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Maren: Erinnerungen an N.Y.

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Als ich um kurz nach halb zehn nach Hause kam, war Tim wie immer im Keller. Ich erwog, mich noch eine halbe Stunde vor den Fernseher zu setzen, aber darauf hatte ich gar keine Lust.

Mein Blick fiel auf einen großen, gepolsterten Umschlag auf dem Tisch. Er war offen. Es stand zwar Amelies Name darauf, aber wenn sie Sachen auf den Wohnzimmertisch legte, dann durfte sie jeder ansehen. Wahrscheinlich hatte sie etwas für mich oder uns bestellt. Das machte sie häufiger.

„Das Internet macht vieles einfacher“, sagte sie dann, und meistens hatte sie gut gewählt. Es waren drei dünne Bücher darin. Neugierig sah ich mir die Deckel an: Fotobücher! Ich liebte es, Fotoalben durchzublättern. Aber die lagen jetzt auf dem Dachboden, komplett durchorganisiert. Anscheinend war Amelie mal wieder sehr feinfühlig gewesen und hatte die alten Bilder abfotografiert.

Eines der Bücher war von ihrem letzten Ausflug mit ihren Freundinnen, das legte ich erst einmal beiseite. Das sollte ich vielleicht gar nicht sehen. Aber die anderen beiden bestimmt: Das eine war voll mit Bildern von Tims und meiner Hochzeit. Auch das legte ich – mit gemischten Gefühlen, da Jörg mir im Hinterkopf saß – beiseite. Aber das Dritte ...

Es waren die Fotos, die wir in den Neunzigern in New York gemacht hatten. Diese Reise hatten wir uns zusammengespart. Da der Dollar damals sehr niedrig stand, hatten unsere Eltern den Rest übernommen.

„Jetzt oder nie“, hatten sie gesagt. Wir hatten unsere Ausbildungen abgeschlossen und eine Belohnung verdient. Wie jung wir gewesen waren!

Ich schlug das Buch auf. Sofort stürzten Erinnerungen auf mich ein: Wir waren morgens um vier aufgestanden und zum Bahnhof gebracht worden. Mein müder Vater hatte das getan.

Im Zug hatten wir abwechselnd Wache gehalten, damit wir den Bahnhof in Düsseldorf nicht verschliefen. Dann, am Schalter unserer Fluggesellschaft, hatte das Bodenpersonal keine rechte Lust, jedenfalls bewegten sich die Angestellten im Zeitlupentempo. Die Schlange wurde immer länger und wir immer nervöser. Als wir dann endlich drankamen und die Dame unsere Daten in den PC hämmerte, sagte sie: „Tun Sie mir einen Gefallen. Laufen Sie!“

Sie drückte uns unsere Bordkarten in die Hand und scheuchte uns quer über den Flughafen. Am Gate angelangt bekamen wir gerade so den Flug – allerdings den Nächsten. Den Ursprünglichen hatten wir verpasst.

Dafür hatten wir Glück im Unglück, denn es waren nur noch zwei Plätze in der Businessclass frei: Breite Ledersitze und Stewardessen, die uns strahlend jeden Wunsch von den Augen ablasen.

Wir bekamen Steaks auf echtem Porzellan, kein Plastikgeschirr und berauschten uns an den freien Getränken und Schälchen mit Nüssen.

Spätabends, fast nachts kamen wir völlig erschöpft in Newark an und wurden vom Transferbus in die Innenstadt von New York verfrachtet. Ich sah die berühmte Skyline bei Nacht, die erleuchteten Hochhäuser und das World Trade Center, damals noch mit beiden Türmen. Ein unvergesslicher Anblick.

Im Hotel übergab uns ein gelangweilt wirkender Angestellter unseren Schlüssel. Auf dem Gang unseres Zimmers entdeckten wir einen Getränkeautomaten. Völlig fertig bat Tim mich, ihm eine Cola mitzubringen, und zog unsere Koffer ins Zimmer. Ich besiegelte derweil die ewige Feindschaft mit diesem Automaten, denn der nahm Dollarscheine – und spuckte jeden sofort mit einem pikierten „Bzzz“ wieder aus.

