mindestens vier Wochen verschiebt. Die Maler waren auch sauer. Stell dir vor, du mietest einen Lkw, kommst da an mit zwei Mitarbeitern, willst die Elemente einbauen, und dann ist noch nicht mal der Fußboden drin. Und keiner sagt dir Bescheid. Mann, war der sauer. Als der Auftrag endlich erledigt war, hat Flori gekündigt.“

„Deswegen?“

„Nein, wollte er schon früher. Aber er wollte seinen Chef nicht hängenlassen. Eigentlich war er nur auf 450-Euro-Basis beschäftigt, der Einbau war da schon weit drüber. ‚Ich komme mit dahin und baue ein und bleibe über Nacht, aber dann sind meine Stunden für diesen Monat voll‘, hat Flori gesagt. Der Chef guckte ganz doof. Ich bin froh, dass er da weg ist. Der hätte Flori Überstunden kloppen lassen, bis er ins Grab sinkt.“

„Ja, deswegen mache ich mir auch Sorgen wegen Jens. Aber kürzertreten will er nicht.“

„Du verdienst doch auch gut? Könnte er dann nicht eigentlich weniger arbeiten? Und Montagen so weit weg ablehnen?“

„Ich mache auch nicht mehr so viel. Das habe ich vorher zwanzig Jahre gemacht. Zum Schluss lief das wie am Fließband. Termin jagte Termin. Kaum hatte ich einen Kopf fertig, saßen da schon wieder zwei andere Kunden. Dann machte die Chefin keine Termine mehr, sondern man konnte Nummern ziehen. Da war fast keine Pause mehr möglich.“

„Auch das noch.“

„Ja, ich bin jetzt zufrieden. Mehr als drei bis vier Termine am Tag mache ich nicht mehr. Außer kurz vorm Schützenfest. Aber die paar hektischen Tage verkrafte ich noch.“

„Klingt gut. Ach, wo ich dich gerade am Rohr habe ...“

„Ja ...?“

„Wie du weißt, habe ich hier jeden Winkel beim Putzen gefilmt. Die Leute kennen das schon auswendig. Ich brauche neue Kulissen.“

„Ah. Und das soll unser Haus sein?“, fragte Ruth wenig begeistert.

„Es ist schön groß. Das wäre Material für mindestens zehn Videos. Oder ein großes ‚Clean With Me‘. Ich würde dir natürlich was abgeben.“

„Und was ist mit unserer Privatsphäre?“

„Was soll damit sein? Ich mache das natürlich, wenn ihr arbeitet. Und dein Schwiegerpapa wurstelt doch tagsüber sowieso im Garten rum. Wenn ich seine Wohnung ebenfalls putzen könnte, wären das sogar zwei Videos. Ich verrate keinem, wo das Haus steht, und filme es nicht von außen!“

„Was denn, mein Schwiegerpapa auch? Ob dem das recht wäre?“

„Er ist ein Mann. Was hat der mit Sauberkeit am Hut? Ich wette, er findet es am Ende richtig gut, dass für ihn jemand ordentlich putzt!“

„Hm. Ich weiß nicht. Warum fragst du nicht Maren?“

„Dann müsste ich schon drei Personen aus dem Haus scheuchen!“

„Na und? Wir sind doch auch zu dritt!“

„Bitte! Ich flehe dich an!“

„Ich denke drüber nach, okay? Jens muss auch zustimmen. Ist ja sein Haus.“

Ich verdrehte die Augen. Wie sollte irgendwer auf der Welt wissen, dass es das Haus von Familie Eberharth war, das ich putzte? Was gab es da groß zu überlegen?

„Okay, aber sag mir so schnell wie möglich Bescheid, bitte. Mir gehen die Locations aus.“

„Ja gut“, erwiderte Ruth, aber ich kannte sie. Das hatte sie schon einmal gesagt und die Sache dann einfach auf sich beruhen lassen.

„Mach doch ein Video darüber, wie du die leckeren Liebesknochen deiner Oma backst. Die mit der Zitronencremefüllung. Wenn du da nicht jede Menge Daumen hoch bekommst, dann weiß ich auch nicht“, schlug Ruth vor.

„Mensch Ruth, das ist eine prima Idee! Wenn Jens dich nicht schon geheiratet hätte, würde ich es jetzt tun!“, strahlte ich, „aber Sex gäbe es nur platonisch!“

„Platonischer Sex? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?“, lachte Ruth.

