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Lisa: Der Verrat

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Manche fanden es sicher kindisch, was ich hier tat. Mochte sein. War mir egal.

Es war halb vier morgens und noch dunkel, feucht und kühl.

Ich schlich zur Haustür, stellte die Papiertüte davor ab, zog ein Feuerzeug aus der Hosentasche, und zündete den oberen, verdrehten Teil der Tüte an. Dann klingelte ich fünfmal hintereinander. Ein dunkler, befriedigend lauter Gong dröhnte durchs Haus. Ich drehte mich um und rannte davon.

Verborgen hinter dem Schuppen am Ende der Kuhweide, sah ich durch ein Fernglas blickend dabei zu, wie im Obergeschoss das Licht anging. Zuerst im Schlafzimmer, dann im Flur. Gabriel riss die Tür auf und nun würde er mit seinem Designerpantoffel die Flammen austreten – direkt in die Hundekacke, die ich zuvor aufgelesen hatte.

Fangfrisch sozusagen. Ha, ha.

Aber Gabriel, der instinktiv tatsächlich den Fuß hob, senkte ihn wieder, drehte sich um und verschwand im Haus. Nur Sekunden später kam er mit einem Feuerlöscher zurück und erstickte zu meiner riesigen Enttäuschung die Flammen.

Hinter ihm tauchte sie auf, Nicole. Sie hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund. Sie war vom Schlaf zerzaust und in einen seidenen Bademantel gekleidet. Den Gleichen in Dunkelblau besaß Gabriel auch.

Nur die angeekelten Gesichter der beiden verschafften mir etwas Befriedigung. Wenigstens stank es bestialisch, jedenfalls hoffte ich es.

Wie dumm bist du eigentlich, Nicole, dachte ich, das ist schon das dritte Mal, dass etwas Merkwürdiges passiert, und du fragst dich nicht, woran es liegen könnte?

Ihr Gesicht war hübsch. Kaum zu glauben, dass sie schon über fünfzig war. Gabriel sah man jedenfalls seine sechzig Lenze an. Das schmale Gesicht unter den gefärbten Haaren war faltig, mit tiefen Runzeln. Trotzdem hatte ich es mal geliebt.

Nun war es wütend, jenes Antlitz, das ich mir tatsächlich als Foto an die Wand gehängt hatte. Damals, als er mir noch schwor, mich zu lieben. Wir führten über sechs Monate eine Fernbeziehung. Er war ja beruflich so eingespannt, der Arme. Aber er gab mir seine Festnetznummer und ich konnte jederzeit anrufen. Er hatte eine Anrufweiterleitung aufs Handy geschaltet, wenn er nicht zuhause war.

Er machte oft Homeoffice, der Gabriel, und deswegen konnte ich ihn auch vormittags anrufen. Dass ich das jederzeit tun konnte, gab mir eine trügerische Sicherheit. Nie ging eine Frau ran.

Jetzt sah ich gespannt zu, wie Gabriel mit einer Schaufel und einem Besen bewaffnet aus dem Garten kam und die Überreste meines Brandanschlags entfernte. Durch den Löschschaum sah es vor der Haustür aus wie Sau.

Wenigstens hatten die beiden jetzt einiges zu putzen. Aber niemand war in die Kacke getreten. Im Großen und Ganzen war dieser Streich leider ins Wasser gefallen.

Aber es gab ja noch andere!

An den Schuppen gelehnt rauchte ich drei Zigaretten. Ich ließ mir Zeit dabei. Gabriel sollte kein Auto oben an der Scheune des Bauern abfahren sehen, und bestimmt stand er noch lange am Fenster und schaute böse in die Dunkelheit. So wie ich nun nachdenklich in den sternklaren Himmel sah. Schön wohnte er, so ländlich und still. Noch abgelegener als Ruth und Silke. Ich bevorzugte das Stadtleben. Er angeblich auch. Hatte er zuerst behauptet. Er hatte so viel erzählt, und das meiste war gelogen.

Aber Rache war süß.

Ich hatte schon dreimal den Weg hierhin gemacht und würde bald nach Hause fahren. Und mir mindestens einen Monat Zeit lassen, bis ich ihm den nächsten Streich spielte.

Ich trat die Zigaretten sorgfältig aus, es war ja so trocken. Dann steckte ich die Stummel ein.

Einen letzten Blick warf ich in Richtung Gabriels Haus. Alles dunkel. Aber schliefen sie wieder? Oder standen sie hinter der Gardine? Aber wer würde über eine halbe Stunde in die Dunkelheit gaffen? Außer mir, meine ich?

Ich stieg in meinen Wagen, der ebenfalls hier stand.

Ich zog die Tür ganz vorsichtig zu, betätigte die Zündung und zog eine Grimasse, denn so ganz leise ist das in einer lauen Sommernacht nicht. Dann zockelte ich ganz langsam den Feldweg hoch zur Straße, ohne Licht. Erst als ich abgebogen und vom Haus aus nicht mehr zu sehen war, schaltete ich die Scheinwerfer ein und fuhr in Richtung Autobahn.

Ich war Gabriel damals in der Cafeteria vom Krankenhaus begegnet. Es war überfüllt und deshalb war kein Tisch mehr frei. Ich winkte ihn an meinen.