Genauso wie die Amerikaner, die ich in den nächsten Tagen dabei beobachten sollte, strich ich den Schein glatt, redete beruhigend und freundlich auf den Apparat ein und schob gar zärtlich den Schein in den Schlitz.

„Bitte, bitte, bitte, lieber guter Automat, wir haben solchen Durst, wir sind seit Stunden unterwegs, bitte...!“

„Bzzzz.“

„Du blödes Scheißding!“

„Bzzzz!“

„Dämlicher Kackautomat!“

„Bzzzz!“

„Ach, komm schon!“

„Bzzzz.“

„Menno!“

„Flupp.“

Da endlich, ohne erkennbaren Grund – es war ja der gleiche Dollarschein – schluckte der Automat, nachdem er seinen Spaß mit mir gehabt hatte, meinen Schein und spie dafür laut rumpelnd eine Dose Cola aus.

Als ich in unser Zimmer kam, stand Tim am Fenster und starrte in die Tiefe. Er hatte den oberen Teil mit einem Hebel geöffnet, und nun drangen das Gehupe, die Sirenen und das Gebrüll der Angestellten der Tiefgarage, die sich unter uns befand, zu uns herauf.

New York schlief tatsächlich niemals.

„Dabei sollen wir schlafen?“, flüsterte ich entsetzt und reichte ihm seine Cola.

„Nein, das geht nicht. Aber die Luft hier drinnen ist schrecklich, und wenn man die Klimaanlage anmacht, kommt die gleiche verbrauchte, muffige Luft heraus, die man im Zimmer schon hat. Nur gekühlt. Wir lassen das jetzt offen, bis wir geduscht haben, und dann machen wir es wieder zu.“

„Einverstanden. Ob das überhaupt schon mal jemand geöffnet hat?“, fragte ich zweifelnd.

„Bestimmt nicht. Der Hebel ließ sich kaum bewegen und quietscht furchtbar.“ Dankbar nahm er seine Dose, öffnete sie und trank sie in fast einem Zug leer.

Er duschte als Erster und kam schnatternd zurück.

„Ruf mal an der Rezeption an. Da kommt nur kaltes Wasser raus.“

Ich wollte zum Telefon greifen, aber eine Idee hielt mich zurück.

„Lass mich mal.“ Er folgte mir murrend ins Bad, zweifelte ich doch die Diagnose eines frischgebackenen Mechanikers an. Ich drehte den Hebel der Dusche nach rechts. Wasser strömte aus dem Duschkopf. Kaltes Wasser.

„Siehst du? Ruf an, es sei denn, du willst auch kalt duschen. So wie ich. Ein ganzer Kerl.“

Ich bewegte den Hebel ein Stück zurück nach links. Das Wasser wurde wärmer. Ich lächelte. Tim schmollte.

„So ein dämliches Prinzip!“ Fröstelnd verließ er das Bad und ich duschte lang und warm mit den herrlich duftenden Shampoos und Duschgelen des Hotels.

Irgendwann morgens gegen halb zehn Ortszeit wachte ich auf und sah zu der großen Fensterfront. Wir lagen unter den Schichten aus Laken und etwas, das wie eine Tagesdecke aussah, aber wohl die Bettdecke war. Wie ich so zum Fenster sah, erschrak ich, denn das nächste Gebäude war nur wenige Meter von unserem entfernt. Es war ein Bürogebäude, in dem nun Menschen an Computern saßen und durch die Gegend liefen.

Es war so nahe, dass man wirklich alles gut erkennen konnte. Und unsere Fenster hatten weder Jalousien noch Vorhänge. Wie lange hatten uns die Angestellten da drüben wohl beim Schlafen beobachtet?

