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Silke: Was in Assen passiert, bleibt in Assen

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Nach einem weiteren fast schlaflosen Wochenende saß ich Montag um ein Uhr vor dem Behandlungszimmer meiner Gynäkologin. Das Wartezimmer war inzwischen leer und die Tür stand offen. Ich war die letzte Patientin vor der Mittagspause.

Zu meiner Überraschung war Maren nicht da, aber ihre Kollegin hatte Gott sei Dank keine Probleme gemacht, als ich sagte, ich wolle kurz die Ergebnisse besprechen. Flori war in seinem Schuppen am Werkeln, aber komischerweise vor zehn Minuten online gewesen. Seit der Tussi beim Chinesen hatte ich etwas Angst.

Was, wenn die ihm doch am Büffet ihre Nummer zugesteckt hatte? Und so, wie die aussah ... wer konnte da schon widerstehen?

Die Tür zum Behandlungsraum öffnete sich und eine ältere Dame schlurfte heraus. Nun würde es ja nicht mehr lange dauern.

Tatsächlich kam schon bald die Ärztin aus dem Zimmer und setzte sich auf den Stuhl neben mich.

„Hallo, Frau Perschke. Die Ergebnisse sind da. Sie haben einen Progesteronmangel.“

„Oh! Und davon kommt das alles?“

„Ihre Symptome waren typisch dafür. Tja, das bedeutet allerdings leider auch, dass Sie in die Vorstufe der Wechseljahre eingetreten sind.“

„Wechseljahre? Aber ich bin doch erst dreiundvierzig?!“

„Ab vierzig kann man damit rechnen. Wenn Sie früh Ihre erste Periode hatten ...“

„Mit elf!“

„Sehen Sie. Früh angefangen, früh fertig damit. Aber keine Sorge, das kann man alles gut behandeln. Sie bekommen von mir Kapseln mit natürlichem Progesteron. Und zwar nehmen Sie die vom zwölften Tag nach Ihrer Periode vierzehn Tage lang. Der erste Tag der Periode ist Tag eins. Soll ich Ihnen das aufschreiben?“

„Nein, danke. Das kann ich mir merken.“

„Gut, dann holen Sie sich Ihr Rezept an der Rezeption ab, und dann machen wir in einem Monat einen Termin und sehen mal, wie es Ihnen damit geht.“

„Da ... da sind wir noch im Urlaub“, murmelte ich.

„Oh, wie schön! Wo geht`s denn hin?“

„Dänemark.“

„Prima, dann gute Erholung. Kommen Sie gleich nach dem Urlaub wieder rein. Mit dem Progesteron werden Sie auch wieder fit sein.“

„Okay, danke.“

Sie gab mir die Hand und verschwand hinter ihrer Tür. Ich ließ mir das Rezept aushändigen und ging zur Apotheke und dann zum Auto.

Zuhause angekommen, eilte ich sofort in die Werkstatt. Der Geruch nach Holz hatte etwas Beruhigendes. Flori hatte den Kleiderschrank komplett abgeschliffen und bearbeitete nur noch ein paar der Rundungen mit etwas feinem Schleifpapier.

„Hey! Und? Was sagt die Ärztin?“

Ich erklärte es ihm. Auch er schien etwas entsetzt.

„Wechseljahre? Du? Jetzt schon? Ich dachte, das geht erst so ab Mitte fünfzig los?“

„Ab vierzig kann es losgehen, sagte sie“, schniefte ich. „Mensch Flori, ich werde alt! Ich habe mich bisher noch kein bisschen anders gefühlt, und auf einmal bin ich alt!“

Er nahm mich in die Arme und knuddelte mich durch.

„Du bist doch nicht alt! Nur Kinder kannst du keine mehr kriegen, und wir wollten doch sowieso keine.“

Nun ja, Flori wollte keine, er hatte schon eine Tochter, die den Kontakt zu ihm abgebrochen hatte, weil ihre Mutter sie gegen den Vater aufgehetzt hatte. Nur für Unterhalt war er noch gut genug.

Ich hätte schon ganz gern eins gehabt, aber nach Maik ... und Flori war erst in mein Leben getreten, als das Thema altersmäßig quasi abgeschlossen war. Ich fand immer, mit vierzig sollte man mit der Familienplanung durch sein.

„Schon“, gab ich zu, „aber es ist eine Sache, kein Baby zu wollen und eine andere, keins haben zu können.“

„Wahrscheinlich“, stimmte er zögerlich zu. „Für euch Frauen ist das bestimmt schwierig.“

„Ja, na sicher. Ihr könnt bis ins hohe Alter zeugen, und wir...“

„Okay, aber ich würde mit meinen Kindern auch gerne etwas unternehmen oder Fußballspielen können. Mit siebzig muss ich das nicht mehr haben. Und einen Teenager mit all seinen oder ihren Ansprüchen an das modernste Smartphone und Spielkonsolen, Markenklamotten ... das kann ich von meiner Rente mit Sicherheit nicht stemmen.“

„Damit wären wir ja noch vor der Rente fertig, und wir verdienen doch jetzt gutes Geld ... ja, ich weiß ja ... wir waren uns ja auch im Grunde einig. Aber ich dachte, ich hätte noch Zeit.“

Er küsste mich auf die Stirn.