„Das ist wirklich nett von Ihnen“, sagte er erleichtert. „Ist hier immer so viel los?“

„Nein, aber gut besucht ist es meistens.“ Ich bemerkte gleich seinen Charme. Jovial war er, man konnte sofort mit ihm reden. Schnell bereute ich, dass ich in Schwesterntracht und bequemen Gesundheitsschuhen vor ihm saß und mein Haar zu einem einfallslosen Pferdeschwanz gebunden hatte. Aber wer erwartete schon, nach so einem Tag einem interessanten Mann zu begegnen?

„Haben Sie Pause?“, fragte er und rührte ein Päckchen Zucker in seinen Kaffee.

„Nein, Dienstende. Aber heute brauchte ich einfach noch eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen. Vorher bin ich zu nichts gekommen.“

„Leider wird unterschätzt, wie überfordert unsere Pflegekräfte heutzutage sind. Zu meiner Zeit hatten die noch ein Röckchen an und trugen ein Häubchen auf dem Kopf. Und sie gingen zwischen den Zimmern umher, sie rannten nicht.“

„Das ist vorbei. Ich weiß manchmal nicht, wo mir der Kopf steht.“

„Verständlich. Es ist eine Schande, wie heruntergekommen unser Gesundheitssystem ist.“

„Ja. Das auch. Auf der gynäkologischen Station ist heute einfach der Teufel los, und zwei Kolleginnen sind krank. Naja. Kann man nichts machen. Es gibt eben so Tage. Sind Sie zu einer Untersuchung hier?“

„Ich? Nein. Mein Vater hatte einen Schlaganfall.“

„Oh, das tut mir leid.“ Der musste ja schon an die neunzig sein, dachte ich ironisch. Charmant war der Kerl mir gegenüber ja, er sah auch auf seine Weise gut aus und er hatte eine Ausstrahlung, die mich als Frau direkt ansprach. Aber dass er mindestens sechzig war, sah man ihm an.

„Danke. Er ist schon achtundachtzig, aber bis vor Kurzem war er noch rüstig. Das ist jetzt wohl vorbei.“

„Dann hatte er aber bis jetzt ein gutes Leben.“

„Ja, er war Lehrer. Gute Pension, kleines Häuschen ...“

Traurig rührte er in seinem Kaffee herum.

Wir schwatzten über eine Stunde. Offensichtlich hatte er es nicht eilig, zu seinem siechen Vater zu kommen. Und ja, am Ende des Gesprächs tauschten wir Telefonnummern aus.

Er rief mich abends an, wich Fragen zu seinem Vater aber aus. Er wäre schon länger bei uns im Krankenhaus gewesen und nach einer letzten Untersuchung sollte er bald entlassen werden. „Beladen mit Medikamenten“, wie der Gabriel es ausdrückte.

Ich war zu dem Zeitpunkt seit drei Jahren geschieden und hatte es irgendwie nicht geschafft, wieder einen Mann nahe an mich heranzulassen. Ich hatte einen guten, aber stressigen Job und wenig Zeit neben meinen Hobbys. Ich spielte Volleyball und machte gerne lange Wanderungen.

Zuerst war ich zufrieden, aber nach und nach wurde es zur Zumutung, in die leere Wohnung zu kommen. Niemand hörte mir zu, wenn ich etwas auf dem Herzen hatte, und niemand nahm mich in den Arm, wenn der Tag besonders schlimm gewesen war.

Gabriel schien es zu spüren, dass ich leichte Beute war. Er rief mich weiter an, schickte Nachrichten. Dann tranken wir noch einen Kaffee zusammen, gingen bald darauf ins Kino und schrieben uns E-Mails. Schnell wurden die vertraulich. Er war ebenfalls geschieden, schon viermal (das allein hätte mich warnen sollen), hatte keine Kinder und arbeitete doch tatsächlich beim Fernsehen. Allerdings hinter den Kulissen.

So ganz verstand ich zwar nicht, wie seine Tätigkeit bezeichnet wurde, aber sie umfasste, Schauplätze für Drehorte zu finden. Dafür war er dann in ganz Deutschland unterwegs. Wenigstens in dieser Hinsicht sagte er die Wahrheit, denn er verriet mir, dass einer der nächsten Krimis, die ich sonst nie ansah, im Harz gedreht werden sollte.

Es stellte sich heraus, dass dies tatsächlich der Fall war. Auch der Name des kleinen Dorfes stimmte. Er rief mich jeden Abend an oder schickte mir eine romantische Nachricht, wenn ich zu der Zeit am Arbeiten war.

Blöd war ich, man kann es nicht anders sagen. Diese Bildchen fand man binnen weniger Minuten überall im Internet, und ich freute mich so sehr, wenn ich mein Handy aus der Tasche zog und ein Glitzerbildchen mit einem geschnörkelten „Ich denke an Dich“ vorfand.

Nach nur sechs Wochen redete er von Verliebtheit, die er sich „so gar nicht mehr erhofft“ hatte. Und ich glaubte ihm. Er kam bald darauf wieder in meine Stadt und ich war so blöd, blind und verblendet, dass ich mit ihm ins Bett ging.