Beide hüllten wir uns in Laken und zogen uns im Bad an, denn so exhibitionistisch pflegten wir sonst nicht zu leben.

New York machten wir tagsüber zu Fuß unsicher. Vor allem an den Fußgängerampeln waren wir als Deutsche sofort erkennbar.

Denn wir blieben als einzige stehen, wenn sie „Don`t walk“ anzeigte. Keinem New Yorker wäre es eingefallen, sich von einer Fußgängerampel etwas sagen zu lassen. Sie betraten einfach die Fahrbahn und auch angehupt zu werden, war ihnen völlig gleichgültig.

Gleichgültigkeit wurde hier großgeschrieben. Niemand sah einem anderen ins Gesicht. Es sah sich auch niemand neugierig um, als mitten im Gewühl jemand anfing, eine religiöse Hymne zu singen. Die Gesichter waren abweisend und alle hasteten durch die Gegend. Uniformierte sammelten jeden Zigarettenstummel vom Bürgersteig und alle paar Meter stand ein Baum. So sauber und grün hatte ich mir die Stadt nicht vorgestellt. Dann bogen wir rechts ab und standen auf einmal in einem schmutzigen Slum mit löchrigen Gehwegen und verfallenen Gebäuden.

„Harte Kontraste“, raunte mir Tim zu und wir gingen schnell zurück zur 57. Straße.

Wir buchten eine nächtliche, geführte Tour und sahen Harlem, das nun zu einer ruhigen Wohngegend mit schönen Häusern geworden war. Und wir besichtigten das World Trade Center.

Mit einem speziellen Aufzug, der nur alle zehn Stockwerke hielt, rasten wir bis ganz nach oben, durften aber wegen des starken Windes nicht auf die Aussichtsplattform.

Aber auch hier war die Aussicht unglaublich. Ich zog sofort meine Kamera heraus und knipste.

„Die werden alle nix“, erklärte Tim sofort. „Dafür ist deine pupsige kleine Kamera nicht ausgerichtet. Da muss man mit Zeitverzögerung langsam belichten oder so ähnlich.“

„Klar werden die was! Bei so einem Lichtermeer“, protestierte ich und knipste weiter. Leider behielt er recht. Nur auf einem einzigen Bild sah man ein paar verwaschene bunte Lichtpunkte, die anderen waren schwarz.

An diesem Abend schloss ich das World Trade Center in mein Herz und war todunglücklich, als ich es Jahre später im Fernseher einstürzen sah. Tim hatte tröstend den Arm um mich gelegt und war genauso erschüttert gewesen wie ich. Ich hatte auch ein paar Aufnahmen der Türme am Tag gemacht und vom Straßenschild der Wall Street.

Und viele, viele Fotos aus dem Central Park. Tim auf diesem Felsbrocken stehend, Tim auf einer Bank sitzend, Tim eines der zahmen grauen Eichhörnchen fütternd. Ich blätterte und blätterte.

Ganz am Ende hatte Amelie das beste Foto auf die ganze Seite drucken lassen: wir beide, geknipst von der Reiseleiterin vor dem Lincoln-Center. Wir hatten uns vor den Springbrunnen gestellt und Tim hatte den Arm um mich gelegt. Wir lächelten so glücklich auf diesem Bild. Und jedes Mal, wenn der Springbrunnen in einem Film auftauchte, riefen wir: „Da! Da waren wir!“, bis Amelie es nicht mehr hören konnte.

Die Tür ging auf und ich zuckte heftig zusammen. Tim kam herein, die ältere Version. Es fiel mir jetzt noch stärker auf, dass er nicht mehr dieses zärtliche Lächeln im Gesicht und auch nicht diesen verträumten Ausdruck in den Augen hatte, wenn er mich ansah. Die Jahre stürzten auf mich ein wie ein eiskalter Hagelschauer.

Tim setzte sich in den Sessel und nahm einen Apfel. Einer aus dem Garten von Silke und Florian, die ihre Ernte großzügig verteilt hatten.

