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Lisa: Der Morgen danach

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Nach einer unvergesslichen Nacht voller Leidenschaft wachte ich am nächsten Morgen neben Gabriel auf. Es war also doch kein Traum gewesen! Da lag er, die Decke um sich gewickelt und schnarchte.

Seine Schwester fiel mir wieder ein. Arme Nicole. Dass sie seine Schwester war, daran bestand kein Zweifel mehr. Ich hatte Gabriels Zehennägel gesehen. Sie sahen fast aus wie Krallen, so gebogen und gelblich. Keine Frau würde ihren Mann so dermaßen ungepflegt aus dem Haus lassen. Und er war vielleicht nicht mehr biegsam genug, sich seine Nägel selbst zu schneiden.

Erstaunlich, dass er trotz allem noch so potent war. Aber er trieb ja Sport. Je oller, je doller, sprach meine Oma in meinem Kopf. Da hatte sie wohl recht.

Verschlafen drehte er sich zu mir um und lächelte. Ich überlegte, was uns geweckt haben könnte. Da, da war es wieder: Das Telefon klingelte. Ich wälzte mich aus dem Bett und taperte ins Wohnzimmer.

„Hallo?“

„Hi, Lisa! Schläfst du etwa noch?“

„Ruth?“

„Ja. Ich warte seit einer halben Stunde auf dich. Wie mir scheint, wird das mit dem Frühstück nichts mehr, oder?“

„Oh Gott! Ruth, dich habe ich total vergessen!“

„Wie kommt`s? So was kenne ich von dir nicht, Lisa.“ Ihre Stimme war recht kühl. Ich schluckte.

„Also ... das wirst du nicht glauben“, wisperte ich in den Hörer, „aber gestern klingelte es an der Tür, und...“

„Gabriel?“

„Ja! Er hatte wahnsinnig viel Stress, und dann kam er zu mir, aber da wohnte keiner mehr, und dann fuhr er zum Einwohnermeldeamt...“

„Alles gestern?“

„Ja!“

„Wann ist er denn bei dir aufgeschlagen?“

„Na, nachmittags, ich war gerade zuhause, da...“

„Hat das Einwohnermeldeamt nicht ab Mittag schon zu?“

„Nein, freitags ist es bis drei Uhr offen.“

„Hm.“

„Ruth, sorry, wirklich. Ich bin seitdem im Ausnahmezustand...“

„Ja. Das kann ich zwar verstehen, aber ich befürchte, der verarscht dich doch nur wieder.“

„Nein! Diese Frau ist seine Schwester!“, raunte ich ins Telefon.

„Seine Schwester? Och, komm schon!“

„Nein, wirklich!“

„Ich fürchte, dir ist nicht mehr zu helfen, Lisa. Ruf mich an, sobald er weg ist. Wie ich ihn kenne, dürfte das in einer oder zwei Stunden sein. Dann geht`s ab, heim zu seiner ‚Schwester‘.“ Sie legte einfach auf. Puh. Ruth war heute aber merkwürdig drauf. Ich dachte, sie würde sich über die guten Nachrichten freuen.

Aber sie hatte unrecht. Bestimmt würde Gabriel nach dieser Nacht und unserer Versöhnung nicht in ein paar Stunden wieder fahren!

Ich stellte das Telefon in die Ladestation und Gabriel kam herein. Er trug seinen Bademantel aus Seide und setzte sich neben mich.

„Guten Morgen, meine Süße.“ Er gab mir einen schmatzenden Kuss.

„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“

„Ja, aber es ist recht laut hier.“

„Innenstadt halt.“

„Ja, ich weiß. Die Hotels, in denen ich war, sind auch ziemlich quirlig gewesen. Kann man hier irgendwo Brötchen holen?“

„Wenn du aus dem Haus rauskommst, gleich rechts die Straße runter.“ Das war zwar nicht der beste Bäcker, aber zu Fuß zu erreichen.

„Gut, dann hole ich welche, und du kochst Kaffee, okay?“ Ich lächelte und nickte. Er duschte kurz, zog sich an und verließ die Wohnung. In mir regte sich ein ungutes Bauchgefühl.