Nun gut, er war schon ganz schön schlaff für sein Alter. Seine Designerklamotten hatten es bis dahin gut verborgen.

Und ich hatte ihm meistens nur in die Augen gesehen. Da war so ein Schalk, ein Blick, der zärtlich, schwärmerisch und verschmitzt zugleich war. Ich legte vieles in diesen Blick, aber was dahinter verborgen lag, war verfault, roh und kalt. Das wusste ich zuerst zwar noch nicht, aber ich hatte immer gefunden (und verdrängt), dass darin auch Spott lag. Zu Recht, wenn man bedenkt, wie leicht ich ihm in die Falle ging.

Was mich bis heute sauer machte, waren die E-Mails und Anrufe, in denen er von unserer gemeinsamen Zukunft sprach. Heiraten wollte er mich, da er mich jetzt auf keinen Fall wieder gehen lassen würde. Er hatte mich ja erst so spät im Leben gefunden.

So schnell wie möglich sollte ich auch zu ihm ziehen. Er besaß ein Haus in einem kleinen Dörfchen, circa hundert Kilometer von mir entfernt. Er schickte mir auch kleine Päckchen mit Geschenken und DVDs mit den Fernsehsendungen, an denen er mitgewirkt hatte.

Die interessierten mich zwar nicht besonders, aber ich sah mir bei einigen den Abspann an, nur um seinen Namen zu entdecken. Es schmeichelte mir, dass ein Mann mit so vielen Verbindungen zu bekannten Persönlichkeiten mit mir zusammen war. Das konnte ich nicht leugnen.

„Was macht dein Mann beruflich?“

„Der arbeitet beim Fernsehen!“

„Was? Tatsächlich? Wow!“

Wie oft hatte ich mir solche Gespräche ausgemalt, ich dumme Kuh.

Und endlich gab es jemanden, der mir wenigstens etwas Trost spendete. Nach einem ganz besonders schlimmen Tag schickte er mir eine Sprachnachricht:

„Och, meine arme Kleine. Kopf hoch! Ich komme nächsten Freitag zu dir, dann muntere ich dich etwas auf.“

An diesem Tag war ein Kind geboren worden, das keine Überlebenschance hatte. Die Eltern hielten es im Arm und nahmen Abschied, bis es einschlief. Die ganze Station war in Tränen aufgelöst. Wie furchtbar musste es sein, nach neun Monaten ein Kind zu bekommen, das gleich wieder ging?

Die Frage stellte ich Gabriel auch. Er schrieb „das Leben ist leider voller Tragik“ zurück. Damit hatte er sicher recht. Trotzdem fand ich es etwas oberflächlich.

Er kam dann freitags. Ich hatte mir extra freigenommen, was nicht leicht gewesen war, und verbrachte den Tag mit ihm. Zumeist im Bett.

Schon nach unserer ersten Nacht, für die er extra ein paar spezielle Duftkerzen besorgt hatte, waren seine E-Mails und Telefonate nach und nach immer mehr sexuell geprägt. Ich dachte mir nicht viel dabei, denn er betonte häufig, dass er durch mich „sexuell erst wieder aufgeblüht sei“, denn er war wie ich schon länger Single.

Sechs Monate lief das so und ich schaute mich nach einer Stelle in seiner Nähe um. Denn er sprach nun davon, sein Haus zu renovieren.

„Bisher war das nicht so wichtig, aber jetzt, wo du zu mir ziehst, sollst du dich ja auch wohlfühlen.“

Er schickte mir Vorschläge für Tapeten, Bodenbeläge und Wohnlandschaften. Zudem beauftragte er mich, eine neue Küche zusammenzustellen. Stundenlang saß ich am Computer und schob mithilfe eines Küchenplaners Schränke mal hierhin, mal dorthin. Er war ganz begeistert, als ich die Entwürfe schickte.

„Du hast einen tollen Geschmack. Vor allem bei Männern, haha“, scherzte er. Wir hatten uns auf eine tiefrote Küche geeinigt, Parkett im Wohnzimmer und feinen Putz im restlichen Haus. Keine Tapeten.

Gabriel lebte in einem kleinen Dorf, aber in dreißig Kilometern Entfernung gab es ein Krankenhaus. Und da bewies ich meine ganze Blödheit: Ich bewarb mich dort und kündigte meinen Job.

Noch bevor ich eine Zusage aus der anderen Klinik hatte. Und dann bekam ich die Stelle dort nicht. Eine Katastrophe!

Ich hatte ihn überraschen wollen, daher wusste er von nichts. Ich bemühte mich die nächsten Wochen, ihm meine Niedergeschlagenheit nicht zu zeigen.

In der Nacht lag ich hellwach neben ihm und hörte ihm beim Schnarchen zu. Als er nach dem Frühstück wieder fuhr, denn ein ganzes Wochenende konnte er nie bei mir bleiben, setzte ich mich an den PC und schrieb fieberhaft Bewerbungen auf jede offene Stelle in Nordrhein-Westfalen. Denn in der Klinik meiner Heimatstadt wollte ich nicht mehr arbeiten.