„Was machst du denn hier?“, entfuhr es mir.

„Ich esse einen Apfel. Oder darf ich das nicht“, muffelte er zurück.

„Doch. Ich wundere mich nur. Normalerweise sitzt du doch den ganzen Abend unten und ... kommst nur zum Schlafen wieder hoch.“

„Ja und? Ist das schlimm?“

„Nein! Ich sage nur, dass es ungewohnt ist.“

Ich hob das Fotobuch, sodass er es sehen konnte.

„Guck mal, was Amelie da gemacht hat. Toll, oder? Willst du mal gucken? Die schönen Fotos? Und die Bildqualität ist super. Weißt du noch? Wir zwei in New York?“

Er zuckte nur mit den Schultern.

„Jetzt nicht.“

„Schade, ich fand die Reise klasse. Das war richtig toll damals, oder?“

„Hm.“

„Tja. Dann eben nicht. Gehst du wieder runter? Oder willst du fernsehen?“

„Nee, ich gehe gleich ins Bett.“

„Nicht mehr runter? Das wundert mich.“

„Mein Computer spinnt“, gab er zu. „Stürzt dauernd ab.“

„Vielleicht ein Virus. Soll ich mal gucken?“

„Nee, lass mal“, wehrte er heftig ab.

„Tja, Safer Sex wäre eben auch am Computer ratsam.“

Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.

„Hä? Was sollen diese ständigen Andeutungen eigentlich?“ Er legte seinen angeknabberten Apfel auf den Tisch und starrte mich böse an.

„Ich habe dich nun mal gesehen. Mitten im Geschehen. Schrubbeldiwubbel.“

„Äh ... wann war das?“

„Vor ein paar Monaten. Ist das wichtig? Die beiden Blondinen mit der Salatgurke, wenn du es genau wissen willst. Vielleicht spielen sie ja jetzt mit Flaschenkürbissen rum, passend zur Jahreszeit.“

Verlegen senkte er den Blick und kaute an seinem Bärtchen herum.

„Was ist schon dabei“, murrte er.

„Nichts. Zerr ruhig weiter an ihm herum.“

„Na von dir kommt ja ewig nichts mehr, was soll ein Mann da machen.“

Nun sah ich rot.

„Ich?! Du bist doch derjenige, der mich seit Jahren nur noch als bessere Putzhilfe sieht!“

„Irgendwann gibt man halt auf!“

„Ach, du gibst auf? Ich habe mir immerhin am Hochzeitstag noch Mühe gegeben, dir war das da längst egal!“

„Der bedeutete doch schon nichts mehr, Maren“, sagte er auf einmal ganz ruhig und sachlich. Mein Herz fing an, heftig zu pochen. Wenn er so war, dann war das schlimmer als schlechte Laune oder Wut. Ich kannte ihn ja. So neutral redete er sonst nie.

„Was meinst du damit?“, fragte ich alarmiert.

„Nur, dass wir schon lange nebeneinanderher leben.“

„Ja, ich weiß. Nur, was können wir dagegen tun?“

„Keine Ahnung. Ist mir aber auch nicht mehr wichtig, wenn ich ehrlich bin.“

„Nicht mehr wichtig?“ Ich begann zu schwitzen. Wusste er etwa von Jörg?

„Nicht mehr so richtig, nein.“

„Äh, ja ... und was jetzt? So weitermachen wie bisher? Sollten wir nicht eine Eheberatung machen oder so etwas?“, fragte ich mit Lippen, die sich taub und kalt anfühlten. Was ging denn hier auf einmal ab?

„Ach, darauf habe ich keine Lust. Die können mir doch keine Gefühle herbeireden, die ich in der Form nicht mehr habe.“

„Was meinst du damit?“, flüsterte ich. Ich wusste, was nun kam. Aber es traf mich trotzdem wie ein scharfes Schwert mitten ins Herz.