„Nicht bei uns, das zeige ich dir dann schon. Okay, ich muss jetzt aufhören und die Zutaten einkaufen. Ich schicke dir den Link, wenn ich fertig bin!“

„Mach das. Bis dann, meine platonische Geliebte!“

„Tschö, Schatzi.“ Ich warf das Telefon in die Ladestation und stürzte in die Küche. In Florians selbst gebautem Regal standen alle meine Kochbücher. Auch das von meiner Oma, geschrieben in Sütterlin. Ich suchte das Liebesknochenrezept heraus und schrieb mir die Zutaten ab. Sütterlin hatte mir mein Opa noch beigebracht, bevor er verstarb.

Tagsüber einzukaufen machte wirklich mehr Spaß als später, wenn sich alle nach Feierabend auf die Füße traten. Ich kam eine gute Stunde später beladen mit Lebensmitteln nach Hause.

Florian trat aus seiner Werkstatt, einem umgebauten Holzschuppen, als er mein Auto hörte. Ich freute mich immer, wenn ich auf unser Haus zufuhr. Es war wirklich toll geworden, das Fachwerk sah aus wie neu und die frisch gestrichenen Fensterrahmen mit den von Florian gebauten Läden dazu ... wunderschön.

„Na du? Ist der Kleiderschrank schon fertig?“ Ich gab ihm einen Kuss. Er nahm mir die schweren Einkaufstaschen ab. Wie immer lief er den ganzen Tag in seiner braunen Latzhose herum, denn still sitzen konnte mein Kerl praktisch nie.

„Nein, den zu schleifen, dauert sicher noch den ganzen Tag. Aber da habe ich ein Schnäppchen gemacht, das Ding ist sicher an die hundert Jahre alt. Den behalten wir selbst!“

„Gut, warum nicht. Ich mache gleich...“

„Du machst gleich große Augen, meine Süße“, unterbrach er mich und hielt mir mit dem Fuß die Tür auf. Er schleppte alles in die Küche und holte sein Tablet hervor. Neugierig stellte ich meine Taschen ab und sah ihm über die Schulter.

Er hatte den Posteingang unseres gemeinsamen E-Mail-Kontos offengelassen, sodass ich die E-Mail sehen konnte, die da an uns geschickt worden war. Beim Lesen wurden meine Augen immer größer.

„Echt ... wirklich? Ist das ernst gemeint? Nicht, dass das so etwas ist wie der Prinz, der mir sein Vermögen vermacht hat, und ich muss nur fünftausend Dollar für den Verwaltungsaufwand zahlen, um an die Millionen zu kommen.“

„Ich habe da eben angerufen, die meinen das wirklich ernst.“

„Ein dänischer Ferienhausanbieter lässt uns kostenfrei eine Woche da wohnen, wenn wir seine Häuser bewerben? Das wäre ja der Hammer! Ich war das letzte Mal als Kind da!“ Blaubeerbüsche, weit und breit Heide, Strand, Wasser ... Daran erinnerte ich mich noch.

„Wir haben doch seit dem Hauskauf und dem Renovieren, Garten anlegen und Videos drehen keinen Urlaub mehr gemacht. Meinst du nicht, das wäre etwas für uns?“, lächelte er.

„Ja, aber sicher! Ich mache ja schon aus Verzweiflung ein Video über die Herstellung von Omas Liebesknochen. Dafür müsste ich die Küche gleich noch aufräumen und putzen. Aber Videos über die Ferienhäuser, hm ... Wie sollen wir das aufziehen? Einfach in jedes Haus rein und davon schwärmen?“

„So ähnlich habe ich es verstanden. Wir werden ja sehen. Schließlich hast du ein großes deutschsprachiges Publikum, und die internationale Version wird auch immer beliebter. Wenn alle deine Zuschauer sich diese Videos ansehen, hat der ein gutes Geschäft gemacht. Für so wenig Geld so viel Reichweite, der hat einen guten Riecher!“

„Urlaub, das wäre was ... reicht denn eine Woche?“

„Mir nicht“, erklärte er sofort. „Deswegen habe ich am Telefon gerade schon nachgefragt, ob wir nicht länger bleiben können. Ich habe die Option auf noch zwei Wochen zu einem echt guten Sonderpreis. Na ...? Wie habe ich das gemacht?“ Er breitete die Arme aus und ich stürzte jubelnd hinein.