Die Pflegedienstleitung hatte mir meinen überstürzten Abgang etwas übel genommen. Abends rief Gabriel an und ich bot ihm an, am nächsten Wochenende zu ihm zu kommen. Bisher hatte ich sein Haus ja noch nie gesehen.

„Ich dachte, du musst arbeiten?“, erklang es aus dem Hörer.

Dass ich nun keinen Job mehr hatte, wusste er ja nicht.

„Dieses Wochenende nicht“, murmelte ich verlegen.

„Tja, das ist ja schön ... aber ich bin gar nicht zu Hause, weißt du. Ich muss einen Drehort für eine neue Serie finden. Eine Arztserie.“

„Ach?“ Ich zweifelte keine Sekunde an seiner Aussage. Ich war geistig völlig weggetreten damals. Komplett gaga.

„Ja ... leider. Vielleicht ein anderes Mal.“

„Ja. Schade.“

„Ich komme in zwei oder drei Wochen wieder vorbei“, tröstete er. Ich erstarrte und umklammerte den Hörer.

„Drei Wochen? So lange?“

„Na ja, diese Serie wird eine internationale Co-Produktion. Die Zeit drängt. Ich werde ganz viel unterwegs sein.“

„Oh.“

„Aber dann bleibe ich bestimmt über Nacht bei dir.“

Toll, dachte ich.

„Hast du deinem Freund Bernie schon von mir erzählt? Wolltest du doch machen?“, fragte ich. Bernie, sein bester Freund und Kollege.

„Ja, habe ich. Er hat gelächelt und sich gefreut, dass ich wieder so glücklich bin.“

„Oh, schön“, erwiderte ich. Es klang aber genauso gestelzt wie die angebliche Co-Produktion, fand ich. Dabei sollte ich doch bald die Frau an Gabriels Seite sein. Nun ja, dann lernte ich Bernie eben erst kennen, wenn ich bei Gabriel wohnte.

Ich bekam zum Glück eine neue Stelle in dieser Zeit. Leider musste ich dafür umziehen, denn die Stadt lag 130 km entfernt. Eine neue Wohnung zu finden, war auch kein Klacks. Irgendwie bekam ich es hin und zog einen Monat später um.

Gabriel sagte ich zunächst nichts. Er hatte wegen dieser neuen Serie, die in Zusammenarbeit mit Frankreich und Belgien zustande kommen würde, fast gar keine Zeit.

Er rief auch nur noch selten an. Meistens gab es wenigstens noch ein paar Nachrichten und Bildchen am Tag. Trotzdem konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich zurückzog. Ich sprach ihn darauf an.

„Aber neeeeeeiiin, was denkst du!“, rief er sofort. „Ich bin doch nur voll im Stress!“ Er wirkte nun dermaßen gekränkt, dass ich mich sofort entschuldigte.

Er vertröstete mich auf den folgenden Monat.

Zwei Tage später fing ich in der neuen Klinik an. Es war eine private gynäkologische Klinik. Hier gab es keine Babys, die starben. Es wurden nur Gebärmutterablationen, Bauchspiegelungen und Gebärmutterentfernungen durchgeführt, auch Ausschabungen. Ich hatte zwar viel zu tun, denn die Frauen wurden wie am Fließband operiert, aber das Arbeitsklima war gut und der Stress hielt sich in Grenzen. Es gefiel mir hier besser als vorher.

Aber wie ich nun zu Gabriel ziehen sollte, war mir ein Rätsel. Er wohnte jetzt noch weiter weg als zuvor. Ich konnte keine 250 km Arbeitsweg bewältigen. Und meinen Job aufgeben, wie er mir ursprünglich vorgeschlagen hatte, weil er ja genug verdiente, wollte ich auch nicht. Nicht dass er davon noch sprach ...

Er hielt mich weiter hin und ich wusste nicht mehr, was ich ihm noch glauben sollte. Dann meldete er sich auf einmal gar nicht mehr. E-Mails, Anrufe, Nachrichten und SMS gingen ins Leere. Ich war besorgt. Er war nicht mehr der Jüngste und fuhr viel auf Deutschlands Autobahnen herum. Immer, wenn ich von einem Unfall hörte, wurde mir angst und bange.

Einen Herzinfarkt bei so viel Stress hielt ich auch nicht für ausgeschlossen. Was, wenn ihm etwas passiert war? Ich stalkte Bernies Profil in den sozialen Medien, denn der schrieb viel über sich und sein Leben. Sicher hätte er es erwähnt, wenn seinem besten Freund etwas zugestoßen wäre.

Nach drei Wochen war mir klar, dass Gabriel sich nicht mehr melden würde. Ich war ein Wrack. Aber den neuen Job durfte ich nicht verlieren und riss mich zusammen. Gleich zu Beginn der Schicht schob ich Gabriel und mein schmerzendes Herz bewusst beiseite.

Dann fiel der böse Schlag.

An diesem Morgen kümmerte ich mich um eine Frau, die eine Ablation der Gebärmutter an sich hatte vornehmen lassen. Ihr Name war Nicole.

Ich brachte ihr ein Schmerzmittel und begleitete sie auf die Toilette. Denn nach einer Narkose durfte ich sie nicht alleine lassen.