„Ich sage, dass ich keine Gefühle mehr für dich habe.“

„Du liebst mich nicht mehr?“

„Nein.“ Seine Augen waren flach und ausdruckslos, als er mich ansah.

Ich hatte vor Jahren mal „Vom Winde verweht“ gelesen und nun erinnerte mich Tim fatal an Rhett Butler, der Scarlett klarmachte, dass er für sie nichts mehr empfand. Was für ein Mist war das? Lag es am schwarzen Schnauzbart? Hörten Männer mit Schnauzbärten irgendwann auf, ihre Frauen zu lieben?

Ich sank in die Couch zurück und starrte meinen Mann an, mit dem ich so viele Höhen und Tiefen durchgemacht hatte.

Die Reise nach New York hatte uns einander näher gebracht, aber die Zeit danach fest aneinandergeschweißt. Amelies schwierige Geburt, ihre Krankheiten, gemeinsam aufgewischtes Erbrochenes und gewechselte Windeln, der Hauskauf und das jahrelange Abstottern, finanzielle Engpässe, Streitereien und Versöhnung, weil wir es nicht ertrugen, wenn der andere böse war, gemeinsames Lachen und Spielen mit der Kleinen, Weihnachten und Geburtstage, Kuscheln auf der Couch und liebevoller Sex.

Und jetzt war all das vorbei.

Er liebte mich nicht mehr. Das raubte mir sämtliche Kraft. Wenigstens seiner Liebe war ich mir immer sicher gewesen. Sie hatte mich gestärkt. Jetzt war ich auf einmal nur noch ich selbst, ohne meine andere Hälfte.

Es war, als hätte mir jemand auf einmal alle Luft aus einem Schwimmring gelassen und ich sank und sank. Etwas in mir zerbrach.

Wir blickten uns an. Seine Augen blieben flach und ausdruckslos. Schließlich hob er die Schultern und seufzte.

„Was soll man machen, es ist nun einmal so.“

„Und ...“ Ich schluckte. „Und wie soll es weitergehen?“

„Von mir aus so wie bisher. Wenn wir uns trennen, müssen wir das Haus verkaufen. Das wäre doch bescheuert. Was wir an Arbeit und Geld reingesteckt haben, bekommen wir sowieso nicht mehr raus.“

„Na, das hast du dir ja fein überlegt!“

„Wenn wir uns trennen, ist das für Amelie und mich schlimm. Ich sehe sie dann nicht mehr so oft.“

„Ah, deshalb also. Tja, sie ist sowieso praktisch erwachsen und wird sich bald kaum noch hier sehenlassen. Was ist, wenn du oder ich neue Partnerschaften eingehen? Hm?“

„Das müssen wir dann sehen. Eventuell müsste ich dann einen Kredit aufnehmen und dich auszahlen.“

Ich glotzte ihn dümmlich an.

„Du planst das also schon länger?“

„Ich habe überhaupt nichts geplant. Ich habe nur nachgedacht, wie wir das machen könnten. Ich war ja auch noch gar nicht sicher, ob wir das nicht vielleicht doch wieder hinkriegen könnten. Aber ich habe festgestellt, dass da bei mir einfach nichts mehr ist. Und da habe ich mal etwas nachgeschaut, was im Falle einer Trennung zu beachten wäre.“

„Wie lange geht das schon? Dass du das gemerkt und dich innerlich verabschiedet hast?“

Er überlegte. Er überlegte recht lang, fand ich.