„Drei Wochen! Sonne! Sand! Meer! Sex! In jedem Zimmer des Hauses!“

„In jedem Zimmer? Na gut, dann aber verpflichtend!“, lachte er.

„Okay! Vorausgesetzt, ich darf meine Socken anbehalten. Ich kriege so leicht kalte Füße.“

„Abgemacht!“ Er küsste mich. „So, mach du dein Video, und ich schleife den Schrank fertig. Bis morgen will der gute Mann eine Antwort. Dann besprechen wir heute Abend, welches der drei Häuser wir nehmen. Ich schlage vor, das mit der Sauna. Dann haben wir da schon eine, bis ich unsere hier aufgebaut habe.“

„Okay, ich suche derweil meine geilsten Wollsocken raus. Damit du schon einmal in Stimmung kommst, du Hengst.“

„Rrrrr.“

Er ging und ich räumte die Lebensmittel ein.

Bester Laune putzte ich die Küche, denn in einem HD-Video möchte man keinen einzigen Fettspritzer an den Fliesen oder Kaffeeflecken auf der Arbeitsfläche sehen. Dann zog ich mich um, legte Make-up auf und machte mir die Haare. Gut aussehen muss man nämlich auch noch, wenn man diese Videos macht. Ich hatte mir auch eine Schürze umgebunden auf der „Silkes Home Sweet Home“ aufgedruckt war, denn wir waren so nach und nach ein Begriff geworden, zu einem der bekanntesten YouTube-Kanäle. Auch auf Instagram ging es rund.

Dann baute ich die Kamera auf und legte die Zutaten so hübsch wie möglich zurecht. Ich startete das Video dreimal neu, denn auch der erfahrenste Filmemacher verhaspelt sich mal.

Abends stellte ich die gebrauchten Schüsseln, Bretter und Bestecke in den Geschirrspüler, räumte das Mehl und die Blockschokolade weg und wischte gerade die Arbeitsflächen sauber, als mein Schatz verstaubt und verschwitzt ins Haus kam.

Wir sahen uns beide erschöpft an.

„Dusche und Lang-Tsu?“, fragte er nur und ich nickte heftig. Ja, Buffet beim Chinesen, der Himmel auf Erden. Kochen wollte ich nun auch nicht mehr. Es war schon fast acht Uhr.

Florian ging ins untere Bad, ich nahm freiwillig das obere. Zusammen duschen, klingt nämlich viel romantischer, als es ist. Wir hatten es einmal probiert. Einer bekam Wasser ab, der andere fror. Dann, beim Einseifen, stieß man sich gegenseitig die Ellenbogen in die Rippen. Nein, das war nichts für uns.

Als ich die Treppe hochstieg, bekam ich die Beine kaum hoch und die Luft blieb mir weg. Das war mir schon beim Einkaufen aufgefallen. Die Muskeln fühlten sich an wie Gummi. Ausgelutschtes Gummi. Hoffentlich war da keine Erkältung im Anmarsch. Keuchend erreichte ich den ersten Stock, holte mir frische Wäsche aus dem Schrank und taperte ins Bad.

Beim Chinesen häufte ich mir Berge von Reis, Krabben im Backteig und acht Schätze auf den Teller. Denn während des Videos hatte ich einfach vergessen, eine Pause zu machen und irgendetwas zu essen. Und abends um acht Liebesknochen, nee, herzlichen Dank. Jetzt hatte ich ein Loch im Magen, mir zitterten schon die Hände.

Ohnehin hatte ich in den letzten Tagen einfach mehr Hunger als sonst. Hoffentlich legte sich das wieder. Noch dicker wollte ich jedenfalls nicht werden, und Ruths Methode zur Gewichtsreduktion war mir momentan zu zeitintensiv. Außerdem kannte ich kaum jemanden, der mit mir zusammen so etwas durchgezogen hätte. Alleine hätte sie das jedenfalls nie geschafft, da war ich mir sicher. Und Jens mit seinem Appetit auf Deftiges war ihr da sicher keine Hilfe gewesen.