„Nicht abschließen, bitte“, sagte ich und beruhigte sie, als sie erschrocken sagte, dass sie nicht pinkeln könnte.

„Das ist nach einer Narkose manchmal so. Warten Sie, ich lasse Wasser laufen.“ Großmutters Tricks waren oft die Besten.

„Jetzt geht`s“, sagte sie erleichtert. Ich brachte sie zu ihrem Zimmer zurück.

„Sie dürfen gleich nach Hause.“

„Das ist schön. Zuhause ist auch jemand, der sich um mich kümmern kann.“

„Das wird kaum nötig sein. Nur bei einer Entfernung fühlt man sich längere Zeit schlecht, aber eine Ablation ist schnell vergessen. Ein paar Tage auf der Couch, dann geht`s Ihnen wieder gut“, tröstete ich.

„Umso besser. Ich konnte diese Menstruationsschmerzen einfach nicht mehr ertragen. Über dreißig Jahre habe ich mich gequält.“

„Das ist jetzt bestimmt vorbei. Soll ich Ihnen beim Anziehen helfen?“

„Danke, das wäre nett.“

Ich half ihr und band ihre Schuhe zu. Dann klopfte es an der Tür und meine Kollegin steckte den Kopf herein.

„Sie werden abgeholt, Frau Schmirna.“

„Oh, wie schön. Vielen Dank, Schwester Lisa. Ich habe mich bei Ihnen gut aufgehoben gefühlt“, lächelte sie und gab mir die Hand. Sie hatte Stil, nicht nur ihre Kleidung, die schick und teuer aussah. Ein strahlendes Lächeln, braune Locken, großer Busen. Gabriel hätte sie gefallen, dachte ich noch, bevor ich die Gedanken an ihn wieder in den Hinterkopf verbannte.

„Alles Gute“, wünschte ich und folgte ihr auf den Gang. Sie ging noch ein wenig wacklig auf den Beinen zur Anmeldung, wo ein Mann schon auf sie wartete. Er sah mich nicht. Zum Glück hatte er nur Augen für Nicole. Die er liebevoll in den Arm nahm. Ich blieb wie vor eine Wand gelaufen stehen.

Gabriel trug sogar die gleiche Jacke, die er damals anhatte, als wir uns kennenlernten.

Ich stand wie erstarrt auf dem Gang. Gabriel küsste Nicole auf die Stirn und verabschiedete sich, charmant lächelnd wie immer, von meiner Kollegin. Dann gingen die beiden zum Ausgang. Gabriel hatte ihr den Arm um die Schulter gelegt. So, wie er immer mit mir unterwegs gewesen war, wenn wir mal außer im Bett herumzuturnen, ein wenig spazieren gingen.

Die Tür fiel hinter den beiden zu. Ich musste mich am Tresen festhalten.

Ich weiß nicht mehr, wie ich den Tag herumbekommen habe, an dem ich in dieses Loch fiel. Irgendwie brachte ich meinen Dienst zu Ende und fuhr nach Hause. Dann ging ich in meine neue Wohnung und brach schluchzend zusammen.

Nun saß ich hier, in einer völlig fremden Stadt in einer kleinen, lauten Zweizimmerwohnung, zwischen noch nicht ausgepackten Kartons und in einer noch unvollständig aufgebauten Küche, und mein Gabriel war nie meiner gewesen.

Ich war hier gestrandet.

Ich kannte niemanden hier. Meine Freundinnen waren jetzt mindestens eine Autostunde entfernt. Meine Familie war in ganz Deutschland verstreut.

Zwei Brüder samt Familie lebten unten in Stuttgart und hätten gar nicht verstanden, was mir da passiert war. Sie hätten mich nur für blöd erklärt, weil ich für einen alten Lustmolch meinen Job aufgegeben hatte.

Und ja, ich war ja so blöd gewesen! Und das in meinem Alter! In zwei Jahren wurde ich vierzig und benahm mich wie ein dämlicher Backfisch!

Ruth hatte mir schon vorher prophezeit, dass ich das bereuen würde.

„Außer großen Versprechungen hat er doch noch nichts Konkretes gesagt, geschweige denn gemacht, oder?“, hatte sie mal kritisch gefragt. Und ich hatte sie ganz schön abgekanzelt. Wieso sollte mich ein Mann Anfang sechzig so dermaßen belügen? Das war mein Gegenargument.

Er hatte doch nichts davon. Nur Sex, aber den bekam er doch heutzutage an jeder Ecke. Wieso das ganze Trara zuvor?

„Das gibt ihm einen Kick“, meinte Ruth lapidar. „Mehr ist das sicher nicht.“

„In seinem Alter braucht der noch einen Kick? So ein Quatsch“, hatte ich gefaucht. Ruth war schon über zwanzig Jahre verheiratet, sie hatte von Männern ja sowieso keine Ahnung, dachte ich. Sie kannte doch nur Jens. Und der war eine gute, treue Seele.

Die nächsten Monate waren hart. Silke, Maren und Ruth beknieten mich, doch wieder zurückzukommen. Aber ohne Job? Meinen Alten bekam ich nicht wieder. Und falls doch, meine schöne Wohnung ganz sicher nicht. Für die hatten sich die Bewerber gestapelt.