„Ich denke, schon seit mindestens zwei Jahren. Ja, ich hätte etwas sagen müssen. Aber ich war mir ja noch nicht im Klaren darüber, wie sich das entwickeln würde. Ich wollte die Pferde nicht scheu machen.“

„Hättest du denn überhaupt etwas gesagt, wenn ich jetzt nicht nachgefragt hätte?“

„Irgendwann schon.“

„Aha. Toll.“

„Tut mir leid, Maren. Es war weder geplant noch absichtlich. Es ist einfach passiert.“

„So was passiert nicht einfach so! Da muss man sich vorher schon vernachlässigt haben!“

„Das haben wir. Beide. Wir haben beide viel und lange gearbeitet, da ist vieles auf der Strecke geblieben.“

„Das tun andere auch und lassen sich trotzdem nicht scheiden!“

„Viele lassen sich scheiden. Und das Auseinanderleben durch den Alltag ist mit Sicherheit der Hauptgrund.“

„Der Hauptgrund ist wohl eher Fremdverlieben. Ist da was?“, forschte ich und sah ihm direkt in die Augen.

„Nein“, erwiderte er, „aber ich fange an, mich umzuschauen.“

Das war ein weiterer Schlag in die Magengrube.

„Ich komme mir vor wie im falschen Film! Du trägst das so mit dir herum, schon seit Jahren, und jetzt...“

„Du tust so, als ob mir das alles schon ewig bewusst ist, aber dem ist nicht so. Das geht phasenweise.“

„Dass du mich nicht mehr liebst und dich umsiehst, wie lange ist das schon so?“

„Meinst du, ich hätte da ein Datum im Kopf? Eine Weile.“

„Aber dass du nichts sagst, dass...“

„Wie stellst du dir das vor? Dass ich mich vor dich hinstelle und sage: Ich liebe dich nicht mehr, Maren?“

„Das wäre ehrlicher gewesen!“

Wieder hob er die Schultern.

„Dann bin ich eben unehrlich. Ich wollte dir nicht wehtun oder so etwas. Du hast das Gespräch darauf gebracht und nun habe ich es eben gesagt. Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll. Von mir aus können wir erst einmal so weitermachen, so als Wohngemeinschaft.“

„Ich glaube das alles einfach nicht!“

„Tut mir leid, dass es so gelaufen ist. Ich schlafe heute Nacht wohl besser im Keller.“ Er stand auf. Ich sprang ebenfalls auf, griff nach meiner Handtasche, und stürmte zur Tür.

„Wo willst du denn jetzt noch hin?“, fragte Tim verdutzt.

„Mich auch umsehen!“, keifte ich und schlug die Tür zu.

Ich fuhr mit dem Auto ziellos durch die fast menschenleere Stadt. Als ich anhielt, stand ich vor Jörgs Fahrschule. So ganz ziellos war ich wohl doch nicht gefahren.

Ich kämpfte mit mir, ob ich aussteigen sollte.

Es brannte nur das Licht im Fenster, das sein Logo beleuchtete: Fahrschule Blinker – immer benutzen!

Darunter standen die Schulungstermine. Heute war keiner davon. Was wollte ich hier? Er war doch nicht da!

Dann sah ich am Gebäude hoch und machte große Augen: Oben, in dem kleinen Stübchen mit dem Bett, brannte Licht. Die Rollläden waren zwar heruntergelassen, aber durch die Schlitze drang Licht. Gedämpftes Licht.

Mein Herz schlug schneller. Er lag garantiert nicht da oben und las ein Buch. Einen Fernseher gab es dort auch nicht, nur eine Kommode mit Sextoys. Die wir, wie ich zugeben musste, ausgiebig benutzt hatten. In einer Schublade lagen Kondome. Sehr, sehr viele.

‚Was denkst du dir eigentlich?‘ schalt ich mich selbst, ‚dass du die Einzige bist, mit der er es macht? Er hat doch gesagt keine Gefühle, nur Spaß.

Natürlich hat er da oben eine, was denn sonst? Dumme Kuh, Maren, das bist du. Vielleicht wäre ja doch noch was zu retten gewesen, aber du hast dich monatelang vom Blinker benutzen lassen, nicht umgekehrt. Und darüber deine Ehe vergessen.‘

Ich ließ meinen Kopf auf das Lenkrad sinken und zitterte.

Wechselbad und Scherbenhaufen

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