„Du kannst dich übrigens wieder kreativ ausleben. Nachdem Sarah sich erschrocken in Schweigen hüllt, hat mich eine gewisse Helena angeschrieben.“ Florian setzte sich mit einem Teller mit einem Haufen gebratener Nudeln und Pekingente mir gegenüber. Frisch geduscht und mit einer sauberen schwarzen Jeans und einem weißen T-Shirt bekleidet, sah er einfach zum Anbeißen aus. Was zu meinem Leidwesen auch andere Frauen im Restaurant schon bemerkt hatten.

Ich strahlte. „Ja? Oh, wie schön! Was schreibt sie denn?“

„Dass sie eine Woche in der Stadt ist und sich mit mir treffen möchte. In welcher Stadt hat sie zwar nicht gesagt, aber wer wird denn so kleinlich sein.“

Aus irgendeinem Grund bekam Florian öfters Spammails mit skurrilem Inhalt. Als besonders hartnäckig hatte sich Sarah erwiesen, angeblich aus Russland, die sich in eigenwilligem Englisch an ihn gewandt und ihm eine Eheschließung nahegelegt hatte. Anständig wäre sie, vierundzwanzig, hübsch und familienorientiert. Ja, Kinder wollte sie mit ihrem Ehemann, und das schnell. Jetzt musste nur noch der Ehemann her, dann konnte es losgehen.

Wir wussten sehr wohl, dass dahinter Netzwerke steckten, die Ahnungslosen das Geld aus der Tasche zu ziehen versuchten. Wenn man oft genug antwortete, sagte Florian, las irgendwann jemand die E-Mails. Bis dahin bekam man automatisierte Schreiben. Man hätte es ignorieren können ... aber ich war nun einmal ich.

Spaßeshalber hatte ich auf den „Antworten“ Button geklickt und mit Florians Einverständnis ebenfalls auf Englisch „Sarahs“ Interesse erwidert. Ja, so eine Ehe hätte ihre Vorteile! Ich als Mann erwartete auch nur wenig von meiner Zukünftigen.

Morgens um fünf aufstehen und meine Ziegenböcke melken sollte sie, das ganze Haus in Strapse putzen und mir abends ein fünfgängiges Menü servieren (ebenfalls in Reizwäsche), bevor ich dann im Schlafzimmer die Reitpeitsche auspackte. So und ähnlich antwortete ich „Sarah“ drei Wochen lang, bis irgendwer diese Mails tatsächlich las und wahrscheinlich vom Stuhl fiel.

Seitdem wollte Sarah Florian dann wohl doch nicht mehr heiraten, denn trotz flehentlicher Bitten meinerseits meldete sie sich nicht mehr.

Bei allem Spaß musste ich zugeben, dass eine gehörige Portion Wut in mir steckte, wenn ich solche Mails las. Florian war mit mir zusammen, aber danach fragten diese Abzocker ja nicht einmal! Und wie ich im Restaurant wieder einmal feststellen musste, war es anderen Weibern ebenfalls völlig wurscht, ob ein Mann gebunden war oder nicht! Heutzutage krallte sich jeder, wen er kriegen konnte!

Schlimmer waren entsprechende Kommentare auf YouTube. „Hübscher Kerl“ war da noch das Harmloseste. Alle Zuschauer wussten, dass Florian und ich zusammen waren. Trotzdem gab es recht viele Frauen, die ihn unverhohlen anbaggerten.

Ich reagierte auf diese Kommentare nicht, auch er nicht, aber die Wut setzte mir manchmal doch zu. Was dachten sich diese Tussis überhaupt? Was bildeten die sich ein?

„Ich habe übrigens Sven von unserer geplanten Reise erzählt. Er findet, dass wir unverschämtes Glück haben, und hat eine Bitte an uns.“

„Oh. Was will er denn?“

„Wir sollen Knut mitnehmen.“

„Knut? Aber wieso das denn?“

„Sven muss zur Fortbildung. Und wir haben doch jetzt die Gelegenheit. Im Ferienhaus sind Hunde erlaubt.“

„Och.“

„Hast du ein Problem damit? Dann sage ich Sven...“

„Nein! Ist schon ok.“ Ich kaute an meiner Unterlippe, als ich mir ein Eis vom Büffet holte. Die Verantwortung ... Ich mochte Hunde, aber Sven mochte mich nicht.

Florian und er waren beste Freunde, aber seit ich im Spiel war, hatte Florian kaum noch Zeit für seinen Freund gehabt. Die Wochenenden verbrachte er jetzt lieber mit mir und nicht mehr auf Festivals, in Discos oder beim Camping. Das nahm Sven mir übel. Und ich nahm Sven übel, dass er Florian vor Jahren zu einem gemeinsamen Puffbesuch überredet hatte.