Irgendwie kam ich durch. Ich hatte keinen Appetit mehr und hielt mich mit Smoothies und Traubenzucker über Wasser. Ich verlor in den folgenden drei Monaten fast zwanzig Kilo.

Zum Glück war ich vorher recht stämmig gewesen. Nicht so dick wie Silke, aber eindeutig zu mollig. Endlich Kleidergröße sechsunddreißig zu haben, war zwar ein schöner Nebeneffekt, aber ich war nur noch müde. Kümmerte mich nicht um meinen Haushalt. Hängte keine Bilder auf, rückte keine Schränke mehr an ihren Platz. Lebte aus Koffern und Kartons.

Meine Freizeit verbrachte ich auf der Matratze, die auf dem Boden im Schlafzimmer lag, denn das Bett aufzubauen, schaffte ich einfach nicht. Den Fernseher hatte ich hier auf den Boden gestellt und starrte hinein.

Außer Tee und Traubenzucker hatte ich fast nichts im Haus. In der Nähe der Klinik gab es einen kleinen Supermarkt, dort kaufte ich mir jeden Tag einen Smoothie und ab und zu eine Cola. Nach und nach schaffte ich täglich einen Energieriegel, und es war auch höchste Zeit. Ich spürte, wie dieses Fasten meine Konzentration beeinträchtigte.

Zum Glück war meine Kollegin im Bild und ließ mich meistens an der Anmeldung sitzen, anstatt dass ich mit Spritzen und Medikamenten hantierte.

Im vierten Monat, als ich wieder einen Feierabend mit meiner Glotzkiste verbrachte, stand ich mühsam von der Matratze auf und schlurfte ins Bad. Ich schaltete das Licht ein und sah zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder bewusst in den verschmierten Spiegel.

Ich erschrak zutiefst. Die Frau da vor mir war bemitleidenswert, eine Jammergestalt. Eine Vogelscheuche! Früher war sie einmal hübsch gewesen, jetzt sah sie aus wie eine müde, alte Frau. Viel älter als achtunddreißig.

Der schnelle Gewichtsverlust hatte die Haut erschlaffen lassen. Dunkle, fast schwarze Ringe prangten unter den traurigen Augen. Denn schlafen konnte ich auch höchstens zwei Stunden am Stück.

Die Mundwinkel hingen herunter. Mein Haar hätte schon seit Monaten einen Friseur gebraucht. Jeden Morgen band ich es einfach zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammen. Die Wangen waren vom Weinen aufgequollen, denn das tat ich immer, sobald meine Wohnungstür hinter mir zufiel.

Und das alles wegen eines Hallodris?

Ich beschloss, dass es so mit mir nicht weitergehen würde. Trauer wegen eines solchen widerwärtigen, feigen Subjekts? Es war an der Zeit, wütend zu werden. Und für Rache. Wieso sollte ich mir so etwas gefallen lassen?

Ich verließ das kleine, kahle Bad und sah mich um. Was würde Silke wohl hierzu sagen? Sie hätte in meiner kleinen Bude mindestens drei ihrer komischen Videos drehen können!

Ich hob den ganzen Müll auf, der aus leeren Traubenzuckertütchen, zerknüllten Taschentüchern, stinkender Zigarettenasche sowie leeren Flaschen bestand, und brachte alles in die Küche. Auch dort räumte ich auf und schleppte eine große Mülltüte runter in den Hof. Einen Sack hievte ich in die gelbe Tonne und eine Tasche voll Pfandflaschen stopfte ich in mein Auto.

Wieder oben saugte ich Staub, wischte Küche und Bad und suchte nach meinem Akkuschrauber. Dann stellte ich mein Bett auf.

Es war schon nach neun, daher putzte ich mir im Bad schnell die Zähne und nahm eine Schlaftablette, was ich bisher immer vermieden hatte. Aber ich brauchte meinen Schlaf. Ich ging zu Bett und nach etwas dreißig Minuten knockte mich die Tablette komplett aus.

Am nächsten Morgen ging es mir schon besser. Endlich hatte ich über acht Stunden durchgeschlafen! Ich duschte, zog mich an, machte mir einen Tee und fuhr zur Arbeit. An einer Bäckerei hielt ich kurz an und nahm mir zwei Rosinenbrötchen und einen Kaffee mit.

Auf der Arbeit nutzte ich eine Pause, um mir Nicoles Patientenakte anzusehen. Die Adresse war die gleiche wie Gabriels. Die kannte ich ja noch von den Päckchen, die er mir geschickt hatte. Mir fiel ein, dass im letzten Päckchen eine DVD mit Pornofilmen gewesen war. Es war wirklich klar, was er von mir gewollt hatte ... und was nicht. Jetzt konnte ich es sehen.

Wieso vorher nicht?

„Es geht mir wieder besser“, erklärte ich Miriam, die bemerkte, dass ich endlich mal ausgeschlafen und fit aussah.

Nun übernahm ich wieder alle meine Aufgaben. Entschlossen baute ich mein Leben hier auf. Genug getrauert, genug Selbstmitleid!