Meine neue Wohnung war nun einmal klein, deswegen hatte ich aus dem Wohnzimmer sehen können, wie er im Schlafzimmer sein Handy aus der Übernachttasche genommen und einen prüfenden Blick darauf geworfen hatte. Dann hatte er es in seine Jackentasche gesteckt. Wieso nahm er für die paar Minuten sein Handy mit?

Ich kochte Kaffee und deckte den Tisch in der Küche liebevoll mit allem, was ihm schmecken konnte. Wie er so von seinen Reisen sprach und wie er sich kleidete, das ließ auf einen weltgewandten und von Luxus verwöhnten Lebenswandel schließen. Ich wollte mir nicht blöd vorkommen mit meinem Camembert vom Discounter, auch wenn Gabriel bisher nie etwas Herablassendes gesagt hatte. Ein paar schöne Servietten motzten den Frühstückstisch hoffentlich etwas auf.

Er brauchte ungewöhnlich lange, um vom Bäcker zurückzukommen.

„Es war brechend voll“, klagte er, noch bevor ich ihn fragen konnte.

Wir setzten uns in die Küche und frühstückten. Es fühlte sich vertraut an, trotzdem regte sich auch jetzt mein Bauchgefühl. Ich spürte, dass etwas anders war. Ich hatte nicht mehr das Gefühl von emotionaler Nähe. Gabriel erzählte von seinen stressigen Monaten, von den Macken der berühmten Schauspieler und den Querelen mit den Behörden und Ämtern.

„Da wiehert der Amtsschimmel! Für eine ganz tolle Location bekamen wir einfach keine Drehgenehmigung, da half kein Bitten und kein Flehen.“ Er biss in sein Honigbrötchen.

„Wieso das?“, fragte ich.

„Ach, keine Ahnung. Irgendeinen dummen Grund fanden die immer.“ Er sah auf seine teure Armbanduhr.

„Ich muss leider gleich schon wieder fahren.“ Er sah mich traurig an. Ein Eiszapfen fuhr mir durch den Körper.

„Schon?“, hauchte ich entgeistert.

„Tut mir wirklich leid, aber ich muss noch heute nach Frankreich.“

„Was? So weit weg?“

„Einen Teil der Strecke fliege ich“, beruhigte er mich. „Aber dann geht`s mit dem Zug weiter. Morgen sehe ich mir eine alte, halb verfallene Kirche an, und Montag entscheidet sich, ob sie als Location infrage kommt. Der Zeitplan ist so was von eng gesteckt!“

„Das scheint mir auch so!“

„Ich mache es wieder gut. Dieses Mal lasse ich mein Schätzchen nicht so lange allein, versprochen.“ Er trank seinen Kaffee aus.

Trotz des engen Zeitplans nahm er nach dem Frühstück meine Hand und führte mich noch einmal ins Schlafzimmer. Danach zog er sich wieder an und griff nach seiner Übernachttasche. Ich warf mir ein T-Shirt über und brachte ihn zur Tür.

Er nahm mich in die Arme, und schon war ich wieder in einer anderen Welt, fühlte mich geliebt, beschützt und geborgen.

„Bis bald, meine Süße.“ Er gab mir einen zärtlichen Kuss. Dann sah er mir tief in die Augen.

„Ich melde mich!“

Ich glaubte ihm. In diesem Moment hätte ich ihm alles geglaubt. Ich lächelte ihn glücklich an. Er ging zum Aufzug, stieg ein und winkte, als sich die Türen schlossen.

Ich machte meine Haustür zu, lehnte mich einen Augenblick dagegen und dankte Gott dafür, dass Er ein Wunder getan hatte.

Dann zog ich mir eine Jogginghose an, nahm meine Zigaretten und das Telefon, und ging auf den Balkon.

Es tutete lang. Dann, endlich, hörte ich Ruths Stimme.

„Hi, Lisa. Er ist wohl weg, wie ich mir gedacht habe?“

„Ja. Noch mal, es tut mir total leid.“ Ich steckte die Zigarette an und nahm einen tiefen Zug.