Auch wenn es vor meiner Zeit war, was, wenn es Florian gut gefallen hatte? Seitdem er mir das erzählt hatte – arglos, als wäre es nichts Besonderes – schob ich schweres Kopfkino. Bestimmt hatte er sich was Junges, Hübsches und Schlankes ausgesucht ...

Dieses gegenseitige Übelnehmen war nicht gut. Florian stand immer hilflos zwischen bestem Freund und Partnerin. Deshalb steckte ich meistens zurück und gab nach, um nicht noch mehr Minuspunkte bei Sven einzufahren.

Nur wenn Florian Sachen sagte wie: „Ich würde gerne wieder mal mit Sven auf die Piste gehen“, schwoll mir der Kamm. Ich war überzeugt, dass Sven alles versuchen würde, einen Keil zwischen Flori und mich zu treiben. Einen Keil mit knackigen Brüsten und niedriger Hemmschwelle.

„Dann kann ich Sven also zusagen?“, fragte Florian noch mal, als ich mit meinem Eis zurückkam.

„Ja. Mach ruhig.“

Während ich mein Eis genoss und Florian eine Nachricht an Sven tippte, latschte so eine Tussi an unserem Tisch vorbei. Lange Haare, knallenge Jeans, tailliertes Top, jede Menge Make-up. Sie warf einen vielsagenden Blick auf mein Eis, dann auf mich, setzte ein triumphierendes Lächeln auf und sagte „Hallo“, zu Florian. Der sah irritiert auf und erwiderte „äh, Hi.“ Dann tippte er weiter.

Die Tussi suchte sich einen Tisch schräg gegenüber von uns aus und setzte sich. Von dort verschlang sie Flori mit den Augen.

„Du kannst ruhig rübergehen, wenn du willst“, zischte ich und schob meinen leeren Becher von mir. Eigentlich hatte ich mir noch ein Eis holen wollen, aber das war mir jetzt vergangen.

„Hä?“ Florian guckte mich verdutzt an und steckte sein Handy weg.

„Na die Ziege da, die will offensichtlich was von dir.“

„Na und? Ich will aber nichts von ihr.“

„Warum hast du dann ‚Hi‘ zu ihr gesagt?“

„Ich wollte nur höflich sein. Ich kenne die nicht mal.“

„Sie scheint dich kennenlernen zu wollen.“

„Ihr Problem. So, ich hole mir jetzt auch mal ein Eis!“ Er stand auf und ging zum Büffet. Die Tussi sprang tatsächlich auf und ging ihm hinterher!

Obwohl sie noch nichts gegessen hatte, ging sie zur Eistheke und stellte sich hinter ihn. Sie sprach ihn an. Er deutete mit der Kelle auf die verschiedenen Eissorten, erwiderte aber weder ihren Blick, noch lächelte er. Es war ihr egal. Sie quatschte ihn voll. Er schüttelte nur den Kopf, löffelte sich ein paar Kugeln in seinen Becher und wollte sich umdrehen. Da hielt sie ihm doch glatt ihren Becher hin!

Aber Florian dachte gar nicht daran, das Spielchen mitzuspielen. Er drückte ihr einfach die Kelle in die Hand und ließ sie stehen. Wütend warf sie die Kelle in den Wasserbehälter und stellte ihren Becher wieder ins Regal. Dann nahm sie sich einen Teller und ging zum Reiskocher herüber.

„Diese Schlampe!“, wütete ich, als er wiederkam und sich setzte. Er zuckte nur mit den Achseln.

„Die ist mir egal.“

„Die sieht doch, dass wir zusammen hier sind. Und die baggert dich vor meinen Augen an? Am liebsten würde ich der ein paar klatschen!“

„Beachte sie gar nicht. Sie hat wahrscheinlich einen Charakter zum Davonlaufen, deswegen ist sie alleine hier.“

„Das will ich meinen!“ Inzwischen war sie wiedergekommen, mit nichts außer Reis und Gemüse auf ihrem Teller. Auch beim Essen musterte sie ständig meinen Freund, der sich davon gar nicht stören ließ. Aber mein Blutdruck stieg und stieg.

Wechselbad und Scherbenhaufen

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