Nach der Arbeit ging ich einkaufen, brachte die Pfandflaschen weg und fuhr zu meiner Wohnung.

Dort räumte ich die Einkäufe weg, setzte mich an den Küchentisch und machte mir eine To-do-Liste für jeden einzelnen Tag. Kein Rumhängen mehr vor der Glotze, ich würde diese Liste abarbeiten. Dann wurde gezerrt, geschoben, geschraubt und ein Karton nach dem anderen entpackt.

Mein Nachbar half mir mit den Küchenschränken, die ich gebraucht gekauft, aber noch nicht aufgehängt hatte. Nach vier Tagen war die Bude eingerichtet.

Noch fühlte es sich nicht wie mein Zuhause an, aber das würde noch kommen.

Nun begann ich, meine Abende vor dem Laptop zu verbringen. Ich stalkte Gabriel. Und ich suchte nach guten Rachemöglichkeiten.

Schon am Wochenende fuhr ich die zwei Stunden in Gabriels Dorf und sah mich genau um. Mit dem Handy machte ich Fotos vom Haus und der Umgebung. Sein Wagen parkte in der Einfahrt. Ihn dort zu sehen, nachdem ich so oft darin gesessen hatte ... und nicht nur das, denn einmal im Wald hatten wir da drinnen auch etwas ganz anderes gemacht, wie Teenager.

Neben seinem Wagen stand ein kleiner Flitzer.

Ein typisches Frauenauto.

Den Schuppen hatte ich gleich entdeckt und dort mein Auto geparkt, nachdem es eine Stunde vor der Schützenhalle gestanden hatte. Das war nicht geplant und auch nicht gut, aber ich hatte auf den Straßen niemanden gesehen. Wahrscheinlich war keinem etwas aufgefallen.

Ich fuhr in die nächste Stadt und ging etwas essen und dann ins Kino. Erst nach Mitternacht fuhr ich zurück in Gabriels Dorf. Nun waren alle Fenster dunkel.

Trotzdem war ich vorsichtig und begnügte mich damit, Gabriels Gartenzwerg einen Strick um den Hals zu legen, und ihn im Garten am Apfelbaum aufzuhängen.

Eine Straftat war das Betreten seines Grundstücks zwar, aber ich glaubte nicht, dass die Polizei den versuchten Mord an einem Gartenzwerg aufzuklären gedachte. Sie würden es als Dummejungenstreich abtun.

Gabriel und Nicole vielleicht auch, aber die sollte ich in den kommenden Monaten eines Besseren belehren.

Tatsächlich geschah nichts. Fünf Wochen später fuhr ich wieder zu ihm und war etwas erschrocken, dass so spät noch Licht in einem Zimmer brannte.

Trotzdem zog ich meinen Plan durch und schüttete eine Packung Salz in das Blumenbeet, das ich das letzte Mal gesehen hatte. Wunderschöne Petunien standen darin.

Aber nicht mehr lange.

Nachdem ich die Petunien gekillt hatte, war mir der Einfall mit der Papiertüte und den Hundehaufen gekommen. Schade, dass es nicht so ganz abgelaufen war, wie erhofft. Müde bog ich auf meinen Stellplatz ein, froh, mir noch vom Bäcker ein Schokocroissant und einen Kakao mitgenommen zu haben.

In meiner Wohnung, die nun ein gemütliches Zuhause war, aß ich mein Frühstück und kuschelte mich ins Bett. Es war schon fast halb sieben. Nun hatte ich noch einen Monat Zeit, mir einen neuen Streich auszudenken.

„Wieso willst du immer da hinfahren? Irgendwann erwischt er dich. Schick ihm doch etwas“, schlug Ruth mir vor.

Da ich in den Monaten der Trauer kaum Geld für Essen ausgegeben hatte, hatte sich ein nettes Sümmchen auf meinem Konto angesammelt. Neue Kleidung und ein paar Eimer Farbe für die Wohnung hatte ich mir gegönnt.

Und ein Tablet.

Nun konnte ich mit Freunden per Video chatten. Nur leider war Ruth manchmal hoffnungslos altmodisch, deswegen hatte sie mich angerufen.

„Schicken? Was denn? Die Pest?“, fragte ich und zündete mir eine Zigarette an. Ich stand auf dem kleinen Balkon.

„Nein, nicht die Pest. Dir fällt schon etwas ein. Aber wieso willst du so viel Freizeit opfern?“

„Die Fahrerei geht schon ins Geld. Und ich bin danach immer sehr müde“, gab ich zu. „Ich will ja nicht immer Samstag Nacht da auftauchen, das wäre zu auffällig. Und wochentags, mit der Arbeit ...“

„Eben. Viel zu stressig.“

„Ich überlege mir was. Wie geht`s deinen Jungs?“

„Wenn du die unter fünfzig meinst, ganz gut. Leben ihr Leben ohne Mami. Jens ist schon wieder auf Montage, aber das ist nicht das Schlechteste. Er baut zusammen mit einer anderen Firma eine Heizungsanlage in einer neuen Berufsschule ein. Ein Riesenauftrag, bringt ihm sicher eine Menge Geld. Er sagte sogar etwas von Urlaub. Eine Kreuzfahrt wollten wir immer schon mal machen.“

Es gab mir einen Stich. Von einer Kreuzfahrt hatte Gabriel auf öfters gelabert.