„Das Leben verläuft nie so, wie wir es gerne hätten. Wir machen das Beste daraus. In ein paar Jahren geht`s dir wieder richtig gut, wahrscheinlich bin ich dann voll in der Midlife Crisis und brauche dann ganz viel Geduld und Verständnis von dir. Wer weiß, vielleicht fängt das bei mir ja auch früher an.“

„Das fehlte noch. Sportwagen und junge Frau, oh weia.“

„Das ist doch ein Klischee“, lachte er. Er sah so unbeschwert aus, wenn er lachte.

„Na, ich weiß nicht. Wahrscheinlich fühlst du dich dann geschmeichelt, wenn solche Weiber wie die Drachenlady dich anbaggern.“

„Ach wo, mit so oberflächlichen, leeren Schönheiten kann ich nichts anfangen.“

„So, du findest sie also doch schön!“

„Na, da habe ich ja wieder was gesagt“, stöhnte er und ließ mich los.

„Wird wohl stimmen!“, fauchte ich.

„Auf einem rein körperlichen Level ist sie hübsch. Aber sie ist eben oberflächlich, leer und unverschämt. Was soll ich damit?“

„Na, irgendetwas wird dir schon einfallen, was du mit ihr machen könntest.“

„Ich bin aber keiner, der mit einer rein körperlichen Beziehung zufrieden wäre. Das weißt du.“

„Ja ...“

Aber was passierte, wenn eine schöne Frau mit gutem Charakter auftauchte?

„Komm, lass uns lieber über den Schrank reden“, lenkte er ab. „Welche Farbe?“

„Türkis.“

„Türkis?“

„Passt wunderbar zu den Wänden, du wirst schon sehen.“

„Hm ... na gut, könnte sein. Wie weit bis du mit dem Badezimmer-Video?“

„Muss ich noch schneiden.“

„Okay. Dann mach das doch, und ich fahre mit der Farbkarte in den Baumarkt. Dann kann ich heute Nachmittag schon mit dem Lackieren anfangen und das auch filmen.“

„Ja, in Ordnung.“

Er wuschelte mir noch durchs Haar und machte sich auf den Weg. Ich sah ihm mit gemischten Gefühlen hinterher. Es war ja nicht so, dass meine Eifersucht völlig unbegründet war. Da war der Besuch im Puff mit Sven zum einen, aber da waren wir ja noch nicht zusammen gewesen. Zum anderen war da noch Assen.

Florian war mit Sven und einem Haufen anderer nach Assen in Holland gefahren, um sich das Motorradrennen anzusehen. Ich hatte gerade in diesem Jahr nicht mitfahren können, weil ich noch die Buchhaltung für Jens machte und absolut nicht fertig geworden war. Sich für vier Tage verdrücken – es wäre einfach nicht gegangen.

Also fuhr der fröhliche Trupp alleine los und besoff sich wie immer heftig. Wie ich später erfuhr, betrank sich eine Motorradgang ein paar Meter weiter ebenfalls. Nachts, als Florian und Sven im Zelt lagen, verlor eine ziemlich angeschickerte Motorradbraut die Orientierung. Der festen Meinung, sich vor ihrem Zelt zu befinden, zog sie sich völlig nackt aus und kroch hinein. Flori wurde halb wach, weil „Sven“ ihn fast von der Luftmatratze drängte und sich grunzend umher wälzte. Schlaftrunken brummte Flori: „Gib Ruhe, Mann“ und versetzte dem bloßen Gesäß einen Schlag mit der flachen Hand, dass es nur so klatschte.

„Sven“ gab ein erschrockenes Quieken von sich und lag endlich still. So schliefen die drei friedlich bis zum Morgen.

Der echte Sven erwachte zuerst, sah die nackten Tatsachen und verdrückte sich schnell aus dem Zelt. Florian wurde kurz darauf ebenfalls wach, erblickte entsetzt den schnarchenden Haufen Fleisch und kroch vorsichtig nach draußen.

Sven hatte den anderen noch nichts erzählt, immerhin würde er nie seinen besten Kumpel verpfeifen. Deshalb machten alle große Augen, als sich während des Frühstücks das Zelt öffnete, eine nackte, über und über tätowierte Rockerbraut herausschlüpfte, ihre Klamotten überwarf und wortlos zu ihrer Gang herüber wankte.

Es dauerte eine volle Minute, bis alle in Gelächter ausbrachen und sich die Geschichte aufklärte. Natürlich wurden Sven und Florian damit ständig aufgezogen, bis heute.

Später traf Flori einen der Rocker im Bierzelt.

„Letzte Nacht hat sich eine von euren Perlen in unser Zelt verirrt“, grinste er. Der Rocker blieb unbeeindruckt.

„Und, war sie gut?“, war alles, was er dazu zu sagen hatte.

Seitdem war diese Geschichte Kult. Sie wurde im Freundeskreis immer wieder erzählt, meistens mit dem Nachsatz: „Was in Assen passiert, bleibt in Assen.“ Und dann wurde ich angegrinst. Ich grinste zurück, aber ...

War da wirklich nichts passiert? Immerhin waren Sven und Florian betrunken gewesen.

Und vielleicht fanden sie so eine Episode nicht schlimm. Sven jedenfalls hätte sicher nichts dabei gefunden, wenn mehr passiert wäre. Dafür kannte ich ihn.

Ein ungutes Gefühl blieb jedes Mal, wenn ich daran dachte.

Wechselbad und Scherbenhaufen

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