„Na super. Aber du musst es ja wissen. Ist nicht weiter schlimm mit dem Frühstück. Es wäre aber besser gewesen, wenn du mir Bescheid gegeben hättest. Ich fahre nämlich weg, und wenn ich gewusst hätte, dass du heute doch nicht kommst, wäre ich gestern Abend schon weg gewesen.“

„Wohin wolltest du denn?“

„Nur raus hier. Ich habe das Gefühl, ich ersticke!“

„Nanu? Ist was passiert?“

„Ja, schon. Aber darüber rede ich nicht am Telefon.“

„Ach herrje ... weißt du was, dann komm du doch her! Ich zeige dir meine neue Wohnung und du erzählst, wo der Schuh drückt.“

Auf dem Balkon gegenüber hängte eine Frau Wäsche auf einen Turmständer. Die Fassade bröckelte schon. Im Hof grölten irgendwelche Teenager. Müllsäcke lagen neben den Containern. Weder Gegend noch Wohnung waren etwas zum Angeben, aber ich hätte Ruth gerne wiedergesehen.

Sie zögerte.

„Ach, das machen wir ein anderes Mal. Ich fahre in den Harz. In ein Wellnesshotel.“

„Boah, klasse! Mit Jens? Ist er wieder da? Ihr wolltet doch Urlaub machen.“

„Maren hat mir einen Gutschein gegeben, der wäre sonst verfallen“, wich sie aus. Ich runzelte die Stirn.

„Maren? Wo hat die denn so was her?“

„Sie hatte das Tim zum Hochzeitstag geschenkt, aber der hat wohl keine Lust. Und bevor er verfällt ...“

„Ja, na klar. Dann sollte ich dich besser nicht weiter aufhalten.“

„Nur kurz noch. Hat dein Gabriel dich jetzt endlich mal in sein Haus eingeladen?“

„Hm, nein. Aber...“

„Wenn die Frau seine Schwester wäre, dann könnte er ihr doch von euch erzählen, und du kannst ihn besuchen. Was ist schon dabei?“

„Er ist aber nicht da. Er fährt heute noch nach Frankreich.“

Ruth seufzte. „Mensch, Lisa ...“

„Dieses Mal wird alles anders! Er hat gesagt, noch mal lässt er mich nicht so lange allein!“

„Und dass er sich ewig nicht gemeldet hat, kann auf keinen Fall den Grund haben, dass er in der Zwischenzeit eine andere klargemacht hat?“

„Glaube ich nicht!“

„Warum hat er sich dann nicht mal kurz gemeldet? Ein verliebter Mann meldet sich immer irgendwie, und wenn er nur eine Nachricht vom Klo aus tippt.“

Ich lachte. „Vielleicht hatte er Angst, dass er aus Versehen den Videochat einschaltet.“

Nun lachte auch Ruth.

„Na gut, live vom Donnerbalken ist nicht so toll. Aber ich bleibe dabei. Da ist was faul. Und du hast ja noch ein ganz anderes Problem.“

Ich verschluckte mich am Rauch.

„Ich? Was denn für ein Problem?“, hustete ich.

„Na, du hast ihm doch monatelang all diese Streiche gespielt. Wenn du jetzt damit aufhörst, weiß er, dass du das warst. Eventuell hat er sich nur deshalb wieder bei dir blicken lassen.“

„Ähm...“

„Denk mal drüber nach, Lisa. Doof ist der nicht. Ich vermute, der macht das ganz oft. Nur bist du als Einzige unbequem geworden.“

„Heißt das ... dass ich heute da hinfahren und irgendetwas machen muss?“

„Wenn du nicht auffliegen willst.“

„Och nee, wieder das Wochenende fast im Eimer!“

„Du hast ja damit angefangen.“

„Na gut ...“

„Denk dir was Fieses aus. Ich muss jetzt gleich los.“

„Viel Spaß und Erholung, Ruth.“

„Danke. Mal sehen. Bis bald!“ Sie legte auf. Ruth war heute so barsch, fürchterlich. Aber sie hatte leider vollkommen recht, jedenfalls mit den Streichen. Ich rauchte eine zweite Zigarette und überlegte, was ich anstellen könnte. Aber es wollte mir nichts einfallen.

Absolut gar nichts.

Aber mein Hirn funktionierte nach drei Orgasmen auch nicht so gut.

Wechselbad und Scherbenhaufen

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