„Na, das ist doch prima.“ Ich stieß einen Schwall Rauch in die Luft und trat gegen den leeren Blumenkübel, denn zum Bepflanzen war ich noch nicht gekommen.

Dieser Sack. Wann hörte es endlich auf, wehzutun? Wann erinnerten mich lächerliche Kleinigkeiten nicht mehr an ihn und unsere „Beziehung“?

„Ja, mal gucken. Nicht mehr lange bis zur Silberhochzeit, vielleicht fahren wir dann einfach weg. Ich habe keinen Bock auf dieses Tohuwabohu mit Feier, Geschenken und Gästen.“

„Hätte ich auch nicht.“

„Wann kommst du denn mal wieder vorbei? Wir vermissen unser Küken“, sagte Ruth. Ich seufzte. Ich hatte sie über Silke kennengelernt, denn mein Ex-Mann war ein Cousin von ihr. Sie hatte mich zu einem „Sauf- und Quatschabend“ mit ihren Freundinnen in der Kneipe mitgenommen. Alle anderen waren um die zehn Jahre älter als ich und manchmal bekam ich Ratschläge, die ich nicht brauchte. Oder wollte.

„Na ja, ich bräuchte einen neuen Haarschnitt“, gab ich zu.

„Dann komm doch Samstag, wenn du kannst. Ich wärme dir den Stuhl vor.“

„Könnte ich eigentlich machen. Es wäre wirklich nötig bei mir. Ich binde mit mittlerweile schon einen Zopf.“

„Du liebe Güte!“

„Weißt du was? Ich bin gegen zehn bei euch, wenn euch das passt.“

„Komm, wann du willst. Jens ist wie gesagt nicht da.“

„Was? Auch nicht am Wochenende?“

„Das wäre zu weit zu fahren. Den Stress will ich ihm nicht antun. Er hat auch nichts davon gesagt, also habe ich gar nicht erst gefragt. Wenn’s ihn nicht nach Hause zieht ...“

„Nun ja, bei den Benzinpreisen ist es wahrscheinlich vernünftig. Wer weiß, wie lange er Freitag noch gearbeitet hat. Dann kommt er spätabends nach Hause und muss Sonntagnachmittag wieder los, davon habt ihr doch nichts“, tröstete ich.

„Ja, genau. Außerdem sind wir seit tausend Jahren verheiratet, da ist seine Sehnsucht nicht mehr so groß. Ist ja auch nicht schlimm. Ich vermisse ihn zwar wahnsinnig, aber vielleicht tut uns das mal ganz gut. Er schreibt jedenfalls wieder etwas intimere Nachrichten. Nicht mehr nur so sachliches Zeug. Gestern hat er tatsächlich einen Kuss-Smiley hinter seine Nachricht gehängt.“

„Wow. Beeindruckend“, erwiderte ich trocken und drückte meinen Zigarettenstummel im Blumenkasten aus. Dann ging ich rein.

„Ja, der Hammer, was? Also, dann bis Samstag um zehn. Bring Brötchen mit, ich warte mit dem Frühstück, bis du da bist.“

„Alles klar. Bis dann, Figaro.“

Ruth lachte und legte auf.

Ich legte das Telefon beiseite und stand grübelnd in meinem Wohnzimmer. Das große Bild mit der riesigen Orchidee über der kleinen Couch munterte mich immer wieder auf. Auch Gabriel hatte es bewundert.

„Endlich eine Frau mit gutem Geschmack!“

Anscheinend hatte Nicole keinen. Jedenfalls nicht bei Männern.

„Was schicken, was schicken“, murmelte ich und setzte mich mit meinem Tablet auf die Couch. Dann kam mir ein Gedankenblitz und ich tippte eine Weile, rief Webseiten auf, verwarf einige und ließ drei offen. Dann gab ich bei zwei Gabriels Adresse an. Auf der Dritten die von Nicole.

Dann legte ich mein Tablet vergnügt beiseite, schaute mir im Fernsehen „der Rosenkrieg an“ und stellte mir vor, Michael Douglas wäre Gabriel. Bei manchen Szenen musste ich hämisch lachen, es tat richtig gut.

Noch schöner war der Gedanke, dass Gabriel in wenigen Tagen ein großes Infopaket zum Thema Erektionsprobleme und einen Flyer mit dem Titel „meldepflichtige Geschlechtskrankheiten“ erhalten würde.

Und Nicole bekam von einer Plattform, die gebrauchte DVDs verkaufte, die Filme „Boomerang“ mit Eddie Murphy, „fröhliche Ostern“ mit Jean-Paul Belmondo und eine Neuverfilmung von „Casanova“.

Wenn es da bei Nicole nicht klingelte, wusste ich auch nicht mehr weiter. Die gebrauchten Filme kosteten mich sechzehn Euro, aber das war es mir wert.

Ich stellte mir Gabriels dummes Gesicht vor und schlief an diesem Abend zufrieden ein.

Wechselbad und Scherbenhaufen

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